"Ich habe ein krasses Gefühl entwickelt für die Algorithmen"
Wie arbeitet Lara Sophie Bothur? Deloittes zuletzt stark kritisierte Corporate Influencerin zeigt OMR, mit welchen Strategien sie das Linkedin Game gehackt hat
- Deloitte dementiert. Zweifel bleiben
- Hochstaplerin oder Heiligenschein?
- Kommentieren mit der Stoppuhr
- Demo mit Handprothese-Video
- Timing und Commitment
- "We are live, let's go!"
- Engagement Pod? Musste sie erstmal googeln
- Inzwischen checkt Bothur verdächtige Accounts
- "Die erste Stunde entscheidet über alles"
- Größe war von Anfang an wichtig
- "Der Post wird viral gehen"
- Fragen beantwortet. Sache erledigt. Oder nicht?
- Mehr als ein Vollzeitjob
- Eidesstattliche Versicherung für den Arbeitgeber
- 150 neue Follower in einer Stunde
- Mehr Commitment geht nicht
- Was sagen ihre Kritiker*innen?
- Linkedins Fake-Account-Problem
- Unverständnis, keine Anschuldigungen
- "This is not a pod"
"Entweder sie hat betrogen – oder es ist ein Best-Case." So kommentierte ein Kollege bei OMR die Causa Lara Sophie Bothur. Der Fall, der aufgrund ungewöhnlicher Wachstums- und Engagement-Raten in die Kritik geratenen Linkedin Top Voice, hat eine heftige Debatte darüber ausgelöst, wie und mit welchen Mitteln reichweitenstarke Linkedin-Influencer*innen arbeiten. Um ihre Glaubwürdigkeit wieder herzustellen, beschloss Bothur nun, etwas zu tun, was sie so nie geplant hatte: ihre Methode offen zu legen. Sie hat OMR live vorgeführt, wie sie ihren Content auf eine Millionen-Reichweite pusht. Ob das ihre Kritiker*innen umstimmen wird, bleibt abzuwarten. Auffälligkeiten in der Vergangenheit lassen sich ohnehin nicht ändern. Vielleicht erlaubt die Ergänzung um Bothurs Perspektive aber eine bessere Einordnung. Vor allem: Hier liegt nun das Playbook, das alle selbst durchspielen können, um zu schauen, ob es wirklich so gut funktioniert, wie Bothur behauptet.
Die erste Reaktion? "Schock. Ich saß in meiner Wohnung und habe gezittert. Ich dachte, jetzt geht die Welt unter." Es ist der 29. Januar 2024, 7:49 Uhr – Lara Sophie Bothur erinnert sich noch genau an den Moment, als sie von dem Artikel auf t3n erfährt, natürlich via Linkedin. Der Autor hat sie getagged. "Lara Sophie Bothur: Reichweite der Corporate-Influencerin wirft Fragen auf" lautet die Überschrift. Und nach ein paar einleitenden Absätzen zum Phänomen der Corporate Influencer, zu Möglichkeiten Likes und echte oder gefakte Follower zu kaufen sowie Indizien, die auf unsaubere Praktiken hindeuten, geht es dann um sie, Lara Sophie Bothur.
Bothur war 2022 die erste Vollzeit-Corporate-Influencerin Deutschlands. Als "Voice for Innovation" baut die Deloitte-Angestellte seitdem einen Kanal um Tech-Themen auf. Vor allem seit Oktober 2023 wuchs der Account rasant, legte Woche um Woche um eine fünfstellige Zahl Follower zu. Weil sie die Frequenz ihrer Postings erhöht und nach Abschluss ihres Masterstudiums mehr Zeit investiert hat, sagt Bothur. Mehr als es mit organischen Mitteln möglich ist, behaupten Skeptiker*innen. "Für mich fühlt es sich ein wenig so an, als würde man jemanden bei Olympia die 100 Meter in zwei Sekunden laufen sehen", sagt der ebenfalls aus LinkedIn sehr aktive Tech-Investor Pip Klöckner gegenüber OMR.
Der t3n-Artikel schildert einige Auffälligkeiten, die in der Tat kein gutes Licht auf Bothur werfen – und stützt sich dabei auf die Einschätzungen von Menschen, die als Linkedin- oder Personal-Branding-Expert*innen in dem Netzwerk sehr aktiv sind: Selma Kuya, Britta Behrens und Klaus Eck. Es geht um rasant ansteigende Follower-Zahlen, Likes von Bot-verdächtigen Profilen, Kommentar-Doubletten und eine weit überdurchschnittliche Viralität ihrer Posts. Zwar schließt der Beitrag damit, dass es keine zweifelsfreien Belege gibt. Aber der Ton ist gesetzt. In der Folge bricht eine hitzige Debatte in der Linkedin-Bubble los, die sich bis heute nicht abschließend beruhigt hat.
Deloitte dementiert. Zweifel bleiben
Deloitte zählt zu den Big Four der renommiertesten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Das Unternehmen testiert die Bilanzen der weltgrößten Konzerne. Wenn ausgerechnet in dieser Firma die erste Corporate Influencerin faken würde – das wäre vom Imageschaden ungefähr so groß, wie wenn man einen Sternekoch erwischt, wie er Maggi in seine Sauce kippt.
Auch wenn manchen der Zweifler*innen die Antworten und Argumente des Unternehmens nicht ausreichen, Deloitte erachtet die Vorwürfe nach interner Prüfung als unbegründet. Und so macht Lara Sophie Bothur weiter. Ihr Account wächst weiter rasant. Von den im Beobachtungszeitraum des Artikels genannten 183.000 Followern Mitte Januar stieg die Zahl der Profile, die Lara Sophie Bothur bei Linkedin folgen, auf fast 264.000 Ende April.
Ein Kritikpunkt waren weit überdurchschnittliche Engagement-Raten von Bothurs Content. Bezogen auf Impressions statt Follower weisen die Analytics ihres Linkedin-Accounts einen guten, aber durchaus üblichen Wert aus. Auffällig ist der Abfall der Werte, der mit dem Erscheinen des t3n-Artikels korreliert (Screenshosts: Lara Sophie Bothur)
Damit gewinnt Bothur zwar deutlich weniger als die 10.000 neuen Follower pro Woche, die den Expert*innen damals so verdächtig erschienen. Doch immer noch wächst ihre Community deutlich. Wie macht sie das? Sind ihre Reichweiten, Engagement-Raten und das krasse Follower-Wachstum auf organischem Wege überhaupt möglich? "Eigentlich", sagt Bothur am Beginn des Treffens, "hatte ich kein Interesse, meine Geheimformel zu teilen. Aber jetzt muss ich wohl, um aus der Sache wieder rauszukommen."
Hochstaplerin oder Heiligenschein?
Für die Offenlegung ihrer Methode hat Bothur einen überaus schlichten Besprechungsraum in der Hamburger Deloitte-Dependance gewählt. Ein Tisch, drei Stühle, weiße Wände. An der Wand hinter ihr ein Monitor. Er zeigt grünes Laub und einen weißen Kreis. Aus dem richtigen Winkel betrachtet, sieht es aus, als würde Bothur einen Heiligenschein tragen. Aber das ist Zufall. Das Motiv ist auf sämtlichen Bildschirmen im Büro zu sehen.
Vor der Bothur steht ihr Linkedin-Setup: ein Laptop, daneben zwei Smartphones. Sie poste immer vom Handy, sagt sie. Dort beantworte sie auch Shares. "Weil sich dort kein neues Fenster öffnet", erklärt sie. Aus demselben Grund reagiere sie auf Kommentare wiederum nur auf dem Rechner. Kleine Hacks, die aber ein Stück weit Bothurs Effizienz erklären.
Kommentieren mit der Stoppuhr
Nachdem der t3n-Artikel erschienen war, habe sie sämtliche Kommentare und die Diskussionen darüber gelesen, sagt Bothur. Dort war auch die hohe Frequenz ihrer Replies ein Thema. Sie habe dann mit ihrer Mutter am Küchentisch die Zeit gestoppt. Wie oft kann sie in sieben Sekunden "Thank You" schreiben? „Ich habe es sechs Mal geschafft“, sagt Bothur. "Es war auch schon echt ein bisschen skurril zwischendurch."
Schwerer als Zweifel an ihrer Fingerfertigkeit wog Kritik, dass von ihrem Profil mitunter mehrere Kommentare mit identischen Timestamps abgesetzt worden seien. Ein Indiz für die Nutzung von technischen Hilfsmitteln, die Bothur von Anfang an vehement von sich wies. Zunächst habe sie selbst keine Erklärung dafür gehabt. Also sprach sie mit einem IT-Experten von Deloitte und unternahm Experimente. Sie versuchte aus dem Keller und dem Fahrstuhl zu posten. Das funktionierte nicht. Eine mögliche Erklärung bescherte ihr dann nach eigenen Angaben ein Zufall. Bei einer Bahnreise voller Funklöcher habe sie beobachtet, wie zwei Kommentare gleichzeitig live gingen.
Demo mit Handprothese-Video
Zurück von der anekdotischen Evidenz zur gelebten Praxis. Als Content-Piece für die Demonstration hat Bothur ein Video einer italienischen Open-Source-Initiative ausgewählt. Darin geht es um einen Jungen, dem eine Hand fehlt. Forscher*innen haben ihm eine Prothese im 3D-Drucker hergestellt. Sie ist grün – wie Hulk, der Lieblingsheld des Jungen. Sie hatte das Video während ihrer Themenrecherche entdeckt, weil der Clip auf LinkedIn viral gegangen war. Für ihren Post verknüpft sie es mit Deloittes Auftritt bei der Hannover Messe.
Klar, schon einmal viral gegangener Content dürfte weit höhere Chancen haben, erneut viral zu gehen, als eine Selfie-Bildergalerie von einer Maschinenbaumesse. Womit ungefähr die Spannweite von Bothurs Inhalten umrissen ist. Sie selbst unterteilt diesen in "engaging" und "personal". Immer geht es darin um Tech-Themen und stets gibt es eine Anbindung an ihren Arbeitgeber, dessen Kunden sowie aktuelle Projekte, an denen Deloitte beteiligt ist. Und zwischendurch postet die Corporate Influencerin auch mal Selfies, Share Pics mit Motivationssprüchen und Karriere-Küchenweisheiten.
Timing und Commitment
Ganz gleich, wovon ihre Posts handeln, ihr Vorgehen sei immer gleich, erklärt Bothur. Posten zwischen Mittag und frühem Nachmittag, um sowohl den Feierabend in Asien als auch den Beginn des Arbeitstages in den USA mitzunehmen. Dann Regeln auf Basis von Common Knowledge und eigenen Erfahrungswerten: keine Links im Post, weniger als zehn Hashtags, relevante Personen und Firmen markieren.
Vor allem diesem Aspekt widmet Deloittes Inhouse-Influencerin größte Aufmerksamkeit. Denn: "In den ersten fünf Minuten müssen alle liken, die markiert sind", sagt Bothur, "am besten sofort". Sonst könne man den Post vergessen. "Komplett." Aus diesem Grund erstelle sie für jeden ihrer Beiträge einen Kalendereintrag, den sie allen Beteiligten schickt. Wer auf die Termin-Einladung nicht reagiere, werde nicht verlinkt.
"We are live, let's go!"
Lara Sophie Bothur bei der Arbeit (Foto: OMR)
Dann ist es 12:15 Uhr. Bothur postet den Beitrag über den Jungen mit der Hulk-Hand. "We are live, let's go!", ruft sie und lacht. Fünfmal die Woche mache sie das. Aber jedes Mal sei es wie auf die Bühne zu gehen. Nun komme es auf die ersten Shares und Kommentare an, sagt Bothur. Und dass der erste Kommentar nie von einem selbst kommen dürfe. Also nutzt sie einen kleinen Deloitte-Account, bei dem sie Admin-Rechte hat, um den ersten Kommentar zur Story zu posten, den sie natürlich mit ihrem eigenen Account liked. Dann erst postet sie den Link zu Infos über Deloittes Auftritt auf der Hannover Messe. Das könnte man Schummeln nennen – oder eben einen Hack.
Nervös wartet Bothur auf die Reaktionen der im Post markierten Personen. Und gerade als sie anrufen und Druck machen will, kommt der wichtigste Like. Der internationale Deloitte-Account hat den Post geliked. Das sei "einer der Ober-Hacks", sagt Bothur. Der Account habe mehr als 15 Millionen Follower und durch diesen Like werde den meisten von ihnen ihr Content ausgespielt. Ein so simpler und naheliegender Hack, dass man die Fassungslosigkeit in ihrer Stimme hört, wenn sie erzählt, wie sehr es sie irritiert, wenn Posts von Konzern-CEOs nicht von den Konzern-Accounts geliked werden.
Engagement Pod? Musste sie erstmal googeln
Als nächstes teilt Bothur den Link zu ihrem Post in einem Deloitte-internen Teams-Kanal mit der Bitte um Reaktionen. Übliche Praxis, wenn es um Firmen-Content geht. Auch OMR hat eine entsprechende Slack-Gruppe. Die Reaktionen hier seien meist überschaubar, erklärt Bothur. Also eher kein Engagement-Pod. Das war ein weiterer Verdacht: dass Bothur ihren Content in Gruppen poste, deren Mitglieder sich verabredet haben, mit den Postings der anderen Angehörigen der Gruppe zu interagieren, um dem Algorithmus so echtes Engagement vorzugaukeln. Sie hätte damals erst einmal googeln müssen, was "Engagement Pod" bedeutet, so Bothur.
Inzwischen sind fünf Minuten vergangen und alle markierten Personen und Firmen – die von Bothur sicherheitshalber per Teams und WhatsApp daran erinnert wurden – haben geliked, kommentiert und den Post geteilt. Der steht nun bei 1.400 Impressions. Bothur beantwortet die ersten Kommentare. Dabei gehe sie inzwischen mehr auf das Geschriebene ein als früher, sagt sie. Das berüchtigte "Thank you" nutze sie mittlerweile vor allem dann, wenn sie am Abend später eingegangene Kommentare durchgeht.
Inzwischen checkt Bothur verdächtige Accounts
Bothur macht außerdem etwas, das sie vor dem t3n-Artikel nicht getan habe. Wenn ein Account ohne Profilbild kommentiert, Name oder Beschreibung ihr verdächtig erscheinen, dann schaue sie das Profil an. Ob der Account Follower und Inhalte hat. Falls nicht, komme es inzwischen vor, dass sie die von solchen Accounts abgegebenen Kommentare melde. Daraufhin verschwinden diese aus der Kommentarspalte. An ihre Kritiker*innen gerichtet sagt sie: "Ich bin auch dankbar, dass sie mir diesen Hinweis gegeben haben." Denn das war einer der Kritikpunkte: dass sich unter ihren Post viele Likes und Kommentare von verdächtigen Konten finden.
Früher habe sie nicht darauf geachtet, sagt Bothur, und ein Stück weit sei es normal, dass vor allem bei Profilen mit internationaler Audience solche fragwürdigen Profile aktiv seien. Sie sei nicht in der Lage, jeden Post zu checken und alle verdächtigen Profile zu melden. Nach kurzer Recherche zeigt sich, das bis heute Spam-Accounts Bothurs Posts kommentieren. Zugleich betont sie aber, ihr Account habe bei einer großen Bereinigung durch Linkedin Mitte 2023 nur 800 ihrer damals 70.000 Follower verloren. Andere Accounts hätten deutlich größere Einbußen erlitten. Frank Thelen postete damals, er habe 50.000 Follower verloren – weit mehr als ein Zehntel.
"Die erste Stunde entscheidet über alles"
Sechs Minuten sind seit dem Posting vergangen, 5.700 Impressions. "Der muss auf jeden Fall noch ein bisschen Fahrt kriegen", sagt Bothur. Der Algorithmus sei noch nicht ganz da, wo er sein könnte. "Es nervt mich schon enorm, wenn die Reichweitenentwicklung nicht fluppt." Ein weiterer Hack kommt zur Anwendung. Sie hatte den Post bereits selbst geliked, um ihn in der eigenen Community zu pushen. Nun entliked sie ihn und liked erneut. Das wirkt wie Linkedin-Esoterik. Doch sie habe beobachtet, dass es Beiträgen neuen Schwung gibt, sagt Bothur.
Elf Minuten später: Der Post hat inzwischen 35.000 Impressions und 320 Likes. "Wenn der Post in der ersten Stunde 200 Likes bekommt, dann läuft er schlecht", sagt Bothur. "Ab 400 läuft er okay, ab 1.000 richtig gut." Diese erste Stunde entscheide über alles.
Größe war von Anfang an wichtig
Maximierung der Reichweite sei von Anfang an der zentrale Auftrag gewesen, nachdem Bothur ihren Arbeitgeber überzeugen konnte, ihr privates Linkedin-Profil zum Corporate-Kanal zu machen. Deloitte sei Weltmarktführer, "darum war es schon wichtig, eine kritische Größe zu erreichen", sagt Bothur. KPIs oder konkrete Vorgaben gebe es allerdings keine, nur den Auftrag, in jedem Post einen direkten Bezug zu Deloitte zu schaffen.
Mit Blick auf Reichweite wurde auch entschieden, von Anfang an auf Englisch zu posten, obwohl Bothur für den deutschen Deloitte-Ableger arbeitet. Entsprechend international sind ihre Follower. Die Mehrheit stamme aus Deutschland, sagt sie, aber jeweils 16 Prozent aus den USA und aus Indien – den beiden Ländern mit den meisten Linkedin-Nutzer*innen. Schaut man auf Deloittes globalen Linkedin-Account, werden dort rund 432.800 "assoziierte Mitglieder" aufgeführt. Also Profile, die dem Unternehmen vor allem als Angestellte verbunden sind. Mehr als 100.000 dieser Mitglieder stammen aus Indien, zeigt die Balkengrafik an. Die USA folgen mit rund 85.500 auf Platz zwei. "Nur weil Inder in meiner Community sind, heißt das nicht, dass das alles Fake-Accounts sind", sagt Bothur.
"Der Post wird viral gehen"
Inzwischen sind 25 Minuten vergangen. Der Post hat 106.000 Impressions, 846 Likes, ist also gemessen an Bothurs Kriterien eindeutig auf dem Weg von "okay" zu "richtig gut". Bothur beantwortet, kommentiert, liked. Sie wirkt dabei so konzentriert wie routiniert, arbeitet sich strukturiert durch eingegangenen Reaktionen auf ihren Post. Das ganze hat jetzt etwas von Akkordarbeit.
Der Post, mit dem Bothur ihre Mothode vorgeführt hat (Screenshot: OMR)
Parallel erklärt sie einen weiteren Hack, der sie beim Wachstum ihres Accounts gut vorangebracht habe. Beim Teilen von Zitaten sei es extrem wichtig, dass der eigene Name mit auf dem Bild sei, sagt Bothur. Inhaltlich macht das zwar überhaupt keinen Sinn. Umso mehr aber, wenn das Zitat geteilt wird. Denn dabei werde ja nicht der Account geteilt, der es ursprünglich gepostet hat. Seit sie ihren Namen mit auf die Zitatkachel packe, beobachte sie im Fall von viral gehenden Share Pics spürbares Follower-Wachstum.
Nach einer halben Stunde ist dann die magische Grenze geknackt. In Minute 33 liegt der Post bei 180.000 Impressions, 1.366 Likes, 42 Kommentaren und 43 Reposts. Er läuft nun bereits besser als "richtig gut". Bothur entspannt sich langsam und sagt: "Der Post wird viral gehen." Sie wird Recht damit haben. Und dazu passt ein Satz, den sie zu Beginn des Treffens als einen Aspekt der Erklärung für das überdurchschnittliche Wachstum ihres Accounts angeführt hatte – und der fast poetisch klingt: "Ich hab ein krasses Gefühl entwickelt für dieses Profil und ja, auch für die Algorithmen."
Fragen beantwortet. Sache erledigt. Oder nicht?
Wenn man hört, wie Lara Sophie Bothur über ihre Arbeit spricht, dann lässt sich erahnen, wie hart sie der t3n-Artikel erwischt haben muss. Das Magazin hatte Deloitte im Vorfeld um eine Stellungnahme gebeten. Konfrontiert mit dem Verdacht, betrogen zu haben, habe sie eine 20-seitige Präsentation gebaut, um den Kolleg*innen ihre Arbeitsweise zu erklären und ihre Analytics offengelegt, erzählt Bothur. Darauf erfolgte eine interne Analyse ihres Profils. Die habe keine Auffälligkeiten feststellen können.
Die Ergebnisse habe Deloitte dann an das Magazin zurückgespielt, sagt Bothur. "Wir haben schon mehr Informationen geteilt als ‚Da ist nichts dran an'". Anderthalb Seiten mit Informationen, zum Beispiel zum Verhältnis von Follower-Wachstum pro Impressions und Engagements – eins zu 2.500, beziehungsweise eins zu 40. Sie dachte, damit sei die Sache erledigt, erzählt Bothur. "Für mich war das die Antwort auf die Fragen, die dann geklärt waren."
Mehr als ein Vollzeitjob
Doch der Artikel erschien. Und Bothur fürchtete, dass alles zerstört werden könnte, woran sie in den vergangenen zwei Jahren Tag und Nacht gearbeitet hatte, wofür sie Freundschaften, Familie und ab und an wohl auch sich selbst vernachlässigt hatte. "Es ist ein Vollzeitjob, unglaublich viel Arbeit", sagt Bothur. Und es ist anzunehmen, dass "Vollzeitjob" bei Bothur für mehr als 40 Stunden steht. Sie sei die einzige Person, die Zugriff auf den Account habe, verbringe über ihre Devices hinweg 20 Stunden die Woche auf der Plattform, beantwortet vor dem Schlafengehen als letztes noch ein paar Kommentare, damit die Posts über Nacht noch einmal ein bisschen gepusht werden.
Das stand alles auf der Kippe, weil für ihren Arbeitgeber noch mehr auf dem Spiel stand: "Wir haben festgestellt, wie stark Deloitte mit mir als Einzelperson zusammenhängt", sagt Bothur, "dass meine Reputation mit der Reputation der Marke zusammenspielt." Ein naheliegender Gedanke: dass ihr Arbeitgeber, der qua Tätigkeitsbereich nicht einmal in die Nähe unsauberer Praktiken gerückt werden will, lieber direkt den Stecker zieht.
Eidesstattliche Versicherung für den Arbeitgeber
Deloitte tat zunächst einmal das, was Konzerne in solchen Fällen immer tun: die Firma ordnete Stillschweigen an. Intern war Bothurs Account ja schon gecheckt worden, nun sollte zunächst die Prüfung durch Linkedin abgewartet werden. Bis dahin kein Wort nach draußen. Bothur unterschrieb in dieser Zeit sogar eine eidesstattliche Versicherung, nicht manipuliert zu haben. Kein Zeichen des Misstrauens, sondern ein Standard im Unternehmen, wie Bothur erklärt. Überhaupt habe die Firma ihr sehr den Rücken gestärkt. In den Tagen nach dem Artikel hätte ihr direktester Kollege morgens und abends angerufen, um sich zu erkundigen, wie es ihr geht.
Die gesammelten Tricks und Kniffe, mit denen Bothur arbeitet (Grafik: Deloitte)
Nach kurzer Schockstarre machte sie dann weiter mit ihrer Arbeit. Was sollte sie auch sonst tun? Ihr Linkedin-Auftritt sei inzwischen einer der größten Kanäle für Employer Branding bei Deloitte, sagt Bothur. Kurz vor Erscheinen des t3n-Artikels hatte sie erstmals Sponsored Content auf ihrem Profil ausprobiert. Und die Debatte um ihren Account blieb letztlich fast komplett auf die Linkedin-Bubble beschränkt. Viele bei Deloitte hätten davon zunächst gar nichts mitbekommen, sagt Bothur. Bei den "Allianzen", wie Deloitte Firmen nennt, mit denen es enge Partnerschaften hat, habe keine Panik geherrscht. Nur die Lektorin des Verlags, mit dem Bothur ein Buch herausbringen will, hat verständlicherweise nachgefragt, was da denn los sei.
Dann kam die Analyse von Linkedin, die man aber aus Datenschutzgründen nicht vollständig veröffentlichen dürfe, so Bothur. "Ich hätte sie ans Schwarze Brett gehängt." Eine Zusammenfassung wurde mit einigen Medien geteilt (und liegt auch OMR vor). Auch wenn die Diskussionen um die Causa Bothur in Corporate-Influencer-Kreisen und auf einigen Discord-Servern anhalten, für Deloitte ist der Fall erledigt. Für sie und ihren Arbeitgeber sei es ein bisschen wie eine Beziehungskrise gewesen, so Bothur. Aber am Ende habe es einander enger zusammengebracht.
150 neue Follower in einer Stunde
Mittlerweile ist fast eine Dreiviertelstunde vergangen. Der Post hat 283.000 Impressions, 2.060 Likes, 56 Kommentare und 66 Reposts. Sechs Minuten später sind es bereits 334.000 Impressions, 2.400 Likes, 66 Kommentare, 72 Reposts. Das Video des kleinen Jungen mit der Hulk-Hand geht eindeutig viral. Nach einer Stunde werden es 419.000 Impressions, 3.052 Likes, 80 Kommentare und 89 Reposts sein. Bothur hat in dieser Zeit 150 Follower gewonnen.
"Ehrlich gesagt ist mir durch diese Debatte überhaupt erst mal wieder klar geworden, dass wirklich Menschen beobachten, was ich tue", sagt Bothur. Sie klickt auf ihre Linkedin-Analytics. Über 307 Millionen Impressions hatten ihre Posts in den vergangenen 365 Tagen. Durch das heute veröffentlichte Video werden nach 48 Stunden 4,8 Millionen weitere dazugekommen sein. Außerdem gewinnt sie über dieses Wochenende 2.633 neue Follower.
Mehr Commitment geht nicht
"Ich frage mich wirklich, ob andere das auch so machen", sagt Lara Sophie Bothur über die Methode Bothur. Nach den Geschehnissen der vergangenen Wochen denkt sie – die Ironie liegt auf der Hand – darüber nach, ob es wirklich so sinnvoll ist, alles immer selbst zu machen. Bislang unterstütze sie allein eine Werkstudentin bei der Themenrecherche.
Von außen betrachtet wirkt Bothur mehr als nur extrem engagiert. Wenn man sie beobachtet, wie sie ihre Beiträge auf maximale Reichweite pusht. Wenn sie erzählt, wie sie auf Events und Messen potenzielle Protagonisten für ihre Posts abklappert, Selfies macht, Zitate sammelt. Wenn sie den Tränen nahe ist, als sie von der Sorge berichtet, ihren Account zu verlieren. Wenn man selbst von ihr am späten Abend und am Wochenende Screenshots von Analytics geschickt bekommt, die sie entlasten sollen.
Was sagen ihre Kritiker*innen?
Inzwischen sind mehr als drei Monate seit dem t3n-Artikel vergangen. Bothur strebt auch außerhalb von Linkedin zurück in die Öffentlichkeit. Events besucht sie bereits seit längerem, neulich gab sie dem Branchenmagazin "Horizont" ein erstes Interview, in dem sie ihre wichtigsten Hacks knapp umreißt. Zweifler*innen konnte auch das bislang nicht überzeugen. Doch was sagen eigentlich diejenigen, die die ganze Sache mit ihrer Einschätzung ins Rollen gebracht haben?
OMR hat die Expert*innen aus dem t3n-Artikel um ein Statement gebeten. Klaus Eck verweist gegenüber OMR auf eine Folge seines Podcasts, in der er sich unter anderem mit Lara Sophie Bothur befasst hat. Darin geht es um die Definition von Corporate Influencern. Eck versteht darunter Mitarbeitende, die ihre Fachexpertise neben ihrer eigentlichen Rolle nach außen tragen. Personen, die sich wie Bothur in Vollzeit ihren Social-Media-Profilen widmen, betrachte er eher als Business Influencer und nicht Vorbild für Corporate Influencer. Eck will das nicht als Abwertung verstanden wissen, aber als eine andere Rolle, deren Inhalte und Methoden und Inhalte sich von Corporate Influencern wie er sie versteht unterscheiden. Grundsätzlich aber hält er die von Bothur erzielte Reichweite für machbar, aber eher ungewöhnlich.
Linkedins Fake-Account-Problem
Britta Behrens sagt gegenüber OMR, sie könne Bothurs Followerwachstum und Engagement organisch noch immer nicht plausibel nachvollziehen. Dass das globale Deloitte-Netzwerk im Sinne eines "internen Poddings" auf die Engagement-Werte starken Einfluss nehmen kann, ist möglich. Hier würde ein transparenter Nachweis über die Creator-Engagement-Analytics bei viralen Posts zur Aufklärung beitragen. Nach wie vor irritiere es sie, dass Linkedin bei der Überprüfung keinerlei Unregelmäßigkeiten festgestellt haben will. "Das ist in meinen Augen unglaubwürdig", sagt Behrens.
Die Plattform habe bekanntermaßen ein gewaltiges Problem mit Fake-Accounts, so Behrens. Auch in Verbindung mit Bothurs Profil begegnen ihr bis heute verdächtige Profile, die mit ihrem Content interagieren – welchen Ursprungs auch immer. Behrens Fazit zu einer Debatte, in der eigentlich alles gesagt wurde: "Es existieren also immer noch einige Fragezeichen, die nicht aufgelöst wurden."
Unverständnis, keine Anschuldigungen
Außerdem hat OMR mit Pip Klöckner gesprochen, der den t3n-Artikel damals im Doppelgänger Podcast ausführlich diskutiert und eine eigene Analyse unternommen hatte. Er sagt, dass er keinen deutschen oder internationalen Account kenne, der über längere Zeit organisch um mehr als zehn Prozent im Monat wachsen konnte. Er halte es für unwahrscheinlich, dass Bothur über Insights verfügt, die andere Top Vioces und professionell geführte Accounts mit großen Teams nicht hätten. Die von Deloitte und Bothur vorgebrachten Erklärungen könnten Zweifel seiner Meinung nach nicht ausreichend ausräumen.
Allerdings sei es ihm auch nicht gelungen, Bothurs Account Verstöße nachzuweisen. "Insofern wäre es auch falsch über mein Unverständnis hinaus irgendwelche Anschuldigungen zu erheben", sagt Klöckner. Dafür hat er einen Vorschlag: "Ich persönlich hielte es für die beste Lösung, wenn Linkedin Meta-Daten zu den Logins in den Account veröffentlicht und allein der Transparenz gegenüber anderen Creator*innen halber erklärt, warum dieser Account so erfolgreich war."
Was aber bleibt für Lara Sophie Bothur von der Affäre? Emotional sei sie immer noch geschädigt, sagt sie. Klar, niemand hat sie gezwungen, all die hämischen Kommentare zu lesen, den Spott über eine, die lieber den Fahrstuhl als die Treppe nehmen würde. Zugleich habe sie in der Zeit viel Zuspruch erfahren, sagt Bothur. Von Kolleg*innen und von anderen Frauen mit großer Social-Media-Reichweite. Die mit eigener Shitstorm-Erfahrung rieten ihr, die Linkedin-App von ihrem Handy zu destillieren – was aus naheliegenden Gründen keine Option war.
"This is not a pod"
Es bleibt aber auch Selbstkritik. Vielleicht habe sie ab und an etwas zu sehr für sich getrommelt. Trage in den Augen mancher zu offensiv das Label "No 1 most influential LinkedIn Creator in GER" vor sich her. Und zugleich wirkt es, als mache es Bothur noch immer ratlos, wie sie überhaupt in diese Situation gekommen ist. Linkedin mag das größte Business-Netzwerk sein, die zugehörige Bubble ist klein. Zwangsläufig begegnet sie da ihren Kritiker*innen. Zumindest versteckt Bothur sich nicht. Im Gegenteil. Ende April postete Pip Klöckner in seiner Insta-Story ein Selfie mit Lara Sophie Bothur. Der Text: "When in doubt. Choose to talk. Always."
Sie frage sich inzwischen, wer eigentlich ihre Peergroup ist, sagt Bothur. "Ich glaube nicht, dass es die deutschen Linkedin-Influencer sind." Denn die würden ja alle auf Deutsch posten, hätten entsprechend keine so internationale Community. Vermutlich sind es eher die neun Personen, mit denen sie eine WhatsApp-Gruppe teilt. Darin sind die meisten der Linkedin-Influencer, die von der Analytics-Plattform Favicon auf den ersten Plätzen ihres globalen Ratings geführt werden. Sie tausche sich hier mit den vor allem aus den USA stammenden Peers über ihre besten Hacks aus, erklärt Bothur. Eines aber sei verpönt: Links zu eigenen Beiträgen zu teilen. Und damit niemand auf die Idee kommt, steht es bereits in der Gruppenbeschreibung: "This is not a pod".