Axie Infinity: Wieso tausende Menschen vom Zocken dieses Online-Games leben
Das Kartenspiel erobert mit einer Kombi aus Bezahl-Modell und Krypto-Technologie den Gamingmarkt
- Spielend kassieren
- Das Millionen-Axie existiert bereits
- Die 1.000 US-Dollar Falle
- Warnung vor dem Schneeballsystem
- Bullishe Szene-Investoren stützen das Projekt
- Wird Axie Infinity bald zur Marketing-Plattform?
Das Online-Spiel Axie Infinity hat sich im vergangenen Monat zur wertvollsten NFT-Sammlung der Welt entwickelt. Vor allem, weil User:innen mit dem Spiel Geld verdienen können. Ein nachhaltiges Geschäftsmodell oder doch nur trickreiches Pyramidensystem?
Es erinnert ein wenig an Pikachu, das gerade gegen ein wildes Taubsi kämpft. Nur, dass es sich diesmal nicht um Pokémon handelt, sondern um kleine kugelförmige Monster namens „Axies“ und die meisten User:innen nicht am Gameboy zocken, sondern am Desktop oder per Handy-App. Axie Infinity ist ein rundenbasiertes Online-Kartenspiel und das beliebteste Blockchain-Game der Stunde. Täglich sind mehr als eine Million Nutzer:innen auf der Plattform aktiv. Sie kaufen Land und Ausrüstung, füttern, züchten und trainieren ihre „Axies“, lassen sie im Kampf gegeneinander antreten oder verkaufen sie. Und verdienen dadurch Krypto-Geld.
Spielend kassieren
Axie Infinity kombiniert auf neue Weise die Ethereum-Blockchain-Technologie mit einem Play-to-Earn-Spielmodell. Jedes Monster und jeder Ausrüstungsgegenstand in dem Spiel stellt ein Non-fungible Token dar (hier der große NFT-Explainer) und kann daher konkreten Usern zugesprochen werden. Wer mit seinem Axie einen Kampf gegen andere User:innen gewinnt, erhält Coins der spieleigenen Kryptowährung Small Love Potions (SLP).
Gleichzeitig lassen sich eigene Axies züchten. Dafür mussen Spieler:innen eine Kombination aus SLP und Axie Infinity Shards (AXS) zahlen, eine andere Krpytowährung des Spiels, die im Gegensatz zu endlosen SLPs auf 270 Millionen Stück begrenzt ist. Während SLP „Erfahrungspunkten“ ähneln, um im Spiel voranzuschreiten, sind AXS sogenannte Governance-Token. Wer sie hält, kann nicht nur spielen, sondern an der Gestaltung des gesamten Spiels mitwirken, hat also beispielsweise Mitspracherecht bei Entscheidungen über die zukünftige Ausrichtung der Plattform.
Das Millionen-Axie existiert bereits
Ziel des Spiels ist es, eine möglichst wertvolle Sammlung an Axies zu ergattern. Die lassen sich nämlich auf Krypto-Handelsplattformen wie Binance zum aktuellen Tageskurs in Ether und dadurch wiederum in Fiat-Währungen umwandeln, also auch US-Dollar, Euro oder philippinische Pesos. Und das ist unter Umständen ein lukratives Geschäft: Ein SLP ist aktuell rund 9 Eurocent wert, ein AXS-Coin sogar rund 75 Euro. Pro gewonnener Kampfrunde erhalten Spieler:innen SLP, dazu gibt es Boni, etwa wenn man eine Mindestanzahl an Kämpfen bestreitet. Wer ein Axie verkauft, erhält dafür ebenfalls eine Entlohnung. Jedes Axie besteht aus sechs Körperteilen und kann bis zu sieben Mal für Züchtungen verwendet werden. Je seltener die Kombination, desto wertvoller wird es gehandelt.
Das bisher teuerste Axie wurde für umgerechnet rund 950.000 Dollar verkauft. In jüngster Zeit sorgte das Spiel für Schlagzeilen, weil sich in Ländern wie Vietnam und auf den Philippinen ein ganzes Ökosystem rundherum entwickelte. Familien, die aufgrund der Corona-Pandemie in die Arbeitslosigkeit zu rutschten drohten, teilen sich auf und spielen bis zu 20 Stunden täglich. Manche von ihnen würden bis zu 1.000 US-Dollar im Monat verdienen – ein verlockend klingender Betrag in einem Land mit 117 Euro Durchschnittsgehalt.
Die 1.000 US-Dollar Falle
Doch bevor User:innen mit dem Spiel Geld verdienen, müssen sie zuerst selbst in die Tasche greifen. Zum Start benötigt jeder Spieler mindestens drei eigene Monster. Die günstigsten kosten auf dem Marktplatz aktuell rund 200 US-Dollar, zwischenzeitlich mussten Neulinge aber auch schon um die 1.000 US-Dollar für drei Stück bezahlen. Dafür leihen sich philippinische oder vietnamesische Spielende sogar AXS-Token von fremden Spieler:innen in Facebook-Gruppen und zahlen Provisionen von rund 30 Prozent auf ihre ersten Einkommen.
Ungefähr 40 Prozent aller Nutzer:innen stammen aus den Philippinen. Mittlerweile dürften Tausende von dort das Zocken zu ihrem Hauptberuf gemacht haben. Und die Tendenz steigt. Waren es im April noch rund 30.000 tägliche Nutzer:innen weltweit, stieg die Zahl bis August schon auf eine Million. In den vergangenen drei Monaten stieg der Wert eines AXS-Token um das zweihundertfünzigfache und die Gesamtsumme aller auf dem Marktplatz gehandelten NFTs auf über eine Milliarde US-Dollar. Der Marketcap schoss im selben Zeitraum auf 22 Milliarden US-Dollar. Damit hat sich Axie Infinity in Rekordzeit zur wertvollsten NFT-Sammlung der Welt entwickelt.
Warnung vor dem Schneeballsystem
Aber nicht alle sind von dem Hype um das Spiel überzeugt. Kritiker wie die Non-Profit-Organisation Coinmonks bemängeln die Nähe zu Schneeballsystemen. Spieler:innen setzen ihr eigenes Geld ein, weil sie auf einen Gewinn hoffen. Aktuell kommen laut Coinmonks monatlich mehr Nutzer:innen hinzu, als bereits existieren, was die Nachfrage nach SLP sicherstellt. Wenn die Zahl der neuen Spieler:innen unter das Niveau der bereits existierenden Spieler:innen sinke, passiere dasselbe auch mit der Nachfrage nach SLP – und der Wert des Coins würde in den Keller sacken. Vor einer Hyperinflationen warnen auch andere Expert:innen: Um ihr vorzubeugen, haben die Axie Infinitys Macherinnen zwar Beschränkungen eingebaut, wie das Verbot mehr als sieben Nachfahren aus einem Axies zu züchten oder die AXS-Obergrenze von 270 Millionen Stück eingeführt. Ob diese Hebel allerdings wirken, wird sich erst in einer solchen Situation zeigen.
Außerdem sei es zwar möglich, dass ein Teil der Spieler:innen ihren Lebensunterhalt damit verdienen, aber längst nicht alle. Laut Coinmonk-Berechnungen wäre ein Vollzeit-Gehalt nur für jeden 700. Spielenden möglich, alle anderen würden statt eines Play-to-Earn-Modells also in ein Pay-to-Play-Modell verfallen und ihr Start-Investment von bis zu 1.000 US-Dollar verlieren. Ein herber Schlag für so manchen Philippino, insbesondere wenn er sie geliehen hat.
Bullishe Szene-Investoren stützen das Projekt
Die Kritik hielt jedoch Investoren wie den Krypto-Szene-Star Mark Cuban oder Reddit-Mitgründer Alexis Ohanian nicht davon ab, in den vietnamesischen Spielhersteller Sky Mavis zu investieren, der hinter dem Kassenschlager steckt. Insgesamt kamen in der Series-A-Runde im Mai 7,5 Millionen US-Dollar zusammen. Auch der US-Amerikaner Packy McCormick, der für seine scharfen Analysen in der VC-Szene Bekanntheit erlangte, sieht in dem Spiel mehr als ein absurd schnell wachsendes Business. In seinem Newsletter Not Boring schreibt er: „Was Axis ausmacht ist nicht das irre Wachstum, sondern dass dieses nur ein erster Schritt in Richtung eines viel größeren Plans ist, der vertikale Integration, Aggregation, Dezentralisierung und sogar den Bau einer Plattform beinhaltet“. Er hält dem Spiel zugute, dass es auch Nicht-Krypto-Enthusiast:innen neue ökonomische Möglichkeiten bietet und findet, Axie Infinity erfülle den „wahren Zweck“ von NFT.
Worin dieser „wahre Zweck“ besteht, darüber lässt sich streiten. Was sich sagen lässt: Der Zweck von NFTs wandelt sich. Darauf deuten zumindest Daten der Krypto-Analyseplattform The Blockcrypto hin. Waren im vergangenen Januar noch rund 90 Prozent aller NFT-Verkäufe im digitale Kunstwerke, wie etwa der berühmten Beeple-Grafik, machen Kunst-NFTs heute nur noch rund 40 Prozent aller NFT-Verkäufe aus. Der Großteil finde mittlerweile im Kontext von Krypto-Spielen statt. Also etwa dann, wenn ein Axie Infinity Spieler sein mühselig gezüchtetes Monster an einen Mitspieler verkaufte.
Ein Grund dafür könnte sein, dass die Volatilität von Gaming-NFTs geringer ausfällt als die von Kunst-Collectibles. Zwar haben Erstere auf den sieben von The Blockcrypto untersuchten Plattformen, darunter auch die Platzhirschen Opeansea und Sorare, aktuell nur einen Durchschnittswert im niedrigen dreistelligen Bereich. Das entspricht ungefähr den Marktpreisen von Axie Infinity. Dafür steigt dieser auf alle Plattformen bezogen seit einem Jahr moderat an und zeigt keine krassen Ausreißer. Wohingegen der durchschnittliche Verkaufspreis von Kunst-Collectibles seit Jahresbeginn zwischen 1.000 und 90.000 US-Dollar pendelt – und damit ein unkalkulierbares Risiko für Investoren darstellt.
Wird Axie Infinity bald zur Marketing-Plattform?
Dass der langfristige Erfolg des Spiels von einem nicht endenden Strom an neuen Spieler:innen abhängig ist, das scheint auch den Spielemachern bekannt zu sein. Laut einem Whitepaper planen sie deshalb bereits weitere Incentives, um diesen zu fördern. Neben Mini-Games und nicht-übertragbaren Axies steht auch Einnahmen durch Werbung und Sponsorengelder auf dem Plan. Sie schreiben: „Axie ist bereits die weltweit größte Gemeinschaft von Menschen, die wissen, wie man die Blockchain-Technologie nutzt; die Werbung für eine solche Gemeinschaft ist von großem Wert“. Welche Unternehmen als potenzielle Werbepartner in Frage kämen, das lassen sie dort nicht verlauten.
Ohnehin haben sich bisher kaum Brands an Play-to-Earn-Games als Marketing-Partner gewagt. Einzig das Fashionlabel Burberry launchte im vergangenen August ein eigenes NFT in Kooperation mit den Machern der Play-to-Earn-Plattform Blankos Block Party. Auf anderen Krypto-Plattformen wie Roblox oder Fortnite, wo User:innen kein Geld verdienen können, sind Markenkooperationen mit NFTs bereits gang und gäbe. Auf Roblox konnten User:innen durch den Gucci Garden spazieren oder aktuell auf der Vans Halfpipe skaten. Im Shooter-Game Fortnite können Spieleren Outfits für ihren Avatar, sogenannte „Skins“, sogar von Nike kaufen (mehr dazu gibts in der diesjährigen OMR Keynote).
Möglichkeiten, die in ähnlicher Form sicherlich auch für die eine Millionen Daily Active User von Axie Infinity zur Verfügung stünden. Sollten die künftigen Werbeeinnahmen dennoch nicht ausreichen, setzt Axie Infinity auch auf staatliche Unterstützungen. Sie seien, so steht es in dem Whitepaper, ein „Labor für Experimente mit universellem Grundeinkommen“. Ob sich die Spieler:innen darüber bewusst sind, welche Versuche an ihnen durchgeführt werden sollen, bleibt allerdings fraglich.