Eine Milliarde Umsatz mit nur einem Mobile Game

Martin Gardt30.7.2024

Das Spiel June's Journey ist ein Dauerbrenner – und beschert der Berliner Spieleschmiede Wooga heftige Umsätze. Wir erklären den Erfolg

In den App Stores kämpfen Hunderttausende Spiele um die Aufmerksamkeit der Nutzenden. Das Business ist hart, Dauerbrenner wie Candy Crush oder Clash of Clans ziehen Aufmerksamkeit und Umsätze auf sich. Wir zeigen, wie ein deutsches Spiele-Unternehmen trotz dieser Umstände mit nur einem Game jedes Jahr Millionen-Umsätze macht.

Die deutsche Games-Branche ist vor allem für Strategiespiele (Die Siedler- und Anno-Reihen) und Mobile Games (Innogames, Goodgame Studios, Bigpoint, Wooga) bekannt. Beide Märkte sind derzeit nicht gerade ein leichtes Pflaster. Und doch landen auch deutsche Entwicklerstudios immer mal wieder einen Volltreffer. Einer dieser Volltreffer dürfte dabei viele überraschen.

Mischung aus Soap und Bau-Spaß

Die Berliner Spieleschmiede Wooga bringt sein Wimmelbild-Spiel June's Journey schon 2017 für iOS, Android und Facebook auf den Markt. Das Spielprinzip ist relativ simpel. Die Nutzenden tippen in Wimmelbildern auf Objekte, die das Spiel vorgibt. Zusätzlich lösen sie immer wieder Rätsel, müssen Mörder finden und gestalten den Garten rund um das eigene Anwesen. Hauptfigur June lebt dabei in den USA der 1920er Jahre und wird in mittlerweile über 100 Kapiteln vor immer neue Herausforderungen gestellt. "Bei der Entwicklung von June’s Journey haben wir uns am episodenhaften Storytelling der Soap Operas orientiert. Die Spielerinnen bekommen jede Woche ein neues Kapitel, neue Infos zu den Charakteren, Mordfälle werden aufgelöst. Wir wollten ein Spiel bauen, das zehn Jahre funktioniert und das haben wir so geschafft", sagt Sebastian Nußbaum, Vice President New Games bei Wooga gegenüber OMR.

June's Journey Wimmelbild

Ein Großteil des Gameplays von June's Journey findet in solchen Wimmelbildern statt. Hier suchen die Spieler*innen nach neuen Hinweisen zum Lösen des aktuellen Falls

Zwischen Story-Elementen, Gesprächen mit anderen Charakteren und den Wimmelbild-Spielen, wo Nutzenden in kurzer Zeit bestimmte Gegenstände entdecken müssen, hat Wooga Bau-Elemente eingefügt. Spieler*innen gestalten die Welt um das zentrale Familienanwesen ganz individuell. Die Community vergleicht diese Welten auch immer wieder untereinander. Das Prinzip erinnert ein wenig an das Nintendo-Spiel Animal Crossing, bei dem die Spieler*innen ihre eigene Trauminsel gestalten und andere auch auf ihren Inseln besuchen können.

Free to Play als Umsatzhebel

Diese Spielelemente – die Geschichte im Stiele einer Soap Opera und der individuelle Aufbau einer Spielwelt – halten die Spieler*innen offenbar bei der Stange. Aber nur weil viele Menschen ein Spiel über einen längeren Zeitraum spielen, garantiert das noch lange keinen stabilen Umsatz. Zumal June's Journey grundsätzlich kostenlos spielbar ist. "Wir haben schon immer auf den Free-To-Play-Ansatz gesetzt", sagt der Wooga-Kreativchef. "Den Großteil des Umsatzes machen wir mit In-App-Käufen, weniger mit Werbung. Was wichtig ist: Wenn Kunden etwas kaufen, dann muss es auch einen Mehrwert haben."

Sebastian Nußbaum von Wooga

Sebastian Nußbaum, Vice President New Games bei Wooga, hat auch June's Journey federführend entwickelt

Wie dieser Mehrwert beim erfolgreichen Wimmelbild-Spiel aussieht? "Die Monetarisierung von June’s Journey läuft zum Großteil über Dekoration, Items, spezielle Sets, mit denen die Nutzenden sich ausdrücken und ihre Spielwelt gestalten können."  Wie schon vorher erwähnt können Spieler*innen den Garten um die zentrale Villa des Spiels gestalten. Dafür braucht es die In-Game-Währungen Münzen und Diamanten. Eine "Handvoll Münzen" (300 Stück) kosten 1,99 Euro. Wer direkt 25.000 Münzen will, zahlt knapp 100 Euro. Bei den wertvolleren Diamanten geht es bei 1,99 Eurp für 30 Stück los. 2.500 Diamanten kosten ebenfalls knapp 100 Euro.

June's Journey Download-Seite

Zehntausende Nutzende haben das Spiel in den App Stores bereits bewertet – überwiegend sehr positiv

Um solche Werte einschätzen zu können, lohnt ein Blick auf die Dekorations-Elemente. Eine "Goldene Sitzecke" zum Beispiel kostet 900 Münzen. "Schillernde Gäste" im Garten liegen bei 1.500 Münzen. Für Diamanten gibt es vor allem Energie – die brauchen Spieler*innen, um in der Story weiterzukommen. Das alles muss man nicht kaufen, um im Spiel voranzukommen. Trotzdem kommen Spieler*innen durch In-App-Käufe schneller voran und können die Welt so gestalten, wie sie es wollen.

Umsatzmilliarde geknackt

Durch diese Strategie hat June's Journey jetzt nach sieben Jahren eine Milliarde Euro Umsatz geknackt. 300 Menschen arbeiten bei Wooga deshalb größtenteils am Erfolg von June's Journey. Weitere Spiele des Unternehmens wie Jelly Splash oder Pearl's Peril sind zwar verfügbar, werden aber nur von einem kleinen Team betreut. Derzeit sei auch nur ein weiteres Spiel bei Wooga in der Entwicklung. "Früher gab es auch bei uns das Mindset, dass wir Spiele raushauen müssen, um zu wachsen. Jetzt machen wir lieber wenige Spiele, um Langzeit-Profitabilität zu sichern."

June's Journey Download-Statistik Android

Allein für Android-Geräte verzeichnet June's Journey laut Schätzung des Analyse-Tools Appfigures fast 50 Millionen Downloads seit Start der App 2017

Sebastian Nußbaum ist schon seit der Gründung von Wooga 2009 federführend an der Entwicklung von Mobile und damals noch Browser Games beteiligt. "Ich habe für Wooga zusammen mit großartigen Teams diverse Spiele gebaut – darunter auch June’s Journey. Dabei stelle ich mir immer die Frage: Was passt zur Zielgruppe? Und wie können wir etwas kreieren, das neu am Markt ist?", sagt er. "Der USP von Wooga ist, dass unsere Spiele von der Story getrieben werden. Als wir 2011 damit angefangen haben, war das noch sehr neu bei damals noch Browser Games. Weil wir dadurch eher eine ältere weibliche Zielgruppe haben, wurden wir lange gar nicht ernst genommen."

Diese Zielgruppe hilft mit ihrer Treue jetzt dabei, dass June's Journey so einen langen Atem hat. "Die typischen Wooga-Games-Spielerinnen sind Frauen ab 40, teilweise sind Spielerinnen bis zu 80 Jahre alt", so Nußbaum. "Das sind oft Frauen, die vorher gar nicht wussten, dass sie gerne spielen. Sie wollen mal zwei bis drei Stunden in eine andere Welt eintauchen und spannende Geschichten erleben."

Retention steht im Mittelpunkt

Entscheidend für den bisherigen und den weiteren Erfolg von June's Journey sei dementsprechend vor allem die stetige Begeisterung aktiver Spieler*innen. "Unsere zentralen Kennzahlen sind Retention über ein Jahr und die Daily Active Users. Das sind bei June’s Journey Millionen", sagt Sebastian Nußbaum. Täglich starten also Millionen Nutzende ein sieben Jahre altes Mobile Game und verbringen damit zum Teil mehrere Stunden. Das gelingt – wie bereits erwähnt – durch immer neue Kapitel, neue Geschichten, die das Team weiterhin aktiv für das Spiel entwickelt. Solange Spieler*innen für Umsatz sorgen und aktiv dabei bleiben, könne Wooga June's Journey auf unbestimmte Zeit weiter entwickeln.

June's Journey Inselansicht

Spieler*innen können in June's Journey die Insel ganz nach ihrem Geschmack gestalten – und geben oft viel Geld für bestimmte Dekorations-Elemente aus

Diese Aktivität befeuert Wooga mit seiner Community-Arbeit. Entsprechend der Zielgruppe funktioniert hier Facebook weiterhin extrem gut. Der June's-Journey-Seite auf der Plattform folgen eine Million Menschen. Ankündigungen neuer In-Game-Gegenstände oder weiterer Story-Elemente verzeichnen innerhalb kürzester Zeit Tausende Likes und zum Teil auch Tausende Kommentare. Darüber hinaus betreibt Wooga die private Facebook-Gruppe "Orchid Square" mit über 13.000 Mitgliedern. Über diese organisiert das Unternehmen auch immer wieder physische Treffen der Community. Allein auf Facebook betreibt Wooga noch sechs weitere Gruppen mit meist Zehntausenden Mitgliedern. Durch diese enge Bindung der Spieler*innen an das Game über die App hinaus entstehe ein viraler Effekt von Empfehlungen in den Freundeskreisen der Nutzenden – und gleichzeitig entstehe eine besondere Treue, die der Langlebigkeit des Spiels ungemein nutzt.

June's Journey Facebook-Gruppen

In Facebook-Gruppen organisiert Wooga für die Community auch mal Events und versorgt die Hardcore-Fans mit exklusiven Infos

Weitere Kanäle um neue Nutzende zu gewinnen, seien eher unspektakulär. "Wir betreiben klassische User Acquisition über Performance-Marketing-Kanäle", so Sebastian Nußbaum. Darüber hinaus schaltet Wooga Search-Ads in den App Stores auf den eigenen Spielnamen. Die Charts der App Stores oder Empfehlungen in deren zentralen Games-Übersichten seien hingegen nicht mehr entscheidend. "Ein Featuring von Apple im App Store konnte dir vor ein paar Jahren noch ein Jahr Marketing-Kosten sparen. Heute ist die Wirkung nicht mehr so groß", so der Wooga-Mann. Laut Analyse-Tool Appfigures verzeichnet June's Journey allein in den vergangenen 30 Tagen weltweit über 160.000 neue Downloads auf iOS-Geräten und über 340.000 auf Android. Der stärkste Markt für das Spiel sei die USA – mit großem Abstand vor den großen EU-Ländern.

Die Branche steckt in der Krise

Mit seiner Konzentration auf eines oder wenige Spiele, die ihre Nutzenden dann aber über Jahre fesseln, gelingt Wooga eine außergewöhnliche Planungssicherheit im schnellebigen und umkämpften Mobile-Gaming-Markt. Das Unternehmen macht einen dreistelligen Millionenumsatz im Jahr und beschäftigt 300 Mitarbeitende auf der ganzen Welt. Seit 2018 gehört Wooga zum israelischen Gaming-Unternehmen Playtika, das mittlerweile auch an der US-amerikanischen Börse NASDAQ gelistet ist.

Wie wichtig die Konzentration auf Retention ist, zeigt ein Blick auf die gesamte Games-Branche. Gewinne und Umsätze waren nach Rekorden in der Corona-Zeit zuletzt eingebrochen. Bei vielen Unternehmen gab es Massenentlassungen, ganze Studios wurden geschlossen. "Während der Corona-Lockdowns gab es einen wahnsinnigen Hype um Mobile Games und viele Firmen haben dieses Hoch als neue Normalität angesehen", sagt auch Sebastian Nußbaum. "Der Markt hat sich jetzt aber wieder normalisiert und in der Branche herrscht eher Krisenstimmung. Wir sind vorsichtig geblieben und daher in einer guten Position."

Denn nach dem Hype ist es für viele Spiele-Studios schwer, neue Nutzende ohne große Marketing-Budgets zu gewinnen. “Die Preise für User Acquisition gehen immer weiter nach oben. Denn starke Spiele, die teilweise schon zehn Jahre am Markt sind, gehen nicht mehr weg. Gegen Candy Crush & Co. kommt man aber nur ganz schwer an", so Nußbaum. Sein Tipp und Learning aus der Geschichte rund um June's Journey deshalb: "Viele Firmen haben Angst, neue Ideen auszuprobieren und ins Risiko zu gehen. Aber nur wenn du etwas wagst, hast du die Chance, einen neuen Trend zu setzen und erfolgreich zu sein."

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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