Oliver Berben: „Du erzählst die Geschichten larger than life“

Wie die Streaming-Dienste das Business von Constantin Film verändert haben, erzählt der Vizechef der legendären Münchner Filmproduktionsfirma

Oliver Berben, Filmproduzent und Januar 2021 stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Constantin Film
Oliver Berben, Filmproduzent und Januar 2021 stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Constantin Film
Inhalt
  1. Ohne Medienkonzern im Rücken
  2. Der Traum vom Blockbuster
  3. „Du wirst belohnt, billig zu produzieren“
  4. Ein Jahr Vorarbeit auf eigenen Kosten
  5. „Du erzählst die Geschichten larger than life“
  6. Das Comeback des Kinos
  7. Hohe Ausgaben für bestehende IPs
  8. Autobauer träumen vom eigenen Netflix-Format
  9. Unsere Podcast-Partner im Überblick:
  10. Alle Themen des Podcasts mit Oliver Berben im Überblick:

Wie führt man Deutschlands größte unabhängige Filmproduktionsfirma durch die Corona-Kinokrise, manövriert sicher durch die Streaming-Wars und gewinnt den Wettlauf um die besten Content-Ideen? Oliver Berben ist Vorstandsvorsitzender der Constantin Film. Das Unternehmen produziert im Jahr 15 Spielfilme, 1.000 Stunden Fernsehprogramm und hat mit der Neuauflage von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gerade die wohl teuerste deutsche Serie überhaupt produziert – für einen Streamingdienst. Im OMR Podcast berichtet Berben aus dem Maschinenraum eines der wichtigsten Player im deutschen Entertainment-Business und liefert spannende Zahlen zu Budgets, Umsätzen und den KPIs von Netflix und Amazon.

Dass Oliver Berben einmal im Führungszirkel der führenden unabhängigen Filmproduktionsfirmen in Deutschland landen würde, war wirklich nicht abzusehen. Ursprünglich hatte der heute 49-Jährige Luft- und Raumfahrttechnik in Berlin studiert. Ein befreundeter Regisseur hat ihn dann ans Set mitgenommen, wo er erst als Fahrer jobbte, später Aufnahmeleiter wurde und 1996 schließlich seine eigene Filmproduktion gründete, die heute eine Tochtergesellschaft von Constantin Film ist. 

Ohne Medienkonzern im Rücken

Das legendäre Filmunternehmen, wurde ab den späten 1970er-Jahren von Bernd Eichinger vom Verleih zur Filmproduktion mit internationalem Ruf aufgebaut. Von ihm stammen neben kommerziell extrem erfolgreichen Klassikern des deutschen Kinos wie „Der bewegte Mann“ und der „Fack ju Göthe“-Reihe auch internationale Erfolge wie die Romanverfilmungen „Der Name der Rose“ oder „Das Parfüm“. Das Videospiel „Resident Evil“ wurde für mehrere Filme adaptiert, gerade entsteht eine Serie auf Basis des Games für Netflix. Die Münchner gehören heute zu den wenigen Produktionsfirmen, hinter denen kein großer Medienkonzern steht.  

„Wir wollen, dass die Dinge, die wir machen, konsumiert werden“, sagt Oliver Berben, der die Tradition der Verbindung von Kunst und Kommerz bei Constantin hochhält. Allerdings spüre man die Konsequenzen des Wandels auf dem Entertainment-Markt. Die Digitalisierung mache Zielgruppen spitzer, sagt Berben. Vor allem die Digitalisierung und der damit verbundene Boom der Streamingdienste schaffe auf der einen Seite zwar Bedarf für Inhalte, fragmentiere auf der anderen aber die Zuschauerschaft. 

Der Traum vom Blockbuster

Doch der Traum vom Blockbuster, wie sie bei Constantin Film zu Zeiten Bernd Eichinger produziert wurden und dessen Porträt groß im Eingangsbereich des Unternehmens hängt, der bleibe. „Natürlich ist das der große Wunsch“, sagt Berben, „etwas zu machen, wo alle Bock haben, sich das anzugucken.“ 

Immer wieder gelinge es auch, ein „Leuchtturmprojekt“ zu erschaffen, das „Talk of the Town“ sei, sagt der Filmproduzent. Zuletzt mit „Feinde“, einem fünf Millionen Euro teuren Event-Film, der in zwei Versionen im Ersten und den dritten Programmen ausgestrahlt wurde und einen Entführungsfall parallel aus zwei Perspektiven erzählt. Über alle Kanäle habe man 15 Millionen Menschen erreicht, sagt Berben. „Das ist immens in einer Zeit, wo du so wahnsinnig viele verschiedene Möglichkeiten hast, Inhalte zu konsumieren.“ Aber es sei viel schwieriger geworden als noch vor zehn Jahren, als ein Mehrteiler wie das Hotel-Drama „Adlon“ zwischen zehn und elf Millionen Zuschauer angezogen habe.  

„Du wirst belohnt, billig zu produzieren“

Die pauschale Kritik, dass die Streaminganbieter schlicht die besseren Inhalte böten, mag Berben sich nicht anschließen. Er verweist dafür auf ein strukturelles Problem der Finanzierung von Auftragsproduktionen. Die Sender stellten hierfür ein fixes Budget zur Verfügung, in das eine Marge bereits eingepreist sei. Es bleibe den Produzenten überlassen, ob sie davon einen Teil in aufwendigere Produktion steckten – oder das Gegenteil tun. „Du wirst dafür belohnt, billig zu produzieren“, benennt Berben das generelle Problem.  

Constantin Film arbeite darum schon länger auch nach einem anderen Modell, bei dem die Münchner stärker ins Risiko gehen. „Wir wollen Partner sein, um am Erfolg zu partizipieren“, sagt Berben. Mit Blick auf die internationale Auswertung würde man eher teurer produzieren. Außerdem sei der Normalfall bei Constantin Film, dass Stoffe von den Produzenten zunächst in-house entwickelt und dann passenden Abnehmern angeboten würden. 

Ein Jahr Vorarbeit auf eigenen Kosten

Als aktuelles Beispiel nennt Berben „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, am 19. Februar bei Amazon Prime gestartet. Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Buch und wurde durch einen von Bernd Eichinger produzierten Film vor 20 Jahren zum Kinoerfolg. Für die neue Adaption seien große Mengen Recherchematerial der Journalisten erstmals ausgewertet worden, die die minderjährige Drogensüchtige Christiane F. damals begleitet hatten.

Mit 20 Millionen Euro Budget sei „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ vermutlich die pro Folge teuerste deutsche Serie überhaupt, so Berben. Und sie sei ein gutes Bespiel, wie Constantin Film mit großen IPs (Intellectual Properties) arbeiten würde, die dem Unternehmen gehören oder von ihm erworben werden. Nachdem die Entscheidung getroffen war, aus „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ eine Serie zu machen, habe die Firma eine Headautorin gesucht und diese einen Writer’s Room zusammenstellen lassen. Ein Jahr lang sei dort auf eigene Kosten und ohne Abnehmer zunächst am Buch für den Mehrteiler gearbeitet worden. Dann erst sei man auf die Suche nach einem Partner gegangen. Es wurde – angesichts des Budgets wenig überraschend – ein Streaming-Dienst. „Amazon hat den Zuschlag bekommen, weil sie von der Zuschauerstruktur ideal dazu passen“, sagt Berben.

Man wolle Stoffe kreieren und nicht als „ausführendes Erfüllungshaus“ agieren. Und auch wenn das wirtschaftliche Risiko dieser Herangehensweise größer sei, sieht Berben genau darin die Voraussetzung, die besten Talente und die besten Ideen in sein Haus zu holen: „Wir sind abhängig davon, dass die Kreativen mit ihren Ideen zu uns kommen. Und das schaffst du besser, wenn du ihnen erstmal ein gesichertes Umfeld gibst, einen Schutz, in dem sie sich erstmal austoben können, und wo nicht gleich zehn Redakteure sagen: Da müssen wir eher so und da müssen wir eher so. Das kommt dann schon und du führst diese Gespräche auch. Aber du nimmst dir erstmal die Möglichkeit, wahnsinnig und frei zu entwickeln und sowas entstehen zu lassen.“

„Du erzählst die Geschichten larger than life“

Mit ihren höheren Budgets und einer potenziell globalen Audience begünstigten die Streaminganbieter diese Herangehensweise, so Berben. Und die neuen Player veränderten die Art wie Filme und Serien gemacht werden. „Du entwickelst anders. Du erzählst die Geschichten larger than life“, sagt Berben, „mit einem Blick, der nicht immer schon die Schere im Kopf hat.“

Die Frage, nach welchen Kriterien ein Streaminganbieter wie Amazon den Erfolg einer Produktion bewertet, ist laut Berben nicht so einfach zu beantworten. Zwar gebe es inzwischen Tools mit denen man auch als Außenstehender herausfinden könne, wie oft Folgen komplett geschaut würden, aber für Streamingdienste zählten auch andere KPIs. Etwa, welche neuen Zielgruppen man ansprechen und zum Abschluss eines Abos bewegen könne. „Du merkst sehr deutlich bei den Streamern, dass sie Programmentscheidungen auch danach treffen, welche Zielgruppen sie noch nicht haben. Und dann machen sie Programm genau dafür. Da geht es nicht um die Gesamtzahl (der Zuschauer, d. Red.), sondern dass sie genau dieses Publikum erwischen.“

Das Comeback des Kinos

So erfreulich der Boom der Streamer sei, die zusammen mit TV laut Berben für die Hälfte der Umsätze verantwortlich seien, so dramatisch steht es derzeit um das Kino. Der Filmproduzent glaubt, die Corona-Pandemie habe eine ohnehin absehbare Entwicklung nur beschleunigt, aber nicht in dem Sinne, dass das Kino danach verschwinden wird. In der momentanen Ausnahmesituation sei das Kino nicht mehr vorhanden, „aber nicht, weil die Leute keine Lust mehr haben, ins Kino zu gehen, sondern weil sie nicht mehr können“, sagt Berben. Er glaube darum, nach der Pandemie würden mehr Leute als vorher ins Kino gehen. 

Allerdings reiche es immer weniger, den Zuschauern einen guten Film zu versprechen. Den könne man sich auch im Streaming angucken, so Berben. Das Kino dagegen böte eigenen Qualitäten. Neben Technologie, die sich nur bedingt daheim reproduzieren ließen, vor allem den Charakter eines kollektiven Erlebnisses. „Mit 300, 400 Menschen in einem Raum zu sitzen und zu lachen, macht was anderes mit dir persönlich, als wenn du es dir zuhause alleine anschaust.“

Hohe Ausgaben für bestehende IPs

Eine wichtige Rolle haben bei Constantin schon immer bestehende IPs gespielt, also erfolgreiche Romane oder mittlerweile auch Computerspiel-Franchises, die zur Grundlage für Filme oder Serien wurden. „Es ist ein extrem wichtiger Punkt“, sagt Berben. Schon vor 30 Jahren sei Bernd Eichinger so vorgegangen. Zwar seien Marken teuer – es geht um bis zu siebenstellige Summen. Für ein relativ kleines Unternehmen wie Constantin Film sei es aber schwer, solche Brands selbst aufzubauen.  

Wobei es nicht zwingend IPs sein müssen, die zur Vorlage werden. Vor Kurzem machte Constantin Schlagzeilen mit der Ankündigung, den Skandal um den Wirecard-Betrug zu verfilmen. Im Zuge dieser Ankündigung wurde eine exklusive Zusammenarbeit mit der Süddeutschen Zeitung verkündet. „Wir haben einen Deal gemacht, der weit über Wirecard hinausgeht“, sagt Berben. Auch künftige Recherchen sollen über Constantin Film eine Auswertung in Form von Dokumentation oder Fiktionalisierung erfahren. Oder aber das Filmunternehmen entwickelt Ideen, die vom Rechercheapparat der Zeitung ausgearbeitet werden.  

Autobauer träumen vom eigenen Netflix-Format

Auf Abnehmerseite beobachtet Berben neben der weiter wachsenden Bedeutung der Streamer eine weitere Entwicklung: „Wir merken in den letzten drei, vier Jahren, dass sich mehr Firmen für Bewegbild-Content interessieren, die überhaupt nichts damit zu tun haben“, sagt Berben. „Ob das Automobilfirmen sind, ob das Lebensmittelfirmen sind, Bekleidungsfirmen. Du spürst, dass es einen Shift gibt von dem klassischen Werbebudget für Print und TV-Spots hin zu: Wie schaffe ich es, eine Kundenbindung über Emotionen hinzubekommen.“ Manchmal seien die Branchenfremden „auch wunderbar naiv. Da stehen dann sehr, sehr große, namhafte Firmen vor dir und sagen: ‚Können wir eine Serie machen, die bei Netflix läuft?'“ Dann müsse er ihnen erklären, dass man mit Branded Content bei Netflix eher nicht auf großes Interesse stoße. 

Wenn Ihr wissen wollt, wie Berben Schauspieler schätzt, die es verstehen, eine Personal Brand aufzubauen, warum ihn „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ schon seit seiner Internatszeit beschäftigt und wieso er auf die Zusammenarbeit mit Sido (hier im OMR Podcast) für dessen ersten Film „Blutzbrüdaz“ als eine seiner „tollsten Arbeiten“ zurückblickt, dann hört unbedingt in die aktuelle Folge des OMR Podcasts rein.

Unsere Podcast-Partner im Überblick:

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Alle Themen des Podcasts mit Oliver Berben im Überblick:

  • Was Constantin Film macht und wie groß das Unternehmen ist (ab 3:15)
  • Wie Oliver Berben von der kreativen Rolle in die Geschäftsgührung gelangte (ab 5:54)
  • Welche Projekte der jüngeren Vergangenheit am kommerziell erfolgreichsten gewesen sind (ab 9:12)
  • Was große Produktionen in der Herstellung kosten und wie sie finanziert werden (ab 11:45)
  • Wie die neue Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ entwickelt wurde und warum sie nun bei Amazon läuft (ab 17:10)
  • Wie die Streamingdienste als Kunden sind und wie die Zusammenarbeit läuft (ab 19:50)
  • Welche KPIs Amazon anlegt und wann eine Serie wie WKVBZ dort als Erfolg gewertet würde (ab 25:00)
  • Wie die lokalen Plattformen wie TV-Now und Joyn sich von den internationalen Playern abheben und warum sie manchmal die bessere Anlaufstelle sind (ab 30:14)
  • Warum die öffentlich-rechtlichen Mediatheken als Machtfaktor im Streaming-Business nicht unterschätz werden sollten (ab 37:33)
  • Wie Berben die Zukunft des Kinos einschätzt (ab 41:00)
  • Welche Effekt die steigende Nachfrage nach Content auf den Wert einer Firma wie Constantin Film hat (ab 42:39)
  • Warum Berben nicht sagen kann, welches mit Blick auf die Reichweite sein bislang erfolgreichstes Produkt gewesen ist und wie er die aktuelle Form der Quotenmessung beurteilt (ab 48:34)
  • Welche Idee hinter einer exklusiven Kooperationsvereinbarung zwischen Constantin Film und der Süddeutschen Zeitung steckt (ab 52:00)
  • Welche Autoren, Regisseure und Schauspieler in Deutschland noch Garanten für Erfolg sind (ab 58:00)
  • Warum die deutsche Neid-Gesellschaft und ihr Blick auf Stars das Film-Business erschweren (ab 1:01:58)
  • Wie viel Umsatz Constantin Film jährlich im Schnitt macht (ab 1:03:56)
AmazonKinoNetflixStreamingTV
Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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