Wie New Balance einen Hype um alten Schuhmodelle generiert und Umsatzrekorde ansteuert

Martin Gardt31.5.2022

Die Traditionsmarke aus den USA wächst dank Collabos, fairer Produktionsbedingungen und Neuauflagen erfolgreicher Modelle

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Dad-Sneaker sind derzeit angesagt. Keine Brand nutzt das so geschickt, wie New Balance (Foto: New Balance)

Lange Zeit trug vor allem die Generation Ü50 Sneaker von New Balance. Die Teile waren als „Dad Shoes“ verschrien. In Deutschland wurden die Schuhe mit dem N auf der Seite sogar mit Neonazis in Verbindung gebracht. Heute hat das Unternehmen aus Boston solche Probleme nicht mehr. New Balance ist die aktuelle Hype-Marke der Sneaker-Fans und auf dem Weg, sieben Milliarden US-Dollar Umsatz zu knacken. Wir zeigen, mit welchen Strategien es die Brand geschafft hat, viele Menschen wieder von sich zu begeistern.

Was Reebok nicht gelungen ist, schafft New Balance aktuell. Die Schuhmarke ist mit alten Modellen aus den 80er und 90er Jahren derzeit extrem angesagt. In den USA liegt die Marke derzeit im Performance-Schuhmarkt hinter Nike und Adidas auf Platz 3, im kompletten Sneaker-Markt auf Platz 5. Und auch weltweit ist New Balance in den vergangenen Jahren extrem erfolgreich unterwegs. Unter CEO Joe Preston stieg der Umsatz von 3,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 4,4 Milliarden in 2021. Im nächsten Jahr peilt das Unternehmen sieben Milliarden US-Dollar Umsatz an. Das ist noch immer deutlich weniger als bei den beiden Großkonzernen. Zum Vergleich: Adidas macht allein mit Schuhen 11,3 Milliarden Dollar Umsatz.  Doch abseits der nackten Umsatzzahlen bewegt sich die Schuhmarke aus Boston bereits in Schlagdistanz zu Nike, Adidas & Co.: Laut der Sneaker-Resale-Plattform StockX werden New-Balance-Schuhe dort aktuell mit durchschnittlich 42 Prozent über UVP gehandelt. Woher kommt der Hype um eine Brand, die lange Zeit mit Schuhen für Papas in Verbindung gebracht wurde?

Erfolg mit alten Teilen

New Balance wird schon 1906 von William Riley gegründet – damals als Unternehmen für orthopädische Einlagen. Die moderne Geschichte der Schuhfirma beginnt 1972, als der heutige Chairman und Besitzer Jim Davis das Unternehmen kauft. Aus sechs Angestellten, die zu der Zeit 30 Schuhe pro Tag herstellen, ist heute ein Unternehmen mit weltweit mehr als 8.000 Mitarbeitenden geworden, das Sportartikel-Produkte in 120 Ländern vertreibt. Das Hauptaugenmerk liegt auf Running- und Freizeitschuhen. Die Modelle tragen keine Namen, sondern Nummern. Apple-Gründer Steve Jobs trug bei seinen Bühnenauftritten beispielsweise meist das Modell 991 zum schwarzen Rollkragenpullover.

Daniel Benz, CEO des Darmstädter Sneaker-Shops Asphaltgold

Daniel Benz, CEO des Darmstädter Sneaker-Shops Asphaltgold

New Balance konzentriert sich seit den 1970ern auf Lauf- und Sportschuhe, von denen manche Modelle heute zu Freizeit-Sneakern für die breite Masse geworden sind. Hier zeigt sich der erste große Faktor, warum New Balance derzeit so einen Hype erfährt. Das Unternehmen hat es geschafft, älteren Modellen neues Leben einzuhauchen. „Die Sneakerwelt wird jeher von Neuauflagen (Retros) alter Sportschuhmodelle aus den 70er bis 90er Jahren geprägt“, sagt Daniel Benz, CEO des Sneaker-Shops Asphaltgold, gegenüber OMR. „New Balance hat ein tolles Archiv zu bieten. Bei ihrer Kerndisziplin ‚Running‘ profitiert die Marke aktuell natürlich auch vom Trend der Millennial-Runner. Sprich Laufschuhmodelle aus den 2000ern. Ergänzend kommt dazu, dass New Balance mit ihrem Erfolgsmodell 550, auch die Kategorien ‚Court & White-shoes‘ wahnsinnig erfolgreich bespielt.“

Collabos zur richtigen Zeit

Auf der einen Seite hat das Unternehmen also Glück, dass die klobigen Dad-Sneaker derzeit so angesagt sind. Auf der anderen Seite hilft das eigene Storytelling. „Die Brand war schon immer für ihr großartiges Sneaker-Archiv bekannt und hat sich dementsprechend gerne an älteren Modellen bedient, um daraus einen erfolgreichen Retro zu machen“, sagt Christopher Blumenthal, Sneaker-Blogger von „Dead Stock“, gegenüber OMR. „New Balance macht gute Kollaborationen und hat mit Teddy Santis, dem Inhaber von Aimé Leon Dore, zusätzlich noch einen tollen Chef-Designer engagiert.“ Die Marke arbeitet gezielt mit derzeit angesagten Designer:innen zusammen und lädt so die eigenen Schuhmodelle noch einmal mit Geschichten auf. Besonders Beachtung finden etwa Collabos wie mit dem Designstudio „JJJJound“ aus Montreal.

So richtig wird der Hype aber durch die Kollaboration mit der von Blumenthal erwähnten Luxus-Streetwear-Marke Aimé Leon Dore ausgelöst. Deren Gründer und Chefdesigner Teddy Santis bringt 2020 eine Sonderversion des New Balance 550 auf den Markt, die in wenigen Minuten ausverkauft ist. Bis heute läuft die Zusammenarbeit so erfolgreich, dass New Balance nicht nur prominent in einem Video auf der Homepage seiner Marke erscheint. Santis ist seit 2021 auch Kreativdirektor bei New Balance. Unter seiner Führung laufen derzeit Collabos mit Jaden Smith (dem Sohn von Will), der dänischen Marke Ganni, US-Designer Salehe Bembury, dem Sneaker-Shop Size und vielen vielen weiteren. Was den Collabo-Partnern gemein ist: Sie kommen jeweils auf Hunderttausende Fans auf Instagram & Co. Gleichzeitig stehen die Designer:innen und Brands, mit denen New Balance derzeit arbeitet, für aktuell angesagte Styles.

Monatlich vielbeachtete Drops

Wie New Balance viel beachtete Kollaborationen derzeit effektiv angeht, zeigt Teddy Santis selbst. Im März 2022 präsentiert der Chef-Designer insgesamt 16 Farbvarianten seiner ersten New-Balance-Kollektion. Die großen Fashion-Seiten berichten, die Hype-Maschine startet. Aktuell erscheint jeden Monat eine dieser Varianten für das derzeit angesagte Modell 990 – und ist in Minuten bei Händlern weltweit ausverkauft. New Balance selbst kann sich dabei auf die eigenen Kanäle wie Instagram (der Hauptkanal hat 6,5 Mio. Follower, New Balance Lifestyle fast 900.000), Tiktok (190.000 Follower und Millionen Views auf jeden Post) und Facebook (8,5 Mio. Fans) verlassen. Hier werden die Drops neuer Schuhe immer wieder mit genauer Zeitangabe des Verkaufsstarts angekündigt. Den Rest erledigen Blogs und Sneaker-Fans auf ihren Kanälen.

Mit der Strategie, vor allem auf angesehene und angesagte Designer:innen als Collabo-Partner zu setzen, zeigt New Balance, wie sich alte Silhouetten effektiv neu auflegen lassen. Der Ansturm auf den 550er von Aimé Leon Dore in 2020 bewirkt, dass das Modell bis heute extrem beliebt und in vielen Farbvarianten ausverkauft ist. Das grün-weiße Modell des Schuhs wird auf der Resale-Plattform StockX für über 350 Euro gehandelt – der Originalpreis liegt bei 130 Euro. Ähnliches passiert derzeit mit dem 990er-Varianten von Teddy Santis. Der Hype strahlt auch auf normale Farben ab – selbst graue 990er sind häufig vergriffen. Dass solche Erfolge kein Selbstläufer sind, zeigt die Geschichte von Reebok. Wie wir im März 2021 bereits analysiert hatten, stehen der Schuhmarke ähnliche Kult-Modelle zur Verfügung. Reebok hat es aber nicht geschafft, so gute Geschichten rund um den Modellkatalog zu erzählen und die Schuhe mit Wert aufzuladen.

D2C nicht die einzige Option

Wie viele andere Sneaker-Brands, allen voran Nike und Adidas, hat auch New Balance seine D2C-Bemühungen in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut. Der eigene Webshop kommt modern daher, Lieferungen ab 50 Euro sind genauso gratis wie die Rücksendungen. Damit tritt der Hersteller auch in direkten Wettbewerb mit den Sneaker-Shops auf der ganzen Welt. Allerdings nutzt New Balance seine Macht (bisher noch) nicht, um Modelle exklusiv im eigenen Store anzubieten. Spezialisierte Shops wie auch Asphaltgold von Daniel Benz erhalten Hype-Schuhe wie die Teddy-Santis-Modelle derzeit zum Verkaufsstart.

Ob das so bleiben wird, dürfte die Zukunft zeigen. In Dubai hat das Unternehmen kürzlich seinen ersten komplett selbst verwalteten Store eröffnet. Zuvor hatte New Balance mit Franchise-Partnern gearbeitet. So könnten in den nächsten Jahren auch die Läden von New Balance exklusivere Räume werden, in denen Schuhe exklusiv zu haben sind. Das ist zumindest der Weg, den Nike und Adidas gegangen sind. Beide Brands geben Hype-Modelle zum Teil nur noch an einen sehr begrenzten Teil der Händler und verkaufen den Großteil über die eigenen Kanäle.

Made in USA und UK als Unterschied

Neben der Beliebtheit von klobigen Schuhen, der engen Zusammenarbeit mit Designer:innen und regelmäßigen Drops hilft beim Storytelling die offensive Vermarktung der New-Balance-Fabriken in den USA und Großbritannien. Im Heimatland betreibt das Unternehmen fünf, in UK eine Schuhfertigung. Diese stellen die teuren und derzeit beliebten „Made in“-Sneaker der Modellreihen 990, 991, 992 und 1500 her. „New Balance ist keine Brand der großen Worte. Spektakuläre Werbeclips sind rar gesät. Stattdessen spricht an aller erster Stelle ein qualitativ hochwertiges Produkt“, sagt Asphaltgold-CEO Daniel Benz. „Diese Down-To-Earth-Philosophie ist sympathisch und wird von vielen Kunden geschätzt. Dass New Balance weiterhin ergänzend auf die Produktionsstätten in England und den USA setzt, ist dabei natürlich ein zusätzlicher USP, der von der Sneakerkultur geschätzt wird.“

Sneaker-Blogger Christopher Blumenthal ordnet die Strategie ein: „Die Produktionsstandorte in UK und in den USA versprechen natürlich eine enorm gute Qualität und Handwerksarbeit. Dazu muss man aber auch sagen, dass die Retailpreise von den dort gefertigten Modellen, wie dem New Balance 992 oder dem New Balance 990, in den letzten Jahren enorm angestiegen sind. Teilweise werden die Produktionen auch zu Marketingzwecken genutzt, da neben New Balance nur wenige Brands Besucher in ihren Produktionsstätten zulassen. Und das empfinde ich als Endkunde eindeutig als einen echten Vertrauensbeweis“, so Blumenthal. New Balance selbst sieht einen weiteren Vorteil: „Du bekommst das Produkt schneller an den Markt, kannst schneller auf Trends reagieren und bist näher an den Kund:innen“, sagt CEO Joe Preston gegenüber CNBC.

Die Zielgruppe zahlt

Unternehmerisch hat sich die Strategie während der Pandemie laut Preston voll ausgezahlt: „Unser Mantra ist, unser Schicksal selbst in der Hand zu haben. Und das ist während der Covid-Jahre nochmal wichtiger geworden. Lieferengpässe haben unser Geschäft trotzdem beeinflusst, aber wir konnten unsere Umsätze 2021 trotzdem um 30 Prozent steigern.“ Allerdings machen Produkte, die aus den US- und UK-Fabriken kommen, auch bei New Balance nur 25 Prozent der weltweiten Verkäufe aus. Und wegen der begrenzten Verfügbarkeit von Fachkräften im Bereich Schuhherstellung dürfte sich das – selbst wenn es das Unternehmen wollen würde – nicht ändern.

Durch den Fokus auf Qualität und damit auch höhere Preise, hat sich New Balance neuen Zielgruppen angenähert, die bereit sind, für Sneaker Made in USA oder UK viel Geld auszugeben. „Initial ging der Hype recht stark von modischen Konsumenten aus, welche bereit waren, für einen Normcore Sneaker  200 Euro und mehr auszugeben“, sagt Daniel Benz. „Inzwischen ist die Zielgruppe ebenso breitgefächert wie das Sortiment bei New Balance.“ Das sieht auch Christopher Blumenthal so: „Die Hauptzielgruppe für den typischen New-Balance-Träger hat sich mittlerweile etwas verwaschen. Noch vor ein paar Jahren war die Hauptzielgruppe in Europa hauptsächlich männlich, 25 bis 35 Jahre und älter. In den Staaten würde ich sogar von einem noch höheren Alter ausgehen. Mittlerweile hat sich die Mode jedoch etwas geändert. Der typische Old-School-Dad-Sneaker ist schick geworden und wird gut und gerne auch von Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren getragen.“

Teure Stars und Influencer (fast) nicht nötig

Weil New Balance Geschichten rund um die eigene Marke und die Modelle offenbar selbst gut genug erzählen kann, ist das Unternehmen bei bezahlten Influencern und dem Sponsoring von Sport-Stars noch zurückhaltend. Nike, Adidas & Co. haben unzählige NBA-Spieler, Fußballer oder Tennis-Spielerinnen unter Vertrag. New Balance arbeitet lediglich mit Basketball-Star Kawhi Leonard, den Fußball-Profis Raheem Sterling (Manchester City), Sadio Mane (FC Liverpool) und Bukayo Saka (Arsenal London) zusammen. Außerdem stellt New Balance die Trikots von AS Rom, Athletic Bilbao, dem FC Porto und OSC Lille her. Bekannte Clubs, aber keine absoluten Größen im Weltfußball.

Mit den Sportler:innen, die New Balance unter Vertrag hat, versucht das Unternehmen dafür jeweils mehr zu machen als reines Sponsoring. Raheem Sterling hat gerade eine eigene Klamotten-Kollektion mit der Marke herausgebracht. Bukayo Saka durfte das Team seiner alten Grundschule mit New-Balance-Produkten ausstatten. Und natürlich sind das die Geschichten, die die Stars dann auf ihren Social-Accounts mit Millionen Followern erzählen. Damit treiben sie die New-Balance-Story Stück für Stück weiter voran.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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