Die ziemlich verrückte Geschichte des Adblock Plus-Codes

Martin Gardt16.7.2015
Mit Vollgas in die Vergangenheit: Die verrückte Geschichte des Adblock Plus-Codes. (Foto: Universal)

Wie ein Däne aus Langeweile Adblocker erfand, nie einen Cent dafür gesehen hat und heute nicht mehr viel von Adblock Plus wissen will

Mit Vollgas in die Vergangenheit: Die verrückte Geschichte des Adblock Plus-Codes. (Foto: Universal)

Mit Vollgas in die Vergangenheit: Die verrückte Geschichte des Adblock Plus-Codes. (Foto: Universal)

Für Marketer und Publisher sind sie ein Ärgernis, für die Nutzer gehören sie zum Internet dazu und die Truppe der Eyeo Gmbh hat auch noch ein Geschäftsmodell daraus gemacht: Adblocker. Etwa 144 Millionen Menschen nutzen die Browser-Erweiterung. Einer aktuellen Erhebung des Online-Vermarkterkreises (OVK) zufolge wird im Durchschnitt bei 21,49 Prozent der Page Impressions Werbung geblockt. Und jetzt will Apple mit dem nächsten iOS-Update auch noch im mobilen Browser das Blocken von Werbung erlauben. Ein Ende des Adblockers ist also trotz der Suche von Publishern nach einem Ausweg nicht in Sicht. Und wer hat es verbrochen? Der Däne! Henrik Aasted Sörensen aus Kopenhagen entwickelte die erste viel genutzte Adblock-Erweiterung für Browser – aus Langeweile. Wie es mit dem Code weiter ging, ist ziemlich verrückt.

Henrik Aasted Sörensen (Foto: LinkedIn)

Henrik Aasted Sörensen (Foto: LinkedIn)

„Viele denken, ich hätte Adblocker aus antikapitalistischer Wut, oder um das Internet wieder zu seinen weniger kommerziellen Wurzeln zurück zu führen, entwickelt“, sagt Sörensen. Stattdessen hätte er 2002 eigentlich für ein Examen lernen sollen, hat aber aus Langeweile lieber mit der neuen Möglichkeit von Browser-Extensions für den Firefox-Vorgänger Phoenix gespielt. „Die Idee war, ein neues Entwicklerumfeld auszuprobieren und aus meiner Komfort-Zone auszubrechen“, sagt er. Schon damals gibt es erste Adblocker als Browser-Erweiterung, allerdings blocken diese Werbebanner nach Bildgröße, was teilweise zu ungewollt bilderlosen Webseiten führt. Sörensen entwickelt eine effektivere Technologie: Er filtert die Banner nach der Webadresse des Bildes, weil Werbung meist zentralisiert mit einer bestimmten Adresse über einen Adserver gespeichert wird.

Schneller Erfolg für Adblocker, aber nicht für Sörensen

Anders als Adblock Plus heute, verhindert die erste Version nicht den Download der Werbung, sondern nur die Darstellung. Die Nutzer müssen eigene Filter-Listen anlegen und ständig up-to-date halten. Mittlerweile bietet Adblock Plus nach dem Download eine große Auswahl an vorgefertigten Listen. Hier sind tausende Werbeadressen verzeichnet, die blockiert werden sollen. Genau damit macht die deutsche Eyeo GmbH, zu der Adblock Plus gehört, ihre Millionen-Umsätze. Firmen wie Google, Microsoft und 1&1 zahlen teilweise 30 Prozent der zusätzlichen Werbeumsätze, also der Erlöse, die ohne Blockieren zusammen gekommen wären, damit ihre Werbung von der Blockierliste genommen wird. Dieses „Whitelisting“ kostet einige Unternehmen eine ganze Stange Geld, sichert aber ihre Umsätze. Google allein verlor im letzten Jahr durch Adblocker etwa 6,6 Milliarden US-Dollar, dürfte aber dank eines Deals viel weniger als 30 Prozent dieses Werts zahlen. Ben Williams, PR Manager der Eyeo GmbH sagte gegenüber Online Marketing Rockstars, dass 90 Prozent der Partner nichts an seine Firma zahlen. Vor allem große Unternehmen müssen demnach in die Tasche greifen, da der Aufwand für das Eyeo-Team bei diesen am größten sei.

Wladimir Palant

Wladimir Palant

Von all den Millionen-Umsätzen sieht Erfinder Sörensen keinen Cent. Er stellt den Adblocker 2002 lieber kostenlos zur Verfügung. „Es war ein unglaublicher Erfolg vom ersten Tag an“, sagt Sörensen. Als er sein Studium beendet und einen festen Job bekommt, zieht sich Sörensen nach und nach aus der Adblock-Szene zurück. Die weitere Entwicklung übernimmt die Community des Open-Source-Projekts. So tingelt der Code von Entwickler zu Entwickler, bis im Jahr 2006 der entscheidende nächste Schritt folgt: Wladimir Palant, Mitgründer von Adblock Plus, schreibt den Code um, sodass Anzeigen nicht mehr nur blockiert, sondern nicht mehr heruntergeladen werden. Von Sörensens Code ist nicht mehr viel übrig. 

Der Erfinder ist mit seiner Erfindung zufrieden und schimpft auf Marketer und Publisher

Wenn Henrik Aasted Sörensen heute auf Adblock Plus schaut, sieht er durchaus kritische Aspekte: „Es braucht nur einen kleinen Fehltritt und eine Verhandlung zwischen Adblock Plus und einem Unternehmen wird zur Erpressung. Wenn ich noch involviert wäre, hätte ich einen anderen Weg gewählt.“ Erpressung ist wohl auch das Gefühl einiger Unternehmen im Umgang mit Adblock Plus. Das zeigen verschiedene Klagen etwa von ProSiebenSat1, RTL und der Zeit gegen die Eyeo GmbH (bisher alle erfolglos). Publisher wie diese haben oft nur die Möglichkeit, auf hohe Umsätze zu verzichten oder sich gegen Zahlung auf eine Whitelist setzen zu lassen – in der Hoffnung auf höhere Umsätze. Der Blick auf die Nutzer von Adblock Plus macht das noch deutlicher. Die Erweiterung wurde allein für den Firefox-Browser über 345 Millionen Mal heruntergeladen und verzeichnet pro Tag durchschnittlich 20 Millionen aktive Nutzer. Die kann sich kein Publisher entgehen lassen. Geld verdienen mit Adblockern sei für Sörensen als Fan der Open-Source-Bewegung jedoch nie eine Option gewesen. Da er aber aus der Entwicklung ausgestiegen sei und das Feld anderen überlassen habe, könne er sich jetzt nicht über deren Entscheidungen aufregen. 

Downloadzahlen und tägliche Nutzer der Adblock Plus-Erweiterung im letzten Jahr. (Foto: Mozilla)

Downloadzahlen und tägliche Nutzer der Adblock Plus-Erweiterung im letzten Jahr. (Foto: Mozilla)

Trotzdem hofft Sörensen auf ein Umdenken – aber vor allem bei Publishern und Marketern. Die sollen sich endlich um die Entwicklung weniger störender Werbeformen kümmern, auch wenn das kurzfristige Umsatzeinbußen für sie bedeuten sollte. „Journalismus mit Werbung zu finanzieren, scheint mir keine nachhaltige Strategie zu sein“, sagt Sörensen. Der Wettkampf von Journalisten, ständig mehr Inhalte und Seitenaufrufe zu fabrizieren, sei ein Rennen in den Keller journalistischer Qualität. Dass er mit der Erfindung des Adblockers auch seinen Teil dazu beigetragen hat, scheint ihn nicht zu stören. Sörensen hoffe auf neue Wege der Finanzierung von Journalismus, schließlich könnten Qualitätsinhalte nicht mit Listicals wie „24 Dinge, die du noch nicht wusstest“ mithalten. Ein direkter Seitenhieb gegen Buzzfeed, Heftig.co und ViralNova, die ja neue Werbeformen wie Native Advertising testen. Sörensen selbst ist heute Softwareentwickler in Kopenhagen und beschäftigt sich vor allem mit der Finanzindustrie und der Sicherheitsbranche. Adblock sei immer noch die erste Erweiterung, die er nach der Neuinstallation zum Browser hinzufügt. Das Internet ist ihm ohne Blocker einfach zu aufgeregt und zerklüftet.  

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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