Wie geht das? Tinder bald mit einer Million deutscher Nutzer, alles ohne echte Werbung

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Rockstars sprach mit dem Mitgründer über Wachstum, Investoren und Marketing

„I saw you on Tinder“ – Graffitis wie diese fanden sich in den letzten Wochen im Hamburger Schanzenviertel

„I saw you on Tinder“ – Graffitis wie diese fanden sich in den letzten Wochen im Hamburger Schanzenviertel

Tinder ist in aller Munde, auch weil angeblich US-Promis wie Katy Perry und Lindsay Lohan über die Smartphone-App flirten. In Deutschland nutze bereits ein Prozent der gesamten Bevölkerung Tinder, Tendenz steigend, verriet uns nun Justin Mateen, Mitgründer und Marketingchef des Unternehmens hinter der App. Wir sprachen mit ihm darüber, wie Tinder in Deutschland wachsen will, warum die Macher nicht auf dem klassischen Weg Werbung für ihre App schalten und wie sie künftig mit Tinder Geld verdienen möchten.

Tinder („Zunder“) existiert seit dem September 2012. Das Prinzip der App ist simpel: Dem Nutzer oder der Nutzerin werden Bilder von anderen Nutzern aus seiner Umgebung per Foto angezeigt. Ein Wisch nach links bedeutet: kein Interesse. Mit einem Wisch nach rechts zeigt der User: Die Person auf diesem Foto würde ich gerne näher kennenlernen. Die Kontaktaufnahme ist nur möglich, wenn ein „Match“ zustande gekommen ist, also beide Nutzer ihr Interesse am jeweils anderen signalisiert haben. Für die Anmeldung ist ein Facebook-Account notwendig.

Die Entscheidung über ein Date fällt alleine auf Basis des Nutzerbildes (Bild: Screenshot der Facebook-Seite von Tinder)

Die Entscheidung über ein Date fällt alleine auf Basis des Nutzerbildes (Bild: Screenshot der Facebook-Seite von Tinder)

Bei den Usern kommt das Konzept offensichtlich an. Zwar geben die Betreiber keine Auskunft dazu, wie viele Nutzer Tinder weltweit insgesamt verzeichnet. Dafür versuchen sie mit der Nennung anderer Zahlen in Interviews offensichtlich, den Hype rund um die App weiter anzufeuern. So vermeldete CEO Sean Rad im März auf der Konferenz Techcrunch Disrupt, dass über Tinder bereits eine Milliarde Matches zustande gekommen sei. 60 Prozent der User nützten die App mindestens einmal täglich, manche sogar fünf bis sechs Mal pro Tag, ließ Justin Mateen bereits vor einem Jahr verlauten. Das US-Branchenmedium Recode schätzte den Wert von Tinder nach dem Verkauf des Minderheitsanteils eines Investors unlängst auf 500 Millionen US-Dollar.

Seit dem vergangenen Herbst gibt Tinder auch auf internationaler Ebene Gas. „Wir sind eigentlich in allen Ländern vertreten, konzentrieren uns derzeit aber auf 30 bis 32 davon.“ Mittlerweile beschäftigt Tinder laut Justin Mateen 35 Mitarbeiter weltweit.

Axel Springer verpasst Beteiligung

Die deutschsprachige App der Version sei seit etwa sieben Monaten verfügbar. „Ein Prozent der gesamten deutschen Bevölkerung sind schon Tinder-Nutzer. Und die Zahl der Nutzer steigt jeden Tag um etwa ein Prozent“, so Justin im Gespräch mit Online Marketing Rockstars. Legt man die Zahl von insgesamt 80,5 Millionen Deutschen aus der jüngsten offiziellen Statistik zugrunde, hieße dies: Tinder hat in Deutschland etwas mehr als 800.000 Nutzer und jeden Tag kommen mehr als 8.000 neue hinzu. Setzt sich das Wachstum in diesem Maße fort, müsste die App also in weniger als einem Monat mehr als eine Million deutscher Nutzer erreichen. Für den deutschen Medienkonzern Axel Springer könnte es sich also möglicherweise noch als bedauernswert herausstellen, dass dieser angeblich eine Beteiligung an Tinder knapp verschlafen hat.

In anderen Auslandsmärkten scheint es für Tinder ebenfalls gut zu laufen. „Der Anteil unserer User, die die App von außerhalb der USA nutzen, liegt mittlerweile bei 64 Prozent“, so Justin. Das ist ein beträchtliches Wachstum: Im Mai 2013 hatte der Anteil laut CEO Sean Rad noch bei 15 Prozent gelegen.

Wie gewinnt Tinder neue Nutzer – durch das „Kaufen“ neuer Nutzer über Mobile Install Ads? „Nein, wir glauben nicht an bezahlte Werbung, sondern wollen organisch wachsen“, so Justin. Tinder ziele eher darauf ab, „Social Influencer“ zu gewinnen – also einflussreiche und bekannte Mitglieder der Gesellschaft, die ihren Freunden von Tinder erzählen.

Das zeigt sich auch am Vorgehen in Deutschland: Hier verpflichteten die Tinder-Macher kurz vor dem Launch der deutschsprachigen App Boris Tankilewitsch als „Brand Ambassador“. Der 26-jährige Berliner betreibt mit einem Freund das Mode-Label Kinder & Tank und arbeitet als Model. Seit der ersten Tinder-Launch-Party im Februar in Berlin veranstaltet er seitdem offenbar regelmäßig weitere Partys im Namen des Unternehmens.

Prominente Tinderer sorgen für PR

In den USA hat Tinder vor allen Dingen durch Pressegeschichten über prominente Nutzer früh Aufmerksamkeit erzielt. Zuletzt gaben Katy Perry, Lindsay Lohan und Lily Allen an, die App zu nutzen. Wegen mehrerer Tweets der neuseeländischen Snowboarderin Rebecca Torr, die während der jüngsten Olympischen Winterspiele in Sotschi über das „Tindern“ im Olympischen Dorf witzelte, hatten sich im Februar auch deutschsprachige Medien des Themas Tinder angenommen. Das ist insofern interessant, als dass Tinder-Mitgründer und –CEO ebenfalls Gründer von Ad.ly ist – einer Firma, die die Buchung von Werbe-Tweets von Prominenten anbietet. Justin gab uns gegenüber jedoch an, dass Tinder nicht auf Ad.lys „Promi-Twitterer-Netzwerk“ zurückgegriffen habe.

Obwohl die Dating-App offenbar schon über eine große Reichweite verfügt, verdienen die Erfinder bislang kein Geld mit ihr. „Aktuell legen wir den Fokus auf das Nutzerwachstum und die Weiterentwicklung unseres Produkts“, so Justin. Einen Bericht von Recode, laut dem der Tinder-Anteilseigner Interactive Corp die Einführung von Werbung in der App plane, wollte Justin nicht bestätigen. Laut Recode hält die Interactive Corp, die auch hinter der US-Partnervermittlung Match.com steht, mittlerweile 70 Prozent der Anteile an Tinder. Justin dementierte dies gegenüber Online Marketing Rockstars: „Das stimmt nicht. Wir geben aber auch keine weitere Auskunft zu den Eigentumsverhältnissen von Tinder.“

„Wenn wir monetarisieren, dann mit In-App-Verkäufen“

Anders als die IAC denkt Justin derzeit offenbar nicht an eine Werbevermarktung der App: „Falls wir anfangen werden, die App zu monetarisieren, wird das in Form von In-App-Verkäufen geschehen“, so der Mitgründer. Denkbar seien Zusatz-Features; etwa, dass die Nutzer in ihrem „Flirt-Verlauf“ zurück gehen oder virtuelle Geschenke kaufen können.

Weitere Wachstumschancen sieht der Tinder-Mitgründer in der Erweiterung der Verwendungsmöglichkeiten der App. „Bis jetzt können die Nutzer ja nur mit ihren Matches chatten. Bald werden wir den Nutzern noch weitere Möglichkeiten geben“, sagt Justin, ohne Details nennen zu wollen. Offenbar möchten die Gründer versuchen, andere Nutzerschichten außerhalb des Dating-Bereichs erschließen. Für ihn sei Tinder auch per se keine Dating-, sondern eine „Social-Discovery-App“, so Justin. „Für uns ist Tinder so ähnlich wie in einem Coffeshop zu sein oder auf einer Party – dort kann man flirten, aber auch andere neue Leute kennenlernen.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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