Die Ellesse-Story: So feiert eine fast vergessene Marke mit Digitalmarketing ihr Comeback

Wie die Modemarke über Asos und Instagram ihr Image neu belebte

Inhalt
  1. Pionier in Sachen Logo-Branding
  2. Verkauf zum Spottpreis
  3. Heritage Collection soll neue Zielgruppe erschließen
  4. Asos sorgt für massiven Aufmerksamkeitsschub
  5. 127 Millionen potenzielle Markenkontakte monatlich
  6. Amazons Marktmacht zwingt zum Umdenken
  7. Das Retro-Revival gibt der Marke Rückenwind
  8. Bei Asos führt an Ellesse kein Weg mehr vorbei
  9. Instagram sorgt für Begehrlichkeit
  10. Musiker und kleine Shops sorgen für Credibility
  11. Kommt bald der „Peak Athleisure“?

Ganze 45 Prozent mehr Umsatz im Geschäftsjahr 2016 – nur wenige andere Sportmarken dürften in diesem Zeitraum eine ähnliche Wachstumgeschwindigkeit verzeichnet haben wie Ellesse. Dabei war die Brand nach ihren Hochzeiten in den 70er und 80er Jahren lange fast in Vergessenheit geraten. Doch seit zwei Jahren erlebt Ellesse ein beachtliches Revival – angetrieben offenbar vor allem über das Internet. OMR hat rekonstruiert, wie das Unternehmen hinter der Marke diesen Wiederaufstieg angestoßen hat. Nicht jeder Vertreter der ja vergleichsweise jungen Online-Branche wird sich daran erinnern können. Doch als der 17-jährige Boris Becker am 7. Juli 1985 um 17 Uhr 26 in Wimbledon erfolgreich einen Matchball verwandelt, trägt er dabei gut erkennbar ein weißes Polo-Shirt von Ellesse. Für manche Deutsche mag dies ein geringer Trost gewesen sein, denn bei der Fußballweltmeisterschaft drei Jahre zuvor, in deren Finale die italienische Fußballnationalmanschaft die deutsche besiegte, trugen die Azzuri außerhalb des Platzes Ellesse. Für die italienischstämmige Modemarke sind die 80er Jahre glorreiche Zeiten: Auch Ferraris Formel-Eins-Team jener Zeit, rund um Star-Rennfahrer Alain Prost, wird damals von Ellesse ausgestattet.

Pionier in Sachen Logo-Branding

Gegründet worden war Ellesse bereits 1959 von Leonardo Servadio (seine Initialen geben dem Unternehmen auch seinen Namen) in Perugia, zunächst vor allem als Hersteller von Ski-Kleidung. In den 70er Jahren feiert er mit der „Jet Pant“, einer Skihose mit gepolsterten Knien und ausgestellten Beinen (die über die Skistiefel passten), erste Erfolge. Bald erweitert er das Sortiment um Tenniskleidung – dem Sommersport der oberen Zehntausend. Das in dieser Zeit entstandene Logo spiegelt diese Ausrichtung wider und verknüpft zwei Skispitzen mit der Form eines Tennisballs. Ellesse soll eines der ersten Unternehmen gewesen sein, das sein Logo deutlich sichtbar außen an der Kleidung anbrachte.

Das unverkennbare Ellesse-Logo (mehr über seine Entstehung hier)

In den 80er Jahren erscheint Ellesse durch die erfolgreichen Sponsorings allgegenwärtig. Doch der Erfolg ist nicht von Dauer. In den 90ern sponsert Ellesse zwar noch das leidlich erfolgreiche, aber stets viel beachtete Tennis-Model Anna Kournikova. Und unter Britpop-Bands gelten die Trainingsjacken der Marke noch als gefragtes Kleidungsstück. Doch gleichzeitig steigen zunächst Nike, dann Reebok zu Großmächten im Sport auf. Auch Adidas baut an einem globalen Imperium. Ellesse-Begründer Leonardo Servadio soll über die Geschäftsphilosophie des Mitbewerbers aus Herzogenaurach einmal gesagt haben: „Sie besteht schlicht darin, die gesamte Welt zu kaufen.“

Verkauf zum Spottpreis

Ellesse gerät dabei gegenüber der Konkurrenz offenbar immer mehr ins Hintertreffen. Im Jahr 1994 werden 90 Prozent der Anteile von Ellesse vom britischen Familienunternehmen Pentland übernommen, das zuvor den Vertrieb von Ellesse in England verantwortet hatte. Der Kaufpreis: 20 Millionen Pfund. Konkurrent Nike ist zu diesem Zeitpunkt bereits fast vier Milliarden US-Dollar wert.

Doch wie ein Blick auf die Entwicklung von Googles Suchanfragen zeigt, hat die Nachfrage nach Ellesse in den vergangenen zwei Jahren wieder stark zugenommen. Markeninhaber Pentland lässt verlautbaren, dass Ellesse trotz schwieriger Situation in einigen Märkten im zurückliegenden Geschäftsjahr die Erwartungen übertroffen und den Umsatz um 45 Prozent gesteigert habe.

Die Entwicklung der weltweiten Suchanfragen nach „ellesse“ laut Google Trends

Heritage Collection soll neue Zielgruppe erschließen

Seinen Anfang nahm dieser Wiederaufstieg der Marke möglicherweise im Jahr 2010: Ellesse launcht in diesem Jahr eine „Heritage Collection„, die sich gleichzeitig auf die Geschichte der Marke rückbesinnt, dabei aber weniger auf ein Sport- denn modeaffines Publikum zielt. Um die Marke bei dieser Zielgruppe überhaupt wieder auf den Schirm zu bringen, geht sie Kooperationen mit Multiplikatoren und Meinungsbildnern der Szene ein – etwa im August 2010 mit dem dänischen Hipster-Label Wood Wood. Aber auch mit Leuten, die die Erinnerung an die Hochzeiten der Marke in ihren Ehren halten: In den 80er Jahren war Ellesse auch Teil der „Terrace Culture“ geworden; britischen Fußball-Fans, die sich „casual“ in Edelsportmarken dieser Zeit kleideten. Im November 2010 relauncht Pentland mit dem britischen Online-Shop „80s Casual Classics“ (heute 280.000 Fans bei Facebook und 77.000 Follower bei Instagram) eine Retro-Kollektion an Ellesse-Trainingsjacken mit Designs aus dieser Zeit.

Gleichzeitig will Ellesse mit Offline-Läden in Großstädten offenbar ganz nah an die urbane Zielgruppe heranrücken – mit einem Pop-up-Shop im Londoner Hipster-Brennpunkt Shoreditch und einem Flagship-Store in Berlin. Doch drei Jahre später zieht die bekannte deutsche Fashion-Bloggerin Nike Jane erneut ein ernüchterndes Fazit: „Was ist eigentlich aus Ellesse geworden?“ Drei Jahre nach der Eröffnung des Berliner Ladens scheine die Marke „für die meisten von uns gestorben zu sein – wenn nicht sogar für alle“.

Asos sorgt für massiven Aufmerksamkeitsschub

Die endgültige Rückkehr zum Erfolg kommt erst im November 2013, als Asos eine Kooperation mit Ellesse vermeldet. Der größte britische Online-Mode-Shop und einer der größten Europas verkauft eine exklusive Ellesse-Kollektion. Bei Nike Jane kommt dieser Schritt gut an; die Bloggerin schreibt erfreut von einem „Comeback“.

Dass sich Markeninhaber Pentland für diese Kooperation entschieden hat, ist aus mehreren Gründen erstaunlich: So ist Pentland Ankerinvestor beim Börsengang vom europäischen Platzhirsch Zalando. Zudem verzeichnet Zalando mit mittlerweile nach eigenen Angaben 21 Millionen Kunden deutlich mehr Kunden als Asos (zuletzt nach eigenen Angaben 15 Millionen Kunden).

127 Millionen potenzielle Markenkontakte monatlich

Über die Gründe für diesen Schritt existiert kein offizielles Statement von Pentland. Es lässt sich darüber spekulieren, ob das Unternehmen Asos bei trendaffinen Modekunden stärker meinungsbildend als Zalando erachtet. So verzeichnet Asos trotz geringerer Kundenzahl bei Facebook die ungefähr gleiche Zahl an Fans (aktuell 4,9 Millionen), bei Instagram ist Asos‘ Reichweite (6,3 Millionen Follower) sogar deutlich höher als die von Zalando (421.000 Follower).

Zudem gibt Asos schon seit vielen Jahren augenscheinlich sehr erfolgreich ein eigenes Magazin heraus. Das „Asos Magazine“ ist nach Unternehmensangaben mittlerweile die auflagenstärkste Modezeitschrift in Großbritannien. Laut der jüngsten Quartalszahlen hat die Asos-Website im Februar dieses Jahres 127 Millionen Visits verzeichnet. Die britische Modeplattform ist offensichtlich also eine enorme Macht, wenn es darum geht, für Modemarken Aufmerksamkeit zu generieren.

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Amazons Marktmacht zwingt zum Umdenken

Bereits etwa im Jahr 2006 habe bei Pentland ein enormes Umdenken stattgefunden, wie Andy Long, seit Anfang 2015 CEO der Pentland Group, im Rahmen der (pikanterweise von Zalando veranstalteten) Konferenz Vizions im April 2017 in Berlin schilderte. Angestoßen worden sei der Kulturwandel durch die zunehmende Macht von Amazon. „Wir mussten anerkennen, dass das, war wir als Differenzierungsmerkmal angesehen hatten – unsere Marken, die sich jeweils voneinander unterscheiden – nicht mehr das Entscheidende sind. Das Entscheidende ist heute, zu verstehen, wie wir das Geschäft über diese riesige Maschinerie zum Laufen bekommen.“

Seit dieser Erkenntnis arbeite Pentland mit verschiedenen Plattformen und Shops je nach Ziel zusammen: Während Plattformen wie Amazon Produkte relativ nüchtern präsentieren (und Pentland hier selbst für die Differenzierung und das Storytelling rund um die Marken sorgen müsse), gebe es am anderen Ende des Spektrums Online-Shops, die online ähnliches leisteten wie manche Stationärhändler. „Die kuratieren eine Kollektion. Da können wir unsere Produkte in einem begehrlichen Umfeld präsentieren, gemeinsam mit anderen Artikeln, die für einen bestimmten Lifestyle stehen.“ Asos dürfte diesem Ende des von Long geschilderten Spektrums näher stehen.

Das Retro-Revival gibt der Marke Rückenwind

Ob es Glück oder Vorhersehung seitens Asos gewesen war, ist von außen nicht zu ermitteln: Im Jahr 2015 beginnt langsam ein Retro-Revival von Sportmarken aus den 80er- und 90er-Jahren, der als externer Faktor in den kommenden Monaten den Wiederaufstieg von Ellesse begünstigt. In den englischsprachigen Märkten wird dieses Segment„Athleisure“ genannt, ein Portmanteau aus den Begriffen „athletic“ und „leisure“ (Freizeit). Marken wie Champion, Fila, Kappa und eben Ellesse sind plötzlich wieder cool.

„Wir ziehen uns die schöne Erinnerung an unsere Kind- und Teenagerzeit an“, erklärt Fredericke Winkler, Modesoziologin aus Berlin, das Phänomen gegenüber dem Deutschlandfunk. Wie passend, dass ein deutscher Modeblogger über das Comeback von Ellesse schreibt: „Als ich das erste Mal das Label Ellesse in den Händen hielt, war ich noch ein kleiner Hosenscheißer und hab mir zum Schlafen ein T-Shirt mit buntem Logo-Aufdruck aus Papas Kleiderschrank geklaut. Damals wusste ich natürlich noch nicht, dass ich mir viele Jahre später selber dieses Shirt zulegen würde.“

Bei Asos führt an Ellesse kein Weg mehr vorbei

Asos spürt den Rückenwind für die exklusive Kooperation mit Ellesse und powert offensichtlich für den Partner. Nicht nur, dass der Shop die Marke in einem Blog-Eintrag als eine der drei „Key Brands“ für das Jahr 2015 benennt. Offensichtlich featured Asos immer wieder Kleidungsstücke von Ellesse ganz prominent auf der eigenen Website, in Newslettern und anderen Medien.

Als Asos im November 2016 die neue Ellesse-Kollektion auf der Website präsentiert, trifft diese offenbar auf ein zuvor nicht dagewesenes Interesse. Die Google-Suchanfragen nach Ellesse steigen zu diesem Zeitpunkt auf einen neuen Höhepunkt.

Instagram sorgt für Begehrlichkeit

Auch die Medien nehmen zu diesem Zeitpunkt wieder stärker von Ellesse Notiz. Immer wieder ist dabei zu lesen, dass Instagram entscheidend zu dem Revival der Marke beigetragen habe. „Die Sweater und T-Shirts mit buntem Logo-Aufdruck […] feiern gerade ein echtes Comeback auf Instagram“, schreibt beispielweise „Elle„. „Bento“, die Jugend-Postille des Spiegel, widmet der Marke einen „Artikel„, der hauptsächlich aus Instagram-Posts besteht. Instagram selbst weist für den Hashtag #ellesse mehr als 150.000 Posts aus. Laut dem Analytics-Tool Popster sollen diese mehr als 16,4 Millionen Likes verzeichnen.

Zumindest zum Teil dürfte der Instagram-Push auch von Pentland selbst gesteuert sein. Der größte Instagram-Account der Marke wird für ellesseheritage betrieben und verzeichnet aktuell 119.000 Follower.  Eingerichtet wurde er im April 2012; die ersten Postings wirken eher aus dem Bauch heraus und nicht mit einem strategischen Plan dahinter erstellt. Teilweise posten die Mitarbeiter sogar Handyfotos schlechter Qualität.

Musiker und kleine Shops sorgen für Credibility

Doch nach dem Launch der Kooperation mit Asos nimmt auch hier das Interesse und Engagement zu. Heute postet der Account deutlich regelmäßiger, häufiger und hochwertiger. Der Content ist ein Mix aus mehreren Komponenten. Zum einen Fotos von Models und „edgy“ Influencern, wie zuletzt beispielsweise der deutschen „Sandra Bulldock“. Dazu kommen „Regrams“ von den Ellesse-Posts kleinerer Online-Shops, die ein ausgewähltes Sortiment anbieten und damit genau die richtige Zielgruppe ansprechen, beispielsweise Scotts Menswear (heute 90K Abonnenten), Foot Asylum (heute 413K Follower) oder auch hier 80s Casual Classics (heute 101K Abonnenten).

@vanloshop are selling this amazing rare ellesse sweater ??? #tbt ?@sandrabulldock ? @noreazy

Ein Beitrag geteilt von ellesseheritage (@ellesseheritage) am 10. Aug 2017 um 10:02 Uhr

Für den Image-Transfer sorgen zum einen Fotos aus dem Ellesse-Archiv, beispielsweise von alten Werbekampagnen, aber auch von Sport- und Popkultur-Legenden im Ellesse-Dress: DJ Jazzy Jeff & Fresh Prince, Roger Moore, Boris BeckerMuhammed Ali, Guillermo VilasMick Jagger, Pat Cash und Buddy Guy übertragen die Credibility der Marke aus der Vergangenheit in die Jetztzeit. Dazu sucht Ellesse auf dem Heritage-Account auch immer wieder die Nähe zu Hip-Hop- und UK-Garage-Musikern. So stammt der zweitbeliebteste Instagram-Post mit dem Hashtag #ellesse von Rapper Fabolous.

AMAZING shot of Stevie Wonder on stage in ellesse with Bob Marley in 1979 #TBT #StevieWonder #BobMarley

Ein Beitrag geteilt von ellesseheritage (@ellesseheritage) am 21. Jul 2016 um 9:52 Uhr

Kommt bald der „Peak Athleisure“?

Die Reichweite des Accounts wächst beständig – das Instagram-Analytics-Tool InfluencerDB bescheinigt der Followerschaft eine ansehnliche Qualität: Nur 21 Prozent aller Instagram-Accounts hätten eine besser Qualität als der ellesseheritage-Account – 79 Prozent eine schlechtere.

Die Bewertung der Qualität der Follower des Instagram-Accounts ellesseheritage laut InfluencerDB

Marktforscher rechnen damit, dass in diesem Jahr der „Athleisure“-Trend seinen Höhepunkt erreicht und der Sportbekleidungsmarkt alleine in Großbritannien damit auf ein von 2,5 Milliarden britischen Pfund anwachsen wird. Ob Ellesse den Erfolg langfristig halten können wird, dürfte erst nach dem Abflachen des Trends zu erkennen sein. Vielleicht kann das Unternehmen durch das Sponsoring von Elina Svitolina ja an alte Zeiten anknüpfen: Die ukrainische Tennisspielerin ist im Februar 2017 erstmals in die Top 10 der Weltrangliste vorgestoßen und rangiert dort aktuell auf Platz 4.

Danke an Philipp Klöckner von Trademachines für die Idee zu diesem Artikel!

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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