Autry: Mit Retro-Sneakers und geschicktem Vertrieb zu 130 Millionen Euro Umsatz

2019 haben italienische Unternehmer die US-Marke gekauft, um sie als internationale Lifestyle-Brand zu etablieren.

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Es könnte auch Reebok draufstehen, oder Adidas. Auf den ersten Blick haben „Autry“-Sneaker kein Alleinstellungsmerkmal, das direkt ins Auge fällt. Das Logo, eine retro anmutende US-Flagge neben dem Markenschriftzug, ist eher unscheinbar. Trotzdem sieht man die Schuhe immer häufiger in der Stadt, das Unternehmen hat seinen Umsatz seit 2019 um ein Vielfaches multipliziert. Hat Autry das Potenzial, sich langfristig neben den großen Brands einzureihen? Oder ist es eine Trendmarke, die so leise vom Markt verschwinden wird, wie sie gekommen ist?

Kurz vor der Corona-Pandemie zieht Christopher Blumenthal nach Köln, ins Belgische Viertel. „Das Belgische“, wie man in Köln sagt, ist ein Szeneviertel. Hier geht man aus in Bars oder Clubs, trifft sich tagsüber zum Latte Macchiato, schlendert abseits der großen Einkaufsstraßen durch Boutiquen. Blumenthal ist Sneakerblogger, seit 2013 berichtet er auf Dead Stock Sneakerblog über neueste Styles und Releases. Die Marke Autry fällt ihm Ende 2019 in seiner neuen Nachbarschaft zum ersten Mal ins Auge. In kleineren Modegeschäften, vor allem aber an den Füßen einer ganz speziellen Käuferschicht, erklärt Blumenthal. Es seien vor allem stilbewusste Frauen zwischen 20 und 40 gewesen, die beim Turnschuhkauf nicht so sehr aufs Geld achteten und „die keine dicken Logos wollen, sondern sich schick kleiden und dabei eher ein bisschen auf Understatement setzen.“ Mittlerweile habe sich das gewandelt, sagt Blumenthal. „Autry hat den Einstieg in den deutschen Markt geschafft, die Leute merken mittlerweile, das ist eine coole Brand, auch für Männer.“

Erfolg fußt auf klassischen Silhouetten

Autry setzt von Beginn an auf geschickten Vertrieb und positioniert sich in ausgewählten Luxusboutiquen wie Anita Hass in Hamburg,  The Wants in Köln oder Uebervart in Frankfurt. Nach Angaben von Textilwirtschaft.de ist es auch eine besonders attraktive Marge, die die Marke für Kunden interessant macht. Inzwischen gibt es die Schuhe auch in großen luxuriösen Kaufhäusern wie dem Berliner KaDeWe oder der Galeries Lafayette in Paris.

Und sie sind in größeren Sneakerstores gelistet: Bei Bstn Store beispielsweise oder 43einhalb. Bei Asphaltgold gibt es online ganze 157 verschiedene Autry-Schuhe. „Es handelt sich um sehr klassische Court Silhouetten, welche lange Bestand haben können“, sagt Asphaltgold-CEO Daniel Benz. Der Erfolg fuße zu einem sehr großen Teil auf dem Modell „Medalist“. Autry gehört aktuell bei Asphaltgold zu den Marken, die nach den großen Sportsplayern wie Nike, Adidas, New Balance oder Asics am besten verkauft werden. Käufer*innen sind laut Benz zu 60 Prozent weiblich, zwischen 25 und 45, berufstätig, familiär und kreativ.

Marke profitiert von US-Historie

Was ist alsoƒ – abseits des exklusiven Images – das Besondere an Autry? Obwohl der Schuh mit dem „Stars and Stripes“-Logo erst seit 2019 auf dem europäischen Markt ist, kommt er nicht aus dem Nichts. Ihren Ursprung hat die Marke tatsächlich in den USA, sie wurde 1982 in Dallas, Texas von Jim Autry gegründet. In den 80ern und frühen 90ern sind die Tennis-, Lauf- und Aerobic-Schuhe in Nordamerika erfolgreich. Aus dieser Zeit stammt auch das Medalist-Modell. Danach wird es still um Autry, die Schuhe verschwinden von der Bildfläche. Der Gründer, über den nicht viel bekannt ist, stirbt nach übereinstimmenden Medienberichten im Jahr 2009.

Von dieser „Heritage“, also dem Erbe bzw. der Historie, profitiert die Marke heute enorm. Und das, obwohl sie gar keine relevante Verbindung mehr zu den USA hat: 2019 waren es drei Italiener, die die Marke wiederbelebten – in Europa. Dennoch: „Wenn du als Firma diese Heritage aufweisen kannst, hast du ein anderes Standing bei der Kundschaft“, sagt Christopher Blumenthal. „Die feiern mit den gleichen Produkten ein Comeback und das kann marketingtechnisch gut gespielt werden, weil die Leute darauf Wert legen und denken: Die gibt es nicht umsonst so lange, da muss was dahinter stecken.“ Die Legende funktioniert, obwohl die Geschichte den meisten nicht allzu geläufig sein dürfte. „Wir Europäer haben von dieser Historie nicht so viel mitbekommen, bis die Italiener das Ding nach Europa geholt haben“, sagt Blumenthal.

CEO rechnet mit 130 Millionen Euro Umsatz für 2023

2019 bringen also die drei italienischen Unternehmer Alberto Raengo, Marco Doro und Gino Zarelli Autry zurück auf den Markt und stoßen damit auf großes Interesse. 2019 macht das Unternehmen 3 Millionen Euro Umsatz, 2021 sind es schon 30 Millionen. Der italienische „Made in Italy“-Fund, der auf Investments im Bereich Fashion, Design und Beauty fokussiert ist,  sichert sich 2021 die Mehrheit der Anteile. Auch der frühere Gucci-CEO Patrizio di Marco investiert. Und der Umsatz wächst weiter: Für 2023 rechnet man mit 130 Millionen Euro Umsatz und knapp 40 Millionen Ebit, wie CEO Mauro Grange in einem Interview mit MF Fashion erklärt.

Das Unternehmen produziert aktuell mehr als 1,5 Millionen Paar Schuhe pro Jahr an fünf Produktionsstandorten in Indonesien. Trotz des Unternehmensstandortes Italien und der Produktion in Indonesien scheint der Fokus auf das US-Retro-Image aufzugehen. Retro-Modelle aus den 80ern oder 90ern gehören auch bei anderen führenden Sneakermarken seit langem zu denen, die sich am besten verkaufen. Ob Adidas` Superstar oder Stan Smith, Nikes Air Force 1 oder New Balance 550. Sie setzen auf die Nostalgie der Kund*innen und den Kultstatus ihrer Jahrzehnte alten Modelle. (Wie New Balance das geschafft hat, haben wir in diesem OMR-Artikel erklärt). 

Dosiertes Marketing weckt Begehrlichkeit

Beim Online Marketing setzt Autry eher auf leise Töne, rührt nicht die große Werbetrommel. Der Instagramfeed ist bestückt mit klassischen Produktfotos, „Behind the scenes“-Eindrücke von Shootings, viel Ästhetik, wenig Lärm. Was hier und da auffällt: ein dezenter italienischer Einschlag. Zum Beispiel in einem Reel, in dem ein männliches Model mit Autry-Schuhwerk und -Kappe vor einer beigefarbenen Hauswand mit einem Eis zu sehen ist. Als das Handy klingelt, fällt das Eis samt Hörnchen runter. „Effortlessly cool. Gelato or not“, heißt der Slogan. Auf einem anderen Foto im Feed stehen die Schuhe neben einer Pizza. Darunter steht: „Autry CLC: Also great on a pizza date“. Einen Hauch Patriotismus können die italienischen Macher*innen hinter der US-Brand wohl nicht unterdrücken. Ansonsten aber scheint man bemüht, das amerikanische Image aufrechtzuerhalten. Unter vielen Posts gibt es Kommentare auf Italienisch, auf die das Social-Media-Team konsequent auf Englisch antwortet.

Autry mache nur sehr dosiert Marketing und bleibe somit begehrlich, sagt Daniel Benz. Er findet: „Es gibt kein besseres Marketing als die richtigen Konsumenten, mit deinem Schuh, am richtigen Ort.“ Und natürlich haben auch die großen Sneakerstores große eigene Communitys in den sozialen Medien, von denen die Marken, die dort vertreten sind, profitieren. Asphaltgold z.B. hat 753.000 Follower*innen bei Instagram, 43einhalb kommt auf 332.000 Follower*innen.

Schuhe im höheren Preissegment

Julia Schoierer sammelt seit fast 30 Jahren Sneaker. Foto: Schoierer

Preislich liegen die Schuhe im höheren Segment. Zwischen 165 und 260 Euro kosten die Modelle im Online-Shop. „Der Preis verschafft der Marke eine gewisse Exklusivität und suggeriert eine höhere Qualität“, vermutet Julia Schoierer  aus Berlin, die in der Szene auch als „Sneakerqueen“ bekannt ist. Sie sammelt Vintage-Sneaker, besitzt hunderte Paare und veranstaltet Ausstellungen zu der Historie von Sneakermarken und -modellen und deren soziokulturellen Hintergründen.

Ein Grund, der Schoierers Meinung nach dazu führt, dass Marken wie Autry, Veja oder On im Mainstream-Markt Fuß fassen können, ist, „dass die großen Marken in den letzten 20 Jahren so kess waren und Schuhe mit einer sehr großen Bandbreite an qualitativen Unterschieden auf den Markt gebracht haben. Da gab es z.B. General Releases mit deutlich schlechterer Qualität als das gleiche Modell, das als limitierte Edition, also als Hype Release rausgebracht wurde – und manchmal auch andersherum.“

Nah dran an etablierten Modellen

Firmen wie Autry und Veja setzen sich davon laut Schoierer ab und wollen ihr eigenes Image Richtung Qualität schärfen. „Die Menschen wollen selten ein spezielles Produkt, wenn sie in den Laden gehen. Sie suchen nach etwas, was gut aussieht, ihnen Tragekomfort gibt und das sie länger als eine Saison tragen können, weil die Qualität auch stimmt.“

Das Erfolgsrezept basiere dabei zu großen Teilen darauf, sich Silhouetten zu bedienen, „die schon stark etabliert sind in der Sneakerszene und auch Otto Normalverbraucher gefallen“, sagt Julia Schoierer und nennt als Beispiele z.B. den Adidas Superstar, der vor allem in den 90ern beliebt war. „Da gab es endlose Pendants seit den 2000ern, z.B. war eine Zeitlang der Stan Smith DER Schuh, wenn man ein normales Basic haben wollte.“ Bei Autry sei das ähnlich, „da ist ja der Medalist die populärste Silhouette und die ist sehr, sehr nah dran z.B. am Adidas Continental oder Supercourt.“ Für die Sneakerexpertin ist das zu unoriginell: „Als Sammlerin finde ich Autry uninteressant, weil die Marke in meinen Augen null Kultstatus hat“, sagt sie.

Comeback auf dem US-Markt

Alleinstellungsmerkmal, Kultstatus oder nicht, bisher kommt Autry mit seinen klassischen Modellen in vielen verschiedenen Farben und Ausführungen an – trotz eher zurückhaltendem Marketing. Und die Italiener haben große Pläne für die Zukunft. Autry soll als Lifestyle-Marke aufgebaut werden. Es gibt bereits Kleidungsstücke wie Kappen oder Hoodies.

Die größten Märkte sind nach „Made in Italy“-Angaben aktuell noch Italien, Deutschland und Frankreich. In Paris plant CEO Mauro Grange die Eröffnung eines großen Flagship Stores. Aber auch international nehmen die Schuhe Fahrt auf. Seit 2022 gibt es ein Comeback in den USA. Dort sind die Sneaker mittlerweile in großen Kaufhausketten wie Nordstroms, Saks Fifths Avenue oder Neiman Marcus vertreten.

Eine Herausforderung dürfte es sein, bei wachsender Beliebtheit den Aspekt der Exklusivität beizubehalten. Aber Grange denkt groß: Er will nach China und Japan, in Südkorea hat 2023 ein Pop-Up Store in Seoul eröffnet, auch in Tokyo könnte sich der CEO ein Geschäft vorstellen. „Wenn wir innerhalb von drei Jahren nicht mindestens 300 Millionen Umsatz erreichen, haben wir meiner Meinung nach etwas falsch gemacht“, wird Grange zitiert.

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Tanja Karrasch
Autor*In
Tanja Karrasch

Tanja Karrasch ist seit 2023 Redakteurin bei OMR. Vor ihrem Wechsel arbeitete sie 4,5 Jahre für die TV-Produktionsfirma Bavaria Entertainment und war als Redaktionsleiterin für zwei ZDF-Shows zuständig. Sie hat bei der Tageszeitung Rheinische Post volontiert und anschließend als Redakteurin gearbeitet.

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