2,66 Millionen Downloads mit einer Vogel-App: Der kuriose Erfolg von Sunbird Images und Nabu
Vögel lassen sich dank KI mit der App anhand von Bildern oder Stimmen identifizieren.
- Eine Datenbank für Naturfotos wurde kein Erfolg
- Die KI erkennt Vogelstimmen und -bilder
- Eine Vogelzählaktion als Marketing-Hebel
- Peter Mullen träumt von weltweiter Vogel-App
- Luxus-Fernglas kann Tiere bestimmen
Vogelbeobachtung – das klingt nach einem Nischenhobby. Dennoch feiert das Unternehmen Sunbird Images mit einer für den Naturschutzbund Nabu entwickelten Vogel-App große Erfolge. Mehr als 2,66 Millionen Mal wurde sie bereits heruntergeladen, per KI lassen sich Vogelstimmen und -bilder bestimmen. Den nächsten Schritt will das kleine Unternehmen aus Wülfrath nun mit einem der ganz großen Namen machen: Swarovski.
Fragt man Peter Mullen nach seinem Lieblingsvogel, sagt er Quetzal. Und nachdem man ihn gefragt hat, wie man das schreibt, erzählt er von Lateinamerika, von den Azteken, von 50 Ländern, in denen er schon unterwegs war, um Vögel zu beobachten. Früher war das. Heute, mit Familie, sind diese Reisen seltener geworden. Aber Vögel beobachtet er noch immer. Direkt vor der Haustür oder an einem der vielen Steinbrüche, die beim Kalkabbau in Wülfrath, einem kleinen Städtchen nahe Düsseldorf, entstanden sind. Wiesenpieper könne man hier mit Glück sehen, manchmal auch Bergfinken – oder sogar Halsbandsittiche, die eigentlich in Asien beheimatet sind, sich aber auch immer mehr in und um Düsseldorf herum ausbreiten.
Peter Mullen hat schon als Kind Federn gesammelt. Er wollte Ornithologe werden, bevor er wusste, was dafür alles nötig ist. Er studierte Biologie, promovierte, versuchte sich als Tierfotograf – und entwickelte dann eine Vogel-App, mit der auch Menschen Bergfinken, Wiesenpieper und Co. bestimmen können, die sonst nur Taube und Rabe auseinanderhalten können. Mehr als 2,66 Millionen Mal wurde die "Nabu Vogelwelt"-App inzwischen nach Angaben des Naturschutzbunds Deutschland heruntergeladen, zum Großteil auf Apple-Geräte. Der Analysedienst Appfigures schätzt immerhin mehr als eine Million Downloads. Peter Mullen hat die App an den Nabu lizensiert.
Eine Datenbank für Naturfotos wurde kein Erfolg
Gestartet ist Peter Mullen dabei eigentlich mit einer ganz anderen Idee, die er gemeinsam mit seinem heutigen Geschäftspartner Georg Pohland umsetzen wollte. "Unsere Idee war eine Foto-Datenbank, bei der man selbst als Nutzender seine Bilder hochladen kann. Deswegen heißt unsere Firma auch heute noch Sunbird Images", sagt Peter Mullen. Georg Pohland und er hatten sich während des Studiums kennengelernt, auch Pohland ist promovierter Biologe. Die Bild-Datenbank für Naturfotograf*innen gibt es bis heute, ein großes Geschäft wurde daraus jedoch nie.
Fotos wie dieses eines Kleinen-Paradiesvogel-Männchens findet man in der Datenbank von Sunbird Images. Foto: Peter Mullen
Doch dafür tat sich eine andere Chance auf. Am 10. Juli 2008 startete das US-Unternehmen Apple einen App-Store für sein iPhone. 500 Anwendungen gab es am Anfang, schnell wurden es mehr – auch dank Sunbird Images. Gemeinsam mit einem britischen App-Entwickler brachte man eine App heraus, mit der Bäume bestimmt werden konnten. 2010 war das, die Zahl der weltweit verfügbaren Apps lag damals noch im fünfstelligen Bereich. Heute sind es mehrere Millionen.
Die KI erkennt Vogelstimmen und -bilder
Um in diesem Umfeld zu bestehen, entwickeln Peter Mullen und Gregor Pohland ihre Technologie permanent weiter. Die Datenbanken sind die Basis, hinzu kommen Funktionen wie die automatische Erkennung von Vogelstimmen – oder auch Tierbildern. Man habe dafür schon früh mit der Hebron-Universität aus Jerusalem an einer KI-Lösung gearbeitet, sagt Peter Mullen. Parallel zur Weiterentwicklung der Technik suchen sie jedoch auch Partner.
Anfangs versuchten sie, den Schulterschluss mit großen Naturbuch-Verlagen zu suchen, um deren Inhalte zu digitalisieren. Denn App-Expertise hatte man inzwischen auch in Wülfrath aufgebaut. "Wir mussten allerdings merken, dass dort teilweise das Verständnis gefehlt hat, wieviel Arbeit es ist, eine solche App aufzubauen und aktuell zu halten", sagt Peter Mullen im Gespräch mit OMR. Stattdessen beschloss man, den Content selbst zu machen – und wandte sich mit dieser Datenbank irgendwann an Organisationen wie den Nabu.
Eine Vogelzählaktion als Marketing-Hebel
Beim Naturschutzbund Deutschland gehören Vögel quasi zur Kern-DNA. Gestartet ist die Organisation 1899 nämlich eigentlich mal als "Bund für Vogelschutz" in einer Zeit, in der Adlige mit Vorliebe auch bunte Vögel jagten und kunstvolle Federn zur Zierde vieler Hutkrempen genutzt wurden. Die neu geschaffene Organisation macht sich stark dafür, Vögel stärker zu schützen – durch Gesetze, aber auch die Einrichtung von entsprechenden Schutzgebieten. Und auch mehr als 100 Jahre später sind es Aktionen wie die "Stunde der Gartenvögel", mit denen der Nabu Menschen für die Artenvielfalt sensibilisieren will.
App mit Saisongeschäft: Die Download-Zahlen der Nabu Vogelwelt-App steigen im Frühling und Sommer regelmäßig stark an. Screenshot: Appfigures
Das Interesse der Menschen hängt dabei allerdings auch von der Jahreszeit ab. „Wir sehen natürlich sehr starke Saison-Effekte", sagt Peter Mullen: "Im November nutzen weniger Menschen die App, im Frühling gehen die Zahlen immer stark in die Höhe". Das Team habe inzwischen große Expertise in App-Store-Optimierung aufgebaut, sagt der Unternehmer. Die Kooperation mit dem Nabu hilft aber natürlich bei der Verbreitung der App, so dass man bislang noch kein Geld für Online-Werbung ausgeben musste. "Durch die Vogelzählungsaktionen rückt das Thema ja regelmäßig medial in den Fokus". Mit Sunbird Images, das auch für andere Organisationen Apps zur Vogel-, Libellen- oder auch Wildtierbestimmung entwickelt, habe man inzwischen auch selbst eine Marke aufgebaut, sagt Mullen: "Aber die des Nabu ist noch größer."
Peter Mullen träumt von weltweiter Vogel-App
Dennoch: Langfristig träumt das Team von einer Lösung, die nicht auf Ländergrenzen zugeschnitten ist. „Unser Ziel ist natürlich schon, irgendwann eine weltweit funktionierende App zur Vogelbestimmung zu bauen", sagt Peter Mullen: "Die Organisationen sind aber mehr an der Einzellösung interessiert, weil die NGOs eigene Apps dadurch auch als Sprachrohr verwenden können, um zum Beispiel auch für eigene Aktionen zu werben wie Vogelzählungen."
Ohne Partner*innen ist die "Welt-App" für Sunbird Images aktuell nur schwer zu realisieren. Das Unternehmen macht trotz der Reichweiten-Erfolge nur einen Umsatz von rund 1,2 Millionen Euro. Immerhin: Die Umstellung bei den Apps auf ein Abo-Modell zahlt sich langsam aus. In der Basis-Version ist die Nabu Vogelwelt-App zwar kostenlos, wer Zusatzfunktionen wie die automatische Bestimmung von Vogelstimmen nutzen möchte, muss jedoch ein Abo für 24,99 Euro im Jahr abschließen. "Wir haben das Abo-Modell in der Schweiz und in den Niederlanden getestet, wo es sich dann auch bewährt hat", sagt Peter Mullen. Rund eine halbe Million Euro habe man mit der App inzwischen umgesetzt. Vom Nabu fließen jährlich zwischen 10.000 und 20.000 Euro für Entwicklungskosten, im Gegenzug fließt ein Teil der Abo-Erlöse in den Vogelschutz. "Schwarze Zahlen schreiben wir mit der App aber noch nicht", sagt Peter Mullen.
Luxus-Fernglas kann Tiere bestimmen
Ein anderes Projekt dürfte den Wülfrathern dafür demnächst viel Aufmerksamkeit bescheren: Im Februar bringt das österreichische Unternehmen Swarovski ein neues Fernglas auf den Markt, das kürzlich auf der Technikmesse CES in Las Vegas vorgestellt wurde. Besonderer Clou: Beim AX Visio können per Knopfdruck Vögel und andere Tierarten bestimmt werden, die entsprechenden Informationen werden dabei per Augmented Reality im Fernglas eingeblendet oder sind per App abrufbar. Bei der Umsetzung arbeitet Swarovski mit Sunbird Images zusammen. "Die Ferngläser von Swarovski sind sehr beliebt in der Vogel-Szene", sagt Peter Mullen. 4600 Euro soll das Swarovski AX Visio kosten – mehr als mancher Diamant, für die das Unternehmen ja eigentlich bekannt ist. Viel Geld, um zu erfahren, ob einem da jetzt gerade ein Mornellregenpfeifer oder ein Spornpieper vor die Linse gelaufen ist.
Für Einsteiger*innen hat Peter Mullen daher kürzlich gemeinsam mit dem Nabu auch ein Buch über die 315 heimischen Vogelarten herausgebracht, das sinnigerweise "Das Nabu-Vogelbuch" heißt und es sogar auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat. Den Halsbandsittich findet man darin übrigens auch. Er ist zwar ein Papagei, wird aber inzwischen schon zu den heimischen Vögeln gezählt. Zwischen 1400 und 2100 Brutpaare gibt es angeblich in Deutschland. Nachgezählt wird im Mai, wenn der Nabu wieder zur "Stunde der Gartenvögel" aufruft – und bei Peter Mullen die Download-Zahlen steigen.