Ist das die Zukunft des Publishings? Mirror will das Medium.com der NFT-Ära werden
Das Startup soll nach der Seed-Runde bereits 100 Millionen US-Dollar wert sein
- Mehr Anteilhabe für Unterstützer durch die Blockchain
- 350.000 US-Dollar für experimentierfreudige Autor:innen
- Mehr Fairness durch neue Monetarisierungsmodelle
- Der Zugang ist limitiert
- Ein spartanischer Editor zeigt: Die Anmutung ist egal
- Zehn Millionen US-Dollar VC-Geld für Mirror
Wie lässt sich auch in den kommenden Jahren noch mit Schreiben und Journalismus in der digitalen Welt Geld verdienen? Eine Reihe von US-Startups versucht aktuell für Autor:innen, Journalist:innen und andere „Creator“ neue Wege in Sachen Distribution und Monetarisierung zu eröffnen. Eines davon ist Mirror, eine dezentralisierte Blogging-Plattform, bei der die Nutzenden ihre Projekte als NFT verkaufen und damit u.a. crowdfunden können. Das Startup hat innerhalb kurzer Zeit in der US-Tech- und -VC-Szene viel Aufmerksamkeit erhalten und eine hohe Bewertung aufgebaut. OMR erklärt, wie Mirror funktioniert und wie die Gründer die Zukunft des Publishings ausmalen.
„Normalerweise müssen Roman-Autor:innen alles Mögliche tun, um ihren Schreibprozess finanzieren zu können: in anderen Jobs arbeiten oder Werbetexte schreiben. In deutlich weniger Fällen erhalten sie einen Vorschuss von einem Verlag“, schreibt Emily Segal im April dieses Jahres in einem Blog-Eintrag auf der Plattform Mirror. Als Autorin und Verlegerin würde sie das gerne ändern, so Segal (die ihren ersten Roman mit Freunden im Eigenverlag veröffentlichte) weiter. Deswegen kündigt die 33-Jährige ein Experiment an: „Ich nutze Krypto, um meinen neuen Roman zu crowdfunden.“
Mehr Anteilhabe für Unterstützer durch die Blockchain
Der Plan: Ein erster Auszug aus dem Manuskript von „Burn Alpha“ (so der Titel des kommenden Werkes) werde auf der Publishing-Plattform Mirror (die auf der Ethereum-Blockchain basiert) veröffentlicht werden; für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Der Auszug sowie das vollständige Manuskript sollen außerdem als Non Fungible Token (NFT, wir haben u.a. bereits an dieser Stelle über das Digitalphänomen geschrieben) „geprägt“ werden. All jene, die den Roman vorab finanzieren, erhalten je nach Höhe ihres finanziellen Beitrags einen Anteil an den NFTs.
Wann immer die NFTs des „Burn Alpha“-Manuskripts in Zukunft (weiter-)verkauft werden, sollen die Crowdfunding-Teilnehmer entsprechend ihrer Anteile an dem Verkaufserlös beteiligt werden. Auch der vorangestellte Crowdfunding-Prozess basiert auf der Blockchain: Alle, die Segal unterstützen möchten, müssen dafür in der Kryptowährung Ether zahlen und erhalten im Gegenzug je nach Beitragshöhe (es gibt drei verschiedene Abstufungen) eine Menge an $NOVEL-Tokens, die ihre Anteilschaft am Werk repräsentieren.
350.000 US-Dollar für experimentierfreudige Autor:innen
Am 7. April startet Segal den Crowdfunding-Vorgang und schließt ihn bereits zwei Tage später wieder. Am Ende haben 104 Unterstützer insgesamt 25 Ether in den nächsten Roman der Autorin investiert – nach damaligem Kurs rund 46.800 US-Dollar. Unter den Unterstützern finden sich Mirror-Gründer Denis Nazarov, mehrere Mitarbeiter des Startups sowie die bekannten US-Venture-Capital-Manager Chris Dixon (Andreessen Horowitz) und Fred Wilson (Union Square Ventures).
„Burn Alpha“ ist nicht das einzige Projekt, für das in den letzten Monaten über Mirror Geld eingesammelt wurde. Mitte Januar hat Mirror die Möglichkeit zum Crowdfounding eingeführt; Mitte Juni zieht Mirror-CTO Graeme Boy erstmals Resümee. Laut seinem Blog-Artikel sollen in diesen vier Monaten für diverse Projekte insgesamt 134 Ether (zum damaligen Zeitpunkt 351.400 US-Dollar) eingesammelt worden sein. Rund zwei Drittel davon sei an Autoren gegangen – zur Finanzierung von Essays, Büchern und Newslettern. Bei allen Kampagnen habe es eine vorher festgelegte Obergrenze gegeben, „um bei möglichst wenig Risiko möglichst viel lernen zu können“, so Boy. In der Kryptoszene ist das künstliche Aufpumpen von angeblichen Werten keine Seltenheit.
Mehr Fairness durch neue Monetarisierungsmodelle
Krypto-basiertes Crowdfunding ist aber nicht die einzige Neuigkeit, mit der Mirror das digitale Publishing revolutionieren will (das Motto des Startups: „Writing as usual. Publishing like never before.“). Als Mirror im November 2020 erstmals öffentlich in Erscheinung tritt, bezeichnen die Gründer es auf Twitter u.a. als „Geld-Lego für Autor:innen“. Im Developer-Blog des Unternehmens dokumentiert das Mirror-Team die regelmäßig erweiterten Monetarisierungs- und Distributions-Modelle, um die es die eigene Plattform erweitert.
Die jüngste Neuerung sind beispielsweise „Editions“: Damit die Autor:innen einen Text auf Mirror künftig nicht mehr nur gezwungenermaßen als einzelnes NFT in Umlauf bringen müssen, sollen sie mit Editions verschiedene Ausgaben veröffentlichen können. Das soll auch die Möglichkeit eröffnen, verschiedene Preispunkte zu realisieren (wie etwa bei einem Taschenbuch und einem Hardcover).
Der Zugang ist limitiert
Eine weitere, bereits im Mai eingeführte Neuerung: die „Splits“, mit denen das kollaborative Schreiben gestärkt werden soll. Mit dem Feature können Einnahmen an eine unbegrenzte Zahl von Ethereum-Empfänger weitergeleitet werden, auf Basis eines vorher festgelegten Prozentsatzes. Mit diesem Mittel sollen nicht nur Autor:innengruppen ihre Einnahmen verlässlich untereinander aufteilen können. Autor:innen könnten beispielsweise auch all jene, die sie in ihrem Schreiben inspiriert haben, am Erfolg ihres Werkes finanziell teilhaben lassen.
Doch wer als Autor:in diese Features nutzen will, der muss sich erst einmal für die Nutzung von Mirror qualifizieren: Jede Woche führt Mirror ein so genanntes „Write Race“ durch. Das Startup stellt eine Frage (zuletzt beispielsweise „Wofür würdet Ihr Mirror gerne benutzen?“), Interessierte geben eine Antwort und die Community der bereits bestehenden Mirror-Nutzenden stimmt darüber ab, welche Bewerber das „Rennen“ gewinnen. Die zehn Bestplatzierten erhalten einen $WRITE-Token und damit Zugang zur Plattform. Mirror ist damit auch Gegenmodell zu zentralisierten Plattformen mit ihren „Walled Gardens“: „Wenn Ihr Euch Mirror anschließt, werdet Ihr damit nicht nur ein Mitglied der Community. Ihr werdet damit auch Mitbesitzer der Plattform“, so das Unternehmen auf seiner Website.
Ein spartanischer Editor zeigt: Die Anmutung ist egal
Nutzende, die einen der begehrten Zugänge zu Mirror erhalten haben, erwartet im Backend der Plattform ein spartanischer Editor (wie auch Screenshots zeigen). Die ganz bewusst reduzierte Nutzeroberfläche macht deutlich: Die Mirror-Macher legen ihren Schwerpunkt auf innovative Distributions- und Monetarisierungs-Modelle – und nicht auf eine möglichst aufsehenerregende Inszenierung von Inhalten und auf Massenkompatibilät. Das spiegelt sich zum einen im avantgardesk-intellektuellen Auftreten des Unternehmens (auf der Website gibt es beispielsweise keine FAQ) zum anderen in der schwierigen Zugänglichkeit (wortwörtlich und metaphorisch).
Bisher soll Mirror noch kein Geld verdient haben, schreibt The Information vor wenigen Wochen. Der US-Tech-Blog spekuliert, dass sich die Mirror-Macher künftig entweder einen Anteil an den Erlösen aus den NFT-Verkäufen sichern könnten, oder Autor:innen für die Nutzung der Plattform im Rahmen eines Abo-Modells bezahlen lassen könnten.
Zehn Millionen US-Dollar VC-Geld für Mirror
Obwohl Mirror (zumindest so weit bekannt) aktuell also noch über kein Geschäftsmodell verfügt, sind namhafte US-Investoren offenbar von dem Startup überzeugt. Laut The Information sollen Andreessen Horowitz und Union Square Ventures sich im Rahmen einer Seed-Funding-Runde im Umfang von zehn Millionen US-Dollar an Mirror beteiligt haben. Die beiden VC-Firmen gehören zu den renommiertesten der USA; Mirror-Gründer Denis Nazarov war zuvor kurzzeitig Partner im Crypto-Fund von Andressen Horowitz. Seit der Seed-Runde soll Mirror, obwohl erst vor einem Dreivierteljahr gegründet, bereits rund 100 Millionen US-Dollar wert sein.
Unzweifelhaft ist: Die Grundidee von Mirror hat Berührungspunkte mit mehreren Themen, die in der US-Tech-Szene in den vergangenen Monaten heiß gehandelt worden sind. Zum einen natürlich die Themen Krypto, Blockchain, NFTs und Web3 (das „dezentralisierte Web“). Das NFT-Startup Dapper Labs (dessen Technologie beispielsweise hinter der Basketball-Sammelkarten-Plattform NBA Topshots steht) soll beispielsweise mittlerweile mit 7,5 Milliarden US-Dollar bewertet sein. Auf der anderen Seite steht die Creator Economy (hier unser ausführlicher Artikel dazu), in deren Rahmen Influencer und Content Creator selbst zu Unternehmern werden. Das Startup Substack beispielsweise, das es Autor:innen ermöglicht, ein eigenes Newsletter-Abo anzubieten, soll laut Axios mittlerweile 650 Millionen US-Dollar wert sein.