Vom lahmen Wetter-Sender zur Online-Publishing-Macht

Gastautor9.12.2014
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Inhalt
  1. Das Content-Marketing-Lehrstück weather.com zeigt, was mit dem richtigen Dreh auf ein Thema alles möglich ist
  2. Clickbait und viraler Content bei weather.com
  3. Der Weather Channel verliert 20 Prozent seiner Zuschauer
  4. Big Data im Wetter-Business
  5. Wie der Weather Channel seine Reichweite innovativ vermarktet
  6. Frisuren-Vorhersage als Werbemöglichkeit

Das Content-Marketing-Lehrstück weather.com zeigt, was mit dem richtigen Dreh auf ein Thema alles möglich ist

Bild: NASA's Goddard Space Flight Center / Flickr / CC BY-ND 2.0

Bild: NASA’s Goddard Space Flight Center / Flickr / CC BY-ND 2.0

Wie macht man einen Kabelsender, dem langsam die Zuschauer weglaufen, fit für das digitale Zeitalter? Diese Aufgabe stellte sich dem seit 1982 existierenden Weather Channel in den vergangenen Jahren. Das Problem: In der digitalen Welt schauen sich die Nutzer meist einmal kurz die Wettervorhersage an – und verlassen App oder Website dann wieder. Ein ehemaliger Huffington-Post-Mitarbeiter arbeitet als Chefredakteur nun daran, die Nutzer länger zu halten – mit Inhalten, deren Zusammenhang mit dem Thema Wetter teilweise höchstens noch marginal ist. Die neu gewonnene Aufmerksamkeit vermarktet das Unternehmen mit Native Ads, die von einer internen Agentur produziert werden.

Wer heute noch denkt, dass sich Nutzer auf weather.com kurz über das Wetter informieren und dann wieder weg sind, irrt sich. Die Inhalte der Seite des amerikanischen Kabelsenders The Weather Channel gehen längst über klassische Wettervorhersagen und Tipps für angemessene Kleidung hinaus. So befinden sich auf der heutigen Startseite Artikel wie „Schlechte Nachrichten für Guacamole-Liebhaber“, in dem über die durch Trockenheit bedingte schlechte Ernte berichtet wird und „Gibt es in deiner Stadt die schlechtesten Autofahrer?“ – einem Beitrag, bei dem der Wetterzusammenhang selbst mit gutem Willen kaum mehr erkennbar ist.

(Screenhsot: weather.com)

Clickbait und viraler Content bei weather.com

Weather.com-Chefredakteur Neil Katz, zuvor im Nachrichtenbereich der Huffington Post tätig, versteht Content wie Bilder von Städte-Skylines oder Storys über Wale, Nahrungsmittelallergien und Diäten als „Wetter-angrenzende-Themen“. In den letzten zwei Jahren veröffentlichte er mit seinem Team tausende solcher Storys auf weather.com und verdoppelte so den Traffic – von einer Milliarde Seitenabrufe im Jahr 2012 auf 2,4 Milliarden in diesem Jahr, wie bei Businessweek zu lesen ist. Die User besuchen die Website oder nutzen die Mobile App, um die lokale Wettervorhersage zu checken. Bevor sie die Seite wieder verlassen, sollen sie mit Headlines nach dem Clickbait-Prinzip (wie „9 wunderbare Arten, wie Tiere ihre Kostbarkeiten verteidigen“) dazu gebracht werden, weitere Inhalte abzurufen. Dabei verfolgt Katz die Strategie, High und Low Content gleichermaßen zu mischen – nach dem Vorbild seines alten Arbeitgebers, der Huffington Post. Seriöse Wetterberichte und investigative Artikel über Klimaschutz oder ähnliche Themen bringen dabei zwar nicht den meisten Traffic, machen die Seite aber ein Stück weit relevanter, auch im Hinblick auf SEO.

„Das Verhältnis der Menschen zum Wetter hat sich geändert. Wir müssen Produkte bauen, die die Leute wirklich konsumieren wollen“, erklärte David Clark, Präsident des Weather Channel Networks, gegenüber Businessweek. Die Bewegung der Zuschauer vom klassischen TV zum Streaming und zu vorproduzierten Sendungen erfordere neue Strukturen.

Der Weather Channel verliert 20 Prozent seiner Zuschauer

In den letzten vier Jahren ist die Zuschauerzahl des Weather Channels um 20 Prozent auf 214.000 Zuschauer am Tag gesunken. Immer dann, wenn Tornados durchs Land gingen, stiegen die Zuschauerzahlen rapide an. Die ungewöhnlich ruhige Sturmzeit der letzten Jahre war für viele Amerikaner ein Glück – für den Sender allerdings eine Katastrophe. Auch wenn der Weather Channel immer noch zu den am weitesten verbreiteten Kabelsendern des Landes gehört, wird er wohl auch in Zukunft weiterhin Zuschauer verlieren, da die Nutzer die Wettervorhersage immer häufiger online und mobil abfragen.

Diese Entwicklung hat das Weather Channel Network nicht verschlafen. Ihre Tochterfirma Weather Co. beschäftigt mittlerweile 1.300 Mitarbeiter an acht Standorten und hat laut dem Medienforschungsunternehmen SNL Kagan im vergangenen Jahr 340 Millionen US-Dollar Umsatz generiert. Vor allem im Bereich Web und Mobile ist sie sehr erfolgreich. Während der Weather Channel am Tag von einigen hunderttausend Personen geschaut wird, verzeichnet weather.com sieben Millionen Visits am Tag und die Mobile App 13 Millionen Zugriffe. Die Website rangiert dauerhaft zwischen Platz 70 und 50 der besucherstärksten Seiten der USA; die App führt in den App Stores von Apple und Google schon seit Langem die Kategorie Wetter auf Platz eins an. Ein wichtiger Wachstumstreiber im Bereich Mobile: Mit iOS 8 löste der Weather Channel Yahoo Weather als vorinstallierte Wetter-App auf dem iPhone ab.

Big Data im Wetter-Business

Laut Angaben des Weather Channels checken viele Nutzer mit dem Smartphone drei bis viermal täglich die Wettervorhersage, einige bis zu 40 Mal am Tag. Aus diesem Grund gibt die App des Weather Channels 25.000 Vorhersagen pro Sekunde ab – das macht zwei Milliarden pro Tag. „Die Leute wollen wissen, ob es in den nächsten 15 Minuten regnen wird und zwar genau dort, wo sie sich gerade befinden – am Columbus Circle und nicht im Battery Park“, meint David Kenny, CEO von Weather Co. gegenüber Businessweek. Um dieses Bedürfnis befriedigen zu können, hat Weather Co. die Informationen, die sie von den großen internationalen Wetterdiensten erhalten, um Daten zahlreicher kleiner Wetterstationen erweitert. Diese Daten bieten nicht nur den Nutzern einen Mehrwert.

Wie der Weather Channel seine Reichweite innovativ vermarktet

Mit der Gründung der In-House-Agentur WeatherFX im vergangenen Jahr ist es dem Weather Channel gelungen, die gigantische Menge von Wetterdaten erfolgreich zu monetarisieren. Das Geschäftsmodell beruht darauf, dass die Location der User ständig getrackt wird. Der Vorteil ist, dass die Nutzer der App ihren Ort bereitwillig preisgeben, um eine individuelle Wettervorhersage zu bekommen. „Wir tracken dich nicht als Person. Wir wollen nur wissen, wo du bist und wie das Wetter bei dir ist“, sagte General Manager Vikram Somaya gegenüber Businessweek. Ihm ist bewusst, dass das Modell in Hinblick auf die Privatsphäre schwierig ist – bisher gab es allerdings noch keine Probleme.

Kunden wie Wal-Mart und Procter & Gamble stellten der Wetter-Agentur die eigenen Verkaufszahlen aller Stores zur Verfügung, um diese mit den lokalen Wetterdaten der letzten 30 Jahre vergleichen zu können und dementsprechend Rückschlüsse auf Verkaufstrends ziehen zu können. Der General Manager Vikram Somaya sagt: „Wir wissen, dass Leute an einem Morgen im Januar in Miami, wenn einige Wetterbedingungen zusammenkommen, Himbeeren kaufen.“ Nicht immer kennen sie den genauen Grund für das Kaufverhalten. In anderen Fällen finden sie logische Erklärungen.

Frisuren-Vorhersage als Werbemöglichkeit

Einer der ersten Werbekunden von WeatherFX war der Haarpflegeprodukte-Hersteller Pantene. Der Zusammenhang zwischen Wetter und Haaren ist naheliegend – bei trockenem Klima beispielsweise kaufen Kunden keine Produkte für Feuchtigkeits-bedingte wellige Haare. Darum begann Pantene ortsbasierte Ads in der Mobile App des Weather Channels auszuspielen.

(Screenhsot: Pantene)

Mit dem „Haircast“ bieten sie dreitägige Frisuren-Vorhersagen an – einschließlich passender Haarpflege-Produkte. Die Verkäufe der beworbenen Produkte stiegen um 28 Prozent. WeatherFX hat mittlerweile ein Netzwerk von 200 Werbepartnern und platziert Werbung Mobile, im Web und im TV.

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