Phänomen Fortnite: Mit dieser Strategie schuf Epic Games das derzeit größte Game der Welt

Wie es ein Spiel geschafft hat, Teil der Popkultur zu werden

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Fortnite bedient sich für "Emotes", wie die Spiel-internen Freudentänze heißen, gerne bei Pop- und Webculture – im Bild zu sehen der "Dab"
Inhalt
  1. „Spiel um Leben und Tod“
  2. Fußball-Stars mit Torjubel à la Fortnite
  3. Fortnite überholt Minecraft
  4. Beliebtestes Spiel auf Youtube und Twitch
  5. Neunstelliger Monatsumsatz, zehnstelliger Jahresumsatz?
  6. Dem Erfolg gingen Jahre in der Entwicklerhölle voraus
  7. In zwei Monaten vom „Ferner liefen“- zum Top-Release
  8. Bisher nicht dagewesene Kombination bewährter Konzepte
  9. Free-to-play, aber nicht Pay-to-win
  10. Die Community entwickelt das Produkt mit
  11. Regelmäßige Updates sorgen für immer neue Aufmerksamkeit
  12. Streamer beeinflussen die Tonalität
  13. Meme-Culture als Inspiration für Jubel-Posen
  14. Fortnite-Videos liefern Streamern besseres Engagement
  15. Bald kommt der Spiel-interne Video-Editor
  16. „Ninja“: Über 500.000 US-Dollar monatlich mit Fortnite-Abos
  17. Nutzen Geschäftemacher Bots, um Twitch-Skins einzusacken?
  18. Ist der Hype noch nicht auf dem Höhepunkt angelangt?

Wenn es ein Thema geben sollte, dass derzeit die Schulhöfe (und vermutlich sogar Uni Campusse) der westlichen Welt am meisten beherrscht, ist es vermutlich das Videospiel Fortnite. Innerhalb kürzester Zeit hat sich vor allem der so genannte Battle-Royale-Modus des Spiels zu einem Massenphänomen entwickelt. OMR beleuchtet das Ausmaß des Erfolges und zeigt in einer detaillierten Analyse, warum dieser auf das perfekte Ineinandergreifen von Produktentwicklung und Marketing zurückzuführen ist. „Zuallererst: Ich liebe Euer Spiel. Meine Freunde aus der Uni-Zeit und ich spielen es fast jeden Abend miteinander.“ – Mit diesem Text soll sich vor wenigen Tagen ein Lehrer in einem Unterforum („Subreddit“) der Social Community Reddit, das sich um das Spiel Fortnite dreht, direkt an das Fortnite-Betreiberunternehmen Epic Games gewandt haben. „Es gibt nur ein Problem: Seitdem Ihr die Mobile-Version herausgebracht habt, können meine Schüler es nicht sein lassen, auch in der Stunde zu spielen.“

„Spiel um Leben und Tod“

Lehrer Hillmann bezieht sich auf Fortnite Battle Royale (BR), einen speziellen Modus des Spieles , der im September vergangenen Jahres als kostenloses PC- und Konsolenspiel und im März dieses Jahres als Mobile Game (wenn auch bislang nur für iOS) erschienen ist. Dabei spielen 100 Spieler auf einer sich ständig verkleinernden Karte gegeneinander und bekämpfen sich mit Waffen und Fallen. Der oder die letzte Überlebende kann für sich den begehrten „Victory Royale“ verbuchen. Die Grundkonstellation ist bereits aus dem japanischen Film „Battle Royale“ aus dem Jahr 2000 bekannt. Durch die „Hunger Games“-Bücher und -Filme erlebte das das bereits aus Filmen wie „Todesspiel“ und „Running Man“ bekannte Konzept des „Spieles um Leben und Tod“ in der Popkultur eine Renaissance. Im vergangenen Jahr gewann das Spiel Player Unknown’s Battle Grounds (PUBG) in der Gaming-Szene große Beliebtheit.

Nun scheint Fortnite BR den Erfolg von PUBG noch zu toppen und unter jungen Menschen einen wahren Hype zu erleben. Er habe seinen Schülern angekündigt, dass er Epic Games anschreiben werde, so Lehrer Hillmann in seinem Reddit-Post. „Könntet Ihr Euren Lade-Screen vielleicht mit dem Satz ‚Mr. Hillmann hat gesagt, Ihr sollt aufhören, während der Stunde zu spielen.‘ versehen?“ Wenige Tage später soll Epic Games wirklich der Bitte des angeblichen Lehrers nachgekommen sein, wie der Tweet eines Epic-Games-Mitarbeiters zeigt.

My favorite thing about working at @EpicGames.

#MrHillman #Fortnite pic.twitter.com/fnnOs1EZSD

— K.L. Smith (@arCtyC) March 30, 2018

Fußball-Stars mit Torjubel à la Fortnite

Mr. Hillmann ist offenbar nicht der einzige Lehrer, der sich über mangelnde Aufmerksamkeit seiner Schüler wegen Fortnite beklagt. Waypoint, das Gaming-Magazin von Vice, hat sich von Lehrern und Eltern schildern lassen, wie besessen Jugendliche derzeit von Fortnite sind. In den USA haben manche Schulen offenbar über das Schul-eigene Wlan den Zugang zu den Fortnite-Servern blockiert, wie sich aus einer amüsanten, von der US-Gaming-Site Kotaku veröffentlichten Sammlung belustigter bis empörter Tweets von betroffenen Schülern und Lehrern schließen lässt. Ein Sportlehrer zeigt in einem Video auf Twitter gar, dass er die Smartphones von Schülern, die er beim Spielen von Fortnite (oder dem vom Konzept her mit Fortnite Battle Royale vergleichbaren Player Unknown’s Battle Ground) erwischt, in einer extra dafür beschrifteten Kiste konfisziert.

When kids play #fortnitemobile in class. #notupinhere pic.twitter.com/tbQv3P2bmw

— Coach Fisher (@FZN_Fisher) March 21, 2018

Nach den Schulhöfen hat Fortnite seinen Siegeszug offenbar in den großen Sportstadien der Welt fortgesetzt: Vor wenigen Tagen feierte der in den Diensten von Atlético Madrid stehende französische Fußball-Star Antoine Griezmann ein Tor mit einem aus Fortnite bekannten Tanz. In den Wochen zuvor waren bereits andere Sportprofis mit vergleichbaren Aktionen aufgefallen: Julian Brandt gemeinsam mit diversen Team-Kollegen von Bayer Leverkusen beispielsweise, sowie Josh Hart von den Los Angeles Lakers, mehrere Spieler der australischen Profi-Rugby-Liga und einige Spieler des Drittligavereins Karlsruher SC.

Fortnite überholt Minecraft

Die enorme Popularität von Fortnite lässt sich jedoch nicht nur anhand solcher Anekdoten belegen, sondern auch mit konkreten Zahlen: Mehr als insgeamt 45 Millionen Spieler verzeichnete Fortnite laut Epic Games bereits im Januar, wie ein Sprecher des Unternehmens gegenüber OMR bestätigte. Im Februar sollen 3,4 Millionen Menschen gleichzeitig auf Epic Games‘ Servern Fortnite gespielt haben. Aktuelle Gesamtnutzerzahlen wollte der Epic-Games-Sprecher auf Anfrage von OMR nicht nennen.

Doch wirft man einen Blick auf die Entwicklung der Suchanfragen bei Google zum Keyword „fortnite“ innerhalb der letzten Monate, so liegt der Schluss nahe, dass die Zahl der Spieler seit Anfang des Jahres nochmals deutlich gestiegen ist.

Und nicht nur das: Fortnite hat in puncto Suchvolumen alle anderen „großen“ Computerspiele abgehängt, Anfang März sogar das jahrelange „Schwergewicht“ Minecraft.

Beliebtestes Spiel auf Youtube und Twitch

Auch auf Googles Videoplattform Youtube hat Fortnite innerhalb kürzester Zeit alle anderen Videospiele in Sachen Views abgehängt. „Wenn sich die aktuelle Tendenz nicht deutlich ändert, werden Videos zum Thema Fortnite in diesem April 1,5 bis zwei Milliarden Views verzeichnen“, sagt Christoph Burseg vom Youtube-Analytics-Tool Veescore gegenüber OMR.

Bereits im März haben Fortnite-Videos auf Youtube rund 800.000 Views verzeichnet – Tendenz weiterhin stark steigend (Quelle: Veescore)

Auch auf der vor allem unter Gamern beliebten und zu Amazon gehörenden Livestreaming-Plattform Twitch (mit der sich OMR hier bereits ausführlich beschäftigt hat) hat Fortnite laut dem Statistik-Tool Sullygnome die Konkurrenz hinter sich gelassen. Innerhalb der vergangenen sechs Monate war Fortnite dort bereits das meist gestreamte Spiel. In den zurückliegenden 30 Tagen soll die Epic-Games-Entwicklung sogar den bisherigen Spitzenreiter League of Legends als meist geschautes Spiel abgelöst haben. Die Gesamtsehdauer aller Fortnite-Streams der vergangenen 30 Tage liegt laut Sullygnome aktuell bei 14.611 Jahren – und damit rund 50 Prozent höher als bei League of Legends.

Neunstelliger Monatsumsatz, zehnstelliger Jahresumsatz?

Wenig verwunderlich: Die Beliebtheit von Fortnite spiegelt sich offenbar auch in entsprechenden Umsätzen wider. Zwar ist Fortnite Battle Royale (der beliebteste Modus des Spieles) komplett kostenlos. Aber die Nutzer können sich Spielfiguren, spezielle Ausrüstung und andere Features kaufen. Der Gaming-Marktforscher Superdata Research schätzte den monatlichen Umsatz von Epic Games mit Fortnite im Februar auf 126 Millionen US-Dollar. Seitdem dürften die Umsätze noch einmal deutlich gestiegen sein. Neu hinzugekommen sind zudem die Umsätze der im März eingeführten Mobile-Version: Laut Schätzungen des Berliner App-Analytics-Dienstleisters Priori Data hat Epic Games mit der iOS-Version von Fortnite BR in nicht einmal einem Monat 23,2 Millionen US-Dollar umgesetzt.

Wie viel Umsatzpotenzial ein erfolgreiches Free-to-Play-Game bietet, zeigt der Vergleich mit dem bislang erfolgreichsten Vertreter der Gattung: League of Legends (das von Fortnite in puncto Beliebtheit offensichtlich gerade überflügelt wurde) hat im Jahr 2017 nach Schätzungen von Superdata Research 2,1 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Börsen-Analysten prognostizierten im März gegenüber Bloomberg gar, dass andere Gaming-Studios durch den Fortnite-Boom ins Hintertreffen geraten könnten. Die beiden Wettbewerber Activision Blizzard und Take Two haben in den vergangenen zwei Monaten bereits zeitweise im niedrigen zweistelligen Prozentbereich an Wert verloren.

Dem Erfolg gingen Jahre in der Entwicklerhölle voraus

Der Erfolg von Fortnite ist umso erstaunlicher, bedenkt man, dass das Spiel zwischenzeitlich offenbar kurz vorm Scheitern stand und von einigen Szene-Vertretern bereits als „Vaporware“ bezeichnet wurde: möglicherweise nur heiße Luft, ewig angekündigt, finales Erscheinen zweifelhaft. Bereits im Jahr 2011 hatte Epic Games Fortnite angekündigt – drei Wochen, nachdem die Idee dazu entstanden und weit bevor das Spiel überhaupt entwickelt war. Es folgte eine jahrelange Achterbahnfahrt mit vielen Iterationen. Die ersten Vorschauen stießen auf eine eher lauwarme Resonanz. „Wir haben das Spiel viel zu früh angekündigt“, so Epic-Games-Vorstandsmitglied Mike Fischer im Jahr 2015.

Im Juli 2017 erscheint Fortnite endlich wenige Wochen vor der Branchenmesse E3 zum Preis von mindestens 40 US-Dollar in einer Early-Access-Version, obwohl das Spiel von Anfang an als Free-to-play angekündigt gewesen war. Der Spielmodus der ersten Version wird heute immer noch unter dem Namen „Save the World“ angeboten. Diesen spielen die Gamer im Idealfall mit mehreren Freunden, mit denen sie zusammen eine Festungsanlage (ein „Fort“) bauen, um sich gegenüber attackierenden Untoten zu behaupten. „Das Spiel, das Epic Games damals vorführte, machte keinen Spaß“, schreibt Charlie Hall von der US-Gaming-Website Polygon in einer Analyse des Erfolges von Fortnite zurückblickend. Andere bewerten das Spiel zum Erscheinungstermin wohlwollender. Aber vergleicht man die damalige Resonanz und auch das Interesse laut Google Trends mit denen von heute, wird deutlich: Ein großer Erfolg ist der Launch der Beta-Version nicht.

In zwei Monaten vom „Ferner liefen“- zum Top-Release

Kurz nach dem Launch der „Save the World“-Version entscheidet die Strategieabteilung von Epic Games nach dem „Player versus Environment“- auch einen „Player versus Player“-Modus zu entwickeln. PUBG war wenige Monate zuvor gelauncht worden und Google Trends zufolge war das öffentlich Interesse an dem von Bluehole entwickelten Spiel im Sommer vergangenen Jahres deutlich größer als an Fortnite. Hatte der bisherige Entwicklungsprozess von Fortnite Jahre gedauert, will Epic nun auf einmal besonders schnell agieren: Das Unternehmen zieht Developer vom Spiel Unreal Tournament ab, um die Entwicklung eines ähnlichen Produkts in kürzester Zeit stemmen zu können.

Nach weniger als zwei Monaten launcht Epic Games im September 2017 Fortnite Battle Royale, und zwar komplett kostenlos als eigenständiges Spiel für PC, Mac, Playstation und Xbox. „Jeder, der schon einmal mit Konsolenherstellern zu tun hatte, kann sich vorstellen, wie kompliziert das war. Unser Marketingteam hat vor dem Launch wahrscheinlich 14 Tage am Stück gearbeitet, ohne Wochenende“, berichtet Ed Zobrist, Head of Publishing von Epic Games, im März 2018 bei einem Vortrag über den „unkonventionellen Launch von Fortnite“ auf der Game Developer Conference. „Ich bezweifele, dass einer der größeren Publisher einen solchen Strategieschwenk in dem gleichen Zeitraum vollziehen könnte, in dem wir das getan haben.“

Bisher nicht dagewesene Kombination bewährter Konzepte

In den kommenden Monaten entwickelt sich Fortnite Battle Royale langsam und dann immer schneller, wie bereits gezeigt, zum massiven Erfolg. Was sind dabei die entscheidenden Faktoren? Zunächst einmal die Qualität des Produktes: Fortnite Battle Royale ist sicherlich ein aufwändig produziertes, unterhaltsames Spiel und mit einer durchschnittlichen Partienlänge von 20 bis 25 Minuten auch relativ kurzweilig. Epic Games vermischt mit Fortnite BR mehrere erfolgsbewährte Konzepte und verleiht ihnen einen eigenen Dreh: Ähnlich wie beim Mega-Erfolg Minecraft können die Spieler Rohstoffe gewinnen und aus diesen selbst etwas bauen. Damit gibt Epic Games der Kreativität der Spieler Raum. Der Bauprozess ist dabei in Fortnite BR in der Regel nicht so langwierig wie in Minecraft, häufig geht es nur um einen kurzfristigen Schutz gegenüber Mitspielern.

Die zweite Komponente von Fortnite BR – das Battle-Royal-Spielkonzept – ist bereits von PUBG bekannt. Doch auch hier gibt es Unterschiede: Während bei PUBG das Spiel nicht immer flüssig läuft, sind bei Fortnite BR die Server deutlich stabiler. Wo PUBG hart, realistisch und blutig in der Darstellung ist, mutet Fortnite BR demgegenüber eher albern und Cartoon-haft an. Weil in Epic Games‘ Interpretation des Genres kein Blut spritzt, ist Fortnite BR möglicherweise auch attraktiver für eine jüngere Zielgruppe – zumindest dürfte diese das Spiel eher gegenüber ihren Eltern vertreten können. Zudem ist durch den Comic-artigen Charakter des Spiels im Vergleich zu PUBG die Stimmung von Fortnite BR auch leichter und weniger angespannt, was möglicherweise die Wahrscheinlichkeit des Wiederspielens erhöht. „Das ist wirklich wichtig für uns“, erklärte Eric Williamson, Lead Systems Designer bei Fortnite, gegenüber Kotaku. „Der Tod fühlt sich nicht so nach Strafe an in unserem Spiel. Die Erfahrung ist nicht so frustrierend. Man lacht darüber, und dann spielt man das nächste Match.“

Free-to-play, aber nicht Pay-to-win

Im nahezu selben Maß wie die Qualität von Fortnite BR dürfte die „attraktive Preissetzung“ zum Erfolg des Spiels beigetragen haben – schließlich ist es komplett kostenlos. „Ein Free-to-play-Spiel dieser Größe hat es bisher noch nicht gegeben“, so Simon Wiefels, in der Gaming-Szene vor allem unter dem Namen „Unge“ als Streamer bekannt, im Gespräch mit OMR. Der Umstand, dass Fortnite BR mittlerweile für nahezu alle Endgeräte verfügbar ist, erhöht die potenzielle Reichweite des Spiels noch einmal. „Wenn man auf dem Schulhof von Fortnite erzählt bekommt, kann man es sich sofort runterladen und mitspielen. Das ist für junge Menschen ja entscheidend, weil es für sie leichter macht, das Spiel mit Freunden zu spielen“, so Unge. Aber kann das der alleinige Erfolgsgrund sein? Schließlich feiern jährlich Hunderte anderer Free-to-play-Spiele nicht den gleichen Erfolg wie Fortnite BR.

Auch in seinem Wesen als kostenloses Spiel unterscheidet sich Fortnite BR von vielen anderen Vertretern dieser Gattung: „Fortnite BR ist zwar Free-to-play, aber nicht Pay-to-win“, erklärt Unge. Soll heißen: Bei vielen anderen kostenlosen Spielen lassen sich mit Geld besondere Waffen oder Features kaufen, die dem jeweiligen Spieler einen unfairen Vorteil gegenüber den nichtzahlenden Mitspielern einbringen. Bei Fortnite BR gegenüber sind die käuflichen Features rein optischer Natur – „Eyecandy“. Einen spielerischen Vorteil bieten sie dem Käufer nicht.

Die Community entwickelt das Produkt mit

Über die Weiterentwicklung des Spiels und über potenzielle neue Skins, Emotes, Waffen und andere Features tauscht sich Epic Games permanent mit den Spielern aus. Bereits nach der Veröffentlichung der ersten geschlossenen Version hatte das Unternehmen auf Community-Building und beispielsweise ein eigenes Forum gesetzt. Seitdem ist Epic Games von dieser Strategie offensichtlich nicht abgewichen. „Wir haben ein Analytics-System, wir schauen Streamern zu, wir beteiligen uns in Foren und sammeln Feedback über Reddit“, erklärte David Spalinski, Lead Level Designer bei Epic Games, gegenüber Kotaku.

Aktuell ist es durchaus vorstellbar, dass Epic Games über einen sehr langen Zeitraum Fortnite nie als ein „fertiges Produkt“ betrachten wird. So vergeht kaum eine Woche, ohne dass das Unternehmen nicht mindestens ein geringfügiges Update auf der Fortnite-Seite vermeldet. „Epic Games entwickelt das Spiel sehr viel schneller weiter als Bluehole PUBG; das ist ein weiterer Pluspunkt“, so Unge. Teilweise zitieren die Entwickler sogar Wünsche oder Feedback ihrer Spieler in den „Patch Notes“ – selbst, wenn dies negativ sein sollte.

Regelmäßige Updates sorgen für immer neue Aufmerksamkeit

Nach nahezu jedem größeren Update lässt sich in Monitoring-Tools eine Zunahme des Interesses an Fortnite BR beobachten. Im Dezember führt Epic Games für kurze Zeit einen „50 vs 50“-Modus in Fortnite BR ein, bei dem sich die Spieler in zwei Teams gegeneinander bekämpfen. „Der wurde schnell unheimlich beliebt“, so Head of Publishing Ed Zobrist bei seinem GDC-Vortrag. Wenige Tage später folgt ein Patch mit winterlichen Skins und Waffen. Wie eine exklusive Auswertung der Social-Media-Monitoring-Plattform Talkwalker für OMR zeigt, nahm die Zahl der Social Mentions des Keywords „fortnite“ im Dezember rasant zu: Von unter 250.000 pro Woche im Zeitraum vor dem 15. Dezember auf fast eine halbe Million in der letzten Dezember-Woche und deutlich über eine Million Mitte Januar. ninja

(Quelle: Talkwalker)

Außer über Word-of-Mouth dürfte Fortnite BR dieser und der auch darauf folgende Social Buzz vor allen Dingen über Youtube und Twitch entstanden sein. Bereits vor dem Launch der ersten „Save the World“-Version hatte Epic Games mit Streamern Kontakt aufgenommen und mit diesen eine Kampagne durchgeführt, wie Head of Publishing Ed Zobrist in seinem GDC-Vortag berichtet. Hinzu kam damals eine exklusive Kooperation mit Twitch: Amazon-Prime-Nutzer, die bei Twitch einen Fortnite-Stream schauten, erhielten exklusive Ausrüstung (oder im Gamer-Jargon „Loot“), wenn sie zuvor ihren Fortnite- mit ihrem Twitch-Account verknüpft hatten. Wie mächtig dieses Marketing-Tool ist, sollte sich erst später, in den Monaten nach der Veröffentlichung von Fortnite BR so richtig zeigen.

Streamer beeinflussen die Tonalität

Frühzeitig hat Epic Games mit diesen Maßnahmen das Fundament für eine gute Beziehung zu Streamern gelegt, wie auch Unge bestätigt. Wie viele andere auch ist der deutsche Streamer nach eigenen Angaben nie von Epic Games dafür bezahlt worden, Fortnite BR in seinen Videos und Streams zu spielen. Trotzdem tut er es. Denn aus Sicht der Streamer hat Fortnite BR nicht nur gegenüber dem „Save the World“-Spielmodus von Fortnite selbst, sondern auch gegenüber vielen anderen Spielen mehrere Vorteile: „Man versteht als Zuschauer sofort, worum es geht.“ Zudem ist jede Partie anders. Und weil man als Spieler von Fortnite BR gegen andere Menschen und nicht gegen einen Computergegner antritt, ist das Spiel möglicherweise noch besser dazu geeignet, bei potenziellen Video- oder Stream-Zuschauern für Emotionen zu sorgen.

Drei Wochen nach dem Launch von Battle Royal stellen Mitarbeiter von Epic Games ein Fortnite-Video für ein Firmen-internes Event zusammen. Es zeigt in schneller Folge lediglich die Reaktionen von Streamern auf eine Partie Fortnite BR. „Das Video war anders als unsere bisherigen, die eher den kompetitiven in den Mittelpunkt gestellt hatten. Es vermittelte eher die reine Freude am Spielen“, so Head of Publishing Ed Zobrist. „Das war ein Wendepunkt für die Tonalität. Von da an fanden wir erst die richtige Stimme für die Battle Royale Brand.“

Meme-Culture als Inspiration für Jubel-Posen

Besagtes Firmen-interne Video bildete die Grundlage für den Youtube-Clip, mit dem Epic Games das Erreichen der Marke von 20 Millionen Spielern vermeldete. Von da an wurden neue Features und die Videos über diese noch deutlich humorvoller bis teilweise kindlich-albern vorgestellt. Kurze Zeit später präsentierte Epic Games beispielsweise die Funktion, sich in einem Busch verstecken und mit diesem herumzulaufen zu können in einem Gag-haften Mini-Clip mit dramatischer Musik unterlegt. Bald darauf folgte die Einführung der „Boogie Bomb“ – einer Granate im Disco-Kugel-Look, die ihre Opfer tanzen lässt. Noch stärker als bisher greift Epic Games seitdem mit Emotes Elemente der Pop- und Web-Kultur auf: Etablierte Memes wie das Dabbing, das Ponyreiten von Psy oder Salt Bae können schnell ergänzt werden durch jüngere, wie beispielswiese der Tanz des Clowns aus dem im September angelaufenen Horrorfilm „It“. So kann Epic Games mit Fortnite potenziell immer wieder auf bereits bestehenden Aufmerksamkeitswellen mitreiten. Hier ein Überblick über bisherige Fortnite-BR-Emotes und ihren jeweiligen Ursprung:

Fortnite-Videos liefern Streamern besseres Engagement

Christoph Burseg

Die Emotes sind dankbare Elemente für Youtuber und Streamer, weil diese auch bei den Zuschauern gut ankommen. „Nach einem Kill zu tanzen, mag eher untypisch sein, ist aber auch ziemlich witzig. Und natürlich liefert das gute Bilder für Videos“, sagt Youtube-Experte Christoph Burseg von Veescore. Neue Emotes, Skins und andere Features liefern immer wieder Anlässe für neue Videos. 28,8 Millionen Ergebnisse spuckt Youtube derzeit auf die Sucheingabe „fortnite new“ aus. „Die Skins sind sehr wichtig“, so Burseg weiter. „Manche Gegenstände waren ja nur in der Zeit vor dem Hype verfügbar. Wer einen davon besitzt, ist sofort ein ’seltener Schmetterling‘. Videos über seltene Gegenstände sind mega erfolgreich.“

Nicht sonderlich erstaunlich, dass Fortnite-Videos bei Youtube auch bessere Engagement-Raten verzeichnen als die zu anderen Spielen. „Schon einen Monat bevor Fortnite bei Youtube Minecraft in Sachen monatliche Views überholte, bekamen Fortnite-Videos mehr monatliche Likes“, so Veescore-Gründer Burseg. „Die bessere Interaction hat also schon einen Monat früher gezündet als die Views.“

Bald kommt der Spiel-interne Video-Editor

Weil Epic Games es darauf anlegt, die Spieler mit immer wieder neuen Gadgets zu unterhalten, macht das Unternehmen es Streamern gleichzeitig einfach, Content zu erstellen, der bei ihren Zuschauern gut ankommt. Der Umstand, dass der Content für die Zuschauer attraktiv ist, macht diesen wiederum für die Streamer noch attraktiver – beide Effekte verstärken sich gegenseitig und Epic Games verzeichnet massive kostenlose Reichweiten. Produktentwicklung und Marketing greifen perfekt ineinander. „Epic Games hat da auf jeden Fall alles richtig gemacht, weil sie ein gutes Produkt auf den Markt gebracht haben, dass die Streamer gerne spielen“, sagt Simon Unge.

In Zukunft soll es für Creator sogar noch leichter sein, attraktive Fortnite-Videos zu erstellen. Wie Epic Games im März ankündigte, wird Fortnite das erste Spiel sein, in den das Unternehmen den neuen Replay-Editor der firmeneigenen Unreal Engine integriert. Mit dem Editor können Youtuber nach einer Partie Videos ihrer Spielzüge bearbeiten, während des Spiels gar nicht verfügbare Kameraperspektiven auswählen, zoomen, den Fokus verändern. Das Tool soll ihnen ermöglichen, cineastische Videos zu produzieren.

„Ninja“: Über 500.000 US-Dollar monatlich mit Fortnite-Abos

Bereits der bisherige Erfolg von Fortnite BR bei Youtube hat einige etablierte Streamer dazu bewegt, sich von dem Spiel, für das sie bis dahin bekannt waren, zu emanzipieren. Der australische Streamer Alistair Aiken Ali-A (auch im obigen Video bei der Vorstellung des Replay Editors zu sehen) beispielsweise war lange Zeit vor allem für seine Videos zu Call of Duty bekannt. Im vergangenen Oktober veröffentlichte er erstmals ein Fortnite-Video auf Youtube. Über Videos zu den bereits genannten neuen Features im Dezember (50-v-50, Winterskins) erhielt Aiken enorm viel Aufmerksamkeit. Seit seinem ersten Fortnite-Video hat er seitdem 173 weitere produziert. Seit rund vier Monaten besteht Aikens Output zu 90 bis 95 Prozent aus Fortnite Videos. Aktuell dürfte er auch den größten Teil seiner Views darüber generieren. Heute ist er laut Veescore der größte Fortnite-Influencer auf Youtube.

Die größten Fortnite-Influencer auf Youtube im Zeitraum vom 15. März bis 15. April (Quelle: Veescore)

So wie Minecraft einigen Streamern der ersten Generation (oder „Lets Playern“, wie es damals noch hieß) zu Bekanntheit verholfen hat, gibt es nun eine neue Generation von Streamern, die vor allem über Fortnite bekannt wird. Allen voran: Tyler Blevins, auch genannt „Ninja“. Seine Youtube-Views sind dank Fortnite innerhalb kürzester Zeit durch die Decke gegangen. Noch beeindruckender aber ist die Entwicklung seines Kanals auf Twitch. Innerhalb kürzester Zeit ist die Zahl seiner Abonnenten auf mehr als 200.000 Abonnenten angewachsen. Ein Abonnement kostet 4,99 US-Dollar; die Hälfte davon geht an den Streamer. 

Tyler '@Ninja' Blevins says he makes $500,000 a month playing video games. pic.twitter.com/jk9fvOiNZV

— CNBC (@CNBC) March 19, 2018

 

Nutzen Geschäftemacher Bots, um Twitch-Skins einzusacken?

Gegenüber CNBC bestätigte Blevins, dass er monatlich mehr als eine halbe Million US-Dollar Umsatz alleine mit Twitch-Abos generiert. Den Großteil seiner Abonnentengewinnung führt Ninja in dem Interview auf den exklusiven „Loot“ zurück, den Epic Games den Twitch-Usern im Rahmen von Epic Games‘ Kooperation mit Amazon Verfügung stellt. Das deutschsprachige Gaming-Magazin Mein MMO spekuliert aufgrund mehrerer entsprechender Tweets des Streamers Shorty darüber, ob das Abonnenten-Wachstum bei Fortnite-Streamern auf Twitch auch auf Bots zurückzuführen ist. So könnten bauernschlaue Geschäftemacher über Ebay Kleinanzeigen oder andere Plattformen günstig Prime-Accounts erwerben, um mittels dieser die exklusiven Twitch-Skins für Fortnite zu erhalten – und diese später möglicherweise gewinnbringend zu verkaufen.

Im Fall von Ninja dürften wohl aber auch andere Effekte für Abonnenten-Wachstum gesorgt haben. So streamte der „Fortnite-Super-Influencer“ im März über Twitch eine Partie Fortnite gemeinsam mit Rap-Superstar Drake, Profi-Football-Spieler Juju Smith-Schuster, Rapper Travis Scott und surrealerweise Digital-Promi Kimdotcom. Laut dem Klatsch-Portal TMZ soll die Teilnahme von Drake keine bezahlte Marketingaktion gewesen sein. Der Stream brach mit mehr als 628.000 gleichzeitigen Zuschauern den bisherigen Rekord an Livestream-Zuschauern. In der Woche darauf verdoppelte sich laut Google Trends das Suchvolumen zum Keyword „fortnite“. Offenbar wollte Google dies nicht auf sich sitzen lassen: Ende März streamte der spanische Gamer El Rubius ein Fortnite-Turnier live auf Youtube. Laut Ryan Wyatt, Head of Gaming bei Youtube, soll dieser Stream sogar zeitweise von 1,1 Millionen Zuschauern gleichzeitig verfolgt worden sein.

How big is @FortniteGame on YouTube? Fortnite holds the record for the most videos related to a video game uploaded in a single month EVER. Yesterday, the Battle Royale tournament had over 42M live views, and set a record for biggest single live gaming stream @ 1.1M concurrent.

— Ryan Wyatt (@Fwiz) March 26, 2018

Ist der Hype noch nicht auf dem Höhepunkt angelangt?

Mittlerweile scheint das Phänomen Fortnite über die sonst im Gaming-Bereich so wichtigen Plattformen wie Youtube und Twitch hinaus gewachsen zu sein. Wie die Analyse von Talkwalker zeigt, verzeichnen heute im Plattform-übergreifenden Vergleich (allerdings ohne die Berücksichtigung von Twitch) diverse Instagram-Accounts, die Fortnite-Kurzvideos posten, das meiste Engagement. Wenig erstaunlich, dass die Betreiber von Viral-Accounts aufspringen und vermutlich größtenteils Schnipsel von bereits auf Youtube und Twitch erfolgreichen Videos klauen und auf Instagram veröffentlichen.

Die Plattform-übergreifend aktuell Engagement-stärksten Social-Accounts zum Thema Fortnite (Quelle: Talkwalker)

Ganz im Olymp der Videospiele ist Fortnite allerdings noch nicht angelangt. Pokemon Go, Minecraft und Grand Theft Auto verzeichneten vor einigen Jahren noch deutlich höhere Peaks bei Google Trends und wurden dementsprechend damals offenbar noch häufiger bei Google gesucht als heute Fortnite. Doch einige große Potenziale hat Epic Games mit Fortnite noch gar nicht erschlossen. So existiert das Spiel zum einen bislang noch nicht in einer Version für das bei Teenagern sehr verbreitete mobile Betriebssystem Android. Zum anderen ist Fortnite noch nicht in China veröffentlicht. Dort war PUBG beispielsweise bislang ein riesiger Hit. Und mit dem chinesischen Konzern Tencent als Teilhaber (hat im Jahr 2012 48 Prozent an Epic Games übernommen) haben die Fortnite-Erfinder einen äußerst potenten Partner für den asiatischen Markt in der Hinterhand.

FortniteGaming
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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