So wollen diese drei Gründer mit ihrem KI-Startup Experial Marktforschung billig machen
KI-Zwillinge sollen die Fragen großer und kleiner Unternehmen beantworten – für einen Bruchteil bisheriger Mafo-Kosten
- Digitale Zielgruppen-Zwillinge statt Meinungsbrei
- Wie nah dran an echten Menschen?
- Marktforschung für alle
- Der Markt ist voll – aber im Wandel
- Die Zukunft: Visuelle Informationen und agressives Wachstum
Die Marktforschungsbranche gilt insgesamt immer noch als ziemlich angestaubt – auch wenn Unternehmen wie Appinio zuletzt frischen Wind reingebracht haben. Die nächste Evolution des Themas steht jetzt offenbar durch KI an. Ein Beispiel: Das deutsche Startup Experial will mit "digitalen Zielgruppen-Zwillingen" hilfreiche und valide Marktforschungsergebnisse zu einem Bruchteil bisheriger Kosten liefern. Wie das genau funktioniert und ob das Tool auch für deine Marketing-Strategie spannend ist, erfährst du hier.
Eigentlich startet die Geschichte von Experial, weil sich Gründer Tobias Klinke ärgert: "Die Idee entstand aus eigener Frustration während meiner Promotion. Ich stand vor dem Problem, für Befragungen keine Teilnehmer zu finden, die sich wirklich Zeit nehmen und somit valide Daten liefern", erzählt er gegenüber OMR. "Genau das gleiche habe ich später bei Unternehmensbefragungen wieder beobachtet: Unternehmen brauchen dringend Insights, aber die Leute haben einfach keine Lust, an Umfragen teilzunehmen – hohe Kosten und geringe Datenqualität sind die Folge."
Im Frühjahr 2022 gründet Klinke Experial gemeinsam mit Nader Fadl und Nils Rethmeier. Die Idee: Große Sprachmodelle (LLMs) wie ChatGPT, Gemini & Co. sollen für die Marktforschung genutzt werden – kombiniert mit eigener Technologie um wirklich valide Ergebnisse zu erzeugen. Nach ersten Tests zeigt sich: Das funktioniert.
Digitale Zielgruppen-Zwillinge statt Meinungsbrei
Ein zentrales Versprechen von Experial sind die passenden digitalen Zielgruppen für jedes Unternehmen. Tobias Klinke verrät: "Unsere 'Secret Sauce' ist unser Multi-Agenten-Prozess, der es uns ermöglicht, echte Vielfalt und Bandbreite in den Antworten zu erzeugen, statt des erwartbaren Meinungsbreis, den LLMs oft liefern. ChatGPT z.B. neigt dazu, Mainstream-Meinungen zu reproduzieren, da diese im Trainingsdatensatz überrepräsentiert sind. Wir hingegen leiten möglichst unterschiedliche Profile ab, die eine breite Palette an Meinungen abdecken und für qualitative, explorative Forschung unerlässlich sind."
Experial will sich dabei von den im Marketing bekannten Personas abgrenzen: "Wir sprechen bewusst von 'digitalen Zielgruppen-Zwillingen' und nicht von Personas, um unseren Ansatz zu verdeutlichen. Während klassische Personas oft prototypische Abbilder eines Subsegments sind, die Nuancen vermissen lassen, fokussieren wir uns auf die Vielfältigkeit innerhalb einer Zielgruppe." Deshalb eignet sich die Marktforschung des Unternehmens für qualitative Fragestellungen, bei der eine breite Meinungspalette abgebildet werden soll. Experial bietet also eher die Befragung von Tausenden KI-Zwillingen mit ausführlichen Antworten, als eine quantitative Analyse, die ausführliche Statistiken liefert.
Wie nah dran an echten Menschen?
Wie läuft das dann ab? Wer sich bei Experial anmeldet, kann aus eigenen Audience-Daten ein Zielgruppen-Panel erstellen, das dann Feedback zu den Fragestellungen geben soll. Nutzende können dann in einer von ChatGPT & Co. bekannten Chat-Umgebung die Marktforschung starten. Die Experial-KI stellt dabei laut Gründer Klinke Fragen, hakt nach, wenn nötig, und bittet die Nutzenden um Klarstellungen bei nicht optimal formulierten Fragen.
Das Experial-Tool kann und will seine ChatGPT-Grundlage nicht verstecken und erinnert stark an typische KI-Tools.
So können Firmen herausfinden, was ihre Zielgruppe denkt, Interviews führen, die gesammelten Informationen auswerten und sich die Ergebnisse übersichtlich in einer Art Bericht mit Zusammenfassungen und Zahlen darstellen lassen. Für Experial ist es dabei überlebenswichtig, dass die so erhobenen Informationen zuverlässig sind und Ergebnissen, die echte Menschen so ähnlich sind wie möglich. Deshalb schauen Tobias Klinke & Co. vor allem auf den sogenannten "Recall".
"Für uns ist der Recall die entscheidende Metrik, nicht die klassische Accuracy. Jedes Unternehmen fragt uns nach der Belastbarkeit unserer Daten", so Klinke. "Der einzige Weg, uns zu validieren, sind menschliche Daten, auch wenn diese selbst nicht perfekt sind. Es geht darum, ähnliche Informationen aus den Antworten zu extrahieren und sicherzustellen, dass unsere KI-generierten Ergebnisse die Vielfalt und Tiefe menschlicher Meinungen widerspiegeln." Dabei erziele Experial einen Recall von 90 Prozent des Niveaus menschlicher Stichproben – bei deutlich geringeren Kosten im Vergleich zu klassischer Marktforschung.
Die Ergebnisse erinnern dann aber viel stärker an gelernte Marktforschung.
Marktforschung für alle
Was kostet das jetzt aber? "Wir bieten ein softwarebasiertes Modell an, bei dem Kunden Credits erwerben, um Zielgruppen zu erstellen, Abfragen durchzuführen, Interviews zu führen und Daten zu analysieren – alles zu einem Bruchteil der Kosten traditioneller Methoden", so Gründer Tobias Klinke. Dabei gebe Experial vor allem die Kosten für die Nutzung von ChatGPT & Co. an die Unternehmenskunden weiter – mit einem kleinen Aufschlag. Auf seiner Webseite wirbt das Startup damit, die Kosten pro Kundenfeedback um den Faktor 100 senken zu können.
"Unsere Mission ist es, Customer Insights für jeden zugänglich zu machen und die klassische Marktforschung, die bisher ein Luxusgut für Großunternehmen war, zu demokratisieren", sagt Klinke. Noch würden vor allem große Kunden wie Deutsche Telekom, Fressnapf oder IT-Berater CGI einzeln ins System geholt und beraten. In Kürze soll ein Self-Service-Tool starten, dass jedes Unternehmen eigenständig bedienen könne.
Der Markt ist voll – aber im Wandel
Der Markt für Marktforschung verändert sich derzeit rasant – nicht nur durch KI. Einer der bekanntesten Disruptoren in Deutschland ist etwa Appinio, das auf schnelle Umfragen mit echten Menschen spezialisiert ist. Aber auch im direkten Marktumfeld von Experial passiert bereits viel.
Zu den Konkurrenten und Tools im Bereich der KI-gestützten Marktforschung gehören unter anderem:
Quantilope: Ein deutsches Startup, das sich darauf spezialisiert hat, Konsumentenforschung mit KI zu automatisieren.
Neurons: Dänisches Startup, dass mit KI vorhersagen will, wie gut Creatives in der eigenen Zielgruppe funktionieren.
Resonio: Ein 3-in-1-Marktforschungstool, das sich an Unternehmen richtet, die Umfragen erstellen und analysieren möchten. Es ermöglicht die Erstellung von Umfragen, das Sammeln von Daten und die Analyse der Ergebnisse.
Remesh: Nutzt einen KI-Algorithmus, um Feedback zu analysieren, gemeinsame Themen zu finden und wichtige Erkenntnisse sofort hervorzuheben.
SightX: Eine automatisierte Marktforschungsplattform, die strategischer Partner für Forschungs- und Insights-Experten ist.
Speak: Ein KI-Tool für Marktforschung, das Gesprochenes und Geschriebenes in Text umwandelt und daraus Erkenntnisse gewinnt.
ChatGPT & Co.: Auch wenn sie vor allem verschiedene Meinungen ohne klare Struktur liefern, werden große KI-Modelle wie ChatGPT für das Sammeln von Ideen, Zusammenfassungen und sogar für simulierte Interviews in der Marktforschung eingesetzt.
Glimpse: Scannt Millionen von Daten zum Kundenverhalten (Suchanfragen, soziale Medien, Produktbewertungen) und fasst diese zu Trendvorhersagen zusammen.
Bei OMR Reviews findest du unzählige Umfrage-Tools und kannst schauen, welches genau zu dir und deinen Zwecken passt.
Die Zukunft: Visuelle Informationen und agressives Wachstum
Die Pläne von Experial gehen aber schon jetzt über reine Textanalysen hinaus. Klinke und sein Team wollen, dass ihre KI in Zukunft auch "sehen" kann, um zum Beispiel Logos zu bewerten und Bilder oder Designs zu analysieren. "Die Nachfrage nach der Analyse visueller Reize ist enorm, insbesondere von Retailern, die Feedback zu Verpackungsdesigns, Werbeanzeigen oder Webdesign benötigen", so Klinke. "Wir planen, unsere KI-Zwillinge mit der Fähigkeit auszustatten, auch 'sehen' zu können. Das wird es Unternehmen ermöglichen, die Masse an Content, die heute mit KI erstellt wird – beispielsweise 100 Landing Pages auf einmal – effizient zu bewerten und die effektivsten Inhalte zu identifizieren."
Unternehmen haben jetzt schon Probleme, die Masse an Content, die sie produzieren, zu optimieren. Wenn KI-Inhalte noch verbreiteter sind, dürfte die Fähigkeit zu 'sehen' eines der wichtigsten USPs von Experial werden. Ähnliches versucht aber bereits das dänische Unternehmen Neurons, über die wir hier bereits berichtet haben.
Um in dem umkämpften Umfeld neue Kunden zu gewinnen, setzt Experial stark auf das eigene Produkt. "Product-led Growth ist für uns absolut zentral. Wir wollen, dass unser Produkt für sich spricht und ohne aufwendiges Onboarding überzeugt", sagt Gründer Klinke. "Parallel dazu setzen wir auf einen starken Enterprise-Sales-Arm, eine Content-Strategie mit automatisierten Social-Media-Posts und eigenen Gen-AI-Avataren, um an möglichst vielen Stellen mit potenziellen Kunden in Kontakt zu treten und die Reichweite zu maximieren." Insgesamt sei das Team aber noch auf der Suche nach einem "viralen Hack", um ohne großes Budget viele Kunden zu gewinnen – überlebenswichtig bei einem SaaS-Modell mit Self-Service-Tool. Und Experial ist auf Masse angelegt, schließlich sind die Kosten für die Nutzung deutlich niedriger als bei klassischen Marktforschungs-Firmen.
Trotzdem sind die Ziele von Tobias Klinke ambitioniert. Seine Rechnung: Weltweit werden jedes Jahr 150 Milliarden Dollar allein für Marktforschung ausgegeben. Experial will jetzt einen großen Teil dieses Marktes erobern und so schnellstmöglich zum Unicorn aufsteigen. Wenn man dabei auch noch die Marktforschungs-Branche revolutioniert, ist das ein netter Nebeneffekt.