- AOL übernimmt nahezu das gesamte Ad-Business vom Software-Riesen und wechselt von Google zu Bing
- Was wird aus den Mitarbeitern und dem noch von AppNexus betreuten Inventar?
- Dramatische Fehlinvestitionen und Neuausrichtung der Strategie
AOL übernimmt nahezu das gesamte Ad-Business vom Software-Riesen und wechselt von Google zu Bing
Beim Namen Microsoft denkt man zu allererst an eines: Windows. Klar, der Konzern hat mit dem Betriebssystem die Personal Computer-Welt revolutioniert. Doch nebenbei probiert sich der Software-Riese auch immer mal wieder in anderen Bereichen. Ein lange vorangetriebenes Projekt war der – sehr teure – Versuch, im Advertising-Business Fuß zu fassen und sich als ein ernstzunehmender Konkurrent für Google zu positionieren. Diesen Versuch darf man spätestens jetzt als gescheitert ansehen. Microsoft gibt nahezu alles aus dem Ad-Bereich an AOL und will sich wieder mehr auf das Kerngeschäft fokussieren.Das Branchenportal Digiday beschreibt Microsofts jahrelange Bemühungen um das Advertising-Business als größten strategischen Fehltritt – in der Headline des entsprechenden Artikels ist sogar die Rede von einer Autopsie. Business Insider spricht von einem langsamen, sich lange andeutenden Abschied. Microsoft trennt sich vom fast gesamten Advertising-Business. Bis zu 1.200 Mitarbeiter, sowohl aus Sales und Business Development, als auch Programmierer, sollen zu AOL wechseln und ab dem 16. Juli unter dem Dach des erst vor kurzem von Verizon übernommenen Internet-Pioniers das Display-Geschäft von MSN.com, Skype und Xbox in neun Märkten steuern (USA, Kanada, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Japan und Brasilien). Zum Deal gehört außerdem, dass für die nächsten zehn Jahre auf allen AOL-Seiten (neben AOL.com also auch The Huffington Post und TechCrunch) die integrierte Google-Suche durch Microsofts Bing ersetzt wird. Das dürfte Bings Marktanteil in den USA, der im März 2015 laut comScore bei 19,8 Prozent lag, noch um einige Punkte steigen lassen und den Vorsprung zum mit 12,8 Prozent direkten Konkurrenten Yahoo erhöhen. Google liegt mit 64,5 Prozent zwar weiterhin noch deutlich vorne, verliert aber ganz langsam an Vorsprung.
Was wird aus den Mitarbeitern und dem noch von AppNexus betreuten Inventar?
Von Noch-Microsoft-Mitarbeitern, die sich innerhalb von zehn Tagen entscheiden sollen, ob der Arbeitgeber demnächst AOL heißen wird, soll bereits große Skepsis zu hören sein. Man könne sich nicht vorstellen, dass wirklich alle langfristig beschäftigt werden können. Schließlich brauche man keine zwei Sales Abteilungen. Große Unklarheit bestehe außerdem in dem Bereich, der für AppNexus verantwortlich ist, bis jetzt Microsofts wichtigster Partner für Programmatic Advertising. Microsoft hatte 2010 selbst noch 100 Millionen Dollar in das Unternehmen investiert. AppNexus ist ein amerikanischer Marktplatz für Real-Time-Advertising, also in Echtzeit gehandelte Werbekontakte, und peilt für das nächste Jahr den Börsengang an. Im vergangenen Jahr berichteten wir über Gerüchte, die Herkunft von bis zu 40 Prozent der über AppNexus ausgelieferten Ads sei nicht verifizierbar. Von Seiten Microsofts heißt es allerdings, für AppNexus werde sich nichts verändern und das Unernehmen habe weiterhin Zugang zum Inventar der Windows-Macher. Alles andere wäre auch ein schwerer Schlag: Die Partnerschaft, die seit der Investition von Microsoft 2010 besteht und jetzt im Zuge des Deals noch einmal um die zehn nächstgrößten Märkte erweitert wurde, erstreckt sich immerhin auf insgesamt 39 Märkte. Gerüchten zufolge soll es einen sicheren Zeitraum von einem Jahr geben, nach dem Microsoft und AOL entscheiden, wie es mit dem gesamten Inventar weitergeht. AOL hat mit „One“, dem Zusammenschluss von Adap.tv (Video), AOP (Mobile und Display) sowie dem AOL Marketplace eigene schlagkräftige Ad-Technologien.
Warum verabschiedet sich Microsoft genau jetzt vom 74 Milliarden Dollar großen Display-Markt? Die Gründe sind sicher vielfältig, einer der wichtigsten dürfte aber die negative Entwicklung der Display-Umsätze sein. Während der Markt laut eMarketer im vergangenen Jahr um 22,4 Prozent gestiegen ist, gingen die Umsätze bei Microsoft sogar um 15,5 Prozent zurück. Zuletzt lag der weltweite Marktanteil nur noch bei 1,2 Prozent – Tendenz sinkend. Dabei wurde in den vergangenen Jahren nicht an Investitionen gespart. Mitte 2007 übernahm Microsoft für satte 6,3 Milliarden Dollar aQuantive, das Mutterunternehmen von unter anderem Razorfish und Atlas. Atlas? Ja, genau das Atlas, was sich Facebook Anfang 2013 für knapp 100 Millionen Dollar sicherte und heute in Kombination mit der Facebook-ID der größte Trumpf des Social Networks sein dürfte, wenn es um den Advertising-Markt geht. aQuantive, was langfristig eigentlich einen Gegenpol zu Googles Marktmacht bilden sollte, stand dann übrigens Mitte 2012 mit einer Abschreibung in Höhe von 6,2 Milliarde Dollar in den Büchern von Microsoft. Einen Monat vor dem aQantive-Kauf übernahm Google für die Hälfte des Preises DoubleClick. Microsoft war ebenfalls interessiert.
3D Maze, einer der Screensaver von Window 95 und 98. Microsofts Advertising-Strategie der letzten Jahre ist einem Labyrinth sehr ähnlich.
Dramatische Fehlinvestitionen und Neuausrichtung der Strategie
Doch auch unabhängig von wirtschaftlichen Kennzahlen oder Fehlinvestitionen gab es nicht erst seit gestern ernstzunehmende Anzeichen, dass Microsoft nicht mehr ewig am Ad-Business festhalten würde. Unter dem aktuellen CEO Satya Nadella, der 2014 Bill Gates Nachfolger Steve Balmer ersetzte, deutete sich früh ein strategischer Richtungswechsel des Unternehmens an: weg vom reinen Service-and-Device-Business, hin zum Fokus auf Produktivität und Plattformen mit den Schwerpunkten Mobile First und Cloud First. Im Zuge dessen mussten noch im selben Jahr die Xbox Entertainment Studios dicht machen, die spezielle Filminhalte für die Spielekonsole produzieren sollten. Dem Vertrauen der Advertiser in Microsoft als Content-Lieferant tat das nicht gerade gut. Kurz darauf folgte während der größten Kündigungswelle in Microsofts Geschichte die Auflösung vom Großteil des weltweiten Sales Teams.
Und noch eine Ankündigung, die Microsoft gleichzeitig mit der Bekanntgabe des AOL-Deals machte: Der Windows-Konzern will in Zukunft nicht mehr selbst Daten für die Bing-Maps sammeln und verkauft Teile der Technologie, Rechte,
rund 100 Mitarbeiter und ein Datencenter an den stark umstrittenen Fahrdienst Uber. Genaue Details zu den finanziellen Bedingungen aller Deals sind bisher noch nicht bekannt. Auch, ob AOL langfristig bei Microsoft einsteigt, bleibt Spekulation. Gerüchten zufolge soll AOL aber 20 bis 30 Prozent Provision der im Microsoft-Inventar generierten Ad-Umsätze erhalten. Eines ist zudem definitiv sicher: Auch wenn Microsoft „nur“ noch einen Anteil von 1,2 Prozent am weltweiten Displaymarkt hat (oder hatte), dürfe mit den verschiedenen Deals durchaus Bewegung in die verschiedenen Bereiche kommen.