Maschenfein: So hat Gründerin Marisa Nöldeke aus einem Strick-Blog ein Woll-Business mit 7-stelligem Umsatz gebaut
Wir zeigen, warum Stricken und Wolle solche Umsatztreiber sind und wie Marketing in solchen Nischen funktioniert
Stricken gilt bei vielen immer noch als altbackenes Hobby für die ältere Generation. Mittlerweile sind aber auch vermehrt jüngere Menschen im Strickfieber. Allein Häkel- und Strickgarne sorgten 2024 in Deutschland für einen Umsatz von 375 Millionen Euro. Dazu trägt auch die Strick-Plattform "Maschenfein" bei, die durch den Verkauf von Wolle und Stricksets mittlerweile einen mittleren siebenstelligen Umsatz verzeichnet. Wir zeigen, wie Gründerin Marisa Nöldeke aus einem Blog ein E-Commerce-Unternehmen in der Nische aufgebaut hat, das vor allem durch eine starke Community immer weiter wächst.
"Stricken hat für mich etwas Mathematisches – es war mein Weg, über Kreativität wieder ins Leben zurückzufinden", sagt Marisa Nöldeke im Gespräch mit OMR über ihre Motivation, einen Strickblog zu starten. Ein privater Schicksalsschlag bringt sie zwischenzeitlich von ihrer geplanten akademischen Karriere ab. Statt Professorin wird sie 2014 Strick-Bloggerin und teilt auf Maschenfein ihre Strick-Tipps und -Anleitungen. "Es gab keinen Masterplan – ich bin zwar promovierte BWLerin, aber Maschenfein ist aus Intuition und Leidenschaft entstanden", sagt sie.
Eine Weile bleibt das Projekt deshalb auch Hobby, bis 2016 ein Verlag auf Nöldeke zukommt, um mit ihr ein Buch mit Strickanleitungen für Tücher umzusetzen. Schon an dem Punkt zeigt sich, wie wertvoll eine starke Community für eine Nischenseite ist. Weil Nöldeke nur Anleitungen im Buch haben will, die auch in der Praxis getestet wurden, stricken Menschen aus ihrer Community Probe-Tücher. Bis heute kommen über zehn Bücher dazu (das aktuelle Buch ist Spiegel-Bestseller), die Nöldeke dabei helfen, sich selbst und Maschenfein immer bekannter zu machen.
Dropshipping als E-Commerce-Sprungbrett
Die Reichweite wächst zu der Zeit stetig und Nöldeke macht sich – BWLerin eben – Gedanken über die Monetarisierung. "Ich wusste: Die Marge liegt in der Wolle – aber ich wollte mich nicht an ein Ladengeschäft binden", erzählt sie. Sie sucht also nach einer Möglichkeit, ohne große Verpflichtungen in das Woll-Business einzusteigen. "Ich habe dann Dropshipping für mich entdeckt, weil ich wusste, wie komplex Logistik sein kann – so konnte ich ohne großes Investment starten", so Nöldeke. Geld von Investoren ist damals wie heute kein Thema für sie: "Ich wollte unabhängig bleiben – deshalb war Bootstrapping für mich der richtige Weg." Trotzdem führt Dropshipping schon bald zu Problemen: "Das Modell begrenzte mich: in der Auswahl der Hersteller und durch die teils absurde Anzahl an Paketen pro Bestellung von jeweils einem Logistik-Partner."
Zur Erklärung: Dropshipping beschreibt ein E-Commerce-Modell, bei dem ein Händler wie Maschenfein selbst keine Ware im Lager hat, sondern Bestellungen direkt an Hersteller oder größere Händler weiterleitet, die dann direkt an die Kund*innen liefern. Vorteil: Es fallen initial keine oder minimale Investitionen in Logistik an – perfekt für erste Tests. Bis heute setzen Internet-Glücksritter mit China-Ware direkt von AliExpress & Co. auf das Modell. Nöldeke geht das professioneller mit erfahrenen Partnern an, verwirrt aber irgendwann ihre Kund*innen, die bei einer Bestellung von z.B. drei Wollvarianten drei einzelne Pakete von den Großhändlern bekommen.
Wolle als Geschäftsmodell
"Ich habe später Lagerflächen bei einem Partner gemietet und dort auch Fremdware eingelagert – so wurde aus Dropshipping ein skalierbares Geschäftsmodell, das meine Kreativität nicht mehr begrenzte", sagt die Maschenfein-Gründerin. Heute mache Dropshipping direkt von anderen Händlern und Herstellern noch zehn bis 20 Prozent am Geschäft aus. Und Maschenfein ist heute einer der größten deutschen Online-Shops für Wolle, Stricksets und Zubehör – mit dem erwähnten mittleren siebenstelligen Umsatz und einem Kernteam aus 13 Frauen.
Und wer jetzt denkt, Wolle wäre ein unterkomplexes Thema, der muss sich nur mal durch das Angebot von Maschenfein klicken. Da gibt's unzählige Garnarten aus unterschiedlichsten Fasern in verschiedensten Längen. Der Bestseller sind aber komplette Stricksets. Das sind Kleidungsstücke und Accessoires zum Nachstricken. Kund*innen bekommen also eine Strickanleitung, die passende Menge Wolle in ihrer Wunschfarbe und können so sehr zielgerichtet ihr nächstes Projekt angehen.
Eine Nischenplattform für die Inspiration
Das Anbieten solcher Stricksets ist dabei gar nicht mal so trivial. "Wir haben eine Maschenproben-Datenbank, in der wir genau erkennen, welche Garne oder Garnkombinationen zu welcher Anleitung passen – so entstehen individuelle Stricksets", so Marisa Nöldeke. "Diese Datenbank gibt es digital, haptisch in unzähligen Maschenproben und in unseren Köpfen." An dieser Stelle lohnt ein kleiner Exkurs in die Strick- und Häkelwelt. Vor allem auf der Plattform Ravelry (über die haben wir schon 2015 geschrieben) teilen Strick-Fans erprobte Anleitungen für Klamotten, Schals, alles Mögliche. Bei über neun Millionen Nutzenden auf Ravelry ist da über die Jahre ein riesiger Fundus zusammen gekommen, der jetzt die perfekte Grundlage für Maschenfein liefert.
Auf Maschenfein.de können Kund*innen solche Stricksets bestellen – inklusive Anleitung und der passenden Wollmenge.
"Ravelry ist eine starke Plattform mit Millionen Anleitungen – aber man verliert sich leicht darin. Und viele Shops verkaufen zwar Wolle, sagen aber nicht, wie viel man für ein konkretes Projekt braucht. Unsere Stricksets bieten genau dafür die Lösung", erklärt die Maschenfein-Gründerin. Das Unternehmen schnappt sich aber nicht einfach fremde Anleitungen, sondern ist mit den Urheber*innen in Kontakt, die für Verkäufe ihrer Anleitungen in den Stricksets auch eine Provision kassieren. "Wir verlinken große Designer auf Ravelry – aber für viele ist das Schreiben von Strickanleitungen nur ein Hobby. Wir helfen, auch die Anleitungen kleiner, unbekannter Designer sichtbar und kaufbar zu machen", so Nöldeke.
Die Community als wichtigster Wachstumshebel
Damit Maschenfein weiter skalieren und Stricksets verkaufen kann, braucht es Kund*innen. Und die generiert der Shop laut Gründerin Marisa Nöldeke vor allem aus der eigenen Community. Und die motivieren sie und ihr Team immer wieder mit neuen Ideen. Ein stark funktionierendes Element seien zum Beispiel die Tuchstrick-Aktionen ("Knit-Along") zwei Mal im Jahr. Vor Muttertag und Weihnachten stellt Nöldeke jeweils eine Tuchstrick-Anleitung online und packt die Info auf die Webseite, Instagram (über 61.000 Follower) und in den Newsletter. "Manche aus unserer Community stricken monatelang an einem Tuch – und wir begleiten sie dabei Woche für Woche im Blog, Podcast, Newsletter und auf Instagram", erzählt Nöldeke.
Dazu kommen Community-Events vor Ort wie demnächst "Knit & Cinema" in Berlin. Dabei stricken die Teilnehmer*innen einfach im Kinosaal, während ein aktueller Kinofilm läuft. Davor und danach gibt's Austausch und Kennenlernen. Wichtiges Element, um die Community interessiert zu halten, ist wenig überraschend Instagram, wo Maschenfein seit dem Sommer auch Ads testet. Aber auch der Newsletter sei ein wichtiges Tool. Der VIP-Newsletter für die treusten Fans verzeichne eine Öffnungsrate von etwa 80 Prozent. Die befeuert das Team etwa damit, dass VIP-Newsletter-Subscriber die Knit-Along-Anleitung und -Wolle früher als alle anderen bestellen können.
Der Traffic des Shops speist sich aber laut Analyse-Tool Similar Web aus direkten Zugriffen (45 Prozent) und Search-Traffic (44 Prozent). Das unterstreicht auch Marisa Nöldeke im Gespräch: "SEO lohnt sich für uns total – wir haben über Jahre so viel Content aufgebaut, den wir jetzt endlich strategisch nutzen." Denn Blog-Content hat sie auch nach dem Start des Shops nicht aufgegeben. Sie und ihr Team schreiben bis heute über Strick-Tipps & Co. Laut Analyse-Tool Sistrix rankt Maschenfein bei Suchbegriffen wie "strickanleitung" oder "strick set" auf Rang 1 der Google-Suche. Weitere Skalierung sollen folgerichtig jetzt Search-Ads bringen, mit denen Maschenfein gerade gestartet ist. Wie bei so vielen Webseiten sind die ganz fetten Jahre mit viel organischem Content also auch im Wolle-Business vorbei.