Geleaktes MrBeast-PDF: So funktioniert die Maschinerie hinter dem weltgrößten Youtuber

Das Dokument erklärt die Youtube-Strategie, facht aber auch kritische Berichterstattung an

MrBeast
MrBeast, alias Jimmy Donaldson (Steven Khan, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)
Inhalt
  1. Die drei wichtigsten KPIs für den Erfolg von Youtube-Videos
  2. Warum die erste Minute eines Videos so wichtig ist
  3. So funktioniert "Re-Engagement" und "Retention Editing"
  4. Mit "Stair Stepping" die Zuschauenden bei Laune halten
  5. Warum Kritiker*innen sich durch das PDF bestätigt sehen
  6. Das steckt hinter den Vorwürfen über unangemessenes sexuelles Verhalten
  7. "No does not always mean no"
  8. Steht die Riege der Nachfolger*innen schon bereit?

316 Millionen Abonnent*innen hat alleine der Hauptkanal von Jimmy Donaldson alias "MrBeast" auf Youtube. Wie ist er zum meistabonnierten Youtuber der Welt geworden? In dem Dokument "How to succeed in MrBeast Production" ("Wie du bei MrBeast Productions erfolgreich wirst") gibt Donaldson selbst Antworten auf diese Frage. In dem ursprünglich für neue Mitglieder seines Teams gedachten und nun geleakten PDF erklärt er u.a. die Grundprinzipien seiner Youtube-Strategie. Andere Teile lesen sich jedoch auch im Lichte aktueller kritischer Berichterstattung für den 26-Jährigen mindestens ungünstig.

Seit mehr als zehn Jahren ist Jimmy Donaldson mit eigenen Videos auf Youtube aktiv. Er habe sich fünf Jahre seines Lebens in ein Zimmer eingesperrt und nur studiert, welche Videos auf Youtube viral gehen und warum, schreibt Donaldson in dem Dokument (hier herunterladbar). Nun, wo sein Team immer größer werde, hätten seine Mitarbeitenden nicht mehr alle unbegrenzt Zugang zu ihm persönlich und seinem Wissen. Deswegen habe er alles, was er in den vergangenen zehn Jahren mit seinem Kanal gelernt habe, "in ein albernes, kleines Buch gekippt".

Die drei wichtigsten KPIs für den Erfolg von Youtube-Videos

"Euer Ziel ist es, hier die bestmöglichen Youtube-Videos zu machen", wendet sich Donaldson darin an seine neuen Angestellten. Der Titel des ersten Kapitels lautet demnach wenig überraschend "Wodurch geht ein Youtube-Video viral". Für den Erfolg auf der Video-Plattform sind laut Donaldson drei Metriken entscheidend: die Klickrate (Click-Through-Rate, CTR), durchschnittliche Sehdauer (Average View Duration, AVD) und der durchschnittliche Abrufprozentsatz (Average View Percentage, AVP).

Die Klickrate setzt die Anzahl der Menschen, die das Videovorschaubild (Thumbnail) auf Youtube sehen in Relation zu der Zahl der Nutzenden, die darauf klicken. Je extremer Titel und Vorschaubild, desto häufiger werde das Video in der Regel angeklickt, so Donaldson. Ein Video mit dem Titel "Ich habe 50 Stunden in meinem Vorgarten gelegen" würde demnach eine niedrigere Klickrate generieren als eines mit dem Titel "Ich habe 50 Stunden in Ketchup gelegen".

Gleichzeitig warnt Donaldson davor, die Erwartungen der Zuschauenden zu enttäuschen. Wenn sich diese betrogen fühlen, würden sie wegklicken. Auch deswegen müsse schon vor der Produktion eines Videos der Titel und das Thumbnail feststehen.

Warum die erste Minute eines Videos so wichtig ist

Wenn die Zuschauenden das Video schnell wieder schließen, bevor es zu Ende ist, resultiert dies in einer niedrigen AVD, als kurzen durchschnittlichen Sehdauer. In der Regel finde der größte Abfall der Zuschauendenzahl in der ersten Minute eines Videos statt. "Das ist der Grund, aus dem wir uns wegen der ersten Minute so verrückt machen und alles dafür tun, um sie so gut wie möglich zu machen", schreibt Donaldson.

Um so wenig Zuschauende als möglich zu verlieren, empfiehlt der Youtuber das so genannte "Frontloading", also die besten Momente des Videos gleich in den ersten 60 Sekunden anzuteasern. Danach müsse dann der Übergang von "Hype" zu "Execution" erfolgen: "Sagt den Leuten nicht mehr, was sie zu sehen bekommen, sondern fangt an, es ihnen zu zeigen."

So funktioniert "Re-Engagement" und "Retention Editing"

Doch auch nach einer mit Highlights vollgepackten ersten Minute ist die Aufmerksamkeit der Zuschauenden nach wie vor flüchtig. Der Youtube-Star empfiehlt deswegen nach weiteren drei Minuten ein so genanntes "Re-Engagement": eine Neuerung oder Zuspitzung, die das Publikum bei der Stange halten soll. Das könne etwa eine neue Regel für eine im Video gezeigte "Challenge" sein. Nach weiteren drei Minuten sei ein weiteres "Re-Engagement" sinnvoll. Außenstehende haben diese Art Videos zu produzieren mittlerweile "Retention Editing" getauft.

Außerdem enthalte jedes Video idealerweise einen "Wow Factor": etwas, das mangels der finanziellen Mittel dafür kein anderer Youtuber tun könne – wie beispielsweise ein ganzes Haus mit einem Kran bewegen. Nach sechs bis sieben Minuten Laufzeit beginnt dann der Teil des Videos, den Donaldson die "hintere Hälfte" nennt – schließlich seien MrBeast-Videos im Durchschnitt etwa 13 Minuten lang. Zu diesem Zeitpunkt seien die Zuschauer meistens "eingelullt" und würden das Video mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zum Ende schauen, so "MrBeast" gegenüber seinen Produktionsmitarbeitenden. "Ihr dürft aber auch niemals denken, dass ich unterdurchschnittlichen Content durchgehen lasse." Für das Ende empfiehlt Donaldson einen abrupten, aber befriedigenden Abschluss.

Mit "Stair Stepping" die Zuschauenden bei Laune halten

Für die Average View Percentage (AVP), also der Prozentsatz derjenigen, die das Video anklicken und es zu Ende schauen, müssten sich neue Mitarbeitende zunächst nicht unbedingt interessieren – denn die Länge eines Videos werde in der Regel von Donaldson selbst sowie seiner rechten Hand Tyler Conklin festgelegt. Trotzdem schreibt Donaldson später im Dokument noch einmal: "Damit Eure Videos Erfolg haben, muss ihr AVD und AVP so hoch wie möglich sein."

Ein Mittel, die Retention zu pushen (und damit gute AVD- und AVP-Werte zu generieren), seien bereits erfolgreich getestete Formate. Bei der "Last to leave"-Serie würden die Zuschauenden zum Beispiel überdurchschnittlich häufig bis zum Schluss schauen, um zu erfahren, wer den vorgegebenen Kreis als letztes verlassen (und damit eine halbe Million US-Dollar gewonnen) hat. Auch auf das "Stair Stepping" (sinngemäß: "eine Stufe nach der anderen") setze er häufig. Bei einem Video mit dem Titel "Ich habe den weltgrößten Feuerwerkskörper gekauft" könnte beispielsweise erst das gesamte Feuerwerk gezeigt werden und dann nacheinander Feuerwerkskörper für 10, 50, 1.000 und 10.000 US-Dollar gezündet werden.

Warum Kritiker*innen sich durch das PDF bestätigt sehen

Abseits solcher technischer Aspekte geht das Dokument auch ausführlich auf team-interne Prozesse und die von Donaldson erwartete Arbeitsmentalität ein. Aussagen wie "Ich will nur A-Player" und "Seid lieber ehrlich als nett zueinander" mögen dabei für sich genommen noch einigermaßen harmlos wirken, erscheinen aber im Zusammenhang mit Vorwürfen, dass in Donaldsons Team ein "toxisches Arbeitsumfeld" vorherrsche, in einem anderen Licht.

Gegenüber der New York Times hatten schon 2021 ehemalige Mitarbeiter erklärt, dass Donaldson ein Perfektionist sei, der seine Team-Mitglieder beschimpfe und nie zufrieden sei. Youtuberin Rosanna Pansino hat nun das PDF öffentlich verfügbar gemacht und kritisiert Donaldson in ihrem dazugehörigen Video ebenfalls wegen der Arbeitsbedingungen und Textstellen wie den genannten.

Außerdem sind weitere Ex-Mitarbeitende an die Öffentlichkeit gegangen und haben die Arbeitsbedingungen bei Donaldsons Unternehmen kritisiert ("I Worked For MrBeast, He's A Sociopath").

Das steckt hinter den Vorwürfen über unangemessenes sexuelles Verhalten

Hinzu kommen Vorwürfe über sexuelle Belästigung durch Mitglieder aus MrBeasts Team. So soll die langjährige Donaldson-Vertraute Ava Kris Tyson im Alter von 20 Jahren unangemessene Nachrichten an einen 13-Jährigen verschickt haben. Tyson entschuldigte sich öffentlich für ihr Verhalten und hat das MrBeast-Team verlassen; Donaldson distanzierte sich öffentlich von ihr.

Zuletzt haben Teilnehmer*innen an den "Beast Games" in den USA Klage wegen "chronischer Misshandlung" und sexueller Belästigung Klage gegen MrBeasts Produktionsfirma sowie Amazon (die Show war für Amazon Prime produziert worden) eingereicht. Bei den "Beast Games" kämpften 1.000 Teilnehmer*innen um einen Hauptgewinn von fünf Millionen US-Dollar. Laut der Klageschrift sollen einige Teilnehmende zu wenig Essen, Schlaf und medizinische Versorgung erhalten haben, teilnehmende Frauen sollen herabgewürdigt worden sein.

"No does not always mean no"

Einige der in dem Onboarding-PDF dokumentierten Denkweisen wirken in diesem Licht noch ungünstiger. "No does not always mean no", also "Nein bedeutet nicht immer nein", heißt es dort an einer Stelle. Wenn beispielsweise ein*e Mitarbeiter*in der US-Discounter-Kette Dollar Store einen Dreh eines MrBeast-Videos innerhalb des Ladens nicht erlaube, bedeute dies nicht, dass nicht jemand anderes den Dreh noch erlauben könne. Dass die Kapitelüberschrift an den Slogan "No means no" erinnert, mit der die Frauenrechtsbewegung schon vor Jahrzehnten ein konsequenteres Vorgehen gegen Vergewaltigungen und sexuelle Misshandlung einforderte, wirkt dabei mit Blick auf die jüngsten Enthüllungen wenig vorteilhaft.

Andere Teile des Dokumentes klingen so so, als habe Donaldson ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem männliches Platzhirschgehabe geduldet oder sogar erwünscht ist. "Es ist okay für die Jungs, kindisch zu sein", heißt es dort an einer Stelle. Die "Talents", also die in den Videos auftretenden (größtenteils männlichen) Mitglieder sollten bei bester Laune gehalten werden. Wenn diese im Video einen Penis auf ein Whiteboard malen wollten, sei dies okay.

Steht die Riege der Nachfolger*innen schon bereit?

In der Youtuber-Szene haben die jüngsten Ereignisse große Wellen geschlagen. Wer aktuell auf der Video-Plattform nach MrBeast sucht, stößt dort bei den ersten Suchergebnissen auf Videos mit Titeln wie "MrBeast just destroyed his career" (7,2 Millionen Views), "I Worked For MrBeast, He's A Fraud" (15 Millionen Views) und "It's Not Looking Good For MrBeast..." (2 Millionen Views).

Gleichzeitig drängt offenbar eine ganze Reihe von MrBeast-Klonen bei Youtube auf die vorderen Plätze, die den "Retention Editing"-Stil Donaldsons studiert haben, nun kopieren und damit teilweise ein schnelleres Abonnent*innenwachstum generieren als dieser. Die "Stokes Twins" beispielsweise, die seit dem März jeweils acht Millionen Abonnent*innen im Monat gewonnen haben sollen, einfach, indem sie Challenges aus den Videos anderer Kanäle kopieren. Konkurrent Topper Guild soll sogar komplette MrBeast-Videos kopiert haben. Donaldson selbst hatte bereits im März auf X verkündet, seinen Produktions- und Schnittstil verändern und verlangsamen zu wollen, weniger zu brüllen und "mehr Persönlichkeit" in die Videos einbringen zu wollen.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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