Google Shopping wird teilweise kostenlos – Kann Google damit Amazon Paroli bieten?

OMR Analyse: Was wirklich hinter Googles jüngstem Schritt steckt

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Inhalt
  1. „Das hat für einen ‚Wow-Effekt‘ gesorgt“
  2. Leider doch „vergleichsweise irrelevant“
  3. Auch in Zukunft gibt es kostenpflichtige Produkt-Listings
  4. „Jetzt melden sich die an, für die das bisher uninteressant war“
  5. Bewältigt Google jetzt die „ROPO-Challenge“?
  6. Wird sich das Inventar von Google Shopping verfünfzehnfachen?
  7. Amazon gräbt Google die Wachstumspotenziale ab
  8. Internes Strategiepapier „Amazon Compete“
  9. „Google hat für uns bisher nicht funktioniert“
  10. In der Corona-Krise sinken die Klickpreise
  11. Google baut an einem eigenen Marktplatz
  12. Warum rollt Google die Shopping Actions nicht weiter aus?

Als Händler die eigenen Produkte komplett gratis bei Google einstellen und auf diese Weise kostenfrei Reichweite, Klicks und möglicherweise im großen Stil Verkäufe und Umsatz generieren: Diese Hoffnung dürfte in der vergangenen Woche bei vielen Händlern aufgelodert sein, nachdem der Suchmaschinenkonzern ankündigte, die Einstellung von Produkt-Listings in Google Shopping, die bis dahin zahlenden Anzeigenkunden vorbehalten war, bald gratis anzubieten. Aber ist diese Hoffnung wirklich berechtigt? Und warum geht Google diesen Schritt? OMR hat Stimmen aus der Branche eingeholt und beleuchtet die Hintergründe.

„Es ist jetzt kostenlos, auf Google zu verkaufen“, so der vollmundige Titel des Textes im Google-Unternehmensblog, in dem Bill Ready, bis Januar diesen Jahres für Paypal tätig und seitdem Chef der „Commerce“-Sparte von Google, ankündigt: Der Handel habe viele Bedrohungen über die Jahre erleben müssen, die Corona-Krise habe diese noch einmal verstärkt. „Im Lichte dieser Herausforderungen treiben wir unsere Pläne voran, es Einzelhändlern kostenlos zu ermöglichen, über Google zu verkaufen.“

„Das hat für einen ‚Wow-Effekt‘ gesorgt“

Die Ankündigung klingt beim oberflächlichen Lesen so, als ob Google mit der eigenen Produktsuche zu deren Wurzeln zurückkehrt: 2002 als „Froogle“ gestartet, waren Einträge in diesem Teil von Google bis 2012 kostenlos. Dann änderte Google das Konzept in „Pay to Play“ um, und seitdem waren nur noch bezahlte Produkteinträge im in „Google Shopping“ umbenannten Service zu finden. Die Werbetreibenden zahlten für jeden über Google Shopping generierten Klick.

Florian Nottorf

Dass Google nun zumindest eine teilweise Kehrtwende vollzieht, hat in der Branche viel Aufsehen erregt. „Durch Headlines wie ‚Google Shopping wird kostenlos‘ hat Google mit diesem Schritt in der vergangenen Woche eine enorm hohe Aufmerksamkeit generiert. Da gab es bei Pay-per-Click-Experten, Kunden und Interessenten schon so etwas wie einen Wow-Effekt“, sagt Florian Nottorf, Mitgründer und CEO von Adference. Das Lüneburger Unternehmen (seit 2019 im Besitz des Modehändlers About You) bietet eine Software zur Optimierung von Pay-per-Click-Werbung auf Plattformen wie Google und Amazon an. Nach eigenen Angaben fließt jährlich ein Budget von 400 Millionen Euro durch Adferences Tool.

Leider doch „vergleichsweise irrelevant“

Adferences Geschäft über Google Shopping wird sich aber wohl in Zukunft nicht grundlegend ändern. Denn: „Beim zweiten Hinschauen ist klar geworden, dass nur ein kleiner Teil von Google Shopping, der noch dazu vergleichsweise irrelevant ist, kostenlos wird“, so Nottorf. Denn im Text von Google-Manager Ready heißt es: „Ab kommender Woche werden die Suchergebnisse in Googles Shopping-Reiter (Hervorhebung OMR, Anm. d. Red.) hauptsächlich aus kostenlosen Einträgen bestehen.“

Google bindet auf den eigenen Plattformen an mehreren Stellen Produkteinträge ein. Zum einen in einem gesonderten Shopping-Bereich, zum anderen aber auch – bei Suchen nach konkreten Produkten – in der „Hauptsuche“. Letztere bekommen deutlich mehr Klicks als jene Produkte, die Google im Shopping-Bereich einblendet, für den die Nutzer auf einen speziellen Reiter klicken oder die URL shopping.google.de eingeben müssen. „Über den Shopping-Reiter geht kaum Traffic – fünf bis maximal zehn Prozent des Traffics von Google Shopping“, sagt Florian Nottorf. „Bei größeren Sales-Volumina mag das eine Rolle spielen, aber für kleinere Händler ist das irrelevant.“

Auch in Zukunft gibt es kostenpflichtige Produkt-Listings

In Googles Ankündigung aus der vergangenen Woche sind die Produkteinblendungen in Googles allgemeiner Suche zwar nicht explizit ausgeschlossen. Eine Google-Unternehmenssprecherin bestätigte jedoch gegenüber OMR: „Die Ankündigung bezieht sich nur auf Google Shopping.“ So werden die Produkt-Listings in Googles Suche also weiterhin kostenpflichtig sein – und auch im Shopping-Tab werden weiterhin Anzeigen über den kostenlosen Einträgen auftauchen. Laut Googles Blog-Eintrag werden die Gratis-Listings zuerst in den USA ausgerollt, in den anderen Märkten soll der Schritt bis zum Ende des Jahres erfolgen. Auf Twitter sind bereits erste Screenshots von organischen Produkt-Listings in den USA aufgetaucht.

„Man sollte das natürlich mitnehmen, sobald es in Deutschland ausgerollt wird,“ meint Google-Ads-Experte Carlo Siebert. Der Freelancer verwaltet im Auftrag seiner Kunden Google-Ad-Budgets in Millionenhöhe und ist Autor mehrerer OMR Reports. Er schätzt den Anteil des Shopping-Reiters am Gesamt-Traffic von Google Shopping als genauso gering ein wie Florian Nottorf. „Ich glaube, der Schritt ist eher eine PR-Maßnahme von Google, um Händler dazu zu bekommen, sich für ein eigenes Merchant Center anzumelden.“ Über das „Merchant Center“ können Händler ihre Produkte in Google Shopping einpflegen sowie Anzeigen schalten und verwalten.

„Jetzt melden sich die an, für die das bisher uninteressant war“

Carlo Siebert

„Google wird damit vor allem kleinere, lokale Händler davon überzeugen, sich für ein ‚Merchant Center‘ anzumelden und ihre Produkte bei Google Shopping einzustellen“, prognostiziert Philipp Klöckner. „Die haben sich bisher nicht mit Google Ads und Google Shopping vertraut gemacht, weil es zu kompliziert war und es sich für sie nicht gelohnt hat. Aber wenn das Listing umsonst ist, dürfte das anders aussehen.“

Klöckner ist einer der profiliertesten Digital-Marketing-Berater und  Suchmaschinenexperten Deutschlands. Er begleitet und analysiert Google seit vielen Jahren; in der jüngsten Folge des OMR Podcasts schildert er u.a., wie es dazu kommen könnte, dass er im Rahmen eines Gerichtsverfahrens als erster „SEO“ möglicherweise Googles Suchalgorithmus einsehen kann.

Bewältigt Google jetzt die „ROPO-Challenge“?

Philipp Klöckner

Googles jüngsten Schritt mit Google Shopping interpretiert Klöckner weniger als Krisenhilfe für Händler denn als eine strategische Maßnahme Googles: „Aus dem so genannten ROPO-Effekt – ‚Research Online, Purchase Offline‘ – Profit zu schlagen, ist bisher noch keiner der großen Digitalplattformen gelungen“, so Klöckner. „Das scheiterte schon an den Warenwirtschaftssystemen der Händler. Selbst bei großen Elektronikmarktketten wissen die Händler häufig ja gar nicht, was sie im Lager haben.“ Möglicherweise könne die Öffnung von Google Shopping hier der erste Schritt sein, mit dem Google diese Herausforderung bewältigt.

Am kostenlosen Google Shopping teilnehmende Händler sollten sich nach Ansicht des Digitalberaters keinen großen Illusionen hingeben: „Für den Handel wird das kein Gamechanger werden. Kaum ein Händler wird von dem kostenlosen Listing im Shopping-Reiter wirklich profitieren; höchstens solche mit sehr nischigen Produkten.“ Das Ganze sei eher ein ‚Onboarding für Backfill‘, so Klöckner. „Der Großteil der Klicks dürfte weiterhin an die zahlenden Händler gehen.“

Wird sich das Inventar von Google Shopping verfünfzehnfachen?

Die Gewinner dieser Maßnahme? „Das werden auf der einen Seite die Nutzer sein, weil sie mehr Auswahl haben werden – und auf der anderen Seite Google.“ Klöckner hält es für vorstellbar, dass Google das Inventar auf Google Shopping verfünf- bis verfünfzehnfacht. „Durch die größere Auswahl kommen nicht nur neue Nutzer zu dem Produkt, sondern gelangen auf Händlerseite auch neue potenzielle Bieter auf bezahlte Klicks in den Prozess.“

Auf diese Weise, glaubt Klöckner, könnte eine Sogwirkung entstehen, die so viel mehr Klicks generiert, dass auch die zahlenden Händler mehr Klicks bekämen – und Google mehr Geld verdiene. „Um es in einem Bild zu beschreiben: Google wirft die Rettungsleine aus und spekuliert darauf, dass die Händler daran ziehen“, so der Google-Experte.

Amazon gräbt Google die Wachstumspotenziale ab

Aber warum braucht ein Konzern, der Milliarden verdient und hochprofitabel ist, eine Rettungsleine? Zum einen glaubt Klöckner, dass Google langsam eine natürlich Wachstumsgrenze erreicht hat (wie er hier in einem Gastbeitrag für OMR darlegt). Zum anderen wird der Wettbewerb mit Amazon immer schärfer. So ist Google im US-amerikanischen Heimatmarkt in Sachen Suchmaschinenwerbung zwar nach wie vor deutlicher Marktführer, soll zuletzt aber Marktanteile an Amazon verloren haben.

Schätzungen zufolge starten mehr als die Hälfte der Produktsuchen von Verbrauchern direkt auf Amazon – Klicks, die Google verliert und nicht monetarisieren kann. Der E-Commerce-Gigant hat im Windschatten dieser Entwicklung im Markt mit Suchwortanzeigen innerhalb der vergangenen Jahre ein rapides Wachstum generiert. Das setzt Google offenbar nicht nur den in USA unter Druck: „Was ich höre ist, dass Amazon extrem aggressiv im Markt unterwegs ist und Google Geld wegnimmt, beziehungsweise Geld von anderen Ausgaben abzieht“, so der Geschäftsführer einer deutschen Online-Media-Agentur gegenüber OMR bereits im Jahr 2018. Gerüchteweise soll Amazon in Deutschland bereits zu diesem Zeitpunkt 500 bis 600 Millionen Euro Umsatz mit Werbung gemacht haben.

Internes Strategiepapier „Amazon Compete“

Nicht weiter überraschend also, dass bei Google offenbar schon seit Langem darüber diskutiert wird, wie der Konzern Amazon zurückdrängen könnte. Wie die Nachrichtenagentur Reuters vor wenigen Wochen berichtete, soll Googles Strategie-Team unter dem deutschen Manager Philipp Schindler mehrere Präsentationen mit dem Titel „Amazon Compete“ erarbeitet haben, in denen die wachsende Macht der Konkurrenten ebenso dokumentiert worden sei wie die Popularität von Amazons Produktsuche auf Verbraucherseite. Bei einer Strategieklausur im Sommer 2019 solle die Google-Führung sich aber noch dagegen entschieden haben, in den Kampf gegen Amazon wirklich relevante Summen zu investieren.

Rund um Amazon hatte sich in den vergangenen Jahren unter Händlern und Online-Marketing-Machern eine ähnliche Goldrauschstimmung entwickelt wie in den Anfangszeiten von Google. Die Plattform zog Glücksritter an, wie geschäftstüchtige Händler, die Produkte aus China beziehen, ein eigenes Label draufpappen und mit ordentlichem Aufschlag auf Amazon weiterverkaufen, aber auch Unternehmer, die versucht haben, auf Amazon eine eigene Marke aufzubauen.

„Google hat für uns bisher nicht funktioniert“

Johannes Kliesch

In die zweite Kategorie fällt das Mannheimer Startup Snocks, das mit dem Verkauf von Sneaker-Socken auf Amazon angefangen hat und daraus eine Bekleidungsmarke mit Umsätzen im Millionenbereich entwickelt hat (hier im ausführlichen OMR Porträt). „Amazon war für uns einfach ein unheimlich guter Kickstarter, weil wir Prozesse wie Logistik und Retourenmanagement auslagern und uns komplett auf unser Produkt und das Marketing fokussieren konnten“, so Mitgründer und CEO Johannes Kliesch gegenüber OMR. Natürlich hat Snocks viel Werbung auf Amazons eigener Plattform gebucht.

Seit anderthalb Jahren betreibt Snocks auch einen eigenen Online-Shop. „Darüber setzen wir heute mehr um als über Amazon“, so Kliesch. Trotzdem war Google als Marketingplattform für Snocks bislang nicht wirklich relevant: „Google hat bisher bei uns nie gut funktioniert, weil die Klickpreise dort fast genauso hoch sind wie bei Amazon, die Conversion Rate aber deutlich niedriger.“

In der Corona-Krise sinken die Klickpreise

Seit Beginn der Corona-Krise seien die Klickpreise bei Google jedoch deutlich gesunken, so Kliesch. „Dadurch funktioniert bei uns Google wieder besser. Mal sehen, ob das langfristig so bleibt. Ich sehe in den angekündigten Änderungen bei Google Shopping schon Potenzial – auch, weil ich glaube, dass einige der Nutzer dort nicht auf Amazon aktiv sind.“

Auch Florian Nottorf bestätigt: „Google hat schon zu kämpfen. Während die Budgets, die zu Google fließen stagnieren oder leicht schrumpfen, wachsen die Budgets bei Amazon stark, und Amazon gewinnt dadurch Marktanteile.“ Direkte Budgetverschiebungen von Google zu Amazon habe er persönlich bislang jedoch wenig gesehen. „Das mag aber auch daran liegen, dass bei Google und Amazon die Zielgruppen auf B2B-Seite nicht komplett deckungsgleich sind: Bei Google sind mehr die mittleren bis großen Händler aktiv, die versuchen, ihren Shop als Marke aufzubauen. Amazon demgegenüber ist mittlerweile immer wichtiger für Marken und Hersteller. Deren eigene Shops konvertieren nicht so gut; die werben und verkaufen dann massiv bei Amazon.“

Google baut an einem eigenen Marktplatz

Google versucht auch an dieser Stelle seit einigen Jahren, Amazon mit einem eigenen Produkt Paroli zu bieten: Als Pendant zum „Merchant Center“ gibt es ein für Hersteller und Marken ein „Manufacturer Center“. „Damit versucht Google, mehr Budgets von den Herstellern abzugreifen“, so Florian Nottorf. „Die Marken können einsehen, wie die Produkte im Verkauf durch die ‚Merchants‘ performen und sollen künftig auch die Werbung der Händler subventionieren können.“ Die „Shopping-Kampagnen mit Partnern“ befinden sich bislang in einem Beta-Test.

Eine andere Maßnahme, mit der Google versucht dem Wachstum Amazons etwas entgegenzusetzen, ist ebenfalls noch im Beta-Test: Die „Google Shopping Actions“, eine Art eigener Marktplatz von Google. Durch die Shopping Actions können die Nutzer direkt auf Googles Plattformen (nicht nur aus der Suche heraus, sondern beispielsweise auch über den Google Assistant) kaufen. Die teilnehmenden Händler zahlen dabei nicht für den Klick des Nutzers, sondern – wie auf Amazon – eine Umsatzprovision.

Warum rollt Google die Shopping Actions nicht weiter aus?

Bislang hat Google die Shopping Actions in den USA ausgerollt sowie, Ende 2018, auch in Frankreich. Dort nehmen Handelsschwergewichte wie die Supermarktkette Carrefour und der Elektronikhändler Boulanger an den Shopping Actions teil. Von einer Ausweitung des Tests auf andere Märkte war bislang nichts zu vernehmen. Alle der von OMR befragten Branchenvertreter haben bislang weder etwas über einen potenziellen Start in Deutschland gehört, noch über etwaige Erfahrungen der französischen Händler.

Wer in Googles Suchmaschine Frankreich als Region auswählt, kann sich einen Eindruck davon verschaffen, wie Googles Marktplatzfunktion „Shopping Actions“ in echt aussieht

Ein vom Marktplatz-Analyse-Tool Marketplace Pulse frisch veröffentlichter Screenshot aus Google Shopping zeigt nun, dass in den USA die auf den Shopping Actions basierenden „Buy on Google“-Listings zumindest aktuell offenbar aus Google Shopping verschwunden sind und augenscheinlich durch die neuen, kostenlosen Produkt-Listings ersetzt wurden. Ob dies nur ein kurzfristiger Test ist, oder bereits ein Signal zur Zukunft der Shopping Actions, wird die Zeit zeigen.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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