Die „Million Dollar Homepage“ kommt wieder – als „Million Token Website“ auf NFT-Basis

Können ein Schüler und ein Künstler mit dem Remake eines Internet-Hypes von 2005 zu Millionären werden?

Der 16-jährige Ezra Ripps (im Bild) und sein Bruder Ryder sehen ihre Million Token Website als Mischung aus Kunstprojekt und Zukunft der Werbung.
Der 16-jährige Ezra Ripps (im Bild) und sein Bruder Ryder sehen ihre Million Token Website als Mischung aus Kunstprojekt und Zukunft der Werbung. (Foto: milliontokenwebsite.com)
Inhalt
  1. Von Adidas bis „ClickMe4Boobs“
  2. 500.000 Euro Umsatz in 14 Tagen, mit Adidas und „ClickMe4Boobs“
  3. Arbeiten für Pornhub und Travis Scott
  4. Kein Bankkonto? Dann eben Krypto
  5. Schöpfer machen ihre Memes zu Geld
  6. Chance für immer wieder neue Kampagnen?
  7. Eine Plakatwand als Metaverse

Gute Ideen sind einfach und machen ihre Erfinder:innen reich. Die „Million Dollar Homepage“ war so eine Idee. Im Jahr 2005 kreierte Alex Tew einen Hype um seine Website, die er Pixel für Pixel an Werbekunden verkaufte. Ryder und Ezra Ripps verpassen dieser Idee mit der „Million Token Website“ nun ein Update für das Krypto-Zeitalter. OMR haben die beiden Brüder verraten, warum Adidas bereits zugeschlagen hat, was die Site von dem Vorbild unterscheidet, und wie viel ihnen das Projekt am Ende einbringen könnte.

Direkt gegenüber vom Soho House im New Yorker Meatpacking District grinst derzeit ein leicht verpickelter Schüler von einem Plakat. „This CHILD Made OVER $1.000.000 Selling NFTs [Crypto]. Click Here To Find Out How“, lautet der Call-to-Action unter dem Porträt des 16-jährigen Ezra Ripps. Und weil man Plakate schlecht klicken kann, sind dort auch ein QR-Code und die Adresse der Website abgedruckt, die den Jungen vermeintlich reich gemacht hat – und bald tatsächlich noch viel reicher machen könnte.

Von Adidas bis „ClickMe4Boobs“

Das Prinzip der „Million Token Website“ ist schnell erklärt: Es geht um eine Homepage mit der Fläche von 1.000 mal 1.000 Pixeln. Diese Fläche wird in Einheiten von jeweils fünf mal fünf Pixeln verkauft. Jedes der insgesamt 40.000 Quadrate ist ein eigenes „Non Fungible Token“ (NFT, wir hatten bereits an dieser und dieser Stelle über das Phänomen geschrieben) und für 0,025 Ether (nach aktuellem Kurs circa 70 Euro) verkauft. Wer eine Fläche erworben hat, kann sie nach eigenen Vorstellungen gestalten – etwa sein Firmenlogo draufpacken – und mit einem Link versehen. „We welcome artists, advertisers and internet enthusiasts to Million Token Website“, heißt es in der About-Sektion der Website.

Rund 80 Prozent der Fläche der "Million Token Website" (Ausschnitt) sind noch verfügbar. Doch die besten Spots haben die Brüder aber schon an Brands verkauft oder Künstler:innen zur Gestaltung überlassen

Rund 80 Prozent der Fläche der „Million Token Website“ (Ausschnitt) sind noch verfügbar. Doch die besten Spots haben die Brüder schon an Brands verkauft oder Künstler:innen zur Gestaltung überlassen

Alle, die schon etwas älter und dementsprechend länger im Internet unterwegs sind, könnte die „Million Token Website“ an ein anderes Viralphänomen aus dem Jahr 2005 erinnern: Die „Million Dollar Homepage“. Der Brite Alex Tew, damals Student, hatte den Einfall, seine Uni-Gebühren über eine Website zu finanzieren, deren Fläche er pixelweise an Leute und Unternehmen verkauft, die darauf Werbebanner schalten können. Zum Millionär wurde Tew zwar erst später durch die Meditations-App Calm, aber seine Homepage hat ihm abzüglich Steuern und einer Spende immerhin rund 700.000 Dollar eingebracht. Damals sollen u.a. der britische Mobilfunkanbieter Orange, die London Times, Yahoo sowie diverse Online-Casinos Pixel auf „Millionen Dollar Homepage“ gekauft haben.

Das Original und Inspiration für das Projekt der Ripps-Brüder: "The Million Dollar Homepage" aus dem Jahr 2005 (Ausschnitt)

Das Original und Inspiration für das Projekt der Ripps-Brüder: „The Million Dollar Homepage“ aus dem Jahr 2005 (Ausschnitt)

500.000 Euro Umsatz in 14 Tagen, mit Adidas und „ClickMe4Boobs“

Auch auf der „Million Token Website“ sind schon jetzt mehrere Marken vertreten. Zu den ersten Logos auf der Site gehört das des Sportartikelherstellers Adidas – prominent im oberen Drittel der Seite. In unmittelbarer Nähe wirbt das Streetwear-Label Prix. Mehrere Krypto-Projekte haben ihre Logos gedroppt. Ein auf Blockchain-Investments ausgerichteter Fonds hat auf seinem Feld ein Bild von Neo, der Hauptfigur aus den „Matrix“-Filmen, gemalt. Daneben gibt es viele CryptoPunks, Kunstwerke und politische Botschaften zu sehen. Und natürlich fehlt nicht der erwartbare Web-Humor von „PISS“-Schriftzügen bis zu „ClickMe4Boobs“ (Spoiler: der allerdings nicht zum erwarteten Content führt).

Die „Million Token Website“ hat mit dem Vorbild außer dem recht ähnlichen Namen und Konzept nichts zu tun.  Live gegangen ist die Seite vor knapp drei Wochen. Aktuell sind etwas mehr als 20 Prozent der Fläche verkauft. Allein in den ersten beiden Wochen hätten sie 180 Ether eigenommen, so Ryder und Ezra Ripps im Gespräch mit OMR. Auch wenn sie bei der Aussage auf ihrem Plakat in Soho also etwas geschummelt haben – 180 Ether sind beim aktuellen Kurs rund 500.000 Euro wert – ist das Potenzial weit größer als eine Million US-Dollar.

Arbeiten für Pornhub und Travis Scott

„Wenn wir alles verkaufen würden, entspräche die gesamte Website 1.000 Ether“, sagt Ryder Ripps. Aktuell wären das annähernd drei Millionen Euro. Allerdings geht es den Brüdern nicht um maximalen Gewinn. „Es gibt kein monetäres Ziel für die Website“, sagt Ezra. Mit Interessenten, die umfangreichere Flächen kaufen wollen, handele man gesonderte Preise aus. Eine größere Zahl an Parzellen hätten sie an befreundete Künstler gegeben – und am Ende soll die Website selbst eine Art Kunstwerk sein.

Der 34-jährige Ryder Ripps ist Designer und Konzeptkünstler. Mit seinem Studio OKFocus hat er unter anderem bereits für Kanye West, Marc Jacobs, Travis Scott gearbeitet. Für Pornhub entwickelte Ripps 2018 zusammen mit der Fotografin Maggie West die Sci-Fi-Installation „Pornhub Nation“. Als Künstler kam er 2014 zu einiger Bekanntheit durch seine Arbeit „Art Whore“. Für ein Projekt, bei der er eine Nacht Artist-in-Residence in einem Hotel war, buchte Ryder Ripps für 50 Dollar zwei Erotik-Masseur:innen auf der Kleinanzeigen-Plattform Craigslist. Die gingen dann in einem Hotelzimmer ihrer Arbeit nach, was als Sinnbild für seine eigene Rolle als Künstler gedacht gewesen ist – und diesem einen ordentlichen Shitstorm (aber eben auch Fame) einbrachte.

Kein Bankkonto? Dann eben Krypto

Kurz zuvor hatte die „New York Times“ Ryder Ripps in einem Porträt als „An Artist of the Internet“ geadelt. Denn er kann programmieren, viele Werke beschäftigen sich mit dem Web. Auch mit NFTs hat Ripps bereits Erfahrungen gesammelt: Im März verkaufte er ein NFT mit Bezug auf das von ihm mitkreierte Meme „Deal with it“ für 15 Ether (aktuell gut 43.000 Euro). Ein gemeinsam mit seiner Ex-Freundin, der Rapperin Azealia Banks, aufgenommenes Sextape brachte immerhin 10 Ether (aktuell knapp 29.000 Euro) ein.

Es war sein 18 Jahre jüngerer Bruder Ezra, der ihn Anfang 2021 auf das Thema NFT gebracht hatte. „Ich programmiere seit ich neun bin“, sagt Ezra im Video-Call mit OMR. „Im Grunde habe ich schon immer meine komplette Zeit damit verbracht.“ Bereits vor Jahren sei er auf das Thema Kryptowährungen gekommen, quasi aus der Not heraus. Denn als Minderjähriger habe er kein Bankkonto oder einen Paypal-Account eröffnen können. „Als ich elf oder zwölf war, habe ich mich für Jobs in Bitcoin bezahlen lassen“, sagt Ezra. (Und dass er sie besser behalten hätte – aber das ist eine andere Geschichte). Als vor vier Jahren die ersten NFTs rauskamen, habe er sich sofort angeschaut, was man damit machen machen kann, sagt Ezra. „Ich suche immer nach neuen Wegen, dieses Zeug anzuwenden.“

Schöpfer machen ihre Memes zu Geld

Vor ein paar Wochen überlegten die Brüder dann gemeinsam, was sie mit NFTs anstellen könnten. „Ich mag, was gerade mit Memes und diesen Sachen passiert“, sagt Ryder. „Diese Idee von ‚Vergeltung‘.“ Dass also viele Leute, die vor langer Zeit viel zur Online-Kultur beigetragen hätten, aber dafür nie einen Cent gesehen haben, nun endlich eine Möglichkeit haben, ihre Schöpfungen zu Geld zu machen.

Als Beispiel nennt Ryder seine Bekannte Allison Harvard. Vor ihrer Karriere als Model war sie Mitte der 2000-er mit Grusel-Selfies auf dem Image-Board 4Chan als „Creepy-chan“ bekannt und zum Meme geworden. Jetzt verkauft sie einige der Bilder von damals als NFTs und erzielt damit umgerechnet sechsstellige Dollar-Preise. In den vergangenen Wochen war in diversen Medienberichten von weiteren Beispielen zu lesen: Zuletzt versteigerte „Disaster Girl“ Zoë Roth das um sie entstandene Meme als NFT für rund eine halbe Million US-Dollar. Davor hatte das „Overly Attached Girlfriend“-NFT einen Preis von umgerechnet 411.00 US-Dollar erzielt.

Chance für immer wieder neue Kampagnen?

Aber eine alte JPG-Datei als NFT zu minten und per Auktion zu versteigern – das reize die Möglichkeiten der Technologie nicht annähernd aus, meint Ryder. So erinnerten er und sein Bruder sich an die „Million Dollar Homepage“. Wer diese heute besucht, bemerkt aber schnell das Problem. Die allermeisten Links sind inzwischen tot. Auf der „Million Token Website“ der Ripps-Brüder dagegen sollen sich sämtliche Inhalte jederzeit aktualisieren lassen. Der Adidas-Tech-Executive und passionierte NFT-Sammler, der den Claim für die Sportmarke laut Ryder gesichert haben soll, könnte hier also alternativ zum Logo auch aktuelle Kampagnen ausrollen. Das sei definitiv ein Update der „Millionen Dollar Homepage“, so der Künstler.

Außerdem soll es weitere Features geben. Bald launcht eine Chat-Funktion, damit die Besitzer von Flächen sich besser austauschen und vernetzen können. Eine eigene Plattform für den Handel der Pixelquadrate soll folgen. „Ich denke, es ist eine ziemlich neue und attraktive Art der Werbung“, sagt Ryder Rips. „Es ist, wie eine Plakatwand zu besitzen, die man jederzeit verändern kann.“

Ezra Ripps vor Plakaten, auf denen er die "Million Token Website" bewirbt

Ezra Ripps vor Plakaten, auf denen er die „Million Token Website“ bewirbt

Allerdings kommen bislang nicht gerade viele Leute an dieser Plakatwand vorbei. Zum Zeitpunkt des Interviews hatten die Brüder auf der „Million Token Website“ 2.000 Unique Visits am Tag, registrierten aber immerhin eine durchschnittliche Session-Dauer von 2,5 Minuten. Sie hatten allerdings – abgesehen von den Plakaten in Soho – auch noch keinerlei Werbung für das Projekt gemacht. Wer auf der Seite landete, hatte davon über die Social-Media-Accounts von Ryder Ripps oder aber durch einen Retweet irgendeines NFT-Nerds erfahren. Das lässt auf eine kleine, aber immerhin sehr spitze Zielgruppe schließen. (Insofern ist MillionTokenWebsite.com den Metaverse Billboards ähnlich, über die OMR neulich berichtet hat.)

Eine Plakatwand als Metaverse

Wobei es bei dem Projekt am Ende um mehr als schnöde Werbung gehen soll. „In gewisser Weise ist es eine Art Metaverse“, sagt Ryder Ripps. Also eine der im Fahrwasser des NFT-Hypes gerade überall aufpoppenden virtuellen Parallelwelten, in denen User Grundstücke erwerben, gestalten oder vermieten und auch wieder verkaufen können. Auch wenn die Brüder keinen prozentualen Anteil nennen können, Spekulanten machen einen spürbaren Teil der Early-Adopter ihrer Site aus. Auf der NFT-Verkaufsplattform Open Sea stehen bereits mehrere Tausend Felder zum Verkauf. Zum Teil wird die Bestlage „neben dem Adidas-Logo“ betont, wodurch die Verkaufenden offensichtlich eine Vervielfachung des Originalpreises gerechtfertigt sehen.

Die Brüder haben mit dieser Entwicklung auf ihrer „Million Token Website“ kein Problem, sondern sehen darin eher einen Teil ihres künstlerischen Experiments. „Für mich ist das coole daran, dass es wirklich so analog zu Immobilien ist“, sagt Ryder. Ihr Vater sei ebenfalls Künstler und hatte früher nie wirklich Geld. Aber es reichte, um sich ein Loft in Soho zu kaufen, als die Gegend noch eine Künstlersiedlung gewesen sei. Und jetzt sei Soho eine der teuersten Gegenden der Welt, sagt Ryder Ripps. „Dieser ganze NFT-Craze und umso mehr unsere Website, beweist doch irgendwie, dass das alles gar nicht so verschieden ist von den Mechaniken der realen Welt.“

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Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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