Wie Googles Fokus auf Machine Learning SEO verändert: Wird Verweildauer wichtigste KPI?
Die Branche diskutiert Nutzer-Engagement-Metriken vs. klassische Ranking-Faktoren
- „Ich messe alleine die Verweildauer täglich“
- Steht SEO erneut vor einem Gezeitenwechsel?
- „AI lässt uns alle Google-Produkte neu denken“
- Wie viel künstliche Intelligenz steckt bereits im Ranking-Prozess?
- Die Verweildauer bei den Top-Ergebnissen steigt
- „Wir müssen die Qualität von Websites so messen wie die von Apps“
- Vom Difference Maker zum Hygienefaktor
- „Die Verweildauer alleine sagt zu wenig aus“
- „Mit der ‚Panda-Diät‘ können SEOs die Nutzererfahrung verbessern“
- „Eine Pauschalisierung ist kaum mehr möglich“
- Searchmetrics stellt die jährlichen Studien um
Schon 2016 hat Google sein „Mission Statement“ von „Mobile first“ in „AI first“ abgewandelt. Bedeutet dieser Schritt auch, dass Google künftig die Qualität von Websites ganz anders misst als bisher – und muss in Folge dessen auch die Branche der Suchmaschinenoptimierer ihre Methoden verändern? Das glaubt SEO-Experte Philipp Klöckner. Bei anderen Branchenvertretern stoßen seine Thesen nicht nur auf Zustimmung. OMR hat die Stimmen gesammelt.
„Die klassischen Ranking-Faktoren stellten eigentlich ja immer nur ‚Stellvertreter‘ für gute Seitenqualität dar“, so Philipp Klöckner gegenüber OMR. „Nun, wo man diese Qualität aber genau messen und per Machine Learning auswerten und ausrollen kann, verlieren die herkömmlichen Faktoren an Relevanz.“ Schließlich würde Google nicht den besten SEO belohnen wollen, sondern so schnell wie möglich die beste Antwort auf eine Anfrage liefern. „Nur wenn das gelingt kann auch Googles Produkt noch besser werden“, glaubt Klöckner.
„Ich messe alleine die Verweildauer täglich“
Der SEO-Experte geht davon aus, dass Google mittlerweile Methoden aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz verwendet, um Suchergebnisse zu ranken. Und dass deswegen jeder, der auf Platz eins oder zwei der Suchergebnisse ranken wolle, auf die Nutzererfahrung hin optimieren müsse. „‚Time on Site‘ ist die einzige SEO-Metrik, die ich täglich messe“, sagt er.
Klöckners Stimme hat in der SEO-Branche durchaus Gewicht. Der 38-Jährige war in seiner beruflichen Laufbahn bereits als Marketingberater u.a. für Rocket Internet und die Axel-Springer-Beteiligungen Idealo und Ladenzeile tätig. Zuletzt agierte er als Geschäftsführer des Industriemaschinen-Marktplatzes Trademachines. Aktuell ist er als Angel Investor und freier Berater aktiv.
Steht SEO erneut vor einem Gezeitenwechsel?
Als Klöckner einige Jahre nach der Jahrtausendwende mit Suchmaschinenoptimierung anfing, dürfte die Welt für SEOs noch deutlich einfacher gewesen sein. Ein paar Keywords in die Inhalte packen, irgendwie dafür sorgen, dass möglichst viele Backlinks auf die eigene Seite verweisen, und einigermaßen guten Rankings stand nicht mehr viel im Weg.
Heute funktioniert SEO nicht mehr so einfach. Online Marketer müssen eine Vielzahl von weiteren Faktoren berücksichtigen und ein entsprechend großes Tool Set beherrschen, wenn sie die Sichtbarkeit in Googles Suchmaschine aufbauen oder verbessern wollen: Ist die Seite schnell? Ist sie Mobile-optimiert? Ist sie intern gut verlinkt? Stellt der Seitenbetreiber strukturierte Daten zur Verfügung? – etc. ppp.
„AI lässt uns alle Google-Produkte neu denken“
Nun könnte sich, wie Klöckner, glaubt die Gewichtung der verschiedenen Faktoren erneut verschieben, weil sich auch Googles Fokus verändert hat. Bereits im April 2016 rief CEO Sundar Pichai im „Founders Letter“ an die Anteilseigner „AI first“ als neues Motto des Unternehmens aus. Bei seiner Keynote auf Googes Entwicklerkonferenz I/O im Mai 2017 bekräftigte er diese Marschroute: „In einer ‚AI first‘-Welt denken wir alle unsere Produkte neu.“
Gelten Pichais Worte auch für das Kernprodukt des Unternehmens, die Suchmaschine? Als sich im Februar 2016 Amit Singhal, zuvor 15 Jahre lang Head of Search des Konzerns, zur Ruhe setzte, übernahm seinen Posten John Giannandrea, bis dahin Chef von Googles Forschungsabteilung für künstliche Intelligenz. Die Personalie wurde vielerorts als symbolisch angesehen. Mittlerweile ist Giannandrea jedoch zu Apple gewechselt und Google hat seine Aufgaben zwischen zwei Personen aufgeteilt: einen AI- und einen Search-Verantwortlichen, der lange unter Singhal gedient hat.
Wie viel künstliche Intelligenz steckt bereits im Ranking-Prozess?
Darüber, in welchem Maß künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen aktuell bereits für Googles Suchmaschine eine Rolle spielen, drangen zuletzt widersprüchliche Aussagen nach außen. Im September 2017 erklärte Nick Frost, in führender Position in der Machine-Learning-Abteilung Google Brain tätig, auf einer Konferenz, dass Google mittlerweile auch Machine Learning nutze, um herauszufinden, was das beste Ergebnis für eine bestimmte Suche sei. So würden Modelle trainiert, um auszuwerten, ob jemand auf eine Seite klickt und auf dieser bleibt, oder ob der Nutzer zurück zu den Suchergebnissen klicke.
Auf Anfrage des Branchenmediums Search Engine Roundtable wollte Google diese Darstellung jedoch nie bestätigen. Johannes Müller, wichtigster Ansprechpartner auf Google-Seite für Webmaster, widersprach im vergangenen September Frosts Darstellung. In einem Hangout für Webmaster erklärte er, dass Google, zumindest soweit er wisse, keine Klick- und Verhaltensdaten verwende.
Die Verweildauer bei den Top-Ergebnissen steigt
Klöckner ist jedoch davon überzeugt, dass Google im Search-Bereich bereits künstliche Intelligenzen auf Basis von direktem Nutzer-Feedback trainiert. So habe Google ja auch schon AI-Komponenten in andere Produkte integriert: Im Adwords-Buchungs-Tool, in Analytics und in Mail erstellt Google beispielsweise automatisiert personalisierte Vorschläge zur individuellen Nutzung des Produktes.
Der Marketingberater glaubt, dass es in der Suchmaschinenoptimierung künftig essenziell sein wird, jene Art von Kennzahlen zu erfassen und zu optimieren, die auf die Qualität der Nutzererfahrung schließen lassen. „‚Time on Site‘ ist die aussagekräftigste ‚User Metric‘ und wird als SEO-Kennzahl generell noch unterschätzt“, so Klöckner. Er verweist auf eine Studie des Search-Analytics-Tool-Anbieters Searchmetrics aus dem Jahr 2016. Laut dieser ist die durchschnittliche Verweildauer jener Seiten, die Google auf den Plätzen 1 bis 20 der Ergebnisseiten rankt, in den Jahren von 2014 bis 2016 deutlich gestiegen. Bei Platz 1 ist die Time on Site laut Searchmetrics im Durchschnitt innerhalb von zwei Jahren um rund 68 Prozent angewachsen.
„Wir müssen die Qualität von Websites so messen wie die von Apps“
Noch besser als „nur“ die Verweildauer zu optimieren wäre es nach Ansicht Klöckners, auch die ‚“Retention“ der Nutzer, also das Wiederkehrverhalten, einzubeziehen. Diese ergibt sich aus der Multiplikation der Time on Site mit den Sessions per Month. „Damit würde man seine Webseite dann wie eine App messen und die monatliche Gesamtnutzungszeit analysieren. In der ‚Attention-Economy‘ ist die Zeit, die Nutzer einer Website oder App zu schenken bereit sind, expliziter Ausdruck der Qualität dieses Angebots.“ Google messe natürlich weit mehr als dies, beispielsweise die Zeit bis zum ersten Klick auf ein Suchergebnis, die Häufigkeit mit der Nutzer zu Google zurückkehren oder ob User ihre Anfrage noch einmal verfeinern müssen. „All diese Signale können wir aber nicht messen oder beobachten, weshalb Time on Site vorerst die beste oder zweitbeste Metrik bleibt“, so Klöckner.
Nicht jeder aus der deutschen SEO-Branche scheint Klöckner in diesem Punkt vorbehaltlos zuzustimmen. Matthäus Michalik, Mitgründer und Geschäftsführer der Berliner Agentur Claneo und zuvor für Performics/AKM3 tätig, räumt auf eine entsprechende Anfrage von OMR zwar ein, dass der Aspekt, wie Nutzer mit den Ergebnissen und Zielseiten interagieren, eine viel größere Rolle als früher spiele: Hat der Nutzer das gefunden, was er suchte, oder ist er gezwungen, zu Google zurückzukehren, um ein weiteres Ergebnis zu besuchen? In der Verweildauer alleine sieht Michalik jedoch nicht „den lang ersehnten heiligen SEO-Gral“: „Wenn ein Nutzer eine Webseite nur kurz besucht, ist das nicht per se ein schlechtes Signal, denn er kann das gefunden haben, was er suchte. Es ist eher als schlechtes Signal zu werten, wenn der Nutzer gezwungen ist auf Position 2, 3 und weitere zu klicken.“
Vom Difference Maker zum Hygienefaktor
Das Thema Verweildauer wird nach Ansicht von Michalik erst in einem höheren Maße relevant, wenn man die Top-10-Ergebnisse erreiche. „Davor ist und bleibt SEO ein Handwerk bestehend aus der richtigen Strategie, ausreichend gutem bis sehr gutem Content, einer schnellen und technisch einwandfreien Webseite und qualitativen externen Verlinkungen. Bevor man seine Hausaufgaben nicht erledigt, hat muss man sich über die Verweildauer keine Gedanken machen.“
Zumindest beim letzten Punkt würde Klöckner Michalik vermutlich gar nicht widersprechen. Der Berater bezeichnet klassisches SEO als „Hygienefaktor“: „Stark vereinfacht bringt einen klassisches SEO in die Top 10. Wer dann aber auf Platz 1 oder 2 ist, und wer vielleicht auch wieder von der ersten Seite verschwindet, entscheidet zukünftig immer mehr die Qualität der Nutzererfahrung.“
„Die Verweildauer alleine sagt zu wenig aus“
Bastian Grimm von Peak Ace glaubt ebenfalls nicht, dass alleine ein Fokus auf Time on Site Erfolg verspricht: „Ganz so einfach ist es leider doch nicht. In meiner Wahrnehmung verwendet Google eine Kombination von mehreren Metriken (deren individuelle Gewichtung sich von außen nicht präzise bestimmen lässt), bspw. Bounce Rate (Absprungrate, also der Anteil an Besuchen mit nur einem einzigen Seitenaufruf, Anm. von OMR), Click-through-Rate und Views-per-Session – und diese wirken sich je nach Vertical dann auch noch ganz unterschiedlich aus. Häufig wird hier auch zu sehr das Thema ‚Task Completion‘ vernachlässigt. So kann beispielsweise ja für bestimmte Seitentypen ein direkter Outclick von der Entry-Page zu einer anderen Domain absolut positiv sein, für andere eben aber wiederum nicht.“
SEO-Papst Marcus Tandler vom SEO-Software-Anbieter Ryte bezeichnete gegenüber OMR die Aufenthaltsdauer zwar ebenfalls als „sicherlich eine der wichtigsten Metriken“. Dennoch empfiehlt er, diese nicht isoliert zu betrachten. „In meinen Augen ist das ein Dreisatz aus drei Faktoren: Erstens Time on Site. Zweitens der Anzahl der Page Impressions pro durch Suchmaschinen generierten Visit. Auf einer schlechten oder Spam-Seite würde ich mich ja nie weiter durch die Seite klicken. Wenn die Nutzer genau das tun, ist das also defintiv ein Qualitätskriterium. Und drittens der Absprungrate – natürlich abhängig von der Suchanfrage und Suchverhalten.“ Ein Klick zurück auf die Suchergebnisse nach fünf Minuten Aufenthaltsdauer auf der Seite sei natürlich kein Malus, anders als „extrem kurze Click-Throughs, aka ‚Short clicks'“, so Tandler weiter. „Das Ganze muss man natürlich immer in Relation zur Content-Länge, Lesezeit etc. betrachten.“
„Mit der ‚Panda-Diät‘ können SEOs die Nutzererfahrung verbessern“
Falls Klöckner mit seiner These recht behalten sollte: Sind denn Kennzahlen wie Verweildauer und Wiederkehrrate überhaupt mit dem klassischen SEO-Handwerkszeug positiv beeinflussbar – und wenn ja, wie? „Mit der herkömmlichen SEO-Toolbox kommt man insofern weiter, als dass man zum Beispiel mittels der ‚Panda-Diät‘, mit der jeder SEO vertraut sein sollte, die Unterseiten mit der schlechtesten Nutzererfahrung eliminieren kann“, empfiehlt Philipp Klöckner. „Insbesondere Texte, die bisher mit zu viel Fokus auf Keywords oder Textlänge geschrieben worden sind, sollten in Zukunft noch mehr auf die Nutzerintention getrimmt werden.“ In vielen Tests habe er gesehen, dass zum Beispiel das Hervorheben der Wertversprechen eines Online-Shops besserer „Content“ sei, als ein 2.000-Wort Artikel über die entsprechende Kategorie. „Gerade im E-Commerce ist eine große Auswahl, Transparenz und klare Wertversprechen nützlicher als eine Textwüste am Seitenende.“
Nach Ansicht von Marcus Tandler ist der einzige Tipp, den man geben könne, jener, den bestmöglichen Content zu liefern, den der User in diesem Moment sucht. „Das Wichtige ist der eigene Anspruch, wirklich das bestmögliche Ergebnis sein zu wollen, und nicht mehr genau andersherum wie es früher der Fall war, nämlich ‚Ich will für XYZ ranken‘.“ Mit Videos könne man möglicherweise die Verweildauer auf einer Seite erhöhen. Diese sollte man laut Tandler jedoch nicht aus taktischen Gesichtspunkten einbinden, sondern nur wenn etwas wirklich mittels Bewegtbild besser vermittelbar sei. „Google ist mittlerweile so gut darin geworden, zu erkennen, welche Seiten das Suchbedürfnis wirklich am Besten befriedigen, dass jeder taktische Approach einfach nicht nachhaltig ist.“
„Eine Pauschalisierung ist kaum mehr möglich“
„Durch die permanent steigende Nutzererwartung gewinnt die Conversion-Rate-Optimierung in der Suchmaschinenoptimierung immer mehr an Bedeutung, und man sollte somit stärker den Suchenden und seine Erwartungen an eine moderne Webseite im Blick behalten“, meint Matthäus Michalik. „Eine schnelle Webseite mit einem guten User Interface ist somit essentiell für eine gute User Experience.“
Bastian Grimm zeigt sich zwar auch davon überzeugt, „dass eine exzellente User-Experience schlussendlich eine sehr gewichtige Rolle für den Gesamterfolg, und damit auch für das zu erzielende Ranking, im SEO spielt“. Eine generelle Handlungsempfehlung will er in diesem Zusammenhang jedoch nicht aussprechen: „Eine Pauschalisierung scheint nicht mehr möglich, vielmehr müssen wir uns mit Vertical-spezifischen Faktoren und Gewichtungen auseinandersetzen. Und das macht auch viel Sinn, denn lange Texte sind im Shopping-Kontext sicherlich nicht das, was ich auf meiner Zielseite erwarte!“
Searchmetrics stellt die jährlichen Studien um
Dieser Entwicklung trägt auch der von Klöckner zitierte Search-Analytics-Tool-Anbieter Searchmetrics Rechnung. Der hat die Veröffentlichung von Studien über generelle Ranking-Faktoren eingestellt und veröffentlicht seit 2016 nur noch Nischen- und Branchen-spezifische Ranking-Faktor-Studien.