600.000 Euro Umsatz, davon 80 Prozent über Tiktok: Lockcards Weg in „Die Höhle der Löwen“

Wie drei Mittzwanziger ein Startup rund um ein minimalistisches Portemonnaie aufbauen

Das Lockcard-Gründer-Team: (von links) Aaron und David Rau und Jonas Weber
Das Lockcard-Gründer-Team: (von links) Aaron und David Rau und Jonas Weber (Foto: Unternehmen)
Inhalt
  1. Marktreife nach 40 Prototypen
  2. Den Keller voller 3D-Drucker
  3. Fast 8.000 monatliche Bestellungen dank Tiktok
  4. „Mittlerweile kommt mehr Umsatz über Youtube“
  5. Sechs- bis siebenstellige Views pro Tag
  6. Dümmel und Maschmeyer investieren

Drei junge Unternehmer aus Baden-Württemberg haben einen Geldbeutel erfunden, der bei Tiktok durch die Decke geht und mit dem sie gerade einen Deal in „Die Höhle der Löwen“ abgeräumt haben: Das sogenannte Lockcard Wallet vereint Schlüsselbund und Geldbörse. Im Gespräch mit OMR verraten die Gründer, wie sie ihren Absatz in die Höhe schraubten und was ihnen in schwierigen Phasen half.

Wer abends unterwegs ist, im Club tanzt oder sich in der Eckkneipe trifft, kennt das Problem. Ein Griff in die rechte Hosentasche: Ist alles noch da? Geldbeutel, Schlüssel, Handy? Wie schön es wäre, sich dieses ständige nervöse Checken sparen zu können, dachte sich Lockcard-Gründer Aaron Rau. 2019, in seiner Abiturszeit, kommt er deswegen auf die Idee für das „Keyplate“: eine Kombination aus Schlüsselbund und Portemonnaie.

Marktreife nach 40 Prototypen

Aaron stellt seine Idee seinem ehemaligen Mitschüler Jonas vor, der sofort begeistert reagiert. Zwar nehmen beide zunächst einmal ein Studium auf, feilen in ihren freien Stunden aber an ersten Prototypen des Keyplates. Bald merken sie, dass sie nicht beides gleichzeitig machen können und brechen ihr Studium ab, um sich zu 100 Prozent der Entwicklung ihres Produkts widmen zu können.

Aarons Vater, ebenfalls ein Tüftler, bringt die beiden auf die Idee, ihr Produkt mit einem 3D-Drucker herzustellen. Aaron lernt CAD (Computer Aided Design) und widmet sich Tag und Nacht dem Projekt. Nach rund 40 Prototypen aus dem 3D-Drucker ist die Keyplate marktreif. Im Oktober 2020, nach einem Jahr Entwicklungszeit, starten Aaron und Jonas mit dem Verkauf des Produkts auf Ebay. Ihr Ziel: Tausend Keyplates zu verkaufen.

Den Keller voller 3D-Drucker

Doch der Start verläuft nicht so gut wie erhofft. „Wir dachten, jeder braucht das Produkt und sobald wir anfangen es zu verkaufen, wird es ein Renner und alle reißen es uns aus den Händen.“ Doch nachdem sie Produktfotos in ihren Jugendzimmern gemacht haben und diese bei Ebay eingestellt haben, passiert erst einmal: nichts. 6.000 Euro und viele Arbeitsstunden haben die beiden da bereits in ihr Startup gesteckt. Doch aufgeben wollen sie nicht: Aaron ist vom Produkt überzeugt.

Sie setzen sich das Ziel, ihr Projekt mindestens 30 Tage lang durchzuziehen, egal, was kommt. Die Ausdauer macht sich bezahlt: Nachdem sie einen eigenen Onlineshop eingerichtet haben, kommen die ersten Bestellungen rein. „Da haben wir gesehen: Es funktioniert“, sagt Aaron und lacht. Inzwischen haben Aaron, dessen später dazugestoßener, älterer Bruder David und Jonas den Keller im Haus der Familie Rau mit 3D-Druckern und anderen teuren Maschinen vollgestellt. Rund 600.000 Euro Umsatz hat das Unternehmen Lockcard im vergangenen Jahr erwirtschaftet. Aber was brachte die entscheidende Wende?

Fast 8.000 monatliche Bestellungen dank Tiktok

Anfangs experimentieren die Unternehmer zunächst mit Werbung auf Facebook und Instagram. In den ersten drei Monaten mit Social-Media-Werbung machen sie 7.000 Euro Umsatz. Jonas kümmert sich um den Onlineshop und Aaron tüftelt weiter an der Produktentwicklung. Ohne Fremdkapital müssen sie viele Probleme lösen. So kommen sie auf die Idee, nicht nur eine Schlüsselkarte, sondern auch eine kleine Geldbörse zu entwickeln, die modular zusammengestellt werden kann. Das „Lockcard Wallet“ ist geboren. Minimalistische Geldbörsen sind zwar kein ganz neues Produkt: Firmen Ridge Wallet, Elephant Wallet oder Bellroy verkaufen diese schon seit Jahren. Doch die flexible, modulare Lösung der jungen Württemberg findet trotzdem einen Markt  und verkauft sich erstaunlich gut.

Dann kommt Tiktok – damals in Deutschland noch weniger bekannt. Als die drei Gründer auf der Plattform damit beginnen, die Geschichte ihres Startups zu erzählen, bildet sich schnell eine kleine Fangemeinde. Die Jungunternehmer nehmen die Anregungen aus der Community auf und lassen sie in die Produktentwicklung einfließen. Mit der Bekanntheit des Kanals auf Tiktok steigen auch die Verkaufszahlen rasant. Im vergangenen Jahr machte Lockcard nach eigenen Angaben einen sechsstelligen Umsatz – 80 Prozent davon über Tiktok. Etwa 7.750 Kundenbestellungen gingen derzeit pro Monat ein.

Produktdemonstration plus Humor funktioniert: Mit 3,6 Millionen Abrufen ist dieser Clip der meistgesehene auf dem Tiktok-Account von Lockcard

„Mittlerweile kommt mehr Umsatz über Youtube“

In USA wird aktuell ein Verbot von Tiktok diskutiert. Hintergrund ist die Sorge, dass chinesische Behörden und Geheimdienste Informationen von Nutzer*innen sammeln und missbräuchlich einsetzen könnten. Tiktok gehört zum chinesischen Konzern Bytedance.  Nicht nur in den USA, sondern auch in Großbritannien, Kanada, Australien und innerhalb der EU-Kommission ist TikTok auf Diensthandys von Regierungsmitarbeitenden deswegen bereits verboten.

Doch David Rau, der bei Lockcard für das Marketing und die Tiktok-Videos verantwortlich ist, macht sich keine Sorgen. „Wir sind nicht mehr nur von Tiktok abhängig. Im vergangenen Jahr haben wir unsere Reichweite auf andere Plattformen ausgeweitet“, so David. Ein Discord-Server, über den die Gründer sich mit ihrer Community austauschen, verzeichnet 13.000 Nutzer*innen. Und den 260.000 Abonnent*innen auf Tiktok stehen nun 25.000 Follower*innen auf Instagram sowie 13.000 Abonnent*innen auf Youtube gegenüber. „Interessanterweise ist YouTube in den letzten zwei Monaten sogar für doppelt so viel Umsatz verantwortlich, wie Tiktok“, so der Lockcard-Mitgründer.

Mit 2,2 Millionen Views das meist abgerufene Youtube Short von Lockcard

Sechs- bis siebenstellige Views pro Tag

Dennoch habe Tiktok einen großen Anteil an ihrem Erfolg im vergangenen Jahr gehabt. „Ich glaube, ein Teil unseres Erfolgs auf Tiktok liegt daran, dass wir so nahbar sind. Wir zeigen, was wir können und was wir nicht können – wir zeigen auch Dinge, die bei uns nicht so gut funktionieren. Aber daraus lernen wir immer und genau das teilen wir mit unserer Community.“ Wichtig sei Regelmäßigkeit: „Nur mit Konsistenz kann man eine Community aufbauen und wird damit Teil ihres Lebens“, betont David. In der Konsequenz bedeutet das täglich ein Kurzvideo auf Tiktok, Instagram und Youtube Shorts zu veröffentlichen und alle zwei Wochen ein längeres Video für YouTube, in dem die Community tiefere Einblicke in Produktionsprozesse, die Produktentwicklung oder das Startup gewinnt. Zusätzlich experimentiert Lockcard mit einem Podcast.

„Wenn man auf Social Media unterwegs sein will, liegt der wahre Wert nicht in den viralen Hits, die man landet, sondern in der Größe der Community, die sich regelmäßig deine Videos ansieht“, sagt David. Der Lockcard-Account von Tiktok verzeichnet mindestens 100.000 Views täglich, dazu kommen die Youtube Shorts mit vergleichbar hohen Aufrufzahlen. „Wir erreichen mit unseren Kurzvideos zuverlässig zwischen 200.000 und einer Million Menschen pro Tag.“ Dabei sei der erste Satz im Video, die so genannte „Hook“, besonders wichtig: „Sie weckt die Aufmerksamkeit des Zuschauers und animiert ihn, das ganze Video anzuschauen.“ Generell sei das „Social-Media Game“ aber kein Sprint, sondern ein Marathon, sagt David.

Dümmel und Maschmeyer investieren

Anfang April nehmen die Gründer mit Lockcard an der 13. Staffel der Startup-Show „Die Höhle der Löwen“ teil. Die Promi-Investoren sind begeistert – vom Produkt und ebenso von den jungen Gründern. Alle Löwen wollen investieren. „Es sind zwei mega Jungs. Das tollste, neben dem Produkt – welches eine echte Erfindung ist – sind die Reife und der Mut dieser 20- und 21-jährigen Jungs“, so Carsten Maschmeyer. Am Ende gehen die jungen Gründer aus Gerstetten einen Deal mit Carsten Maschmeyer und Ralf Dümmel ein. Beide hatten für einen 25-prozentigen Anteil 200.000 Euro, eine Plakatkampagne für 250.000 Euro, Pressekontakte und Mentoring geboten.

Der Deal in „Die Höhle der Löwen“ bietet den Lockcard-Gründern neue finanzielle Möglichkeiten. Nun wollen sie expandieren und in eine größere Stadt ziehen, um ihrem schnell wachsenden Team mehr Platz zu bieten. Außerdem haben sie bereits einige Ideen für neue Produkte und arbeiten an deren Umsetzung. Auch ihre Marketingstrategie bauen sie aus. „Es wird ein ereignisreicher Sommer“, sagt David Rau schmunzelnd.

Die Höhle der LöwenDiscordInstagramLockcardTikTokYoutube
Angela Woyciechowski
Autor*In
Angela Woyciechowski

Angela sammelte erste redaktionelle Erfahrungen als Nachrichtensprecherin beim Hochschulradio und im Rahmen von Projektassistenzen beim NDR und ZDF. Nach Tätigkeiten im Online-Marketing und freier Mitarbeit bei der Badischen Zeitung (Freiburg), ist sie seit Juli 2023 im Redaktionsteam von OMR.

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