Stiftung Warentest: Wie die mächtigste Marke Deutschlands ihre digitale Zukunft plant

Florian Rinke28.2.2022

Der Einfluss der Stiftung Warentest ist riesig – und soll in der digitalen Welt noch ausgebaut werden

Stiftung Warentest
Foto: Stiftung Warentest
Inhalt
  1. 2019 löste Emma den Konkurrenten Bett1 an der Spitze ab
  2. Der Handel besteht auf gute Test-Noten
  3. Die Stiftung Warentest muss digitaler werden
  4. 1956 kommt die Fernsehwerbung nach Deutschland
  5. Die Politik will Verbraucher besser vor Werbung schützen
  6. Der Industrie-Verband BDI empfiehlt Zurückhaltung
  7. Ritter Sport fürchtete um die Existenz
  8. „Es ist schwer, gegen die Stiftung Warentest anzukommen“
  9. Die Stiftung Warentest erleidet eine juristische Schlappe
  10. Aggressive Berichte für eine höhere Auflage?
  11. „Mal gewinnt man, mal verliert man“
  12. Teure Produkte funktionieren als Einzelkauf online am besten
  13. Finanztip setzt stärker auf Youtube
  14. Das Medienecho nach Untersuchungen der Stiftung Warentest ist groß
  15. Die Stiftung setzt auf die Kraft der eigenen Marke
  16. Anmerkung der Redaktion:

Die Stiftung Warentest ist die wohl einflussreichste Marke Deutschlands. Ein negatives Testurteil von ihr kann für Produkte im Handel das Aus bedeuten, ein Testsieg wiederum Marken aufsteigen lassen. Doch die Auflagen der gedruckten Hefte sind unter Druck geraten. Die Stiftung will künftig digital punkten. Kann das gelingen?

Es ist die Geschichte eines Unternehmer-Märchens: Nachdem sich Adam Szpyt bei der Suche nach einer Matratze über einen Preis von 1.800 Euro ärgert, gründet er ein Startup, um mit einer günstigen Matratze den Markt zu revolutionieren. Mit seiner Bodyguard-Matratze will Szpyt das „Matratzen-Kartell“ der etablierten Hersteller aufbrechen. Das Besondere: Sie kostet nur 199 Euro. Dennoch kürt die Stiftung Warentest die Matratze des 2004 zunächst als Online-Shop gestarteten Berliner Unternehmens Bett1 im Jahr 2015 zum Testsieger. „Ein David zeigt es den Goliaths“, lobt die Stiftung Warentest damals. Es ist der Ritterschlag einer Instanz, die in Deutschland größtes Vertrauen genießt.

Die Konkurrenz wütet, zerrt Bett1 vor Gericht, kritisiert die Einseitigkeit der Tests. Doch für das Berliner Startup geht es fortan nur in eine Richtung: bergauf. Der Umsatz schnellt innerhalb von drei Jahren von rund 40 Millionen Euro auf etwa 180 Millionen Euro im Jahr 2018 in die Höhe. Selbst bei einem weiteren Test 2018, bei dem die Matratze nicht mal teilnimmt, empfiehlt die Stiftung das Modell: „Die beste Matratze, die wir je im Labor hatten“. Die fetten Margen, die bislang die Konkurrenz machte, sorgen nun in Berlin für glänzende Augen. Allein 2018 lag der Gewinn bei etwa 37 Millionen Euro.

2019 löste Emma den Konkurrenten Bett1 an der Spitze ab

Seitdem geht es jedoch bergab. Umsätze und Gewinn sind eingebrochen. Im Lagebericht für das Jahr 2020 machte der Gründer dafür unter anderem die Corona-Pandemie verantwortlich. Neuere Zahlen sind im Bundesanzeiger noch nicht veröffentlicht. Eine Anfrage von OMR ließ Bett1 unbeantwortet. Doch viel schlimmer als das Virus dürfte etwas anderes gewesen sein. Denn die Stiftung Warentest hat inzwischen einen neuen Liebling: Emma. Im Oktober 2019 löst die Matratze „One“ den Berliner Konkurrenten als Testsieger ab, die Bodyguard-Matratze von Bett1 landete nur noch auf dem dritten Platz.

Seitdem wird die Erfolgsgeschichte in Frankfurt am Main weitergeschrieben – bei Emma. Während das Geschäft bei Bett1 zurückging und man große Teile des Gewinns in höhere Marketing-Aktivitäten stecken musste, stiegen die Umsätze bei Emma von 80 Millionen Euro (2018) auf zuletzt mehr als 400 Millionen Euro. Kein Wunder, dass sich 2020 nur wenige Monate nach dem Testsieg bei Stiftung Warentest das Duisburger Traditionsunternehmen Haniel die Mehrheit an Emma sicherte.

Der Handel besteht auf gute Test-Noten

Die Macht der Stiftung Warentest ist also so groß, dass sie in Deutschland über den Aufstieg und Fall von Marken mitentscheidet. 96 Prozent der Deutschen kennen die Berliner Tester – und die Zahl derer, die dem Urteil der Stiftung vertrauen, ist mit 80 Prozent fast genauso hoch.

Wer bei Tests der Verbraucherschützer gut abschneidet, kann sich auf steigende Umsätze freuen. Wer durchfällt, muss im schlimmsten Fall damit rechnen, dass sein Produkt aus dem Handel verschwindet. In Industriekreisen ist es ein offenes Geheimnis, dass einige Handelskonzerne ein gutes Abschneiden bei Untersuchungen der Stiftung Warentest als Bedingung in Lieferverträgen mit Produzenten festhalten. Die Macht der Stiftung Warentest ist so groß, dass Waschmaschinenhersteller die Prüfprogramme seit Jahren als Blaupause für die Weiterentwicklung der eigenen Produkte nehmen. Und als die Warentester vor Jahren mal Weichmacher aus Gummischläuchen im Olivenöl nachwiesen, wurden anschließend die Zulassungsverfahren verschärft.

„Am Beispiel Bett1 hat man gesehen, dass man auf ein gutes Ergebnis bei unseren Tests auch einen Geschäftserfolg aufbauen kann“, sagt Hubertus Primus. Der Jurist leitet die Stiftung seit 2012. Damals schrieb sie erstmals in ihrer Geschichte rote Zahlen. Seitdem ging es wieder bergauf, die Erträge stiegen von rund 45 Millionen Euro auf zuletzt knapp 62 Millionen Euro – obwohl die Auflage der beiden wichtigsten Umsatzbringer, der Zeitschriften „Test“ und „Finanztest“, seitdem weiter gesunken ist. Dennoch sagt Hubertus Primus selbstbewusst: „Kein Anbieter kommt an uns mehr vorbei.“

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Die Stiftung Warentest muss digitaler werden

Damit das auch in Zukunft so bleibt, muss sich die Stiftung transformieren. Hefte und Bücher werden auch in den nächsten Jahren noch hohe Umsätze bringen. Doch langfristig muss der Hauptanteil der Erlöse wohl im Digitalbereich erwirtschaftet werden. Bereits 2019 hatte man daher die frühere Chefredakteurin des Online-Angebots der Süddeutschen Zeitung, Julia Bönisch, verpflichtet. Sie soll sich um die digitale Transformation der Stiftung kümmern. Ihre Aufgabe sei es, dafür zu sorgen, hat Julia Bönisch mal gesagt, „dass wir auch in fünf, zehn oder 15 Jahren auf anderen Publikationswegen als im Gedruckten erfolgreich sein werden“.

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Denn in Zukunft will die Stiftung Warentest auch auf staatliche Zuschüsse verzichten. Seit ihrer Gründung am 4. Dezember 1964 hatte sie jährlich Gelder vom Bund bekommen, quasi auch als Ausgleich dafür, dass man bis heute auf Werbeeinnahmen verzichtet. Doch damit soll bereits im kommenden Jahr Schluss sein. Laut einem Sprecher des zuständigen Bundesumweltministeriums wurden die Zuschüsse bereits in diesem Jahr verringert. 2023 soll die Stiftung dann voraussichtlich letztmalig 490.000 Euro erhalten, 2020 waren es noch mehr als zwei Millionen. Anschließend soll sie sich dann komplett eigenständig finanzieren. Das Stiftungsvermögen war dazu zuletzt 2016 um 100 Millionen Euro auf 180 Millionen Euro erhöht worden. „Die Politik hat sich bei uns nie eingemischt“, sagt Stiftung-Warentest-Vorstandschef Hubertus Primus. Trotzdem sei die finanzielle Unabhängigkeit wichtig: „Sie war ja auch von Anfang an geplant. Die Gründerväter und -mütter haben allerdings unterschätzt, wie der Zeitschriftenmarkt funktioniert.“

1956 kommt die Fernsehwerbung nach Deutschland

Die Gründerväter und -mütter waren die damaligen Mitglieder des Bundestags und der Bundesregierung unter den Kanzlern Konrad Adenauer und Ludwig Erhard (beide CDU). Die Politik reagierte mit der Gründung der Stiftung im Jahr 1964 auf einen Trend, der bereits in den 1950er Jahren aus den USA nach Deutschland geschwappt war – die Fernsehwerbung.

Am 3. November 1956 war in Deutschland der erste Werbespot im Fernsehen gezeigt worden: ein Mann und eine Frau sitzen in einem Restaurant. Der Mann kleckert – doch der Wirt bleibt gelassen: „Ich bitte Sie, das kann doch vorkommen. Dafür gibt es doch Gott sei Dank Persil.“ Fortan flimmern regelmäßig Werbespots über den Bildschirm. Am Ende ist die Wäsche immer weiß, das Essen leckerer und die Hausfrau glücklich. Schöne neue Welt!

Was im bayerischen Fernsehen beginnt, wird schon bald Standard im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Erlöse bleiben zunächst bescheiden, im ersten Jahr 1956 kommen gerade mal 200.000 DM zusammen. Doch das sollte sich bald ändern. Vier Jahre später liegen die Einnahmen bereits bei 132 Millionen DM.

Mit der neuen Werbeform kommen jedoch nicht nur neue Figuren wie der Bärenmarke-Bär oder das HB-Männchen, sondern auch neue Probleme: Die Werbung verheißt beste Qualität, doch wie sollen Verbraucher:innen die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Produkte erkennen?

Die Politik will Verbraucher besser vor Werbung schützen

Die erste Ausgabe der Stiftung Warentest aus dem Jahr 1966.

Die erste Ausgabe aus dem Jahr 1966. Foto: Stiftung Warentest

„Die Bundesregierung hält es für erforderlich, das Preisbewusstsein der Verbraucher zu stärken“, sagt Adenauer bereits 1962 bei einer Rede im Bundestag und kündigt die „Errichtung einer Körperschaft für neutrale Warenteste“ an. Zwei Jahre später wird die Stiftung in Berlin gegründet, zwei weitere Jahre dauert es bis zum Erscheinen des ersten Hefts für 1,50 DM – unter anderem mit Tests der besten Nähmaschinen und Handrührer. 100.000 Hefte werden damals zum Start im Zeit­schriften­handel verkauft, 600 im Abonnement.

Die Industrie ist anfangs alles andere als begeistert über die Pläne der Politik. Speziell der mächtige Bundesverband der Industrie (BDI) versucht im Auftrag der Hersteller zu lobbyieren – mit aus heutiger Sicht teilweise aberwitzigen Argumenten. In einer Stellungnahme Ende der 1950er Jahre heißt es, die Hersteller würden die Verbraucher in ausreichendem Maße über die Eigenschaften von Produkten unterrichten, „über Prospekte, Anzeigen und sonstige Werbung“.

Der Industrie-Verband BDI empfiehlt Zurückhaltung

Heute hat sich die Industrie mit der Stiftung arrangiert. Über Fachbeiräte und das Kuratorium werden Vertreter:innen in Diskussionen mit einbezogen. Allein der BDI besetzt zwei der sechs Wirtschaftsposten im Kuratorium. Gleichzeitig wurde eine „Clearingstelle Stiftung Warentest“ eingerichtet, um bei Kritik an Testurteilen zu vermitteln. Gleichwohl: Trotz aller Kooperation ist man sich beim BDI offenbar sehr genau darüber bewusst, was es heißt, gegen ein Testurteil der mächtigen Organisation aufzubegehren.

In einem Leitfaden für Unternehmen heißt es zur öffentlichen Reaktion von Unternehmen nach negativen Testurteilen: „Hier ist sorgfältig zu berücksichtigen die Tatsache, dass in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit sicherlich die Glaubwürdigkeit der Stiftung höher als die der Hersteller ist – besonders, wenn es um eine Rechtfertigung als Betroffener geht.“ Der konstruktive Dialog mit der Stiftung sei Erfolg versprechender als die Konfrontation. „Um ein Thema nicht ‚am Kochen zu halten‘ und damit gegebenenfalls weiteren wirtschaftlichen Schaden zu verursachen, kann es ratsam sein, das Thema nicht pro-aktiv anzusprechen und es auf sich beruhen zu lassen“, heißt es in der Broschüre des BDI. Es klingt wie eine Anweisung zur Kapitulation vor der Macht der Stiftung. Der BDI wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Thema äußern.

Ritter Sport fürchtete um die Existenz

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Die Voll-Nuss-Schokolade sorgte für Streit mit der Stiftung Warentest Foto: Ritter Sport

Stiftungschef Hubertus Primus sagt, man spüre natürlich die Verantwortung, die mit der eigenen Rolle einhergeht: „Ein Produkt, das negativ getestet wurde, lässt sich schließlich kaum noch verkaufen.“ Mehr noch: Bei vielen Herstellern gilt es als offenes Geheimnis, dass Handelsunternehmen teilweise sogar das Erreichen bestimmter Testnoten als Bedingung in Lieferverträge aufnehmen lassen. Ein negatives Testurteil kann damit nicht nur einen Vertrauensverlust beim Verbraucher, sondern einen existenzgefährdenden wirtschaftlichen Schaden mit sich bringen.

Das mussten sie auch in der baden-württembergischen Kleinstadt Waldenbuch erleben. 2013 hatte die Stiftung Warentest in ihre Dezember-Ausgabe die Voll-Nuss-Schokolade von Ritter Sport mit „mangelhaft“ bewertet. Begründung: Man habe den chemisch hergestellten Inhaltsstoff Piperonal nachgewiesen, obwohl auf der Verpackung nur von natürlichen Inhaltsstoffen die Rede war. Ritter Sport, so der implizierte Vorwurf, täuschte nicht nur Verbraucher:innen, sondern verstieß auch gegen die im Handel geltende Deklarationspflicht. Und das sollte für den Schokoladen-Hersteller in den Tagen nach Erscheinen des Artikels zum viel größeren Problem werden.

„Wir hatten damals riesigen Ärger“, sagt Thomas Seeger, Leiter Recht & Unternehmenskommunikation bei Ritter Sport, gegenüber OMR. Hätte die Stiftung Recht gehabt mit diesem Vorwurf, wäre die Schokolade des Familienunternehmens nicht verkehrsfähig gewesen. Der Handel hätte sie also gar nicht verkaufen dürfen. „Diese Gefahr war für uns existenzbedrohend“, sagt Thomas Seeger: „Wir hätten mehrere tausend Tonnen Schokolade zurücknehmen müssen und hätten keine neue ausliefern können, weil die Folien ja schon bedruckt waren. In so kurzer Zeit hätten wir keinen ausreichenden Ersatz bekommen.“

Das Unternehmen schaltet damals in den Krisenmodus. Am Tag des Erscheinens des Hefts findet in Berlin ein Treffen des internationalen Süßwarenverbands statt. Für Ritter-Sport-Manager ist es ein Spießrutenlauf – aber gleichzeitig die Chance, das Gespräch mit anwesenden Handelsvertretern zu suchen. Auch Firmeninhaber Alfred Ritter hatte sich in den Konflikt bereits eingeschaltet und persönlich das Gespräch mit Stiftungschef Hubertus Primus gesucht. Doch die Warentester zeigen sich unnachgiebig.

„Es ist schwer, gegen die Stiftung Warentest anzukommen“

„Vor Gericht ist es schwer, gegen die Stiftung Warentest anzukommen“, sagt Hubertus Primus noch heute. Die Stiftung lässt die Produkte im Handel einkaufen und anschließend aufwändig und unabhängig testen. Durchschnittlich 30.000 bis 50.000 Euro pro Test kommen da schnell an Kosten zusammen. Messwerte werden den Herstellern außerdem vor der Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Damit sichert sich die Stiftung zusätzlich ab. Gleichzeitig kann sie sich in Streitfällen auf zwei Grundsatzurteile berufen, die bereits in den 1970er und 1980er Jahren durch den Bundesgerichtshof gefällt wurden. Demnach darf die Stiftung bei Tests unter anderem über gesetzliche Normen hinausgehen.

Dennoch kommt es immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten: Mal versucht der Hersteller Wilkinson nach einem Test von Nassrasierern, dem Konkurrenten Gillette eine Werbung mit den Testergebnissen zu verbieten und zweifelt dabei auch den Testaufbau der Stiftung an. Ein anderes Mal will ein Hersteller von Blutzuckermessgeräten, die Veröffentlichung eines unliebsamen Tests vorab verhindern. Sie alle verlieren gegen die Stiftung vor Gericht, genauso wie die Schauspielerin Uschi Glas, deren Hautcreme 2004 beim Test durchgefallen war. Der Molkerei Weihenstephan bescheinigt das Oberlandesgericht Düsseldorf im Fall eines Erdbeer-Joghurts sogar, dass das Urteil „mangelhaft“ der Stiftung „diskutabel“ sei. Verloren hat sie das Verfahren am Ende dennoch, weil für die Richter die Meinungsfreiheit überwog. Kurzum: Wer gegen die Stiftung in die Schlacht zieht, sollte es sich gut überlegen, da hat der BDI in seinen Broschüren nicht ganz unrecht.

Die Stiftung Warentest erleidet eine juristische Schlappe

Umso spektakulärer sind die Fälle, in denen die Stiftung eine Niederlage erleidet. So wie im Fall Ritter Sport. „Uns blieb im Grunde nichts anderes übrig, als vor Gericht zu ziehen“, sagt Thomas Seeger. Für den Schokoladen-Hersteller ging es damals um die Existenz. Denn die Folgen des Testurteils waren schnell sichtbar. „Wir haben damals regelmäßig gemessen, wie die Marke wahrgenommen wird“, sagt Seeger. Vor dem Testurteil habe man auf einer Skala von 0 bis 100 regelmäßig Werte zwischen 90 und 100 erreicht. „Während dieser Phase ist unsere Reputation zwischenzeitlich auf einen Wert von 60 abgerutscht“, sagt der Leiter der Rechtsabteilung: „Das ist dramatisch. Wir haben nicht viel mehr als die Marke, wir sind schließlich ein Ein-Produkt-Unternehmen.“

Vor Gericht setzt sich Ritter Sport am Ende durch. Ob künstliches Piperonal in der Schokolade war (was Ritter Sport bestreitet) oder nicht, ist am Ende zweitrangig. „Bei Ritter Sport hatten wir einen einzigen, schwerwiegenden Fehler gemacht: Wir haben geschrieben, dass wir einen künstlichen Inhaltsstoff gemessen haben. Wir hatten aber nur geschlussfolgert, dass er enthalten sein muss“, sagt Hubertus Primus: „So etwas ist natürlich unangenehm.“ Doch wenn man Fehler mache, müsse man dazu auch stehen.

Aggressive Berichte für eine höhere Auflage?

Thomas Seeger sagt, man habe damals bewusst auf Schadenersatz verzichtet, obwohl es im Unternehmen zwei Lager gegeben habe: „Die einen wollten die Stiftung bluten lassen, die anderen wollten Ruhe“, sagt Seeger: „Am Ende war es schwierig, Verluste kausal dem Testurteil zuzuordnen – und wir haben ja auch gesehen, dass selbst Berichte über unseren Sieg vor Gericht wieder negative Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt haben.“

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Dennoch ist er sich sicher, dass der Fall Ritter Sport etwas geändert hat. Es werde jetzt mehr relativiert und vorsichtiger formuliert. „Die Stiftung Warentest hat über viele Jahre lang vergleichsweise aggressiv berichtet“, sagt er: „Es war klar: eine bekannte Marke musste immer abschmieren bei Tests. Interessanterweise gab es eine auffällige zeitliche Korrelation mit dem Rückgang der Heft-Auflage.“ Die lag im Fall von „Test“ zu Spitzenzeiten Anfang der 1990er Jahre mal bei fast einer Million Exemplaren. Zuletzt verkaufte die Stiftung noch 358.000 Exemplare an Abonnent:innen oder am Kiosk.

„Mal gewinnt man, mal verliert man“

Es ist ein Vorwurf, der so ähnlich häufiger zu hören ist, wenn es Kritik an der Stiftung Warentest gibt. Auch Sebastian Koeppel, Geschäftsführender Gesellschafter des Fruchtsaftherstellers Beckers Bester, sieht es beispielsweise problematisch, dass die Haupteinnahmequelle der Stiftung nicht die Erträge aus dem eigenen Stiftungskapital sind: „Die Stiftung Warentest ist zu einem großen Teil abhängig von den Erträgen der Testhefte. Durch diese Abhängigkeit gibt es aber einen anderen redaktionellen Druck. Und so wird manchmal auch agiert.“

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Stiftung-Warentest-Vorstandschef Hubertus Primus bestreitet allerdings, dass es das Konzept „Only bad news are good news“ bei der Stiftung gebe. Und selbst bei einst gescholtenen Unternehmen sieht man keine Gesetzmäßigkeit. Die Molkerei Weihenstephan, 2011 noch abgestraft für ihren Erdbeerjoghurt, gewann 2019 einen Butter-Test und darf seitdem mit dem Logo werben: „Den Effekt merken wir bis heute beim Absatz“, sagt eine Sprecherin. Sie nimmt es sportlich: „Mal gewinnt man, mal verliert man.“

Teure Produkte funktionieren als Einzelkauf online am besten

Doch die Frage nach der schmissigsten Überschrift auf der Titelseite dürfte mittelfristig sowieso in den Hintergrund rücken – genauso wie die Bedeutung der Testhefte als Einnahmequelle. Die Stiftung muss ihre Marke in die Online-Welt überführen – und da zählen andere Kriterien. „Online laufen Tests besonders gut, bei denen es um Produkte für junge Familien geht“, hat Hubertus Primus festgestellt. Die Stiftung habe daher den Schwerpunkt der Tests auch etwas in diese Richtung verschoben. Hinzu kommt: Untersuchungen des besten Olivenöls oder der besten Zahnpasta führen seltener zum Kauf einzelner Tests als Waschmaschinen oder eben auch Matratzen. Im Einzelabruf, das haben sie bei der Stiftung gelernt, funktionieren Tests teurer Artikel besser als viele zu Produkten des täglichen Bedarfs, bei denen der Test im Einzelabruf oft teurer ist als das Produkt selbst. Bei Abonnent:innen seien diese allerdings weiterhin beliebt.

Internetseite der Stiftung Warentest 1997-2001

So sah die Internetseite der Stiftung 1997 aus. Foto: Stiftung Warentest

Auffällig ist, wie zurückhaltend die Stiftung trotz der Markenstärke im digitalen Raum ist. Die Internetseite gibt es zwar bereits seit 1997. Doch erst 2016 wurde sie responsiv und damit auf Smartphones besser lesbar. Bis heute gibt es kein ausdifferenziertes Newsletter-Angebot, obwohl man mit den Marken „Test“ und „Finanztest“ unterschiedliche Zielgruppen bedient. Und obwohl die Stiftung Warentest bereits seit 2010 Profile bei Youtube, Twitter oder Facebook betreibt und inzwischen auch bei Instagram oder Linkedin ist, bleibt man dort teilweise deutlich hinter den Möglichkeiten zurück, die die Stärke der Marke eigentlich bieten.

Finanztip setzt stärker auf Youtube

Das zeigt am deutlichsten der Vergleich mit den jeweiligen Profilen von Finanztip. Das Portal wird vom früheren Finanztest-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen geleitet und setzt ebenfalls auf unabhängige Informationen über Finanzdienstleistungen. Beide Anbieter eint darüber hinaus, dass sie als Stiftung geführt werden. Doch anders als Stiftung Warentest setzt Finanztip bei der Finanzierung nicht auf Paid Content, sondern indirekt auf Werbung. Geld verdient das Unternehmen durch Affiliate Links, bei denen man vom Anbieter eine Provision erhält, wenn Nutzende diese anklicken. Für die Stiftung Warentest hatte Vorstandsmitglied Julia Bönisch dies in der Vergangenheit ausgeschlossen: „Das gefährdet unsere Unabhängigkeit“.

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Während die Stiftung Warentest speziell bei Facebook auf eine hohe Zahl an Followern kommt, kann Finanztip vor allem auf Plattformen für ein jüngeres Publikum wie Instagram oder Youtube punkten. Selbst bei Tiktok ist der Publisher inzwischen aktiv, hinzu kommen Newsletter und Podcasts.

Das Medienecho nach Untersuchungen der Stiftung Warentest ist groß

Die Stiftung Warentest setzt bislang offenbar eher darauf, dass andere Medien über die Testergebnisse berichten. Bislang mit Erfolg. Das Medienecho ist regelmäßig groß. Die Testergebnisse werden in Zeitungen, Zeitschriften, Online-Portalen und Fernsehsendungen aufgegriffen. Beim ZDF gibt es mit „Der große Warentest“ sogar eine Sendung, die in enger Kooperation mit der Stiftung produziert wird. Auf eine eigenes Format, etwa auch für Digitalangebote wie Youtube, hat man hingegen bislang verzichtet. Die Produktion einer eigenen Sendung wäre zu aufwendig, sagt Hubertus Primus: „Wir sind aber auch so in den Medien gut unterwegs.“

Heftstapel Stiftung Warentest

Die Hefte sind der größte Umsatzbringer der Stiftung Warentest. Foto: Stiftung Warentest

Auch andere Konzepte, die Kraft der Marke zu nutzen, um das Geschäft zu verbreitern, bleiben bislang offenbar ungenutzt. Während andere deutsche Prüfinstanzen wie die Tüv-Organisationen längst weltweit Geschäfte manchen, bleibt die Stiftung auf Deutschland fokussiert und kooperiert lieber bei Tests mit europäischen Partnerorganisationen.

Auch der Aufbau einer eigenen Vergleichsplattform stand nie im Fokus, obwohl mit Check24, Verivox und Co. andere Anbieter vormachen, wie lukrativ das Geschäftsmodell sein kann. Verbraucher:innen hingegen können sich nicht sicher sein, bei den Anbietern wirklich immer das günstigste Angebot zu finden. Gegen die „Nirgendwo-Günstiger-Garantie“ von Check24 wehrte sich der Versicherer Huk-Coburg beispielsweise erfolgreich vor Gericht. Die Franken lehnen es seit Jahren ab, ihre Autoversicherung bei Check24 listen zu lassen. „Das ist ein anderes Geschäftsmodell“, sagt auch Hubertus Primus mit Blick auf solche Angebote: „Anbieter müssen bei Check24 und Co. bezahlen, um gelistet zu werden. Das ist nicht unser Ansatz.“

Die Stiftung setzt auf die Kraft der eigenen Marke

Werbefrei, unabhängig – so soll die Stiftung Warentest in die Zukunft geführt werden. Junge Zielgruppen, ist Hubertus Primus überzeugt, kommen automatisch mit der Stiftung in Kontakt. Das Logo, das man inzwischen gegen Lizenzgebühren den Herstellern zur Nutzung anbietet, ist schließlich im Handel omnipräsent. „Grundsätzlich wird die Stiftung Warentest in der Regel dann relevant für Menschen, wenn sie einen eigenen Haushalt gründen“, sagt Hubertus Primus. Und spätestens wenn die jungen Leute dann selbst vor der Entscheidung stehen, welche Spülmaschine oder welche Waschmaschine sie kaufen, landen sie quasi ganz automatisch beim Angebot der Berliner, weil es nirgendwo sonst in Deutschland so aufwendige Warentests gibt – auch online.

Welche Kraft allein das Logo der Stiftung Warentest hat, haben sie übrigens auch bei Bett1 nach den Testsiegen zu schätzen gelernt. Offenbar sogar etwas zu sehr. Denn der Matratzen-Hersteller nutzte das Siegel der Stiftung Warentest offenbar auch nach dem Ablauf der Erlaubnis ohne Genehmigung weiter. Die Stiftung Warentest hat Bett1 inzwischen verklagt.

Anmerkung der Redaktion:

In einer früheren Version hieß es, Finanztip sei von Hermann-Josef Tenhagen gegründet worden. Gegründet wurde das Portal allerdings von Robert Haselsteiner und Marcus Wolsdorf. Tenhagen ist seit 2014 Chefredakteur.

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Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

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