[UPDATE ]VC-Experte Sven Schmidt zum Hello Fresh-IPO: „Hände weg. Nicht zeichnen, sondern shorten!“

Der OMR Podcast-Stammgast prognostiziert harte Zeiten

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Die Rocket Internet Portfolio-Firma Hello Fresh hat ihren Börsenprospekt und die vorläufigen Quartalszahlen veröffentlicht; am 2. November soll der Börsengang vollzogen werden. Wir haben den VC-Experten- und OMR-Podcast-Stammgast Sven Schmidt um eine aktuelle Einschätzung gebeten.

Update, 3. November, 11:45 Uhr: Blue Apron, der börsennotierte US-Konkurrent von Hello Fresh, hat Zahlen für das dritte Quartal 2017 veröffentlicht. Sven Schmidt sieht sich in seiner deutlichen Kritik am Geschäftsmodell bestätigt – das Geld reiche für Blue Apron noch maximal vier Quartale. „Die aktiven Kunden sind seit dem 30. Juni von 943.000 auf 856.000 gesunken, das ist eine Netto Churn Rate, also nach der Neukundenakquise, von 9,2 Prozent.“ Die Brutto Churn Rate, also die Kündigungsrate vor Neukundenakquisition, sei laut Schmidt noch deutlich höher: „Wenn man beispielsweise bei den 34,2 Millionen US-Dollar Marketingausgaben von 342 US-Dollar Kosten pro Neukunden, also insgesamt 100.000 Neukunden ausgeht, läge die echte Churn Rate schon bei rund 20 Prozent. Bei 171 US-Dollar pro Neukunden wäre die Churn Rate schon etwa 30 Prozent.“ Anders ausgedrückt: Entweder sei die Churn Rate sehr groß und damit das Geschäftsmodel nicht nachhaltig oder die Customer Acquisition Cost (CAC) seien inakzeptabel hoch. Die 211 Millionen US-Dollar Umsatz werden laut Sven Schmidt von den hohen laufenden Kosten aufgefressen: „Alleine 164 Millionen für für die sogenannten „Cost of Good Sold“, 34 Millionen für Marketing und 66 Millionen für Technik, Administration usw. Die verbliebenen 266 Millionen US-Dollar Cash-Bestand reichen bei einem operativen Quartalsverlust von 69 Millionen US-Dollar und negativem Wachstum noch maximal für vier Quartale.“ Die Börse scheint dies genauso zu sehen: Der Aktienkurs von Blue Apron ist um knapp 20 Prozent gefallen. Die Marktkapitalisierung beträgt noch 722 Millionen US-Dollar inkl. dem Cash Bestand von 266 Millionen.

Anfang Oktober war Sven Schmidt noch skeptisch, ob es überhaupt zum Hello Fresh IPO kommt. „Es sieht daher nicht nach einem Börsengang von Hello Fresh aus“ – so lautete sein Fazit im OMR Podcast. Begründung: Der börsennotierte US-Konkurrent Blue Apron habe extrem schlechte Zahlen vorgelegt; hohe Logistik- und Akquisitionskosten würden das Geschäftsmodell einfach extrem schwierig machen.

Doch jetzt peilt Hello Fresh beim Börsengang inklusive Kapitalerhöhung eine Bewertung von 1,8 Milliarden Euro an, wie Jochen Krisch in einer ersten kurzen Analyse schreibt. Philipp Westermeyer hat mit Sven über die jüngsten vorliegenden Zahlen gesprochen.

Philipp Westermeyer: Sven, Hello Fresh wirbt mit 48 Prozent Wachstum im dritten Quartal 2017 im Vergleich zum Vorjahresquartal. Ist Deine Analyse im Podcast falsch? Sven Schmidt: Nein, meines Erachtens bestätigen mich die Zahlen. Die 48 Prozent Wachstum sind primär eine gekonnte Darstellung und zudem gutes Timing.

Was meinst Du mit gekonnter Darstellung? Laut Börsenprospekt lag der Umsatz im zweiten Quartal 2017 bei 230,1 Millionen Euro. Im aktuellen Quartal sind es nur 217 Millionen Euro. Im Vergleich zum Vorquartal ist der Umsatz also um sechs Prozent gefallen.

Hello Fresh begründet das mit saisonalen Entwicklungen. Im Sommer, also von Juli bis September, kochen halt weniger Menschen zu Hause. Per se ist das eine richtige Beobachtung. Aber zum einen sollten „Wachstumsfirmen“ unabhängig von Saisonalität wachsen und zum anderen galt das in der Vergangenheit auch für Hello Fresh. 2015 gab es ein Wachstum von 39 Prozent vom zweiten auf das dritte Quartal, 2016 immerhin noch ein positives Wachstum von vier Prozent.

Was schließt Du daraus? Hello Fresh muss jetzt an die Börse. Denn Timing ist bei einem Model, wo Dein eigener Churn irgendwann Dein Wachstum auffrisst, alles. Jochen Krisch merkt nicht ohne Grund an, dass die Hello Fresh-Gründer mit Zusatzoptionen stark incentiviert seien, die Firma noch dieses Jahr an die Börse zu bringen.

Kannst Du Churn kurz erklären? Das Geschäftsmodell von Hello Fresh hat wie jedes Abo-Modell mit Kündigungen zu kämpfen. Die Kündigungsquote bei diesen Modellen ist sehr, sehr hoch. Wie im Podcast besprochen: Sich im Flur stapelnde Pakete mit Lebensmitteln fangen irgendwann an zu stinken, da kündigt man lieber. Und je größer die Zahl der Kunden, desto mehr Kündigungen. Irgendwann schafft man es dann nicht mehr, die Kündigungen über Neukunden auszugleichen. Vom Wachstum ganz zu schweigen.

Wie entwickelt sich Hello Fresh in den USA? Auch hier ist der Umsatz von 143,3 Millionen Euro im zweiten Quartal auf 131 Millionen Euro im dritten Quartal gefallen. Aber folgende Zahlenreihe verdeutlicht das ganze Dilemma von Hello Fresh noch deutlicher: 458.000, 430.000, 431.000, 425.000, 446.000 und 455.000.

Und das ist… …die Entwicklung der aktiven Hello Fresh-Kunden außerhalb der USA – im Börsenprospekt International genannt – vom ersten Quartal 2016 bis zum zweiten Quartal 2017. Man sieht: Null Wachstum bzw. sogar leicht negatives Wachstum. Und wir sprechen hier von einer vermeintlichen Wachstumsfirma.

Aber die Firma wächst doch noch. Ja, aber nicht mehr lange. Zum einen nur noch im Vorjahresvergleich, zum anderen durch mehr Kunden nur noch in den USA bzw. außerhalb der USA durch mehr Umsatz pro Kunde. Ich nehme an, weil weniger mit Gutscheinen gearbeitet worden ist.

Mehr Kunden in den USA reichen Dir nicht? Wie gesagt: Schon im aktuellen Quartal haben in den USA wahrscheinlich mehr Kunden gekündigt, als neue hinzugekommen sind. Und das wird in Zukunft nicht besser. Dann wird sich die USA für Hello Fresh genauso verhalten wie der Rest der Welt – Neukunden ersetzen maximal die Kunden, die gekündigt haben.

Was wäre die Folge? Wahrscheinlich null Wachstum, maximal ein wenig durch geringere Discounts. Dann hast Du eine Firma, die nicht wächst und kein Geld verdient. Und eine solche Firma sollte nicht 1,2 bis 1,5 Milliarden Euro wert sein, bzw. inklusive dem Geld aus dem potentiellen Börsengang wohl sogar 1,8 Milliarden Euro – sondern eher null Euro.

Ziemlich harte Worte. Wieso? Bei Blue Apron – dem börsennotierten US-Konkurrenten von Hello Fresh – fällt der Umsatz sogar bei steigenden Verlusten. Wieso? Irgendwann gibt es keine Neukunden mehr zum Akquirieren, dann fressen die Kündigungen Deinen Umsatz oder der Verwaltungsaufwand Deinen Cash.

Die Hello Fresh-Konsortialbanken sehen das scheinbar anders. Und die deutschsprachige Presse berichtet bisher auch nicht so negativ. Ich empfehle die Financial Times Alphaville Kolumne zu Hello Fresh. Kernzitat: „Active customers refers to the number of uniquely identified customers who received at least one box within the last 13 weeks, as of June 2017 (including first-time customers, customers who received a free or discounted box and customers who ordered during the relevant period but discontinued their orders and registration with HelloFresh before period end). The human condition is a complex and subjective thing, but even still, customers who “discontinued their orders and registration”, which may include people who tried it once and decided HelloFresh wasn’t for them, don’t sound very “active”. Übersetzung: Die aktiven Kundenzahlen von Hello Fresh sind gepimpt. Und die Banken wollen Gebühren verdienen. Und einen guten Kunden wie Rocket Internet nicht verlieren. In den USA hat sich sogar ein bekannter VC getraut, sich zu dem Modell sehr kritisch zu äußern.

Wer? David Pakman von Venrock hat geschrieben: „A recent example of this is Blue Apron. Their average monthly churn appears to be quite high…perhaps as high as 12% per month. With one million total paid subscribers, they lose about 120,000 subs per month. The cost to replace these lost subs, just to stay flat and not grow, at an estimated CAC of $147, is $17.6 million per month. More recent CACs are $460, so they would spend more than $55 million per month just to tread water. You can see how this becomes unmanageable.“ Auf Deutsch übersetzt: Das Ding fährt an die Wand. Ich kann nur jedem empfehlen, den gesamten Post von David Pakman zu lesen.

Hello Fresh ist aber nicht Blue Apron. Nein, Hello Fresh scheint operativ besser zu sein. Aber meines Erachtens ist das so relevant wie das Stühlerücken auf der Titanic: Ein schlechtes Geschäftsmodell bleibt ein schlechtes Geschäftsmodell.

Falls Blue Apron sich verabschieden sollte, würde das Hello Fresh helfen? Vielleicht temporär. Aber da sind ja noch Amazon, Marley Spoon, Plated und diverse Lieferdienste, die de facto Substitute sind.

Du wirst also nicht Hello-Fresh-Aktien zeichnen? Niemals. Das ist ein fallendes Messer. Das ist der Versuch von Oliver Samwer, dass sogenannte „Retail“-Kunden den negativen Cash Flow von Hello Fresh für ihn übernehmen. In den USA könnten die nach dem Blue Apron-Desaster gar nicht mehr an die Börse gehen. Und es sollte sich jeder fragen, warum eine vermeintliche Tech-Firma mit dem meisten Umsatz in den USA in Deutschland an die Börse geht. Ich würde mir eher überlegen, die Hello Fresh-Aktie zu shorten.

Am 2. November 2017 soll Erstnotierung der Aktie sein. Ich bin gespannt.

BörsengangHelloFreshRocket InternetSven Schmidt
Philipp Westermeyer
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Philipp Westermeyer
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