Wie Shopping Apps mit Gamification und Treueprogrammen ihre Nutzenden süchtig machen
Shein, Snipes & Co. belohnen Kund:innen für das Lesen von Mails oder das Posten von Tiktok-Clips – und steigern so kräftig ihre Sales
- Da entsteht eine Sucht
- Snipes auf den Spuren von Tinder
- Du springst von Level zu Level zu Level
- Auf die Zielgruppe abgestimmt
- Löst das wirklich Treue aus?
Die Pandemie hat den Kampf um treue Kund:innen im E-Commerce-Geschäft nochmals beschleunigt. Und viele bekannte Player verfolgen vor allem ein Ziel: Nutzende sollen immer wieder in die eigenen Shopping Apps zurückkehren – das erhöht die Chancen auf viele Käufe. Aber wie ist das zu schaffen? Die China-App Shein, Sneaker-Shop Snipes und weitere große Unternehmen bauen Treueprogramme, die Casino-Gefühle erzeugen – und machen Nutzende ein bisschen süchtig nach immer neuen Belohnungen. Wir zeigen, wie das genau funktioniert.
Die Fast-Fashion-App Shein aus China hat es offenbar geschafft. Sie ist die derzeit meist heruntergeladene Shopping-App der westlichen Welt (hier haben wir darüber schon ausführlich geschrieben). Aber Shein ist nicht nur sehr gut darin, über Influencer-Haul-Videos Millionen Downloads zu generieren. Weltweit verzeichnet das Unternehmen derzeit auch über 50 Millionen monatlich aktive Nutzende. Und die kommen vor allem immer wieder, weil Shein sie für verschiedenste Aktivitäten belohnt: Es gibt Punkte für Käufe, für jedes Einloggen in den Account, für Foto-Reviews der Neuerwerbungen, für das Schauen von Livestreams in der App oder die Teilnahme an Outfit-Challenges (Nutzende können eigene Bilder in Shein-Klamotten hochladen, um andere zu inspirieren). Diese Punkte lassen sich dann gegen Rabatte einlösen.
Da entsteht eine Sucht
„Umso häufiger ich mich einlogge, desto mehr Punkte bekomme ich. Das macht für einen Heavy-Shopper wie mich schon Spaß“, sagt die deutsche Schülerin Marina Koss gegenüber Business of Fashion über das Treueprogramm von Shein. Die Nutzenden der App können über die verschiedenen Aktivitäten bis zu 2.000 Punkte pro Tag verdienen. 100 Punkte stehen für einen US-Dollar. Es sind also pro Tag 20 US-Dollar (umgerechnet knapp 17 Euro) drin – extrem viel Geld bei Produktpreisen von unter zehn Euro für die meisten T-Shirts.
„Du schaust, was du einkaufen willst und wie du über die Punkte davon genug Geld abziehen kannst. Das ist nicht schwer, du musst nur ein bisschen Zeit investieren. Das macht dann schon süchtig“, so die Schülerin Marina Koss. Die Punkte-Strategie bringt Shein aber offenbar nicht nur Umsatz durch immer wiederkehrende Kund:innen. Die hohe Retention-Rate in der App bedeutet wertvolle Daten über das Suchverhalten, Click-Through-Rates oder das Nutzungsverhalten auf Produktseiten. Shein selbst gibt zu, dass es solche Daten dafür nutze, um etwa Lieferanten mit besseren Prognosen über Verkäufe versorgen könne.
Snipes auf den Spuren von Tinder
Auch der deutsche Sneaker-Vorreiter Snipes will mit seiner App treue Käufer:innen begeistern (im OMR Podcast hatte Gründer Sven Voth schonmal ausführlich über die Snipes-Story gesprochen). Gerade erst im September 2020 pusht das Unternehmen dafür seine neugestaltete Anwendung – und hier steht die „Snipes Clique“ im Mittelpunkt. Dahinter verbirgt sich das Treueprogramm des Retailers. Auch hier treffen spielerische Elemente wie eine Art soziales Netzwerk mit Posts aus der Community auf Belohnungen für verschiedene Aktivitäten.
Wer einen Account bei Snipes einrichtet bekommt bei einem Einkauf in der App zum Beispiel fünf Coins pro Euro Einkaufswert und 250 Coins für die Registrierung zum Newsletter. Pro 100 so gesammelter Punkte gibt es einen Euro Nachlass bei den nächsten Einkäufen. Hinzu kommen bei Snipes aber noch sogenannte Hearts. Die werden vor allem für Community-Aktionen wie das Posten von Bildern oder Videos mit gekauften Artikeln in der App oder die Teilnahme an einer Snipes-Aktivität vergeben. Solche Aktivitäten finden sich in verschiedenen spielerischen Elementen. So können Nutzende in einer Art Tinder bestimmen, ob sie Klamotten gut (cop) oder schlecht (drop) finden.
Du springst von Level zu Level zu Level
Auch Snipes sammelt mit solchen Strategien wichtige Daten zur Zielgruppe und versucht, sie so länger in der App zu halten. Die Hauptseite besteht folgerichtig vor allem aus Posts der „Snipes Clique“, die sich über die Bilder und Videos ihre Hearts verdienen wollen. Andere Nutzende können dann die getaggten Produkte kaufen – da kommt Instagram-Feeling auf. Die Jagd nach Coins und Hearts bringt aber nicht nur ein paar Euro Rabatt. Snipes hat sich ganz dem spielerischen Ansatz folgend für ein Level-System entschieden. Nutzende können hier mit einer bestimmten Anzahl an gesammelten Punkten immer weiter aufsteigen – von „Crowd“ über „Crew“ bis hin zu „Core“.
Diese Levels werden in der App immer neben den Nutzernamen angezeigt. Und der Aufstieg bringt weitere Bonus-Überraschungen. Wer in „Core“ landen und Zugang zu VIP-Events haben will, muss aber wirklich treu sein. Für die 5.000 Coins müssen Nutzende 1.000 Euro für Snipes-Einkäufe lassen und sich zusätzlich noch mit vielen Posts in der App 1.500 Hearts verdienen. In der App sehen Nutzende entsprechend großflächig im eigenen Profil, wie weit sie es schon auf dem Weg zu „Crew“ oder „Core“ geschafft haben – das dürfte noch zusätzlich motivieren, weiter am Ball zu bleiben.
Auf die Zielgruppe abgestimmt
Shein und Snipes zeigen, wie aus klassischen Treueprogrammen mit Punktesammelkarte ausgeklügelte Spiele mit Suchtfaktor geworden sind. Und die beiden sind damit nicht allein. US-Retailer „PacSun“ belohnt seine junge Zielgruppe mit Treuepunkten, wenn sie eine E-Mail der Marke nur öffnen. Und die Hautpflege-Brand „Blume“ und viele andere verteilen Belohnungen für ein Abo auf Instagram & Co. Auch hier bedient sich die Fashion-Industrie – wie schon beim Tinder-Beispiel bei Snipes – bei der Tech-Branche: Mobile Games vergeben schon lange In-Game-Währungen für Likes und Abos auf den Social-Kanälen, damit Nutzende sich das nächste Level freischalten können.
Auch wenn sich beim ersten Draufschauen die Strategien der genannten Unternehmen in Sachen Treueprogramm sehr gleichen, gibt es doch – je nach Zielgruppe – Unterschiede. Viele Brands haben erkannt, dass sie vor allem dafür Anreize setzen sollen, was am Ende App-Retention und Umsätze pusht. Snipes belohnt das Posten von Fotos in der App, damit die Social-Media-Funktion abhebt und irgendwann für neue Beiträge keine Belohnungen mehr nötig sind. Die Fast-Fashion-Marke „Blush Mark“ will vor allem auf Tiktok groß werden, um Teenager für die eigenen Billig-Shirts zu begeistern. Also gibt’s Treuepunkte für jeden, der Tiktok-Videos mit Erwähnung der Brand postet. „Das bringt allgemein Engagement. Aber wir sehen gleichzeitig auch höhere Warenkörbe bei diesen Nutzenden“, so Ranu Coleman, Chief Marketing Officer bei Blush Mark gegenüber Business of Fashion. „Umso mehr sie zurück kommen und Punkte sammeln wollen, desto mehr geben sie aus.“
Löst das wirklich Treue aus?
Am Ende wird deutlich, dass die neue Generation der Treueprogramme vor allem bei Apps für eine sehr junge Zielgruppe zum Einsatz kommt. Vielleicht ist es nur Klischee, aber die Gen-Z ist es eben gewohnt, mit Likes und Followern für digital verbrachte Zeit belohnt zu werden. Die Frage ist, ob sie wirklich Fans einer Brand werden, nur weil die mit Rabattpunkten um sich wirft. Die CEO der Beauty-Brand Blume, Taran Ghatora, ist da gegenüber Business of Fashion sicher: „Neue Kund:innen zu gewinnen ist super, aber wichtiger ist es, existierende zu begeistern.“ Mitglieder des Treueprogramms würden doppelt so oft zurückkehren und bei Blume einkaufen, wie alle anderen. „Das Treueprogramm schafft Liebe zur Brand“, so Ghatora.
Kein Wunder, dass das Unternehmen sich gerade noch etwas hat einfallen lassen. Wer eine bestimmte Zahl an Punkten erreicht, kann sich bei Blume mit limitierten Tassen oder Mützen der Brand eindecken – so als Gewinn innerhalb des Treue-Spiels. Wer besonders viel einkaufe könne auch in privaten Facebook-Gruppen oder der „Enge-Freunde-Liste“ von Blume auf Instagram landen und da exklusive Posts sehen. „Wir wollten, dass Menschen sich richtig freuen, mit uns zu interagieren, sagt Blume-CEO Ghatora. „Also haben wir uns bei den Belohnungen auf Dinge konzentriert, die es nicht bei uns zu kaufen gibt. Über die Enge-Freunde-Liste bindet auch die deutsche D2C-Brand Hellobody Kund:innen. Und da hatten sich sehr schnell 5.000 Begeisterte eintragen lassen, um exklusive Rabatte abzugreifen.