Exit in der SEO- und Affiliate-Szene: Bis zu 95 Millionen Euro für Vergleich.org

Der Affiliate Publisher VGL Verlagsgesellschaft wird von der britischen Domain-Firma Centralnic übernommen

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Inhalt
  1. „Mehr als 3,4 Millionen Besucher im Monat“
  2. „Stiftung Warentest“ als Keyword-Hebel
  3. Die große Abhängigkeit vom Google-Algorithmus
  4. VGL geht Partnerschaft mit Axel Springer ein
  5. Sichtbarkeits-Push im „Sommer der Updates“
  6. Produkt-Listicles direkt auf Amazon einstellen
  7. Siegel bringen Geld und helfen dem Branding
  8. „Der beste Moment, die Kiste loszuwerden“?

Es dürfte einer der größeren Deals in der Affiliate-Marketing-Szene der vergangenen Jahre sein: Die Berliner VGL Verlagsgemeinschaft, Betreiberin der Produktvergleichsplattform Vergleich.org, wird vom britischen Domain-Dienstleister Centralnic Group übernommen. Der zahlt für die Übernahme bis zu 95 Millionen Euro – dabei gibt es durchaus Risiken im Geschäftsmodell. Wir erklären den Erfolg und analysieren den Deal.

„Wir haben uns dazu entschlossen, in die VGL-Gruppe zu investieren, da unsere Analysen gezeigt haben, dass Vergleich.org die beste Produktvergleichs-Webseite in Europa ist“, wird Centralnic-CEO Ben Crawford in einer Pressemitteilung zum Deal zitiert, die OMR per Mail erhalten hat. Die VGL werde auf Basis eines Unternehmenswertes von 60 Millionen Euro erworben, gegen eine erste Zahlung von 67 Millionen Euro in Cash, heißt es in der vergangenen Woche in einer Bekanntmachung von Centralnic an der Londoner Börse. Durch zusätzliche Vereinbarungen könnte der Kaufpreis in den kommenden drei Jahren um weitere 38 Millionen Euro steigen. Den Kauf will Centralnic größtenteils über die Ausgabe neuer Aktien finanzieren.

„Mehr als 3,4 Millionen Besucher im Monat“

Die Berliner VGL Verlagsgemeinschaft wurde im Jahr 2015 von Valentin Dushe, Alexander Schneider und Leonard Quack gegründet. Zum damaligen Zeitpunkt sind die drei Gründer noch in ihren Zwanzigern. Sie betreiben aber bereits seit mehreren Jahren Affiliate-Seiten, u.a. so genannte „Nischenseiten“ zu Themen wie Kopfhörern und Fernsehgeräten sowie Gutscheinseiten. Mit der Gründung der VGL und der Plattform Vergleich.org wollen sie dieses Geschäft offenkundig professionalisieren und skalieren. Heute betreibt die Gruppe nach eigenen Angaben rund 200 Websites. Vergleich.org richtet sich dabei an Menschen, die sich vor einem Produktkauf informieren wollen. „Wir testen und vergleichen die besten Produkte und Dienstleistungen“, heißt es heute auf der Website.

Nach eigenen Angaben verzeichnet Vergleich.org heute mehr als 3,4 Millionen Leser:innen im Monat. Die kommen offenbar vor allem über Google auf die Seite. Der Statistikdienst Similarweb schätzt, dass 90 Prozent des Traffics auf die Suchmaschine zurückzuführen ist. Drei Viertel sollen aus den unbezahlten Ergebnissen stammen, der Rest aus bezahlten Anzeigen. Die VGL-Gruppe, zu der heute unter anderem auch Portale wie kita.de, heimwerker.de und ein Agenturgeschäft gehören, soll im vergangenen Jahr 50 Millionen Euro Umsatz und 9,8 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet haben.

Traffic-Quellen von Vergleich.org

Neun von zehn Besucher:innen kommen über Suchmaschinen zu Vergleich.org, schätzt Similarweb

„Vergleich.org ist die perfekte Mischung aus 70 Prozent halb-automatischen Vergleichen, die sich aus Produktdaten und Daten von andere Plattformen speisen – beispielsweise Kundenbewertungen von Amazon –, 20 Prozent manuell veredelten Tests und Vergleichen, in die die Plattform etwas mehr Aufwand investiert hat, sowie 10 Prozent Ratgeber- und redaktionellen Inhalten“, so Marketingexperte Christoph Burseg, der seit mehr als zehn Jahren Kunden aus der Verlags- und E-Commerce-Branche in Sachen Suchmaschinenoptimierung (SEO) berät (die Vergleich.org-Macher beschreiben ihre Methode ähnlich auf der eigenen Seite).  „Man optimiert bei Vergleich.org perfekt auf die Anforderungen von Google nach Vertrauen, Redaktionstransparenz, Möglichkeit zur Kontaktaufnahme und einer guten mobilen Darstellung – das geht zwar manchmal auf Kosten von Design, ist aber sehr wirksam“, so Burseg weiter.

So erklärt Vergleich.org die eigenen Methoden

So erklärt Vergleich.org die eigenen Methoden (Screenshot)

„Stiftung Warentest“ als Keyword-Hebel

Nach seiner Einschätzung ist Vergleich.org in Sachen SEO „einfach besser als andere SEOs in seinen Vergleichen und schafft es damit schnell zu Top-Positionen“. Offenbar profitiert die Seite dabei u.a. von der immer noch starken Marke der Stiftung Warentest (über die wir gerade berichtet haben): „Auf über 5.000 Seiten von Vergleich.org findet Google den Hinweis auf die Stiftung Warentest, weil auch deren Ergebnisse aggregiert werden“, sagt Christoph Burseg, der auf weitere Daten des SEO-Tools Sistrix verweist. Komplette Testergebnisse würde Vergleich.org zwar nicht veröffentlichen, doch es gibt immer wieder Verweise auf die Stiftung. Laut Burseg würde Vergleich.org durch solche Tricks zu fast 20.000 Keywords ranken, die das Wort ’stiftung warentest“ beinhalten. „Bei mehreren hundert dieser Keywords liegt Vergleich.org sogar auf Platz 1 – und damit vor einem eventuellen Ergebnis von Test.de selbst“, sagt Burseg.

Eine Google-Suche nach "autopflege stiftung warentest", bei der Vergleich.org das erste unbezahlte Ergebnis ist

Zu mehreren 100 Keyword-Kombinationen, die den Begriff „Stiftung Warentest“ enthalten, ist Vergleich.org das erste unbezahlte Ergebnis und steht damit noch vor Test.de, der Seite von Stiftung Warentest (Screenshot bearbeitet zur Hervorhebung)

Bei der Stiftung ist man wenig begeistert vom Vorgehen der Berliner. „Grundsätzlich sehen wir Test-Aggregierer sehr kritisch. Wir sind der Meinung, dass sich Verbraucher immer direkt bei der Originalquelle informieren sollten“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. In der Vergangenheit ist man daher auch schon juristisch gegen die VGL Verlagsgesellschaft vorgegangen – genauso wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV).

Die Verbraucherschützer störten sich dabei speziell an der Verwendung von Begriffen wie „Test“ und „Testsieger“ – auch im Zusammenhang mit Produkten, bei denen Vergleich.org offenbar keine eigenen Tests durchgeführt hat (nach eigenen Angaben unterhält die VGL seit 2016 ein eigenes Testlabor). 2017 wurden gleich drei Betreiber:innen von Test- und Vergleichsseiten vom VZBV abgemahnt, darunter auch die VGL (wir haben damals über die Ereignisse berichtet). Die Vergleich.org-Macher änderten danach auf diversen Seiten die Begriffe in „Vergleich“ bzw. „Vergleichssieger“ um.

Die große Abhängigkeit vom Google-Algorithmus

Gefahr drohte dem Geschäftsmodell jedoch auch schon früh von anderer Seite. Ein Faktor ist dabei die Abhängigkeit von Google. Bis Ende des Jahres 2016 steigt die Sichtbarkeit der Seite in Googles Suchergebnissen stark an. Dann stürzt sie im Dezember 2016 jedoch rapide ab. Vergleichbare Websites wie Netzsieger.de, Expertentesten.de und Strawpoll.de verzeichnen fortan über mehrere Jahre ein Vielfaches der Sichtbarkeit von Vergleich.org. Im Herbst 2019 sieht es kurz so aus, als würde sich Vergleich.org in puncto SEO erholen können. Doch dann sackt die Seite wieder in den Rankings ab.

Die Entwicklung der Sichtbarkeit von Vergleich.org in Googles Suchergebnissen im Vergleich zu der von Wettbewerbern

Die Entwicklung der Sichtbarkeit von Vergleich.org in Googles Suchergebnissen im Vergleich zu der von Wettbewerbern: In der zweiten Hälfte des Jahres 2016 bricht die Sichtbarkeit ein und stagniert dann über einen langen Zeitraum (Quelle: Sistrix)

Als wichtige Traffic- und Umsatzquelle für die VGL dürfte sich in den vergangenen knapp zweieinhalb Jahren jedoch noch ein anderes Instrument erwiesen haben: so genannte White-Label-Seiten. Dabei vermieten andere Websites (in der Regel die von bekannten Medienmarken) Subdomains oder Unterverzeichnisse auf ihrer Domain an externe Partner. Die Praxis zielt darauf ab, mit Hilfe der renommierten Medienmarke Seiten des Partners ganz oben in Googles Suchergebnisse zu bekommen. Die „Global Savings Group“ (hier 2018 im OMR Podcast) beispielsweise betreibt nicht nur in Deutschland, sondern quasi weltweit Gutscheinseiten unter dem Dach von Medienmarken. Im Vergleichssegment ist auch die thüringische Heidorn GmbH aktiv.

VGL geht Partnerschaft mit Axel Springer ein

Wichtigster Partner der VGL ist wohl der Medienkonzern Axel Springer; auf drei Seiten der Bild-Gruppe haben die Berliner Unterverzeichnisse gemietet und betreiben dort Vergleichsseiten: Computerbild.de, Bild.de und Autobild. Weitere Partner: Die RTL Group mit der Website des Nachrichtensenders N-TV sowie die Mediengruppe Österreich mit dem Portal oe24.at und die ebenfalls österreichische Krone-Zeitung. „Wir sind stolz auf unsere langjährigen Medienpartnerschaften und planen, die Kooperationen in Zukunft weiter auszubauen“, sagt VGL-Geschäftsführer Valentin Dushe.

Die Google-Sichtbarkeit von Vergleich.org im Vergleich mit den White-Label-Seiten der VGL Verlagsgemeinschaft laut Sistrix

Die Google-Sichtbarkeit von Vergleich.org im Vergleich mit den White-Label-Seiten der VGL Verlagsgemeinschaft laut Sistrix

Zumindest mit Blick auf Google dürfte sich der Einstieg ins White-Label-Business für die VGL gelohnt haben. Etwa ab Anfang des Jahres 2020 können die White-Label-Seiten der VGL auf Bild.de und Computerbild.de den Sichtbarkeitseinbruch von Vergleich.org offenbar kompensieren – auch wenn diese nicht eine vergleichbare Relevanz aufbauen wie die von der Heidorn GmbH betriebene Vergleichsseite auf der Domain Stern.de, die zwischenzeitlich laut Sistrix einen Sichtbarkeitsindex von fast 100 erreicht (aktuell liegt dieser bei bei 65 Punkten).

Sichtbarkeits-Push im „Sommer der Updates“

Seit dem Sommer 2021 nimmt aber auch die Google-Sichtbarkeit von Vergleich.org enorm zu und hat mittlerweile den früheren Höchststand überschritten. Offenbar haben sich im „Sommer der Google Updates“ bei einem Core Update Googles Ranking-Kriterien wieder zugunsten von Vergleichsseiten geändert, wie auch die Betreiber von Sistrix in einem Blog-Artikel feststellen. Die Sichtbarkeit von Vergleich.org innerhalb der Google Suchergebnisse steigt so rasant an, dass die Seite am Ende des Jahres sogar in den Top 100 der SEO-Gewinner des Jahres 2021 des SEO-Tools Searchmetrics auftaucht.

Die Plattform habe sich seit dem vergangenen Jahr thematisch breiter aufgestellt, sagt Experte Christoph Burseg. „Dort werden jetzt nicht mehr nur ,kleine‘ Produkte, sondern auch größere Warenkörbe verglichen, wie etwa im Auto-Leasing. So haben sie in diesen Bereichen seitdem ein enormes Reichweitenwachstum geniert“, so Burseg.

Produkt-Listicles direkt auf Amazon einstellen

Ansonsten scheint die SEO-Strategie gleichgeblieben zu sein. Christoph Burseg hat sich als Stichprobe fünf besonders gut rankende URLs von Vergleich.org angeschaut. „Die sehen fast noch genau so aus wie im Januar 2021“, sagt der SEO-Experte.  „Ich denke, dass kein Strategie-Wechsel die Ursache war, sondern das Glück des Google Updates“, sagt Burseg. Und dann hätten sie Vollgas gegeben, um mehr Content zu produzieren. Vergleich.org habe einfach von Google mehr Vertrauen bekommen, das jetzt durch noch viel mehr Content gehebelt werde.

Seit Herbst 2019 sind Inhalte von Vergleich.org auch direkt auf Amazon vertreten. Mit dem „Onsite Partnerprogramm“ (wir berichteten zum Start des Programms in Deutschland) können Test- und Vergleich-Publisher ihre Inhalte gleich auf Amazon platzieren. Suchen die Amazon-Kund:innen dann beispielsweise auf Amazon.de nach „autostaubsauger“, wird ihnen in einer Box eine von Vergleich.org zur Verfügung gestellte Liste der „besten Autostaubsauger im Vergleich“ eingeblendet. Kommt über diese Liste ein Kauf zustande, erhält Vergleich.org eine Provision.

Siegel bringen Geld und helfen dem Branding

Bei anderen Angeboten wie Kita.de setzt VGL zwar auf den Verkauf von Adress-Datensätzen an B2B-Partner. Dennoch dürften (auch über Vergleich.org generierte) Affiliate-Provisionen von Amazon & Co. die wichtigste Einkommensquelle der VGL sein. Auf Anfrage will sich das Unternehmen dazu nicht äußern. Eine weitere Einkommensquelle sind Siegel. Unternehmen, deren Produkte von Vergleich.org zum „Test-“ oder „Vergleichssieger“ gekürt worden sind, können mit diesem Titel werben. Dafür  müssen sie aber je nach Siegel und Dauer drei bis vierstellige Euro Beträge pro Jahr zahlen. Das zeigen Einträge in E-Commerce-Gruppen auf Facebook. Es ist ein Modell, auf das auch die Stiftung Warentest seit vielen Jahren setzt.

Wie passt nun ein Affiliate-Publisher in das Portfolio eines Domain-Dienstleisters? Seit einiger Zeit hat die britische Centralnic diverse Firmen übernommen. Diese bieten Marketing-nahe Dienstleistungen an – die für jegliche Website-Betreiber:innen (was Domain-Käufer:innen ja häufig sind) relevant sein können. Die von Centralnic aufgekaufte Firma Zeropark vermarktet beispielsweise Werbeplätze auf ungenutzten Domains. Die ebenfalls übernommene deutsche Firma Wando Internet Solutions betreibt ein Netzwerk von Facebook-Seiten unter dem Namen Infotoss, die offenbar vor allem mittels Facebook-Anzeigen Leads generieren.

„Der beste Moment, die Kiste loszuwerden“?

Das Geschäft der VGL soll nun unter dem Dach von Centralnic internationalisiert werden, die Gründer wollen weiter an Bord bleiben. „Nach über sieben Jahren Bootstrapping haben wir uns dazu entschlossen, mit CentralNic einen erfahrenen Investor mit an Bord zu holen, um künftig noch stärker zu wachsen“, sagt VGL-Geschäftsführer Valentin Dushe: „Wir möchten die Firma noch deutlich größer machen.“

Christoph Burseg ist skeptischer. Er vermutet, dass die VGL den Rückenwind durch das Google-Update sowie dem Börsengang des US-Unternehmens Nerdwallet (unser Porträt hier), dessen Geschäftsmodell Ähnlichkeiten zu dem der VGL hat, nutzen wollte, um die Firma zu verkaufen: „Das Wachstum von Vergleich.org wird endlich sein und für die Abhängigkeit von Google steht keine Alternative in Aussicht. Was mit einem starken Update wächst, kann auch durch ein nächstes Update wieder fallen“, sagt Christoph Burseg. Hinzu komme die hohe Abhängigkeit von wenigen Monetarisierungspartnern. Burseg kommt zu dem Schluss: „Das ist ein absolut wackliges Unterfangen für den Käufer und der höchstwahrscheinlich nahezu beste Moment für die Gründer, die Kiste loszuwerden.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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