Julien Miquel: Der Pronunciation-Papst von Youtube

Der Franzose Julien Miquel erzielt 20 Millionen Views im Monat mit kurzen Clips, in denen er die korrekte Aussprache von Marken, Orten und Personennamen erklärt

Inhalt
  1. Bis zu 100 Youtube-Clips am Tag
  2. Wie spricht man das aus: Châteauneuf-du-Pape?
  3. "Ich habe Moët und Hennessy, warum nicht auch Louis-Vuitton?"
  4. Sex, Sex, Sex und dann erst Gucci
  5. "Du hast einen französischen Akzent"

"Porsche, Porsche, Por-sche, Por-sche" – ein Video mit diesem durchaus schlichten Text zählt zu den beliebtesten auf Porsches offiziellem Youtube-Kanal. 4,4 Millionen Abrufe, die zeigen: Das Interesse an der richtigen Aussprache von Firmennamen ist groß. Jean Miquel hat aus diesem Bedürfnis ein Business gemacht. OMR sprach mit dem Franzosen darüber, wie er vom Winzer und Wein-Influencer zum reichweitenstärksten Pronunciation-Clip-Creator auf Youtube wurde, nach welchen Kriterien er neue Wörter auswählt und ob er davon leben kann. 

Wer jemals in die Verlegenheit gerät, das Wort "Wašíču" korrekt aussprechen zu wollen, landet mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Julien Miquel. Zumindest, wenn er bei Youtube nachschaut, ob sich dort ein Video findet, in dem die richtige Aussprache des Begriffs erklärt wird. Wašíču ist einer unter den mehreren zehntausend Begriffen, die Miquel eingesprochen und als Erklärvideo auf die Plattform gestellt hat. Die Bandbreite reicht von der korrekten französischen Aussprache des Luxuslabels "Jacquemus" über den Adidas-Stammsitz "Herzogenaurach" bis zum eingangs erwähnten "Wašíču".

Bis zu 100 Youtube-Clips am Tag

Mehrere Stunden am Tag verbringe er damit, neue Begriffe für seinen Kanal zu identifizieren, deren korrekte Aussprache zu recherchieren, diese Clips einzusprechen, zu produzieren und auf Youtube hochzuladen, so Miquel im Video-Interview mit OMR. Mehrere Dutzend Clips sind es am Tag. "Manchmal schaffe ich 100, abhängig davon, wie viel Zeit ich habe." Seine populärsten Videos, die sämtlich um ein einziges Thema kreisen, erzielen Abrufzahlen im zweistelligen Millionenbereich. Die meisten jedoch liegen irgendwo im vier- bis niedrigen fünfstelligen Bereich. In Summe macht es die Masse: 70.000 Interessierte finden täglich den Weg zu einem von Miquels inzwischen 50.000 Videos.      

Der Franzose ist gelernter Winzer und hat auf Weingütern in Frankreich, an der US-Westküste, in Italien und Neuseeland gearbeitet. Irgendwann hatte er Lust, seine Leidenschaft mit anderen zu teilen und startete einen Youtube-Kanal. In seinen frühen Videos erklärte er Weine und dokumentierte Tastings. Er verfolgte das Ziel, sich als Wein-Influencer über Youtube und Twitter eine kleine Community aufzubauen. Und natürlich guckte Miquel sich darum auch an, was andere erfolgreiche Wein-Youtuber machten. 

Wie spricht man das aus: Châteauneuf-du-Pape?

"Irgendwann ist mir aufgefallen, dass einige der beliebtesten Weinvideos auf Youtube zeigen, wie man Weinnamen ausspricht", sagt Miquel. Also probierte er es selbst aus und erstellte den Clip "How to Pronounce Châteauneuf-du-Pape | Correctly!". Bis heute wurde der annähernd 27.000 Mal angeschaut. Das zweite Aussprache-Video war deutlich erfolgreicher. "How to Pronounce Moët & Chandon? And WHY?!" kommt seit dem Upload Anfang 2019 auf mehr als 763.000 Views. 

"Dann habe ich angefangen, so viele Weinwörter wie möglich zu machen", sagt Miquel. Weitere Weinregionen, Rebsorten, Fachbegriffe und Marken folgten. Dabei sei ihm der Job zugute gekommen, mit dem er inzwischen sein Geld verdiente. Er arbeitete damals für eine Wein-Datenbank. Dadurch habe er nicht nur einen guten Überblick über die französischen Appellationen gehabt. Er habe dort auch gelernt strukturiert zu arbeiten.

"Ich habe Moët und Hennessy, warum nicht auch Louis-Vuitton?"

Bald wurde ihm die Weinwelt zu klein. Miquel erweiterte sein Spektrum um französische Spirituosen und hatte eine Idee: "Okay, ich habe Moët und Hennessy, warum nicht auch Louis-Vuitton" – um die Bestandteile des Namens des französischen Luxuskonzerns LVMH zu komplettieren. Und wo er schon dabei war, arbeitete er sich in der Folge durch das weite Markenimperium von LVMH. "Anfangs war es mehr ein Experiment", sagt Miquel.

Weil er aufgrund seiner Stationen als Winzer auf Weingütern in unterschiedlichen Ländern gelebt und die lokalen Sprachen gelernt hatte, gab es bald auch Clips zu Versace und Gucci. So hätte es Schritt für Schritt weitergehen können. Doch dann kam der erste Corona-Lockdown. "Wie alle anderen saß ich zu Hause und war mir meines Jobs nicht sicher", sagt Miquel. Er überlegt, ob Aussprache-Videos eine alternative Einnahmequelle sein könnten. Und dann geht er all-in.

Die krude Themenmischung, die einem beim Klick auf Miquels Kanal anspringt – medizinische Fachbegriffe, Marvel-Superschurken, Namen von Politiker*innen – erscheint nur auf den ersten Blick willkürlich. Dahinter steckt eine über die Jahre ausgeklügelte Content-Strategie. Miquel arbeitet sich nämlich nicht einfach von vorne bis hinten durch Wörterbücher und Enzyklopädien. Vielmehr verfolgt er eine Art SEO-Strategie. Er scanne Nachrichten (wo wurde ein*e Präsident*in neu gewählt?), Klatsch-Seiten (welche Celebrity hat ein Baby), checke außerdem Google Trends. Dann steige er tiefer ins Thema ein, schaue verschiedene Interviews an, wie das Wort dort ausgebrochen oder eine Person vorgestellt wird, erklärt Miquel.

Sex, Sex, Sex und dann erst Gucci

Auf die Themen seiner mit Abstand erfolgreichsten Clips stieß er jedoch auf anderem Wege. Youtube sei voll mit Pronunciation-Kanälen, so Miquel. Einige hätten sogar hunderttausende Clips hochgeladen. Dahin steckten jedoch Bots, die von ihren Programmierer*innen wahllos auf komplette Wortschätze losgelassen worden seien. Und sie stammten aus einer Zeit vor dem aktuellen KI-Hype. Die Qualität sei entsprechend gering. Doch diese Channels lieferten ihm Begriffe, die nachweislich extrem häufig gesucht würden: alles, was mit "Sex" zu tun hat. Erst auf Platz zwölf der meistgesehenen Clips steht mit "Gucci" ein Begriff ohne Sex- oder Pornobezug.

Die Masse von Miquels Output erfordert eine gewisse Effizient bei der Erstellung der Clip. Die meisten sind eine, maximal anderthalb Minuten lang. Auf ein kurzes Intro, das den Sprecher zeigt, folgt eine schwarze Tafel mit dem Begriff. Auf der Tonspur erläutert Miquel die Aussprache und liefert oft noch ein bisschen Kontext. Clips, von denen er sich größere Reichweite verspricht, werden manchmal mit individuellen Vorschaukacheln aufgewertet. 

Bis heute macht Miquel auch Tasting-Videos für einen amerikanischen Weinclub. Den größten Teil seiner Arbeitszeit würden aber die Pronunciation-Clips einnehmen. Im Schnitt seien es 4,5 Stunden am Tag. Dazu noch ein paar Minuten Community-Management. Wie viel Geld der Creator mit seinen Pronunciation-Clips einnimmt, will Miquel nicht verraten. "Ich möchte nicht ins Detail gehen, aber es ist der größte Teil meines Einkommens." Zwar hörten sich die 20 Millionen Views, die er im Monat zähle, viel an. Doch seine Videos seien kurz, Youtube könne darum nur Prerolls platzieren. Außerdem stamme der Großteil seiner Audience aus Indien, Malaysia, Philippinen und Pakistan. "Der Umsatz bei denen ist noch geringer", so Miquel. 

"Du hast einen französischen Akzent"

Am Ende ist Geld nicht seine Motivation. Schon während seiner Kindheit an der französisch-spanischen Grenze habe er sich für Sprachen und Akzente interessiert, sei später viel gereist. "Es ist faszinierend, verschiedene Themen, verschiedene Sprachen und Kulturen zu erforschen", sagt Miquel. Daraus ziehe er eine persönliche Befriedigung, die über die Genugtuung des methodischen Abarbeitens hinausgehe. Außerdem erfülle es ihn jedes Mal mit großer Freude, wenn ein Kommentator ihm für seine Arbeit dankt. 

Gelegentlich bekommt Miquel auch negatives Feedback. "Du hast einen französischen Akzent, das ist nicht gut", das höre er immer mal wieder als Kritik. Doch er kann damit leben. Er verstecke nicht, dass er Franzose ist und seine Muttersprache in seiner Aussprache immer mal wieder durchklinge. Besonders Deutsch sei eine Herausforderung. Und mal ehrlich, welche*r deutsche Muttersprachler*in bringt Englisch oder gar Französisch akzentfrei über die Lippen?

Ob mit oder ohne Akzent, eins ist Julien Miquel auf jeden Fall nicht: ein Wašíču. Das Wort stammt aus der Sprache der Sioux und ist als Lehnwort inzwischen Teil der us-amerikanischen Alltagssprache geworden ist. Seine Bedeutung? Wašíču ist die Bezeichnung der Angehörigen der First Nation für "gierige weiße Männer".

YoutubeSEO StrategieContent
Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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