Der Hype um Dropshipping: Ist das die Revolution im Markenaufbau?

Martin Gardt19.1.2018

Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen der Dropshipping-Branche

Dropshipping erklärt
Dropshipping erklärt
Inhalt
  1. Ohne Risiko auf Trends reagieren
  2. „Dropshipping-Gurus“ auf Youtube und Facebook
  3. Shopify-Apps machen es einfach
  4. Plattform-Marketing ist entscheidend
  5. Influencer für Dropshipping-Produkte
  6. Revolution im Markenaufbau
  7. Ist der Hype vorbei?

Dropshipping ist immer noch ein heißes Thema für Online-Händler, die mit möglichst geringem Aufwand viel Umsatz machen wollen. Denn im Kern geht es bei diesem E-Commerce-Business darum, Produkte zu verkaufen, die der Händler nie berührt oder im Lager hat. Sie werden direkt von asiatischen Plattformen wie Aliexpress verschickt. Wir werfen einen Blick in die Dropshipping-Szene und zeigen, wie der Markenaufbau ohne eigene Produkte funktioniert.

Vielleicht begegnen Euch auch ab und an Brands und Produkte auf Facebook und Instagram, von denen Ihr noch nie gehört habt. Als etwa der Fidget-Spinner-Hype Mitte 2017 seinen Höhepunkt erreichte, waren die Facebook-Newsfeeds vieler Nutzer voll mit Ads für das Spielzeug. Meist führte ein Klick auf einen typischen Online-Shop wie diesen, auf dem hunderte Fidget Spinner zu günstigen Preisen zur Auswahl stehen.

Dropshipping-Shop

Ein typischer Dropshipping-Shop

Hinter solchen Shops stecken allerdings keine Händler, die das Spielzeug herstellen und aus ihrem Lager verschicken, sondern findige Marketer, die mit der E-Commerce-Plattform Shopify einen Shop aufsetzen und die Bestellungen direkt an China-Shops wie Aliexpress weitergeben. Diese verschicken die Ware dann an den Kunden. Der Händler, der die Bestellung ursprünglich angenommen hatte, bekommt die Ware nie zu sehen.

„Beim Dropshipping ist das Risiko minimiert, weil man mit vergleichsweise geringem Budget starten kann und – anders als im klassischen E-Commerce – keine Mindestmenge an Bestellungen vorhanden sein muss. Gleichzeitig kann der Händler schneller auf neue Trends reagieren“, sagt ein Dropshipper, der anonym bleiben möchte, zu OMR. Er selbst habe lange Zeit über 100 Dropshipping-Shops betrieben und diese mittlerweile an „Virtual Assistants“, also Freelancer auf der ganzen Welt outgesourced. Im klassischen Dropshipping entstehen kaum Kosten durch die Infrastruktur und natürlich keine durch Logistik. Kosten entstehen am Ende vor allem für das Marketing.

„Das typische Vorgehen beim Dropshipping: Trend erkennen, Shop aufbauen, die Zielgruppe auf Plattformen wie Facebook mit einem günstigen Angebot auf die Seite locken und dann im Optimalfall weitere Produkte mit verkaufen“, sagt der Dropshipper. So sei auch die Zahl von 100 Shops entstanden. Wer auf jeden Produkttrend (Stichwort: Fidget Spinner) reagieren will, muss auch ständig neue Shops aufmachen – mit einer Dropshipping-Strategie aber kein großes Problem. „Beim Dropshipping sind günstige Produkte aus Asien deshalb so beliebt, weil hochpreisige Ware im Zoll stecken bleiben kann und Stornos mehr Aufwand bedeuten.” Neben Spielzeug sind Handyhüllen und T-Shirts typische Dropshipping-Artikel.

„Dropshipping-Gurus“ auf Youtube und Facebook

Weil es relativ einfach ist, mit Shopify professionell wirkende Shops zu erstellen, ist eine gewisse Glücksritter-Ökonomie rund um das Thema entstanden, die auch durch den Trend „passives Einkommen im Netz“ gepusht wird. Dropshipping-Gurus versuchen bei Youtube oder Facebook, Reichweite mit ihren Empfehlungen aufzubauen. Ein typisches Beispiel ist der junge Ire Rory Ganon, der im August 2017 eine Woche vom Aufbau seines Shops berichtete und immerhin für seine Videos immer so um die 100.000 Views sammelte. Aus Deutschland versucht sich gerade Kris Stelljes als Dropshipping-Erklärer auf Youtube.

Die Versprechungen sind groß. Ganon wettet, er könne innerhalb einer Woche einen Shop aufbauen und 1.000 US-Dollar verdienen. Stelljes gibt in seinem Video an, er verdiene über 2.000 Euro am Tag mit Dropshipping. Und dabei gehen die Jungs durchaus offen mit ihrer Erfolgsstrategie um. Ganon zeigt in seinen Videos detailliert, wie er einen Shop mit Shopify erstellt, die Produkte aufgrund passender Zielgruppen auswählt, seinen Shop mit Aliexpress verbindet, Facebook-Ads schaltet und dann Verkäufe generiert. Wie der Atlantic in einem Artikel über Ganon schreibt: „Er kehrt die komplette Idee von Handel um. Was er verkauft ist zweitrangig zu dem, wie er verkauft.“

Die selbstbetitelten Dropshipping-Millionäre versuchen mit ihren Tipps natürlich auch, Geld zu verdienen. Kris Stelljes verlinkt unter seinem Video zu Shopify und kassiert eine Affiliate-Provision. Unter dem Interview eines Dropshippers führt ein Klick auf den Link zu einem kostenlosen „Drop-Shipping Spicker“ des Kanal-Betreibers Eric Promm, für den Nutzer ihre E-Mail-Adresse da lassen müssen – um später über diesen Kanal Bezahlangebote von Promm zu erhalten.

Shopify-Apps machen es einfach

„Die meisten Dropshipper nutzen Shopify für ihre Online-Shops. Das Tool ist günstig, lässt sich leicht bedienen und es gibt unzählige Apps, die beim Dropshipping extrem helfen”, sagt der Dropshipper. Das entscheidende Tool – und deshalb wird es auch in wirklich allen Dropshipping-Videos erwähnt – sei Oberlo. Die Macher werben auf der Webseite damit, dass Oberlo-Nutzer seit Gründung des Unternehmens 85 Millionen Produkte mit dem Tool verkauft hätten. Die App wird in den mit Shopify erstellten Online-Shop integriert und erlaubt es Händlern, Produkt-Informationen inklusive Bild von Chinaseiten wie Aliexpress automatisch auf die eigene Seite zu kopieren. Dann braucht der Dropshipper nur noch Preisregeln festlegen (schlage immer 80 Prozent auf den sich ändernden Aliexpress-Preis drauf) und fertig ist das „Inventar“.

Die App leitet Bestellungen und Kundeninformationen sogar direkt zu Aliexpress weiter, wo dann die Lieferung ausgelöst wird. Die App ist zum Start kostenlos, erst wer über 50 Bestellungen pro Monat verzeichnet, muss 30 US-Dollar im Monat zahlen. Wer auf über 500 Bestellungen kommt, zahlt knapp 80 Dollar. Oberlo wurde ausschließlich für Dropshipping erstellt, nicht ohne Grund explodiert die Zahl der Dropshipping-Shops seit Einführung des Tools 2015.

Oberlo ist das wichtigste aber nicht das einzige Tool, das Dropshipper nutzen. Der Dropshipper habe die Shopify-App „Product Reviews“ integriert, um Bewertungen zu verwalten und anzukurbeln. Hinzu komme „Order Printer“ für Rechnungsverwaltung und ein Tool um künstliche Verknappung zu erzeugen – mit Einblendungen wie: „Von diesem Produkt sind nur noch 3 verfügbar“.

Plattform-Marketing ist entscheidend

Ist der Shop erst einmal aufgesetzt und automatisiert, entscheidet das Marketing über den Erfolg – und wird zur einzigen Aufgabe. Dropshipping hätte sich nie so entwickeln können, gäbe es nicht Plattform-Marketing. „Der Marketing-Kanal Nummer 1 ist mit weitem Abstand Facebook. Aber auch Influencer können hilfreich sein“, sagt der Dropshipper. Facebook eigne sich mit seinen Zielgruppen-Einstellungen im Ads Manager perfekt für das Dropshipping-Business. Ads im Newsfeed zu schalten, kann schon ohne eigene Reichweite funktionieren – genauer und günstiger wird es für Dropshipper aber mit sogenannten Lookalike-Audiences. Das sind Facebook-Nutzer, die sich ähnlich verhalten wie Nutzer, die man bereits erreicht.

Der Dropshipper habe solche Lookalikes über eigens erstellte Fanpages gewonnen. Seine Facebook-Seiten habe er aufgebaut, indem er sich Viral-Videos geschnappt, diese mit Budget in die Newsfeeds potenzieller Fans gepusht und so dann Likes gesammelt habe. Für ein paar hundert Euro seien so 100.000 Follower drin gewesen. Anschließend konnte er dieses Follower auch organisch mit Produkten ansprechen und gleichzeitig Lookalike-Audiences bilden und so weitere, sich ähnlich verhaltene Facebook-Nutzer günstig mit Ads im Newsfeed erreichen.

Wie diese Ads die Aufmerksamkeit des Kunden auf sich ziehen? Teilweise werden günstigste Preise versprochen oder Produkte gleich kostenlos angeboten. Der Dropshipper habe MP3-Player für Null Euro verkauft – und dabei oft nur mit den hohen Versandkosten von zehn Euro Geld verdient. Zum Teil hätten Nutzer aber direkt vier Player „gekauft“ und dann jeweils Versandkosten bezahlt – obwohl er selbst nur einmal Versand gezahlt habe. Hauptsächlich diene das Anbieten von Gratis-Produkten aber dem Upselling. Wenn Kunden über das unschlagbare Angebot in seinen Shops landen, würden sie meist weitere Produkte kaufen.

Influencer für Dropshipping-Produkte

Auch Influencer Marketing auf Instagram kann laut dem Dropshipper funktionieren – aus seiner Erfahrung besser als Instagram Ads. Allerdings lohne sich das nur bei höherpreisigen Produkten wie zum Beispiel während des „Hoverboard“-Hypes. Für Shop-Betreiber könne es sich lohnen, Nischeninfluencer mit Affiliate-Provisionen zu vergüten, eine Festbezahlung wie bei prominenten Influencern sei dagegen unrealistisch. Der irische Dropshipper Rory Ganon entscheidet sich während seines Wochen-Experiments übrigens für einen Shop, der Löwenprodukte verkauft. In diesem Bereich gäbe es Influencer, die er nutzen könne.

Mittlerweile tauchen aber auch immer häufiger Instagram-Ads zu Dropshipping-Shops auf. Dabei muss das Produkt natürlich zur Zielgruppe auf der Plattform passen. Deshalb stolperten wir während der Recherche vor allem auf Mode-Shops, die T-Shirts, Hemden, Mäntel oder Socken verkaufen – meist im Stile höherpreisiger Marken aber voll synthetisch.

Revolution im Markenaufbau

Instagram Ad

Instagram-Ad von Louie Supply

Ein gutes Beispiel, wie Dropshipper versuchen, Brands mit billigster China-Ware aufzubauen, ist „Louie Supply“. Über Instagram bewirbt das „Unternehmen“ seine Hemden und weltweit kostenlose Lieferung ab 100 US-Dollar. Wer auf die Ad klickt, landet auf dem Shopify-Shop, der wirkt wie Stores so vieler hipper Marken – Models auf Bahnschienen inbegriffen. Im About Us-Bereich behaupten die Macher, aus Vancouver zu sein und für ihre Kunden auf der ganzen Welt nach wenig bekannten aber extrem coolen Brands zu suchen. Wie so viele Dropshipper erzählen sie eine Geschichte rund um ihre Marke – am Ende schicken sie Bestellungen nach China weiter und lassen alles von Aliexpress erledigen.

Für die Verbraucher ist von außen kaum mehr erkennbar, ob es sich bei solchen Brands um lokale Label oder billige China-Zwischenhändler handelt. Dropshipping-Marken heißen Louie Supply, West Louis, Romwe oder Hype Clothing. Viele dieser Mode-Dropshipper nutzen Private Label, lassen also ihre Marke in China auch noch in die austauschbaren Hemden oder Mäntel nähen. Dadurch entsteht eine kleine Markenaufbau-Revolution in dem Business. Statt viel Geld in Branding zu stecken, um sich als junge Brand zu etablieren, setzen Dropshipper auf günstige Produkte in Kombination mit nach außen professionell wirkenden Online-Shops.

Louie Supply Webseite

Die Webseite von Louie Supply

Ist der Hype vorbei?

Der Dropshipper kümmert sich nicht mehr sonderlich intensiv um seine Shops: „Der Dropshipping-Höhepunkt war sicherlich die Zeit vor der US-Präsidentschaftswahl. Trump-Produkte sind explodiert und wir haben in den USA richtig Umsatz gemacht – mit Flaggen, T-Shirts und Tassen.“ Wie bereits erwähnt, lässt er seine Shops von Freelancern auf der ganzen Welt managen. Auf Plattformen wie UpWork finden sich Hunderte digitale Arbeiter, die bereit sind, für fünf Dollar die Stunde den Job zu übernehmen. „Dropshipping war vor einem Jahr noch heiß. Mittlerweile ist der Kampf zwischen unzähligen Shops einfach zu groß und es wird immer schwieriger, Produkte zu finden, die nicht schon woanders verkauft werden“, sagt er.

Obwohl er sich selbst als Dropshipping-Millionär bezeichnet, glaubt er nicht daran, dass noch wirklich viel Geld in dem Business zu verdienen ist – vor allem nicht ohne großen Einsatz: „Viele unterschätzen die Kosten, die durch Dropshipping entstehen. Wer sich als 1-Mann-Unternehmen richtig reinhängt, kann vielleicht 5.000 bis 10.000 Euro Gewinn im Monat machen, wahrscheinlicher sind aber 2.000 Euro netto im Monat.”

DropshippingE-Commerce
MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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