Die nächste Milliardenwette des Silicon Valley: Können "AI Wearables" das Smartphone ablösen?

OpenAI und drei weitere Firmen wollen eine neue Gerätekategorie etablieren

AI Wearables
So sehen die ersten "AI Wearables" aus, die anstreben, das iPhone vom Thron zu stoßen. Von links: "Rewind Pendant", der "Humane AI Pin" und Tab (Fotos: Unternehmen, Montage: OMR).

Virtual-Reality-Brillen, Smartwatches, Voice Assistants – seit Jahren träumen junge wie etablierte Tech-Firmen davon, das "next big thing" in Sachen Hardware zu erfinden. Bislang waren alle Versuche von geringem Erfolg gekrönt. Nun erfolgt der nächste Anlauf: Vier Firmen haben offenbar schon mehrere 100 Millionen Euro eingesammelt, um ein "AI Wearable" zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Mit dabei sind u.a. ChatGPT-Erfinder OpenAI sowie der ehemalige Apple-Chef-Designer Jony Ive. OMR gibt einen Überblick und zeigt die ersten Prototypen.

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OpenAI, Jony Ive (Ex-Apple) – plus Softbank & Arm?

  • Gründer: Sam Altman/OpenAI & Jony Ive (LoveFrom, Ex-Apple)
  • Gerätename: noch unbekannt
  • Gerätepreis: noch unbekannt
  • Funding: in Verhandlungen
  • Investor*innen: gerüchteweise Masayoshi Son/Softbank

Es ist die neueste aufsehenerregende Meldung rund um "AI Wearables" als neu entstehende Gerätekategorie: Zuerst vermeldete The Information, dass OpenAI-Mitgründer und -CEO Sam Altman und Ex-Apple-Chef-Designer Jony Ive Gespräche darüber führen, ob sie gemeinsam ein neues KI-Hardware-Gerät entwickeln. Masayoshi Son, Milliardär sowie Gründer und CEO der japanischen Investment-Holding Softbank, habe sich bereits als Investor angeboten.

Wenig später berichtete die Financial Times weitere Details: Nicht Sam Altman privat, sondern OpenAI als Unternehmen sollen gemeinsam mit Jony Ives Design-Studio "Love From" hinter dem Projekt stehen. Masayoshi Son solle den Chip-Hersteller Arm, der vor Kurzem an die Börse gegangen ist, an dem Softbank aber immer noch 90 Prozent der Anteile hält, als Zulieferer ins Spiel gebracht haben. Keine der genannten Parteien hat bislang die Berichte kommentiert.

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Humane

  • Gründer: das Ehepaar Imran Chaudhri und Bethany Bongiorno (beide zuvor für Apple tätig)
  • Gerätename: Humane AI Pin
  • Gerätepreis: unbekannt, Markteinführung wohl am 9. November
  • Funding: insgesamt 242 Millionen US-Dollar, zuletzt 100 Millionen US-Dollar in einer Series C (Quelle: CB Insights)
  • Bewertung: 846 Millionen US-Dollar (Quelle: CB Insights)
  • Investor*innen: Kindred Ventures (Lead-Investor bei der jüngsten Runde) sowie u.a. Sam Altman (OpenAI), Marc Benioff (Salesforce), Microsoft & Tiger Global

Ähnlich geheimnisumwittert wie das Hardware-Projekt von OpenAI und Jony Ive war bis vor Kurzem auch noch das Unternehmen Humane. Dahinter steckt ein Team, das größtenteils bei Apple an der Entwicklung des iPhones mitgearbeitet haben soll. Die Inszenierung von Marke und Unternehmen wirkt auf jeden Fall von Apple "inspiriert". Sie dürfte auch dazu beigetragen haben, dass Humane bereits eine beachtliche Funding-Summe von diversen namhaften Investor*innen einsammeln konnte – darunter OpenAI-CEO Sam Altman.

2019 trat Humane mit dem Anspruch, "die Menschheit vor der Technologie zu retten", erstmals und mit viel Tamtam in die Öffentlichkeit – allerdings noch ohne richtiges Produkt. Im April 2023 präsentierte Mitgründer Imran Chaudhri (von 1995 bis 2016 "Director of Design" bei Apple) dann bei der TED Conference erstmals den "Humane AI Pin": ein kleines Gerät, das an der Kleidung angebracht und per Sprache gesteuert wird und das eine Nutzungsoberfläche auf die Hand projizieren kann. Zuletzt war das Gerät auch auf der Pariser Fashion Week bei einer Modenschau von Coperni u.a. an Supermodel Naomi Campbell zu sehen. Interessierte können sich aktuell auf eine Warteliste eintragen; laut Social-Media-Posts des Unternehmens soll der "AI Pin" am 9. November offiziell vorgestellt werden.

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Rewind

Rewind AI ist eigentlich als eine Art Suchmaschine für das eigene Leben gestartet: Die Software schneidet die komplette Nutzung von Computern und Smartphones der Nutzenden mit, macht diese durchsuchbar ("Wo habe ich das nochmal gelesen?") und per KI-Chatbot abrufbar ("Was habe ich mir heute in Gmail angeschaut?"). Der Service ist in in einer Gratis- sowie einer umfangreicheren kostenpflichtigen Variante (dann im Abo) verfügbar.

Zuletzt hat Rewind nun "Rewind Pendant" vorgestellt: ein umhängbares Mikrofon, das alles, was die Trägerin oder der Träger sagen und hören, aufzeichnet, auf dem Smartphone speichert und auswertbar macht. Kurioser, auf der Website zuerst genannter Use Case: "Hast Du vergessen, was Du für Dein*e Ehepartner*in im Supermarkt kaufen sollst?". Laut Unternehmen sollen mit "Pendant" keine Personen ohne ihre Zustimmung aufgezeichnet werden. Gründer Dan Siroker spricht in mehreren Videos über das Produkt und das Konzept, führt "Pendant" dabei aber nicht vor. Bislang existiert öffentlich nur ein Foto von "Pendant". Aktuell ist das Produkt vorbestellbar; das Unternehmen kann aber noch kein Lieferdatum nennen.

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Tab

  • Gründer: Avi Schiffmann
  • Gerätename: Tab
  • Gerätepreis: 600 US-Dollar bei den ersten 100 Stück, aktuell ausverkauft
  • Funding, Bewertung & Investoren: unbekannt

Tab wurde vom 20-jährigen Avi Schiffmann entwickelt, der während der Corona-Pandemie (damals als 17-Jähriger) eine Corona-Tracker-Website programmiert hatte, die zeitweise angeblich 30 Millionen Besucher pro Tag verzeichnete. Durch das Projekt kam er in den Kontakt mit Wagniskapitalgebern und der Startup-Szene. Ein zwischenzeitliches Harvard-Studium hat Schiffmann Medienberichten zufolge wieder abgebrochen und entwickelt nun Tab: "the world’s most personal wearable AI".

Das Konzept erinnert sehr an das von "Rewind Pendant". Er habe Tab eigentlich erst in einem späteren Stadium der Öffentlichkeit vorstellen wollen, so Schiffmann vor Kurzem auf X. Nachdem er aber erfahren habe, dass andere in wenigen Wochen ein vergleichbares Produkt vorstellen, habe er aufs Gaspedal gedrückt. Anfang Oktober lieferte sich der junge Entwickler dann mit dem Rewind-Team auf Twitter einen Kampf um Aufmerksamkeit. Anders als Rewind kann Schiffmann eine im Ansatz funktionierende Demo-Version seines Produktes vorführen, auch wenn diese die Antworten wie im Video auf X zu sehen noch auf sein Smartphone schickt.

Wie groß ist das Potenzial von "Wearable AI"?

Wird es einem oder mehreren der vier Konkurrenten wirklich gelingen, ein "Wearable AI"-Produkt zu entwickeln, das bei der Masse ankommt und gekauft wird? Alle vier Geräte scheinen stark auf Audio zu basieren. Bislang haben sprachgesteuerte Nutzungsformen wie Apples Siri, Amazons Alexa und der Google Assistant die bildschirmbasierten bei Weitem noch nicht überholen können.

20 Prozent der Google-Suchanfragen würden sprachbasiert durchgeführt, so Google im Jahr 2016. Seitdem hat Google keine neueren Zahlen genannt, was nicht dafür spricht, das hier elementare Verschiebungen stattgefunden haben. Der Suchmaschinenkonzern hat aber auch gerade seinen ChatGPT-Konkurrenten Bard in den Google Assistant generiert; wohl, um hier keine offene Flanke zu haben.

Apple und OpenAI müssen sich (noch?) keine Sorgen machen

Laut einem Bericht von Bloomberg aus dem Juli 2023 arbeitet Apple an einem mit ChatGPT vergleichbaren Chatbot, dem auch ein neues, von Apple entwickeltes "Large Language Modell" (LLM) zugrunde liegen soll. Bislang ist OpenAI mit GPT4 hier wohl Marktführer; viele Startups lizensieren GPT4 und versuchen, darauf eigene Geschäftsmodelle aufzubauen. Welche LLMs den obigen Produkten zugrunde liegen, ist nicht bekannt, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es GPT4 ist, ist hoch.

Da OpenAI-CEO Sam Altman auch noch beim bestfinanzierten "AI Pin"-Startup beteiligt ist, muss sich der aktuelle "Generative AI"-Platzhirsch derzeit wohl noch keine Sorgen machen, durch den potenziellen Siegeszeug eines neuen "AI Consumer Product" finanziellen Schaden zu nehmen. Und dem Apple-Management dürfte es aktuell auch nicht gerade die Sorgenfalten auf die Stirn treiben – zumal zwei Produkte (Pendant und Tab) aktuell wohl nicht ohne ein Smartphone funktioneren würden.

Künstliche IntelligenzAIKI
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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