Dieser SEO hat jahrelang monatlich fünfstellige Beträge mit seiner Made-for-Adsense-Seite verdient – bis er sie gegen die Wand fahren ließ und Sexcoach wurde

Axel Jack Metayer (in der Mitte), mit zwei Kollegen aus der "Orgasmic Meditation"-Szene (Foto: TurnON Berlin)
Inhalt
  1. Wie Axel Jack Metayer vom „Autoschieber“ zu „Orgasmus-Axel“ wurde
  2. Auto-Portal-Größe ohne Führerschein
  3. Nur vier Stunden Arbeit in der Woche – Tim Ferriss dienst als Vorbild
  4. Party-Erlebnis bringt die Wende
  5. Pendeln zwischen Hamburg und San Francisco
  6. Absturz nach Relaunch
  7. „Das Marktpotenzial ist da“

Wie Axel Jack Metayer vom „Autoschieber“ zu „Orgasmus-Axel“ wurde

Axel Jack Metayer (in der Mitte), mit zwei Kollegen aus der "Orgasmic Meditation"-Szene (Foto: TurnON Berlin)

Axel Jack Metayer (in der Mitte), mit zwei Kollegen aus der „Orgasmic Meditation“-Szene (Foto: TurnON Berlin)

Um das Leben, das Axel Jack Metayer über eine lange Zeit hinweg geführt hat, dürften ihn viele andere beneiden: Jahrelang hat der heute 38-Jährige mit einer für Googles Suchmaschine optimierten Website jeden Monat bis zu fünfstellige Beträge umgesetzt – ohne sich dafür ein Bein ausreißen zu müssen. Er arbeitete wenige Stunden in der Woche, reiste viel und tat ansonsten nur das, worauf er Lust hatte. Bis die Sinnkrise kam. In der Online-Marketing-Branche gibt es viele Glücksritter, Selfmade-Typen und auch einige Paradiesvögel. Axel Jack Metayer ist eine Mischung aus all dem. Ende der 90er Jahre fällt sein Berufseinstieg mit dem Aufkommen der New Economy zusammen. Er arbeitet zunächst für eine Internet-Agentur im Epizentrum des Booms: in Berlin. Als Anfang der Nullerjahre die Blase platzt, kommt der damalige Mittzwanziger als Frontend-Entwickler und Suchmaschinenoptimierer beim Lotto-Anbieter Tipp24 in Hamburg unter. Dort baut er an Websites und lernt in dieser Zeit auch, Seiten so zu gestalten, dass sie in Googles Suchergebnissen so weit oben als möglich erscheinen. „Ich dachte mir dann natürlich relativ schnell ‚Warum soll ich nicht auch eigene Seiten bauen?’“, sagt Metayer rückblickend.

Von 2003 an experimentiert und testet er, welche Themen viele Besucher auf die Seite ziehen. „Das Thema ‚Autos’ ging dann relativ schnell ab, dann bin ich einfach dabei geblieben.“ Nach einigen Domain-Wechseln betreibt er schließlich von 2006 an eine Website unter der Adresse Kfz.net. „Das war und ist ein reines SEO-Projekt, ganz klar.“ Die Seite ist alleine dafür gedacht, Besucher über Googles Suchmaschine „abzufischen“ – und diesen Traffic zu monetarisieren. Metayer ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Mit Kfz.net erlebt er den ganz großen Goldrausch mit. Google spült Massen von Besuchern kostenlos auf die Seite – er muss nur Werbung einbinden und die Kasse klingelt von selbst.

Heute rankt Kfz.net zum Keyword "rote ampel überfahren" auf dem vierten Platz

Heute rankt Kfz.net zum Keyword „rote ampel überfahren“ auf dem vierten Platz

Auto-Portal-Größe ohne Führerschein

Die Ironie daran: Metayer hat bis heute keinen Führerschein. Das Projekt ist offensichtlich nicht von einer Leidenschaft fürs Thema getrieben. Metayer optimiert seine Seite rein bedarfsorientiert, auf Keywords wie „billig tanken“ oder „nicht angeschnallt“. Bei einer Suche nach „rote Ampel überfahren“ wird Kfz.net bei Google lange auf dem ersten Platz der Suchergebnisseite eingeblendet. Die jeweiligen Unterseiten sind alleine dafür geschaffen, um mit der darauf eingebundenen Werbung Geld zu verdienen. Wie viele andere setzt Metayer auf Googles Adsense-Anzeigen. Zu dieser Zeit entsteht in der Online-Marketing-Szene eine ganze Subbranche so genannter „Made for Adsense“-Seiten. Auf Kfz.net blendet Googles Werbeprogramm nach einer semantischen Analyse beispielsweise automatisiert Werbung von Anwälten ein, die Rechtsberatung für Autofahrer anbieten, denen der Führerscheinentzug droht. Für einen Anwalt ist solch ein Besucher viel wert, entsprechend hoch ist der Klickpreis.

Werbung für Rechtsberatung auf Kfz.net auf der Seite über mögliche Strafen nach dem Überfahren einer roten Ampel

Werbung für Rechtsberatung auf Kfz.net auf der Seite über mögliche Strafen nach dem Überfahren einer roten Ampel

In den Jahren 2006 und 2007 nimmt die Internetwirtschaft erstmals wieder richtig Fahrt auf; Metayer ist zu dieser Zeit, wie er heute weiß, mit Kfz.net auf dem Höhepunkt des Erfolgs: „Ich hatte 2007 täglich 15.000 Unique Visitors auf der Seite, das war damals mehr als die ‚Auto Motor und Sport’ hatte. Monatlich kam ich auf eine Million Page Impressions. Wenn man das mit Google Adsense und Affiliate Marketing vernünftig monetarisiert, kann man da gut von leben.“ Die Ambition, die sich ihm auftuende Gelegenheit zum ganz großen Business auszubauen, hat er offensichtlich nicht. Experimente mit Stop-Motion-Verkehrsvideos mit Lego-Figuren auf Youtube und der Einbindung von Autowitzen zeugen eher von Verspieltheit als von einem ernsthaften Business-Plan.

Nur vier Stunden Arbeit in der Woche – Tim Ferriss dienst als Vorbild

Axel Jack Metayer im Jahr 2010 (Foto: Autoschieber.net)

Axel Jack Metayer im Jahr 2010 (Quelle)

Im Jahr 2007 erscheint ebenfalls das Buch „The Four Hour Work Week“ von Tim Ferriss. Der US-Amerikaner beschreibt darin, wie er seinen Lebensunterhalt mit wenigen Stunden wirklicher Arbeit pro Woche bestreitet. Den Rest seiner Zeit reist er durch die Welt. „Das hat mich nachhaltig beeindruckt“, sagt Metayer. Die wirtschaftliche Entwicklung von Kfz.net gibt ihm die Gelegenheit, sich Ferriss zum Vorbild zu nehmen: Er arbeitet nur wenige Stunden in der Woche und schläft häufig lange bis in den Tag hinein. Manchmal wird er von Vermarktungsunternehmen angerufen, die auf die Reichweite seiner Website aufmerksam geworden sind und mit ihm kooperieren wollen – doch Metayer reagiert eher genervt.

Er verbringt seine Zeit lieber mit allem, wonach ihm die Lust steht, beispielsweise Skateboarden, häufig gemeinsam mit seinem Sohn, und vor allen Dingen mit Reisen. Dabei verbindet er das Angenehme mit dem Nützlichen und besucht viele Branchenveranstaltungen in allen möglichen Ländern. Unter dem Spitznamen „Autoschieber“ ist er in der Online-Marketing-Szene weitläufig bekannt. „Ich war alle drei Tage auf irgendeinem anderen Event, auf dem sich alle immer superwichtig vorkamen“, erzählt er heute. Einmal lernt er den ehemaligen Marketing-Guru von Apple Guy Kawasaki persönlich kennen.

Axel Jack Metayer am Strand von Barcelona nach dem Besucher einer Affiliate-Marketing-Konferenz im Jahr 2012 (Foto: Axel Jack Metayer, Flickr)

Axel Jack Metayer am Strand von Barcelona nach dem Besucher einer Affiliate-Marketing-Konferenz im Jahr 2012 (Foto: Axel Jack Metayer, Flickr)

Party-Erlebnis bringt die Wende

Doch mit den Jahren fühlt sich Metayer in der Online-Marketing-Szene zunehmend weniger zu Hause: „Ich habe gemerkt: Viele Onliner sind total neben der Spur.“ Seinen Wendepunkt habe er nachts um drei Uhr auf einer Branchenparty erlebt. „Auf diesen Partys scharen sich am Ende typischerweise 20 Männer um zwei bis drei Frauen und hauen einen testosteronhaltigen Spruch nach dem andern raus. Selbst normale Typen, die nüchtern ganz nett sind, benehmen sich plötzlich wie Arschlöcher. Da dachte ich mir ‚Das kann’s nicht gewesen sein’.“

Bei einem Online-Marketing-Stammtisch in San Francisco stößt er in dieser Zeit auf ein Thema, das offenbar wirklich seine Leidenschaft weckt. „Ich hab da eine Bloggerfrau kennengelernt, die mir von Orgasmic Meditation erzählt hat. Darüber hatte ich vorher schon in dem Buch ‚Der vier Stunden Körper’ gelesen.“ Orgasmische Meditation („OM“) ist laut Definition eine „meditative Partnerpraxis, die Intimität und Aufmerksamkeit trainiert“. Vorreiterin ist die US-Amerikanerin Nicole Daedone, die den Orgasmus im Rahmen eines Vortrags der TED-Veranstaltungsreihe einmal als das Gegenmittel für den Hunger in den Frauen der westlichen Welt bezeichnet hat. Das Portal Vice übertitelte einen Artikel über Orgasmische Meditation einmal mit der Headline „Diese merkwürdige Methode, eine Muschi zu streicheln, könnte dein Leben für immer verändern“. Wie Metayer erklärt, streichelt bei einer Sitzung typischerweise ein bekleideter Mann einer Frau, die um die Hüfte herum nackt ist, für die Dauer von 15 Minuten die Klitoris. Es gehe nicht um den Orgasmus als solchen, „sondern darum, sich selbst mehr und besser wahrzunehmen, und um bessere Kommunikation“.

Pendeln zwischen Hamburg und San Francisco

Bei dem zuvor eher schüchternen und verklemmten Metayer stoßen die Theorien der „OM“-Bewegung offenbar auf offene Ohren. Trotzdem gehen fast zwei Jahre ins Land, bis er den Entschluss fasst, sich zum „OM-Coach“ ausbilden zu lassen. Ab 2012 pendelt er also für zwei Jahre lang einmal monatlich nach San Francisco, um dort jeweils an fünf Tagen an Workshops teilzunehmen. Sein Kfz.net-Portal dient ihm weiterhin als „Muse“; die Einnahmen, die die Seite generiert, machen ihm den Schritt überhaupt erst möglich. „Die Ausbildung hat mich 10.000 Euro gekostet, hinzu kamen noch einmal 10.000 Euro für die Flüge, Übernachtungen und Verpflegung.“ Zu den Terminen in den USA kommen mehrere Telefonkonferenzen in der Woche. „Heute bin ich ein zertifizierter Sexcoach in Orgasmic Meditation.“

Während seiner Ausbildung vernachlässigt er sein Portal. Schon zuvor war das Geschäft mit SEO-Seiten schwieriger geworden. Google will das Auftauchen von Made-for-Adsense-Seiten in den Suchergebnissen offensichtlich eindämmen und verändert diverse Male den Ranking-Algorithmus. Spam-Seiten, die wenig Mehrwert bringen, sollen so im Index deutlich schlechter ranken. „Während meiner Ausbildung bin ich viel hin- und hergeflogen; wegen des Jetlags habe ich auch häufig außerhalb der Kurszeiten nicht gearbeitet“, sagt Metayer. Das Ergebnis: Fast anderthalb Jahre ändert Metayer überhaupt nichts an dem Portal und kümmert sich demzufolge auch nicht darum, die neuesten SEO-Anforderungen umzusetzen. „Im Jahr 2012 ist mein monatlicher Umsatz dann von 10.000 auf 4.000 Euro runtergerrauscht. Heute liegt er noch einmal deutlich darunter.“

Die Entwicklung der Sichtbarkeit von Kfz.net in den Suchergebnissen von Google laut dem Tool SEOlytics

Die Entwicklung der Sichtbarkeit von Kfz.net in den Suchergebnissen von Google laut dem Tool SEOlytics

Absturz nach Relaunch

22 von Googles Panda-Updates habe er einigermaßen überstanden. „Vor einem Jahr hat mich dann alles genervt; die Plattform war mir zu alt, ich hatte zu viel mitgeschleppt. Ich hab die Website dann auf WordPress umgezogen, aber keinen sauberen Relaunch durchgeführt. Dadurch habe ich 70 bis 80 Prozent Traffic verloren.“

Heute zahle das Internet – „meine alte Welt“, wie Metayer sagt – noch sein Auskommen. Aber er verwende nur 20 Prozent seiner Zeit auf sein Online-Projekt. 80 Prozent nähmen das OM-Business ein. Wie er sein Geld verdiene, sei ihm letztendlich egal. Auf die Frage nach den Kosten für ein Coaching durch ihn antwortet er: „Wenn Du bei mir einen Kurs machen wolltest, würde ich Dir drei Termine empfehlen, und dafür 240 Euro verlangen.“

„Das Marktpotenzial ist da“

Axel Jack Metayer heute

Axel Jack Metayer heute (Quelle: Orgasmic-Meditation.de)

Auch wenn er in seinem neuen Tätigkeitsfeld offensichtlich deutlich stärker intrinsisch motiviert ist, sieht er schon „ein großes Marktpotenzial für OM. Technik, Gadgets, Apps – all das kommt und geht wieder. Das Bedürfnis nach offener Kommunikation wird aber nie verschwinden.“ Hinzu komme: „Deutsche Männer flirten schlecht, und die Frauen wollen angesprochen werden. Die Leute sehnen sich nach Nähe und guten Beziehungen – Intimität ist wichtig.“

Wer Videos und Bilder von Metayer aus seiner SEO-Hochzeit mit denen von heute vergleicht, mag den Eindruck erhalten, dass dieser als „Sexcoach“ heute mehr in sich selbst ruht. Mittlerweile kann Metayer über seine neue Tätigkeit auch vollkommen frei sprechen. Das war nicht immer der Fall: „Im ersten Jahr habe ich mich nur geschämt.“ Die Reaktionen aus seiner alten Branche auf die neue Tätigkeit seien größtenteils positiv. „Die meisten freuen sich für mich.“ Heute sei er eben nicht mehr der Autoschieber, sondern der „Orgasmus Axel“. „Zu dem Keyword ranke ich auch schon ganz gut – kannst Du ja mal nachschauen.“

Google AdsenseSEO
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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