- Amazon ist mehr als vier Mal so viel Wert wie Walmart
- Milliardeninvestments für eine Chance im E-Commerce
- Eine Milliarde US-Dollar Verlust im E-Commerce im Jahr
- „Wir würden das wieder so machen“
- Ex-Googler und Ex-Frog-Designer sollen die Wende bringen
- Walmart startet ein Prime-Pendant
- Hat Walmart+ bereits mehr als acht Millionen Mitglieder?
- Gewinnt Walmart+ langsam gegenüber Prime an Boden?
- Walmarts Marktplatz-Team buhlt um Shopify- und Amazon-Seller
- Walmarts China-Offensive
- Die Zahl der Händler auf Walmarts Marktplatz hat sich verdoppelt
- Eine weitere Amazon-Kopie: WFS statt FBA
- Walmart will weiter in Fulfillment investieren
- Amazons rasant wachsendes Werbegeschäft
- Hat Walmart die Zahl der Search-Ad-Buchungen verdoppelt?
- Walmart-Advertiser können auch in den Stores werben
- Hat Walmart Amazon schon beim Online-Lebensmittelhandel überholt?
- Erfolgsfaktor Curbside Pickup
- Walmart wächst immer noch kaum schneller als Amazon
- Quo vadis, Walmart?
- Über den Autor:
Ein verknöcherter Dinosaurier, der die Digitalisierung verschlafen hat und von Amazon gnadenlos abgehängt wurde – so hätten vor einigen Jahren wohl viele noch den US-Handelsgiganten Walmart beschrieben. Doch in den zurückliegenden zwei Jahren hat der Konzern den digitalen Turbo eingelegt und mischt seitdem in den USA gleichzeitig den E-Commerce, den Werbemarkt und das Online-FMCG- und Lebensmittel-Geschäft auf. Markus Caspari von der zu Dentsu gehörenden Agentur iProspect glaubt, dass deutsche Handelsketten und Unternehmen viel von Walmarts Comeback lernen können. In einem Gastbeitrag für OMR rekapituliert er den langen Weg Walmarts zur E-Commerce-Größe und zeigt, mit welchen Maßnahmen Walmart welche Erfolge erzielt hat.
„We fail our customers today.“ – „We turn away customers who want to shop with us.“ – „Our customer frequency is poor.“ – „We do not have a relationship with our clients.“ – Das Selbstzeugnis, das Manager von Walmart ihrem Arbeitgeber im März 2020 in Rahmen einer Präsentation ausstellen, ist vernichtend (Business Insider hat die Folien im März 2021 veröffentlicht). Hintergrund der damaligen Bestandsaufnahme: Walmart will mit einer Initiative namens „Project Glass“ die notwendigen Schritte einleiten, um die Online-Shopping-Erfahrung der Kunden zu verbessern.
Amazon ist mehr als vier Mal so viel Wert wie Walmart
Das Unternehmen ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit 20 Jahren im E-Commerce aktiv. Im Jahr 2000 startet auf Walmart.com das Shopping-Angebot des Konzerns im Netz; im Jahr 2009 folgt die Erweiterung zum Marktplatz und die Öffnung für externe Händler. Doch offenbar hat für den Offline-Retail-Giganten der Online-Handel einfach zu wenig Priorität. Konkurrent Amazon, 1995 gegründet und bereits im Jahr 2000 um einen Marktplatz für externe Händler erweitert, wächst über die vergangenen zwei Jahrzehnte hinweg zum absoluten E-Commerce-Platzhirschen der westlichen Hemisphäre heran.
Im Februar 2020, einen Monat vor Walmarts Bestandsaufnahme anlässlich „Project Glass“, liegt der Anteil Amazons am US-E-Commerce-Markt nach Schätzungen von Emarketer bei 38,7 Prozent, der von Walmart bei 5,2 Prozent. Amazons Siegeszug spiegelt sich auch in der Entwicklung des Aktienkurses und damit verknüpft des Unternehmenswertes wieder: Im Juli 2015 ist Amazon erstmals wertvoller als Walmart, im Frühjahr 2017 ist Amazon doppelt so wertvoll wie Walmart und aktuell beträgt Amazons Marktkapitalisierung mehr als das Vierfache der von Walmart.
Milliardeninvestments für eine Chance im E-Commerce
Dabei scheint Walmart spätestens im zurückliegenden Jahrzehnt die strategische Relevanz von E-Commerce erkannt zu haben. Von 2011 an wirft Walmart viel Geld auf das Problem; investiert in Digital-Startups oder kauft diese auf. Bis zur Übernahme der Mehrheit am indischen Amazon-Konkurrenten Flipkart für 16 Milliarden US-Dollar im Jahr 2018 ist der größte Digital-Deal Walmarts die Übernahme von Jet.com für 3,3 Milliarden US-Dollar im August 2016 – und möglicherweise der entscheidende für die Zukunft.
Jet.com wurde von Marc Lore gegründet, der zuvor das Unternehmen Quidsi (u.a. Diapers.com) für 545 Millionen US-Dollar an Amazon verkauft hatte. Sein neues Projekt startet als eine Art Shopping-Club: Die Kundinnen und Kunden zahlen eine Mitgliedsgebühr; dafür will das Unternehmen günstigere Preise bieten. Wenige Monate nach dem Launch fällt die Gebühr weg und Jet wechselt zu einer „Smart Cart“-Technologie: Je mehr Produkte die Kundinnen und Kunden ihrem Einkaufskorb hinzufügen, desto niedriger werden die Preise.
Eine Milliarde US-Dollar Verlust im E-Commerce im Jahr
„Wir suchen nach Wegen um Preise zu senken, unser Sortiment zu vergrößern und das unkomplizierteste, einfachste Einkaufserlebnis anzubieten, weil das unsere Kunden wollen. Wir glauben, dass die Übernahme von Jet unseren Fortschritt bei diesen Schwerpunkten beschleunigen wird“, sagt Walmart-CEO Doug McMillon sagt bei der Übernahme von Jet.com. Walmart betreibt Jet.com von da an weiterhin als eigenständige Brand und eigenständiges Angebot.
Doch so richtig scheint Jet nie durch die Decke zu gehen; immer wieder ist davon zu lesen, dass der Shop Geld verbrennt. Im Mai 2020, bei der Bekanntgabe der Quartalsergebnisse, verkündet Walmart die Einstellung von Jet.com. Ein Jahr davor hatte Recode berichtet, dass Walmarts E-Commerce-Geschäft im Jahr 2019 eine Milliarde US-Dollar Verlust werde hinnehmen müssen.
„Wir würden das wieder so machen“
War also die Jet-Übernahme ein Flop? Viele Analysten bestreiten diese Interpretation. Jet sei entscheidend dafür gewesen, die „Omni-Strategie“ Walmarts zu beschleunigen, sagt CEO Doug McMillon. „Wir würden das wieder so machen“, erklärt er gegenüber CNBC. Im von Medium.com betriebenen Tech-Blog Marker schreibt Anna Fitzgerald, dass der Anteil von E-Commerce an Walmarts Gesamtumsatz bei der Übernahme von Jet bei 3 Prozent und bei der Einstellung bei 15 Prozent gelegen habe.
Hinzu kommt: Walmart hat sich mit der Akquisition viel Know-how ins Haus geholt. Ein Großteil der Jet-Mitarbeiter soll ins Walmart-Team integriert worden sein. Marc Lore selbst hat Walmart Anfang 2021 (und damit später als ursprünglich vereinbart) verlassen.
Ex-Googler und Ex-Frog-Designer sollen die Wende bringen
Möglicherweise hat der Jet-Deal Walmart auch dabei geholfen, noch mehr fähige E-Commerce-Mitarbeiter zu bekommen. Die Project-Glass-Offensive wird geleitet von Meng Chee (dem ersten Chief Product Officer Walmarts) und Suresh Kumar, dem globalen CTO des Konzerns. Chee war zuvor in ähnlichen Funktionen für JP Morgan, Samsung und beim renommierten Design-Studio Frog tätig. Kumar hat vor seinem Wechsel zu Walmart für Google gearbeitet, davor u.a. 15 Jahre lang für Amazon.
Ihre Aufgabe bei Walmart im Rahmen von Project Glass: die Shopping-Erfahrung vereinheitlichen und Walmart.com als Hauptanlaufstelle für Produkte des täglichen Bedarfs stärken und ausbauen. Dafür muss Walmart als Marktplatz sich auf zwei Seiten verbessern: zum Kunden hin, aber auch auf Seite der Händler, die auf dem Marktplatz verkaufen sollen.
Walmart startet ein Prime-Pendant
Auf der Kundenseite hat sich innerhalb der vergangenen zwei Jahre bei Walmart einiges getan. Zuvor gab es separate Apps für Lebensmittel sowie für das restliche Sortiment (Walmart spricht hier von Merchandising). Beide wurden im Frühjahr 2020 miteinander verschmolzen, so dass die Konsumenten seitdem alles aus einer App bekommen. Im März 2021 hat Walmart außerdem den Mindestbestellwert von 35 US-Dollar für Express-Lieferungen innerhalb von zwei Stunden abgeschafft – wohl um besser mit Amazons Schnell-Liefer-Service Prime Now konkurrieren zu können.
Die größte Neuerung auf Kundenseite war jedoch sicherlich die Einführung von Walmart+ im Herbst 2020, einem Pendant zu Amazons Kundenbindungsprogramm Prime. Mit 98 US-Dollar Jahresgebühr ist Walmart+ rund 20 US-Dollar günstiger als Amazon Prime. Zu den Leistungen gehören kostenlose Lieferung von Artikeln auf Walmart.com, kostenlose Lieferung aus einem Laden, wenn möglich noch am selben Tag (auch Lebensmittel), sowie Rabatt auf Benzin an den Walmart-Tankstellen.
Hat Walmart+ bereits mehr als acht Millionen Mitglieder?
Vielleicht das zugkräftigste Argument gegenüber den US-amerikanischen Verbrauchern: Mittels Scan&Go können Walmart+ Mitglieder ihre Einkäufe in den 4.700 Walmart-Niederlassungen in den USA selbst per Handy einscannen und bezahlen und damit dem Anstehen an den Kassen aus dem Weg gehen. Damit ist Walmart Amazon sogar voraus. Der E-Commerce-Platzhirsch betreibt mittlerweile zwar auch 589 stationäre Filialen, nur wenige davon sind aber Amazon Go Stores, in denen die Kundinnen und Kunden nicht mehr zur Kasse müssen. Mehr als 500 davon sind Filialen der von Amazon aufgekauften Supermarktkette Wholefoods, die das Scannen durch die Kunden gerade erst in einer Filiale testet.
Bis Januar 2021, also innerhalb von fünf Monaten, sind zwischen 13 und 14 Prozent der Einkaufenden auf Walmart.com Mitglied bei Walmart+ geworden, schätzt der Marktforscher Consumer Intelligence Research Partners (CIRP): 7,4 bis 8,2 Millionen Menschen. Das würde bedeuten, dass Walmart alleine über die Abo-Gebühren jährlich bis zu 804 Millionen US-Dollar Umsatz generieren würde.
Gewinnt Walmart+ langsam gegenüber Prime an Boden?
Natürlich: Mit 147 Millionen Prime-Mitgliedern alleine in den USA liegt Amazon noch weit vor Walmart. Will man Daten der B2B-Plattform PYMNTS Glauben schenken, so macht Walmart aber zumindest langsam Boden gegenüber Amazon gut. So sollen noch im November 2020 68 Prozent aller US Konsumenten eine Prime Subscription abgeschlossen haben, im Vergleich zu 17 Prozent bei Walmart+. Stand Januar 2021 lagen die Werte laut PYMNTS-Daten bei 21 Prozent für Walmart und 64,3 Prozent bei Amazon Prime. Walmart CEO Doug McMillon kündigte in seinem jüngsten Shareholder-Letter an, weiter in Walmart+ investieren und den Service um weitere Vorteile ergänzen zu wollen.
Aber was bringen Walmart mehr Shopping-Komfort und bessere Konditionen auf Seite der Kunden, wenn der Marktplatz nicht die gleiche Sortimentsvielfalt wie der große Konkurrent Amazon vorweisen kann? Das zumindest dürfte der Gedanke hinter einer radikalen Offensive sein, in deren Rahmen der Handelsdino versucht, mehr Seller (und damit mehr Inventar) auf den eigene Marktplatz zu ziehen.
Walmarts Marktplatz-Team buhlt um Shopify- und Amazon-Seller
Zu diesem Zweck ist Walmart in einem ersten Schritt zwei Partnerschaften eingegangen. Im Juni 2020 verkündete Walmart eine Kooperation mit Shopify (CEO Tobi Lütke hier im OMR Podcast). Seitdem können die Shopify-Händler ihren Warenbestand mittels Shopify-App auch auf Walmart anbieten. Er rechne damit, dass in diesem Jahr 1.200 Shopify-Händler in den Verkauf auf Walmart einsteigen werden, so Walmart-Marktplatz-Chef Jeff Clementz. Eine ähnliche Partnerschaft ist Walmart im Februar dieses Jahres auch mit dem Shopify-Konkurrenten BigCommerce eingegangen. Sowohl die BigCommerce- als auch die Shopify-Händler zahlen keine Einrichtungs- oder monatliche Gebühr, sondern lediglich „Referral Fees“, wenn Verkäufe zustande kommen.
Offenbar fragt Walmarts Marktplatz-Team darüber hinaus gezielt Amazon Seller, ob sie nicht auch über Walmart.com verkaufen wollen – das berichtete vor wenigen Monaten das US-Branchenmedium Modern Retail. So habe das Unternehmen Perch (einer von vielen FBA-Business-Aufkäufern im Markt) eine Mail wegen eines Virtual-Reality-Headsets der Perch-Marke Bnext erhalten. „Walmarts Pitch uns gegenüber bestand darin, dass ihre Kunden nach solchen Produkten bei ihnen suchen würden, sie aber keine Produkte in dem Preisbereich anböten, in dem wir verkaufen“, so ein Perch-Manager.
Walmarts China-Offensive
Die größte Neuerung dürfte jedoch sein, dass Walmart in diesem März den eigenen Marktplatz auch für „eine begrenzte Zahl an Sellern aus dem Ausland“ geöffnet hat, wie das Unternehmen gegenüber Bloomberg bestätigte. Die Händler würden weiterhin streng geprüft, sowohl durch lokale als auch ausländische Walmart-Teams.
Die Öffnung dürfte vor allem ein Versuch sein, die große Lücke zum Amazon Marketplace zu verkleinern, der über ein gewaltiges Seller-Netzwerk insbesondere aus China verfügt. Der E-Commerce-Statistikdienst Marketplace Pulse schätzt, dass in vielen Märkten zwischen 30 und 40 Prozent des Gesamtaußenumsatzes (Gross Merchandising Volume, GMV) auf Amazons Marktplatz von Sellern aus China erwirtschaftet wird. Und die Zahl könnte noch steigen: Im Januar 2021 sollen in den USA, Großbritannien, Deutschland und Japan geschätzte 75 Prozent der neuen Amazon-Seller aus China gekommen sein.
Die Zahl der Händler auf Walmarts Marktplatz hat sich verdoppelt
Auch Walmart will Seller aus China gewinnen: Die Öffnung für ausländische Händler verkündete das Unternehmen laut Marketplace Pulse ebenfalls auf einer Konferenz im chinesischen Shenzen, an der 20.000 Menschen per Livestream teilgenommen haben sollen. Dass hochrangige Walmart-Manager wie Jeff Clementz, Senior Vice President bei Walmart und Leiter des US Marketplace, sowie Michelle Mi, Vice President of Global Sourcing bei Walmart, dort sprachen, zeigt den Stellenwert, den der Schritt für das Unternehmen hat. In den vergangenen Wochen sollen rund 100 chinesische Händler auf Walmart.com aktiv geworden sein.
Insgesamt scheint Walmart mit der Seller-Akquisitions-Offensive bislang sehr erfolgreich zu sein, denn innerhalb eines guten Jahres hat sich die Zahl der Marktplatzhändler nach Erhebungen von Marketplace Pulse mehr als verdoppelt: von 39.000 im März 2020 auf aktuell 92.656. Alleine im Mai sollen rund 4.400 Seller dazugestoßen sein. Bloomberg bezifferte die Zahl der „Unique Items“, die über Walmart.com verfügbar sind, im März auf 80 Millionen.
Eine weitere Amazon-Kopie: WFS statt FBA
Business Insider hat im April mit zehn auf Walmart aktiven Händlern gesprochen. Viele von ihnen erklärten, dass Walmart in puncto Technik und Support noch Amazon hinterherhänge.Viele Händler stünden aber auch auf Walmarts Seite, in der Hoffnung, dass das Unternehmen sich als Gegengewicht gegenüber Amazon als extrem mächtigen Player im Markt etablieren könne. „Walmart wird das schaffen“, zeigt sich ein Händler zuversichtlich.
Dabei solle eine weitere Neuerung helfen: Im Februar 2020 (und damit 15 Jahre nachdem Amazon diesen Schritt gegangen ist ) begann Walmart damit, den Händlern auf dem eigenen Marktplatz Logistikdienstleistungen anzubieten. Die Walmart Fulfillment Services (WFS) sind das Pendant zu Amazons Fulfillment by Amazon (FBA). Dabei übernimmt Walmart Lagerhaltung und Versand. Anders als bei FBA müssen die Händler bei WFS keine monatliche Grundgebühr zahlen, um das Angebot in Anspruch nehmen können, sondern „lediglich“ Lagerhaltungs- und Versandkosten.
Walmart will weiter in Fulfillment investieren
WFS soll sowohl den Händlern als auch den Kunden Vorteile bringen. So erhalten WFS-Produkte ein Fast-Shipping Label. Dadurch gewinnen sie mit höherer Wahrscheinlichkeit die Buybox (das „Einkaufswagenfeld“), wodurch die Abverkäufe steigen. Kunden profitieren von WFS, indem sie WFS-Produkte in Walmart Stores retournieren können.
In den ersten Monaten sollen laut Marketplace Pulse nur 150 Händler WFS in Anspruch genommen haben. Ob dies an mangelnder Akzeptanz durch die Händler lag, oder daran, dass Walmart nur langsam neue Mitglieder aufnahm, ist unklar. Bis März 2021 sei die Zahl der Teilnehmer aber bereits auf 1.100 angewachsen, so der Marketplace-Pulse-Gründer gegenüber Modern Retail. Walmart-CEO Doug McMillion kündigte im April im diesjährigen Shareholder Letter ebenfalls an, weiter in Fulfillment Services investieren zu wollen. Wenige Monate zuvor hatte das Unternehmen bereits bekannt gegeben, so genannte „Market Fulfillment Center“ einrichten zu wollen und damit die Stores auch logistisch noch stärker in den E-Commerce einzubinden.
Amazons rasant wachsendes Werbegeschäft
Wenn es Walmart gelingt, mit all diesen Maßnahmen dauerhaft mehr Händler und Kunden auf den eigenen Marktplatz locken zu können, wird das zwangsläufig den Wettbewerb um die Sichtbarkeit und um die Käufer:innen auf Walmart.com verschärfen. Das böte dann für Walmart die Chance, mit dem Verkauf von Werbung noch mehr Geld zu verdienen.
Wie das als Online-Marktplatz geht, zeigt erneut Amazon. Die Werbesparte des Konkurrenten aus Seattle wächst extrem schnell: Im zurückliegenden Geschäftsjahr soll Amazon weltweit mehr als 20 Milliarden US-Dollar mit Werbung eingenommen haben. In den USA liegt Amazons Anteil am Gesamtwerbemarkt schon bei mehr als 10 Prozent; Amazon ist damit die klare Nr. 3 hinter Google und Facebook – und nimmt offenbar Google langsam Marktanteile ab.
Hat Walmart die Zahl der Search-Ad-Buchungen verdoppelt?
Walmart arbeitet nach eigener Darstellung seit einigen Jahren an einem eigenen Werbevermarkter, aber erst seit Anfang 2020 sind Werbeplätze auf Walmart.com über ein Selbstbuchungs-Tool und damit in der Breite verfügbar. Laut dem Bericht für Walmarts Geschäftsjahr 2020 (das am 31. Januar 2020 endete) betrug der Anteil der Walmart Media Group noch weniger als ein Prozent der gesamten Walmart Annual Net Sales; im 2021er Report werden zu (der mittlerweile in Walmart Connect umbenannten) Sparte keine Zahlen genannt.
Es gibt jedoch externe Erhebungen: Laut einer Untersuchung, die die E-Commerce-Analytics-Firma Profitero dem Branchenmedium Modern Retail vorgelegt hat, soll sich die Zahl der Suchanzeigen auf Walmart.com von Januar 2020 auf Januar 2021 mehr als verdoppelt haben – von durchschnittlich 1,7 Suchanzeigen auf 4,1. Zum Vergleich: Bei Amazon soll die Zahl der durchschnittlichen Anzeigen auf einer Suchergebnisseite im Januar 2021 bei 9,1 gelegen haben.
Walmart-Advertiser können auch in den Stores werben
Wenig verwunderlich also, dass Walmart weiter an das Wachstumspotenzial im Werbgeschäft glaubt: Im Januar 2021 formuliert das Unternehmen öffentlich das Ziel, in die Top 10 der Werbeplattformen der USA vorstoßen zu wollen. In diesem Zusammenhang kündigt Walmart die Ausweitung des Portfolios an digitalen Werbeformaten, aber auch die Einführung programmatischer Werbung auf Screens in den Stores an, womit die Werbekunden On- und Offline stärker verknüpfen können. Dritter strategischer Schwerpunkt: Durch eine Partnerschaft mit The Trade Desk will Walmart eine eigene Demand Side Platform auf den Markt bringen, mittels derer Werbetreibende die Walmart-Daten nutzen können, um außerhalb von Walmarts eigenem Inventar ihre Werbung zielgerichtet auszuspielen.
Das Werbegeschäft ist in der Regel deutlich margenstärker als das Retail Business. Sollte es Walmart gelingen, die eigenen Werbeumsätze mit diesen Maßnahmen auszubauen, könnte dies dem Unternehmen neue finanzielle Spielräume eröffnen, um den Kauf auf Walmart.com für Kundinnen und Kunden noch attraktiver zu machen – so wie sie es beispielsweise mit der Streichung der Mindestbestellmenge bereits getan haben.
Hat Walmart Amazon schon beim Online-Lebensmittelhandel überholt?
Alle bisher aufgeführten Initiativen und Produkteinführungen scheinen das E-Commerce-Wachstum jedenfalls beschleunigt zu haben (auch wenn hier der Corona-Effekt kaum „herausrechenbar“ ist): Im vergangenen Geschäftsjahr soll Walmarts E-Commerce-Umsatz in den USA nach eigenen Angaben um 79 Prozent gestiegen sein – ohne, dass das Unternehmen hier absolute Zahlen nennt. Der Marktplatz soll sogar dreistellige Wachstumsraten generiert haben (auch hier macht Walmart keine detaillierteren, konkreten Angaben).
Einer der Treiber des E-Commerce-Wachstums von Walmart ist offenbar der Online-Lebensmittelhandel. Schon einmal, im November 2019 bei der Vorstellung der Quartalszahlen, hatte Walmart erklärt, dass dieses Segment stark wachse. Im August 2020 erregte dann eine Studie von Tabs Analytics, einem US-Marktforscher im Konsumgüterbereich, Aufmerksamkeit mit der darin enthaltenen Aussage, dass Walmart in den USA Amazon im Online-Lebensmittelhandel überholt habe und nun einen größeren Marktanteil (30 Prozent) halte als der Konkurrent (27 Prozent). Amazon widersprach den Zahlen; Tabs blieb bei seiner Aussage.
Erfolgsfaktor Curbside Pickup
Entscheidender Faktor für Walmarts Erfolg im Online-Lebensmittelbereich ist offenbar der „Curbside Pickup“, also die „Abholung an der Bordsteinkante“. Bei dem 2015 eingeführten Feature shoppen und bezahlen die Kundinnen und Kunden über Walmart.com oder die Walmart-App, fahren zum Supermarkt und bekommen dort ihre Einkaufstüten auf den Parkplatz gebracht.
Marktforscher Cowen and Company schätzte bereits 2019, dass 11 bis 13 Prozent der Walmart-Kundinnen und -Kunden das Angebot nutzen und Walmart hier Marktführer ist. Offline-Kundinnen- und Kunden über den Lebensmittelhandel für Online-Angebote zu gewinnen, könnte sich für Walmart mittel- bis langfristig als äußerst lukrativ erweisen. Denn nach Schätzungen von CIRP geben Konsumentinnen und Konsumenten, die auf Walmart.com Lebensmittel kaufen, mit 1.900 US-Dollar im Jahr fast doppelt so viel Geld aus wie der durchschnittliche Walmart.com Kunde.
Walmart wächst immer noch kaum schneller als Amazon
Durch das E-Commerce-Wachstum im vergangenen Jahr hat sich Walmart nach Einschätzung von Emarketer im Heimatmarkt USA auch einen größeren Anteil am E-Commerce-Markt gesichert. So soll Walmarts Marktanteil von 2019 auf 2020 um 1,2 Prozentpunkte auf 6,7 Prozent gestiegen sein. Walmart hat damit die Position als Nummer zwei gefestigt.
Dafür hat Walmart jedoch eher kleineren Mitbewerbern Marktanteile abgenommen. Denn Platzhirsch Amazon ist im selben Zeitraum auch um 1,1 Prozentpunkte gewachsen. Mit nun 39,8 Prozent Marktanteil ist Amazon für Walmart bei Weitem noch nicht in Schlagdistanz. Und tektonische Verschiebungen sind hier fürs erste nicht zu erwarten: Für das laufende Jahr prognostiziert Emarketer bei Walmart ein Wachstum von 0,4 Prozentpunkten auf 7,1 Prozent Marktanteil, bei Amazon ein Wachstum von 0,3 Prozentpunkten auf 40,1 Prozent Marktanteil.
Quo vadis, Walmart?
Sogar wenn man Walmarts gesamte Handelsumsätze (also inklusive Offline) anlegt, könnten Amazon in diesem Jahr Walmart als Retailer der USA fast einholen (so eine Prognose von PYMNTS) bzw. sogar überholen (wie Edge by Ascential glaubt). Bisher hat Walmart es „zurück ins Spiel“ geschafft – durch das Kopieren diverser Erfolgsrezepte von Amazon und der gleichzeitigen Betonung der eigenen Stärken (vor allem dem landweiten Store-Netz). Doch um nicht komplett den Anschluss zu verlieren, muss Walmart die Innovationsgeschwindigkeit der vergangenen zwei Jahre beibehalten – wenn nicht sogar noch beschleunigen.
Über den Autor:
Markus Caspari (hier auf LinkedIn folgen) ist Director Performance Marketing bei iProspect, der laut iBusiness-Ranking größten Performance-Marketing-Agentur Deutschlands. iProspect ist ein Unternehmen von Dentsu. Der Autor ist dort auch Mitglied des E-Commerce Competence Center. Caspari berät und unterstützt derzeit Kunden in den Bereichen E-Commerce, Retail Media, Social Media, Search & Programmatic. Er arbeitete auf Agenturseite bereits für Unternehmen bzw. Marken wie Mondelez (Milka, Oreo), Danone (Aptamil, Milupa), und Pirelli. Zudem hat er seit mehreren Jahren Lehraufträge in verschiedenen Fächern an unterschiedlichen Hochschulen, z.B. an der Hochschule Darmstadt und der DHBW Stuttgart.