Mit Youtube zum Milliarden-Biz: Der Toy-Riese MGA ist kaum bekannt, aber größer als Mattel

Gründer Isaac Larian erfand erst die Anti-Barbie und dann die Unboxing-Puppe

L.O.L. Surprise OMG
(c)MGAE
Inhalt
  1. Kampf gegen Produktpiraten
  2. Selfmade-Toy-Story
  3. Auftritt Anti-Barbie
  4. Puppe für die Generation Youtube
  5. Der Kugel Kern
  6. Youtube first, Tiktok next
  7. Das Ende kommt gewiss

Lego hatte 2019 einen Jahresumsatz von 5,2 Milliarden Dollar, Hasbro von 4,7 Milliarden, Mattel setzte 4,5 Milliarden um. Lässt man den Entertainment-Mischkonzern Disney einmal außen vor, sind das die bekannten Namen der Spielwaren-Branche. Fast. Denn der größte fehlt noch in der Liste: MGA Entertainment, mit mehr als fünf Milliarden Dollar Jahresumsatz der inzwischen wohl umsatzstärkste Player im Toy-Biz. OMR erzählt die Story des wenig bekannten Spielzeug-Giganten, der in wenigen Jahren vom unbedeutenden Lizenznehmer zum Besitzer einiger der wertvollsten Spielwaren-Assets der Welt geworden ist – auch, weil der Gründer früh das Potenzial von Youtube erkannt hat.

Kampf gegen Produktpiraten

Pressemitteilungen sind keine Texte, die mit Genugtuung geschrieben werden. Doch aus dem Statement, das der Spielwarenhersteller MGAE im vergangenen Juli veröffentlicht hat, tropft die Zufriedenheit. Nicht nur, dass der chinesische Produktpirat die gefälschten Produkte vernichten und eine Entschädigung zahlen musste. Ein lokales Gericht hat ihn außerdem dazu veruteilt, MGAE eine Entschuldigung zu schreiben:

“Wir versprechen feierlich, dass wir (…) von nun an niemals mehr die eingetragenen Warenzeichen oder andere Rechte an geistigem Eigentum Ihres Unternehmens verletzen werden”, heißt es in dem Brief. Es ist nicht überliefert, ob das Original gerahmt an der Wand im Büro von Isaac Larian hängt. Doch der Gründer und CEO von MGAE hat jeden Grund auf Produktpiraten sauer zu sein. Allein 2019 seien im Rahmen von 20 Beschlagnahmungen insgesamt 300.000 L.O.L.-Surprise!-Puppen sichergestellt worden, teilt das Unternehmen mit.

Wobei man es auch so sehen kann: Wessen Produkt hunderttausendfach kopiert wird, der macht eigentlich alles richtig. Tatsächlich sind die Puppen mit dem komischen Namen eine der cleversten Innovationen in der eher behäbigen Spielwarenbranche: Mit L.O.L Surprise ist Larian das Kunststück gelungen, die digitale Lebenswirklichkeit heutiger Kinder in ein begehrenswertestes analoges Spielzeug zu übersetzen.

Selfmade-Toy-Story

Larian kam 1971 als Teenager nach Kalifornien, im Gepäck wenig mehr als die rund 700 Dollar, die er sich von seinem Onkel daheim in Teheran geborgt hatte. Nachdem die iranische Revolution seinen Plan vereitelt hatte, nach dem Studium in den Iran zurückzukehren, gründete Larian 1979 zusammen mit seinem Bruder ein Import-Export-Unternehmen, das sich bald auf Elektronikartikel spezialisierte.

Unter den Produkten, die Micro Games of America – aus dem später MGA Entertainment wurde – in den USA verkaufte, war Nintendos Gameboy-Vorgänger Game & Watch. Außerdem hatte er Spielwaren-Lizenzen für Power Rangers und Hello Kitty erworben.

Als Mitte der 90er ein Spielzeug-Konstrukteur Larians Weg kreuzte, der eine sprechende Puppe erfunden hatte, die aber keiner der großen Hersteller haben wollte, schlug Larian zu. “Singing Bouncing Baby” wurde 1997 zu einem Überraschungserfolg.

Auftritt Anti-Barbie

Um das Jahr 2000 war Larian auf der Suche nach einem neuen Produkt. Mittlerweile hatte er verstanden, dass man als Lizenznehmer zwar gutes Geld verdienen kann, die wahren Profite jedoch auf der anderen Seite landen. So entstand die Idee zu den Bratz-Puppen, die als Anti-Barbie berühmt geworden sind. Die Puppen unterschieden sich radikal von der überlangbeinigen Blondine. Sie hatten riesige Köpfe auf winzigen Unterkörpern. Vor allem aber waren sie radikal zeitgenössisch und modisch gekleidet.

Bratz-Puppe "Jade"

Bratz-Puppe „Jade“, (c)MGAE

Mastermind hinter Bratz war ein Designer, der zuvor bei Mattel an der Barbie gearbeitet hatte. Sein Traum war eine eigene Puppen-Serie. Mit Skizzen wurde er nun bei dem damals noch relativ kleinen Konkurrenten seines früheren Arbeitgebers vorstellig. Larian gefielen die Zeichnungen zwar nicht, seiner zwölfjährigen Tochter allerdings schon. Also machte er den Traum des Designers wahr – und stürzte sich damit in eine der größten Rechtsschlachten der Spielwarengeschichte.

2001 kam Bratz auf den Markt, vier Jahre später machte MGAE mit der Serie bereits eine Milliarde Dollar Umsatz. 2006 löste Bratz Barbie als meistverkaufte Puppe ab. Mattel sah natürlich nicht tatenlos zu. Zum einen launchte der Konzern ein ähnliches Produkt. Vor allem aber verklagte man zum einen den Designer. Der Vorwurf: Dieser habe die Bratz-Puppen während seiner Arbeitszeit bei Mattel entwickelt. Außerdem verlangte der Konzern von MGAE Schadensersatz in Höhe von einer Milliarde Dollar. Der Rechtsstreit zog sich über Jahre, die Honorare der Anwälte sollen sich letztlich auf 600 Millionen Dollar summiert haben.

Puppe für die Generation Youtube

2015 hatte Larian dann eine noch viel größere Idee als Bratz. Wie immer klingt die in der Rückschau so plausibel wie naheliegend: „das ultimative Unboxing-Spielzeug“. Seit Beginn des Jahrzehnts hatten sich Videos, auf denen Menschen Produkte aus der Verpackung holen und das kommentieren, zum reichweitenstarken Youtube-Subgenre entwickelt.

Schon im Jahr 2014 hatte es der Kanal DisneyCollectorBR mit Spielzeug-Unboxing-Videos zum profitabelsten Kanal der Plattform gebracht. Heute nehmen Toy-Influencer im Grundschulalter jährlich achtstellige US-Dollar-Summen ein und führen das Umsatz-Ranking der Youtube-Creator an: der neunjährige Ryan Kaji von Ryan’s Toy Reviews und die sechsjährige Anastasia Radzinskaya von „Like Nastya“ (hier im OMR Porträt) sind die erfolgreichsten unter ihnen.

Larians geschäftlicher Spürsinn hat ihn dieses Potenzial offenbar schon früh erahnen lassen. Seine Kinder hätten ihn darauf gebracht, bei Youtube nach “Apple iPhone unboxing” zu suchen, hat der MGAE-Gründer einmal der New York Times erzählt. Er habe kaum glauben können wie verrückt die Leute sind – bis er „toy unboxing“ in den Suchschlitz tippte.

Der Kugel Kern

MGAEs Designer entwickelten daraufhin eine Puppe, die für Taschengeld-konforme 8 bis 13 Euro verkauft wird, und deren zentraler Mehrwert darin besteht, sie möglichst spektakulär auszupacken (und das am besten zu filmen und bei Youtube hochzuladen). Entsprechend wurde L.O.L Surprise konsequent von der Verpackung zum eigentlich Produkt hin erdacht.

Das beginnt mit einer blickdichten Plastikkugel, in der nach einer Art Zwiebelprinzip kleine Überraschungen wie Teile des Outfits oder Rätsel und letztlich die eigentliche Puppe versteckt sind. Nach dem Vorbild von Stickerheften gibt es Puppen unterschiedlicher Seltenheit, die gesammelt werden können. In Wasser getaucht, enthüllen die Puppen weitere Geheimnisse wie Tattoos – oder auch eher fragwürdige Gimmicks.

Auch der Name scheint in direkter Verbindung zu Youtube zu stehen. Die unabhängige Digitalberaterin Julie Young vermutet dahinter eine smarte SEO-Strategie. “L.O.L.” und “Surprise” sind bei Youtube beliebte Keywords, die man häufig in Titeln von Content für Minderjährige finde, nach denen Kinder also entsprechend oft suchen würden.

Youtube first, Tiktok next

Eine Spielwarenmarke um Youtube herum aufzubauen und über Toy-Influencer in den Markt zu bringen, ist auch aus einem anderen Grund smart. Anders als beim Fernsehen, gibt es hier keine strengen Werbebeschränkungen. Und laut einer aktuellen Studie, die den Bewegtbildkonsum der 3- bis 17-Jährigen in Deutschland untersucht hat, gilt Youtube in allen Altersgruppen als die wichtigste Streaming-App. Auf Platz zwei folgt Netflix – außer in der Gruppe der 11- bis 13-Jährigen, wo inzwischen Tiktok die nach Youtube zweitwichtigste App darstellt. Zwar dominieren bei jungen Nutzern aus dem TV-bekannte Formate wie „Paw Patrol“, doch bereits 22 Prozent der 11- bis 13-jährigen Mädchen nennen Youtuber als Vorbilder.

Trotzdem war L.O.L. Surprise zunächst kein Selbstläufer. So lehnte Walmart es ab, die Puppen zu listen. Auch der in den USA wichtige Retailer Target habe sich erst dazu durchgerungen, nachdem Larian damit gedroht hatte, das Unternehmen über seinen Twitter-Kanal zu verleumden. So erzählte es der MGAE-Gründer zumindest der New York Times.

Mittlerweile ist um L.O.L. Surprise eine ganze Produktwelt entstanden. Neben den eigentlichen Puppen gibt es Zubehör wie Autos oder das “L.O.L. Surprise Winter Disco Chalet”, Listenpreis 279 Euro. Vor etwas mehr als einem Jahr brachte MGAE außerdem die Line-Extension L.O.L. OMG heraus. Eine größere Version, die sehr nach einer direkten Attacke auf die ewigen (und entgegen Larians Prognosen nicht tot zu kriegende) Rivalin Barbie aussieht. MGAE hat bereits mit dem Fashion-Händler Uniqlo für eine T-Shirt-Kollektion kollaboriert und gerade das erste L.O.L.-Surprise-Spiel für Nintendo Switch angekündigt.

Das Ende kommt gewiss

Da Larian kein Unternehmer ist, der Trends verpassen möchte, hat er auf der New Yorker Spielwarenmesse im Februar eine weitere Innovation angekündigt: Ab 2021 sollen die Verpackungen der L.O.L.-Surprise-Puppen vollständig biologisch abbaubar sein.

Und weil Larian vielleicht nicht nur den Schutz der Umwelt im Sinn hat, sondern um die Vergänglichkeit eines jeden Trendprodukts weiß, hat er auf der Messe auch schon den nächsten Schritt angekündigt: 2025 sollen nicht mehr nur die Verpackungen restlos abbaubar sein, sondern sämtliche Produkte von MGAE.

Youtube
Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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