AI Economy: "Wir haben alle Tools, uns fehlen nur die Anwendungsfälle"

DIY-Chatbots als Viral-Maschinen, Lebenshelfer, Side Hustle – warum der Berliner Max Mundhenke 100 Bots in 100 Tagen programmiert

Max Mundhenke aka Tom Kraftwerk, Content-Creator und KI-Berater
Max Mundhenke aka Tom Kraftwerk, Content-Creator und KI-Berater
Inhalt
  1. Banales Blabla vom Bot
  2. Das "Arbeitslosenhobby" zum Beruf gemacht
  3. Der Vorteil gegenüber Google
  4. Chatbots gegen Rechts
  5. Virtuelle Influencer*innen und KI-Musik
  6. Support für die eigene Kreativität
  7. "Wir können mit KI so viel geilen Scheiß machen"

Max Mundhenke hat eine Mission: Alle paar Tage stellt der Berliner neue Chatbots live. Sein Ziel: etwas über diese neue Technologie zu lernen, die eigene Sichtbarkeit als KI-Berater zu erhöhen und vielleicht sogar ein paar Euro nebenher zu verdienen. Vor allem aber baut er Bots, um damit jede Menge Spaß zu haben. OMR hat mit Mundhenke darüber gesprochen, wie er auf Ideen wie einen "Mansplaining"-, "Späti"- oder "McKinsey"-Bot kommt, auf welche Weise er mit Chatbots ein Einkommen zu genieren hofft, und wieso er die weltgrößte Business-Plattform trollt.

"Ich finde Linkedin auf ganz vielen Ebenen ganz furchtbar", sagt Max Mundhenke. "Der hohe Bullshitgehalt geht mir ziemlich auf die Nerven." Was lag da näher, als die Plattform noch ein Stück furchtbarer zu machen? Wobei man genauer sagen sollte: einen Chatbot zu programmieren, der der Flut an Pseudo-Karriereweisheiten auf Linkedin einen ironischen Spiegel vorhält. Anfang Juni ging Mundhenkes "Business-Cringe Generator" live. Seitdem ergießt sich der mit diesem Tool erzeugte Bullshit über die Linkedin-Bubble. Und die feiert es. Mehr als 2200 Leute haben den Bot bereits ausprobiert. 

Banales Blabla vom Bot

Generative KI ist faszinierend: Mit nur einem Klick lassen sich Dinge, die wenig bis nichts miteinander zu tun haben, in konsistenter Form zusammenzubringen. GenAI erzeugt Katzenbilder im Stil von Picasso, phantastische Musikgenres wie Russischen Flamenco oder eben Businessweisheiten auf Basis obskurer Analogien. Hier mal eine Kostprobe, was Mundhenkes Business-Cringe-Generator so ausspuckt: 

"3 Dinge, die ich über Customer Experience wegen ausgeflockter Hafermilch im Besucherkaffee gelernt habe." Oder: "5 Business-Lessons, die ich durch tägliches Doomscrolling auf dem Klo gelernt habe." Und, natürlich: "3 Dinge, die ich über #Business-Cringe wegen des Generators von Max Mundhenke gelernt habe."

So abwegig die Prompts sind, so absurd das vermeintliche Learning klingt – die Postings erfüllen alle üblichen Kriterien des Motivations- und Selbsterkennis-Geschwalles, das einem auf Linkedin tagtäglich entgegenschlägt. Bei nicht ganz so offensichtlich abgedrehten Posts, die der Business-Cringe-Bot fabuliert hat, findet sich in den Kommentaren dann auch immer jemand, der sich ernsthaft mit den aufgelisteten Banalitäten auseinandersetzt. Q.e.d.

Das "Arbeitslosenhobby" zum Beruf gemacht

Er habe sein "Arbeitslosenhobby zum Beruf gemacht", schrieb Mundhenke neulich bei Instagram. Denn sein Bot-Projekt hat gewissermaßen einen professionellen Hintergrund. Gerade hat sich der Berliner als KI-Berater selbstständig gemacht. Darum ist ein Aspekt seiner 100-Tage-Challenge, die Möglichkeiten durchzuspielen, die OpenAI mit seinen GPTs eröffnet. Seit Ende 2023 können zahlende Nutzer*innen dort eigene Bots kreieren. Dazu bringt man dem Tool bei, eine bestimmte Rolle einzunehmen, auf vorgegebene Datenquellen zuzugreifen oder Prozesse zu automatisieren.

Der Business-Cringe-Bot ist bereits der 17., den Mundhenke veröffentlich hat. Sein erster war "TrumpGPT", dem er durch den Upload von Reden beigebracht hat, zu sprechen wie der Ex-und-wohl-bald-wieder-US-Präsident. Darauf folgte das schon etwas raffiniertere "SaisonalKochenGPT", ein Bot, der nicht nur Rezepte mit frisch verfügbaren Zutaten ausspuckt, sondern auch direkt deren Preise checkt. 

Der Vorteil gegenüber Google

Am Anfang habe er sehr lange an jedem neuen Bot gesessen, sagt Mundhenke. Seitdem er sich durch diverse Foren und Subreddits zu den Custom-GPTs gearbeitet hat, um zu verstehen, wie er die nötigen Informationen aus dem Web und Tools mit seinen Chatbots verknüpfen kann, benötige er aber nur noch zwei, drei Stunden. Und die Pipeline ist gut gefüllt. Mehrere Dutzende Ideen warten auf die Umsetzung, so Mundhenke. Darunter weitere Spaßprojekte wie der gerade veröffentlichte "Mansplaining"-Bot, aber auch viele Chatbots, die einen Mehrwert liefern. Denn: "Ein Bot muss immer einen Vorteil gegenüber der Google-Suche haben", sagt Mundhenke. Und dann wird man mit ihnen auch Geld verdienen können. 

Aktuell arbeitet Mundhenke an einem Bot, der Hardware-Setups für Gamer*innen entsprechend ihrer Bedürfnisse und ihres Budgets zusammenstellt. Noch will es ihm nicht gelingen, Affiliate-Links in die vom Chatbot generierten Vorschläge einzubinden. Doch sobald das klappt und der Hardware-Bot von Google einigermaßen hoch gerankt wird, könnte sich das 100-Bots-Projekt sogar finanziell auszahlen. Wobei Geld definitiv nicht die treibende Kraft sei, sagt Mundhenke. Ihm gehe es vor allem darum, der Angst vor KI als Weltuntergangstechnologie eine positive Erzählung entgegen zu setzen. 

Chatbots gegen Rechts

Wie Chatbots einen positiven, sogar die Demokratie stützenden Beitrag leisten können, hat er mit dem dritten Bot seiner Challenge gezeigt: "EuropawahlGPT" ist so etwas wie ein interaktiver Wahl-o-mat, der zwar keine Präferenzen abgleicht, dafür aber einen sehr einfachen Zugriff auf die Positionen der Partien zu bestimmten Themen ermöglicht.

Viral ging der Bot dann, weil Mundhenke die Idee hatte, "EuropawahlGPT" die Inhalte der Parteiprogramme als Städte visualisieren zu lassen. Der Tiktok-Post dazu – es war sein erster überhaupt – erreichte mehr als eine Million Views. 

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Eher düster: Wie das Europawahl-Programm der AfD laut KI-Visualisierung als Stadt aussehen würde. Foto: Max Mundhenke

Dass Mundhenke sein Geld als KI-Berater verdient, ist Resultat einer Reihe von Zufällen. Denn begonnen hat er seine Karriere im Marketing. Und auch das nur, weil es eben so kam. "Eigentlich hatte ich mit Marketing nichts am Hut", sagt Mundhenke. Doch dann habe er sich in digitale Kommunikation "verliebt". Nachdem er als Praktikant in einer Werbeagentur die Idee für die später mit einem Effie ausgezeichneten „#bielefeldmillion“-Kampagne hatte, fasste der damals auf Twitter sehr aktive Mundhenke den Entschluss, nach Berlin zu gehen, um "Marketing richtig zu lernen und nicht nur Ideen ins Internet zu kloppen".

Nach einen Jahr als Content-Stratege der Jobplattform Truffls und einer kurzen Orientierungsphase landete Mundhenke dann kurz nach dem Beginn der Corona-Pandemie bei der Beratungsfirma Brunswick, wo er Klienten in Sachen Social Media coachte. Während dieser Zeit wurden generative KI und die damit verbundene Gefahr durch Deepfakes immer mehr zum Thema. Keiner habe gewusst, was da auf die sozialen Medien zukommt, so Mundhenke, "deswegen musste ich mich zwangsläufig damit beschäftigen." So wurden er zum Experten für dieses Feld bei Brunswick. Bis er Ende 2023 ausstieg, um sich mal wieder beruflich neu zu orientieren. 

Virtuelle Influencer*innen und KI-Musik

Nachdem er "wie jeder normal denkende Mensch" dem Berliner Winter durch eine Asienreise entflohen war, habe er sich dann in das rasant immer tiefer und beständig komplexer werdende KI-Rabbithole gestürzt. Und er begann, selbst mit den Tools herumzuspielen. Er baute virtuelle Influencer*innen, weil er die Frage spannend fand, ob man "mit der Gaming-Grafikkarte von zuhause Menschen erfinden kann" und die dann bei Instagram überhaupt noch von jemandem als Fakes erkannt würden. 

Er habe sogar überlegt, mit seinen KI-Models bei Onlyfans Geld zu verdienen, so Mundhenke, sei dann aber "schnell auf ethische Bedenken gestoßen" und habe das Projekt fallen gelassen. Die Musik seiner virtuellen Sängerin jedoch, für die er von KI ein paar Drum-and-Bass-Tracks genieren ließ, hat er über einen Publisher bis zu Spotify gebracht. Rentieren werde sich das zwar nicht, sagt Mundhenke, "aber so einen Kram mache ich halt gerne."

Support für die eigene Kreativität

Hinzu kam, dass der Berliner damals seinen wichtigsten Kanal verloren hatte. Als Tom Kraftwerk hatte er bis Sommer 2023 zehn Jahre lang im Schnitt mehr als acht Tweets am Tag veröffentlicht und ansehnliche 34.000 Follower*innen gesammelt. Doch nachdem Elon Musk die Plattform gekauft und in die Fakenews-Schleuder X umgewandelt hat, lässt er seinen Twitter-Account aktuell brachliegen. Nun postet und bloggt er neben Tiktok auf Instagram und – ironischerweise am ausführlichsten – auf Linkedin.

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Der "Mansplainer"-Bot und wie er die Welt sieht.

Für den KI-Experten sind es vor allem zwei Aspekte, die die neuen Tools nützlich machen. Neben Effizienz – er hat sich einen Bot gebaut, der für ihn sämtliche KI-News sichtet, nach Mundhenkes eigenen Kriterien kuratiert und abschließend Zusammenfassungen samt Link in einen Slack-Kanal postet – geht es um Kreativität. Künstliche Intelligenz könne einen "extrem unterstützen beim Erschaffen von neuen Dingen", sagt Mundhenke.

Als praktisches Beispiel führt er ein Buch über Content-Marketing an, das er mit zwei Freunden geschrieben und das gerade vom Verlag lektoriert werde. Er habe das Skript mal aus Spaß bei ChatGPT hochgeladen und den Bot nach den Stärken und Schwächen des Buchs gefragt. "Da habe ich viel dazulernen können", sagt Mundhenke. ChatGPT habe ihm zurückgegeben, dass es durchaus mehr tiefergehende Marketing-Theorie vertragen könnte. Nun ja, zu spät.

In Sachen Content verspricht er sich auf jeden Fall eine radikale Disruption, denkt dabei an individuelle Musik, die ein Spotify der Zukunft in Echtzeit generiert oder an ein "Netflix AI", bei dem man sich eines Tages eine "Gay-Romcom mit Bruce Willis und Steven Seagal mit einem Soundtrack von Hans Zimmer und Happy End" werde bestellen können.

"Wir können mit KI so viel geilen Scheiß machen"

Konkreter ist für Mundhenke die Möglichkeit, auf Basis der KI-Tools neue Businessmodelle zu entwickeln. Eines könnte so aussehen wie der Bot, den er gebaut hat, um seinen wöchentlichen Nährstoffbedarf direkt in sieben Rezepte samt Einkaufsliste umwandeln zu lassen. "Ich glaube, dass wir mit KI so viel geilen Scheiß machen können", sagt Mundhenke. "Wir haben alle Tools an der Hand, uns fehlen nur die Anwendungsfälle."

Wobei, mindestens einen hat er bereits geliefert, wenn man sich dem Tech-Investor Pip Klöckner anschließen mag. Der lobte im "Doppelgänger"-Podcast gerade eine von Mundhenkes Schöpfungen: "Das ist ein guter Use Case für generative AI", sagte Klöckner – und meinte damit natürlich den Linkedin-Cringe-Bot.

Künstliche IntelligenzChatGPTChatbot
Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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