Zielgruppe "Kidults": Startup aus München verkauft Wasserpistolen weltweit
Spielzeug für Erwachsene ist ein Milliardenmarkt, in dem die Firma "Spyra" durchstarten möchte
- 10 Millionen Umsatz brutto in 2022
- Spielzeug für Erwachsene ist ein Milliardenmarkt
- Emotionale Bindung und Nostalgie
- Spyra setzt auf E-Mail-Marketing und Social Media
- Auf Tiktok gesehen, auf dem Festival ausprobiert
- Spyra will rechtlich gegen Xiaomi vorgehen
Große Spielkinder mit dem nötigen Kleingeld: Das ist die Zielgruppe des Münchner Startups Spyra. Das verkauft seit 2018 Hightech-Wasserpistolen, die es in sich haben. In bis zu 10 Metern Entfernung kann man Mitspieler*innen mit dem Wasserstrahl erwischen. Weh tut es nicht, wenn der Strahl einen trifft, versichert Spyra-Gründer Sebastian Walter. Aber spürbar soll es schon sein, das gehöre zum Funfaktor einer Wasserschlacht dazu. Und die will Walter mit seinem Spielzeug für Erwachsene revolutionieren – wenn da nicht der chinesische Tech-Riese Xiaomi wäre.
2015 paddelt Sebastian Walter mit Freunden im Schlauchboot über die Isar und träumt von einer Wasserpistole, die Spaß macht, eine “mit viel Power”, sagt der 38-Jährige im Gespräch mit OMR. Er ist bereit, sich sein neues Spielzeug etwas kosten zu lassen. Nach seinem Produktdesign-Studium arbeitet er damals selbstständig in der Automobilindustrie und verdient nach eigenen Angaben gut. Aber das, was der Markt hergibt, enttäuscht ihn. “Und dann habe ich mich mit Kollegen hingesetzt und gesagt: Wir bauen es selbst, und zwar richtig krass.”
10 Millionen Umsatz brutto in 2022
Mit seinem Kumpel Markus gründet Sebastian Walter die “Spyra GmbH” und beginnt, den ersten Prototypen im Wohnzimmer zu bauen. Die Finanzierung läuft anfangs über eine Crowdfunding-Kampagne, 450.000 Euro kommen über Kickstarter zusammen, und eine Anfangsfinanzierung. "Insgesamt hat es rund 1 Million Euro gekostet, das Produkt für die Fertigung startklar zu machen", sagt Walter. Bis es 2018 so weit ist und die erste Wasserpistole auf den Markt gebracht wird, hat sein Freundeskreis als Testgruppe schon einige Wasserschlachten hinter sich.
Heute arbeiten 22 Mitarbeitende bei Spyra. Mehrere 10.000 Waterblasters seien bisher verkauft worden, sagt Walter. Nicht nur aus Deutschland, sondern von überall her kommen Bestellungen rein. Das hat 2022 einen Bruttoumsatz von zehn Millionen Euro eingebracht. Da die Gesellschafter den Jahresabschluss noch nicht abgesegnet haben, möchte er zum Jahresüberschuss keine Zahlen nennen, "in jedem Fall aber positiv." Für 2023 sieht die Prognose ähnlich aus.
Das neueste Produkt ist die "Spyra Three" – die vollautomatische Wasserpistole in türkis oder rot kostet 169 Euro. Ein stolzer Preis, aber Spyra richtet sich an eine kaufkräftige Zielgruppe: die "Kidults". Mit dieser Wortschöpfung aus den englischen Begriffen "Kids" und "Adults" sind Erwachsene gemeint, die Spielzeug für sich kaufen. Und die bergen für die Spielzeugindustrie ein riesiges Potenzial.
Spielzeug für Erwachsene ist ein Milliardenmarkt
Spyra ist eines von vielen Beispielen für Firmen, die sich auf Kidult-Produkte fokussieren. Der Schwerpunkt ist erfolgsversprechend: Die Zielgruppe beschert der Branche aktuell das größte Wachstum. Der Spielzeugmarkt für Erwachsene boomt – im Gegensatz zum Kinderspielzeug.
Zum Vergleich: Der Umsatz in Europa im Bereich Kinderspielzeug ist im Zeitraum von 2019 bis 2022 um 200 Millionen Euro zurückgegangen. Im Kidult-Bereich hingegen ist er um 1 Milliarde Euro gestiegen. Während die Kidults 2019 noch für 23,4 Prozent der Umsätze verantwortlich waren, waren es 2022 schon 28 Prozent. Das berichtet das amerikanische Marktforschungsinstitut Npdgroup in einem aktuellen Report. Insgesamt hatte der Kidult-Bereich 2022 ein Marktvolumen von 4,6 Milliarden Euro in den EU5, also in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und United Kingdom.
Es lohnt sich also für Spielzeughersteller, einen genauen Blick auf diese Zielgruppe zu werfen. Als Kidult bezeichnet die Marktforschung übrigens bereits alle Kund*innen, die älter als 12 Jahre sind. Was sie ausmacht, ist die Freude am Spielen. Diese bringen sie aus der Kindheit mit und behalten sie sich auch im Erwachsenenalter bei, z.B. als Ausgleich zum Arbeitsalltag.
Emotionale Bindung und Nostalgie
Neben dem Spielen als Möglichkeit, in andere Welten einzutauchen, spielen auch die emotionale Bindung und die Nostalgie eine große Rolle. Kidults begleiten die Helden ihrer Kindheit begleiten bis heute. Sie sind z.B. in den 80ern und 90ern groß geworden, mit Star Wars, Lego, Harry Potter, Barbie und Co. und sind mit zunehmendem Gehalt in der Lage, mehr für Nostalgie-Produkte oder auch Sammlerstücke auszugeben. Ein aktuelles Beispiel für einen Marketing-Coup im Kidult-Bereich sind natürlich Mattel und Warner Bros. mit dem Barbie-Film, der einen riesigen Hype um Barbie-Produkte ausgelöst hat.
Laut Npdgroup hat vor allem die Pandemie dazu geführt, dass Erwachsene wieder mehr Geld für Spielzeuge ausgegeben haben. Dafür sprechen auch die beliebtesten Produkte der erwachsenen Konsument*innen: Geschlechterübergreifend waren das von 2019 bis 2022 Spiele und Puzzle. Die weibliche Zielgruppe interessiert sich vor allem für Produkte aus dem Kunst- und Bastelbereich sowie Plüschtiere.
Auch der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) stellt fest, dass Erwachsene während der Pandemie das Spielen (wieder-)entdeckt haben, "und überraschenderweise hält dieser Trend an", sagt Gerda Schwab, Leiterin für Marketing und Kommunikation. Der DVSI unterscheidet bei den Kidults zwischen drei Typen:
- Hobbyist*innen, die sich einer längst vergessenen Leidenschaft widmen, z.B. Modelleisenbahnen
- Sammler*innen von Puppen, Figuren oder Modellautos
- Spieler*innen z.B. im Bereich Gaming oder Brettspiele
Im Falle von Spyra ist die Kundschaft überwiegend männlich, hat eine gewisse Liebe für High Tech und Gaming. Außerdem ist sie abenteuerlustig und hat einen Hang zur Nostalgie. "Die späten 80er und 90er sind ihre Feelgood-Zone", heißt es. "Wir gehen oft davon aus: Wenn wir erwachsen werden, werden wir ernst. Aber wir wollen auch als Erwachsene spielen, das ist ganz fest in uns verankert", sagt Sebastian Walter.
Spyra setzt auf E-Mail-Marketing und Social Media
Diese Zielgruppe erreicht das Startup fast ausschließlich online durch E-Mail-Marketing und Social Media. Auf Instagram hat Spyra rund 27.000 Follower*innen, auf Tiktok sind es 30.000. Das Social-Media-Team postet Outdoor-Action-Content von Wasserschlachten im Garten oder Gegenständen, die mit der Spyra-Pistole abgeschossen werden. Ziel aller Inhalte ist es, das Produkt überhaupt bekannt zu machen und direkt zu vermitteln, welches Spaßpotenzial es mit sich bringt.
Wichtig sind dabei auch Kooperationen mit Influencer*innen und Creator*innen. Denn bei denen ist schließlich die Chance noch einmal höher, dass sie Spyra potenziell neue Kund*innen zuführen, die das Produkt noch gar nicht kannten. Youtube-Creator Aaron Esser beispielsweise hat sich auf "Toy Blaster" (vor allem "Nerf Guns") spezialisiert und führt die Spyra-Pistolen in mehreren Videos vor. Eines davon (in dem auch andere Modelle zu sehen sind) hat innerhalb von knapp drei Jahren rund 122 Millionen Views angesammelt.
Auf Tiktok gesehen, auf dem Festival ausprobiert
Auf Tiktok gibt es den Account "Absolut Boys" eines deutschen Content Creators, der in seinem Profiltext den Spyra-Shop verlinkt. Mehrere seiner Videos, die Spyra-Produkte zeigen, sind auf der Plattform viral gegangen, haben 60 Millionen, 43 Millionen, 32 Millionen, 26 Millionen Views angesammelt.
Angucken ist gut, ausprobieren ist besser: Deswegen setzt das Startup auch auf Erlebnismarketing und war in diesem Sommer mit aufwendig aufgebauten Wasserschlacht-Arenas auf Festivals vertreten, z.B. auf dem Open Beatz Festival in Nürnberg oder dem Sommerfestival im Olympia Park in München.
Spyra will rechtlich gegen Xiaomi vorgehen
Aktuell macht Spyra aber die Konkurrenz aus China große Sorgen. Denn auch der chinesische Hersteller Xiaomi hat einen Waterblaster im Angebot, der dem deutschen Modell sehr ähnlich sieht. Vor etwa fünf Monaten ist Walter das Produkt aufgefallen, in Deutschland kann man es aktuell nicht bestellen. Es handele sich dabei um einen offensichtlichen Nachbau, sagt Walter. "Es ist schockierend, dass es wirklich 1:1 übernommen wurde, teilweise sogar mit Fehlern, die wir auch gemacht haben."
Dagegen will das Startup rechtlich vorgehen. "Klar, wir sind viel, viel kleiner, aber unserer Ansicht nach gibt es eine ganz offensichtliche Verletzung der Rechte. Deswegen sind wir zuversichtlich, da recht zu bekommen."
Die Technik, die in seinen Wasserpistolen steckt, ist gut geschützt, ist sich Walter sicher. "Wir haben eine ganze Familie an Patenten. Die Technologie haben wir erfunden und dann geschützt. In die Entwicklung haben wir unser geballtes Wissen an Engineering gesteckt: Strömungsmechaniker waren daran beteiligt, Luft- und Raumfahrtmechaniker, Ingenieure und Ingenieurinnen." Man wolle den Sachverhalt nun prüfen, Beweise sichern und dann Klage einreichen, "um ein Zeichen zu setzen."
Neben dem anstehenden Rechtsstreit konzentriert sich das Startup auf die Weiterentwicklung. Und was die angeht, ist Walter zuversichtlich: "Wir haben ganz viele Ideen für coole weitere Produkte im Outdoortoy-Bereich. Der Spielzeugmarkt für Erwachsene ist gigantisch."