Die Waterfall Strategie: Das Geheimnis hinter vielen auf Spotify erfolgreichen Alben

Stars wie Billie Eilish, Lizzo und die Chainsmokers sollen diese Methode bereits benutzt haben

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(Illustration: Dall-E)
Inhalt
  1. Dem Algorithmus die Kontrolle aus der Hand nehmen
  2. Jede Veröffentlichung ist eine neue Playlist-Chance
  3. Ein Song auf sechs Releases gepackt
  4. Spotify pusht konstant veröffentlichende Künstler*innen

Wie generiert man als Musiker*in in einem Zeitalter, in dem die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird und Menschen verstärkt Playlists und einzelne Songs hören, mit einem ganzen Album überhaupt noch Aufmerksamkeit und Abrufe? Diverse aufstrebende Künstler*innen, aber auch etablierte Stars, bedienen sich mittlerweile eines Marketingtricks: der so genannten „Wasserfall Strategie“. OMR erklärt, was dahinter steckt und zeigt Beispiele.

Der Druck ist hoch, als die US-Sängerin Lizzo, die im Jahr 2019 ihren weltweiten Durchbruch feierte, im April dieses Jahres in der US-Late-Night-Show von James Corden ihre neue Single „About Damn Time“ vorstellt: „Drei verdammte Jahre hab ich an diesem Album gearbeitet!“ Um sicherzustellen, dass die erste Auskopplung ein Hit wird, und um die Aufmerksamkeit für das Album anzufeuern, wenden die Künstlerin, ihre Plattenfirma und ihr Management einen Winkelzug an: Mitte April erscheint „About Damn Time“ als Single auf Spotify. Einen guten Monat später erscheinen zwei Remixe des Songs als weitere Veröffentlichung – ergänzt um die Originalversion. Und als im Juli die zweite Single „Grrrls“ erscheint, ist darauf erneut „About Damn Time“ enthalten.

"About Damn Time", die erste Single von Lizzos jüngstem Album "Special", ist am 14. April veröffentlicht worden

„About Damn Time“, die erste Single von Lizzos jüngstem Album „Special“, ist am 14. April veröffentlicht worden

Ein Monat nach Veröffentlichung von „About Damn Time“ erscheinen zwei Remixe des Songs inklusive der Originalversion

Auch bei der zweiten Single „Grrrls“ ist die Originalversion von „About Damn Time“ enthalten

Dem Algorithmus die Kontrolle aus der Hand nehmen

Die Gründe für dieses Vorgehen sind so simpel wie einleuchtend: Die Künstler*innen kontrollieren auf diese Weise selbst, was die Spotify-Nutzer:innen nach ihrem neuesten Song als nächstes zu hören bekommen. Anstatt dass der Spotify Algorithmus den Song eines anderen Künstlers oder einer anderen Künstlerin abspielt, bekommen die Hörer*innen nochmals die vorherige Single zu hören. Und die sammelt auf diese Weise immer höhere Abrufzahlen an. Heute weist Spotify für „About Damn Time“ 463 Millionen Streams aus. Er ist damit der dritterfolgreichste Song der Sängerin. Dazu beigetragen dürfte neben dem Umstand, dass der Song auch auf Tiktok viral gegangen ist, die Veröffentlichungsstrategie relevant beigetragen haben.

Das Grundmuster, das bei der "Wasserfall Strategie" im Musikmarketing angewendet wird

Das Grundmuster, das bei der „Wasserfall Strategie“ im Musikmarketing angewendet wird

Diverse andere Künstler*innen und Bands nutzen diese „Waterfall Strategie“ genannte Methode noch deutlich weitreichender. Musikmarketing-Experte Andrew Southworth zeigt in einem Video in seinem Youtube-Kanal das Beispiel der Metal-Band Spiritbox, die vor der Veröffentlichung ihres jüngsten Albums „Eternal Blue“ im Jahr 2021 ganze sieben Singles, EPs und Remixe veröffentlicht hat und dabei mehrfach die bereits veröffentlichten Songs den neueren Veröffentlichungen beigefügt hat. Die beiden zum Album „Eternal Blue“ gehörenden Stücke „Holy Roller“ und „Circle with me“ sind mittlerweile mit jeweils 18 Millionen Streams die beiden am häufigsten gestreamten Songs der Kapelle.

Jede Veröffentlichung ist eine neue Playlist-Chance

Aus Sicht der Künstler*innen gibt es viele weitere gute Gründe, nach dieser Methode vorzugehen. Einer davon: Ein großer Teil des Streaming-Konsums auf Spotify dürfte auf Playlisten zurückzuführen sein; ein Platz auf einer großen Playlist kann einen Song zum Hit machen. Dementsprechend begehrt sind die Plätze auf den offiziellen Spotify-Playlisten, die auf der Plattform besonders sichtbar sind. Für Platzierungen auf diesen können Künstler*innen aber nur unveröffentlichte Songs vorschlagen – und dann auch nur einen Song pro Veröffentlichung. Wer also ein Album mit 15 bis 20 Songs veröffentlicht, kann von dieser Veröffentlichung nur einen Song für Playlist-Platzierungen pitchen. Wenn einzelne Songs aber nochmals im Rahmen von mehreren Singles oder EPs veröffentlicht werden, haben die Künstler*innen mehr Möglichkeiten.

Mit jeder neuen offiziellen Veröffentlichung steigt auch die Wahrscheinlichkeit, auf dem „Release Radar“ der Spotify-Nutzenden aufzutauchen: eine personalisierte Playlist mit neuen Songs von Künstler*innen, den die Nutzer*innen folgen oder deren Musik sie mögen. Darüber hinaus bietet die Wasserfall-Methode mehr Möglichkeit zum Storytelling: Rund um die einzelnen Songs können die Künstlerinnen nochmal gesonderte Inhalte über Social Media absetzen. Damit können sie ihre Fans zum einen bei der Stange halten und zum anderen deren Vorfreude auf das neue Album immer weiter steigern. Manche Künstler*innen löschen nach Veröffentlichung des Albums einzelne Vorab-Veröffentlichungen wieder, um die Unordnung in ihrer Diskografie bei Spotify zu beseitigen.

Ein Song auf sechs Releases gepackt

Erfunden hat die Waterfall-Release-Strategie offenbar das US-DJ-Duo The Chainsmokers – und zwar schon vor einigen Jahren, wie Billboard im Jahr 2018 schreibt (€). Im Jahr 2019 erklärte dann die britische Electro-/Pop-Sängerin Charli XCX öffentlich, ihre Fans über fünf Monate hinweg immer wieder mit neuer Musik „füttern“ zu wollen. Der US-Tech-Blog The Verge nennt in diesem Zusammenhang die Sängerinnen Billie Eilish und Bebe Rexha als weitere Beispielkünstlerinnen, die die „Waterfall“-Methode anwenden. Der Musikmarketing-Experte Ari Herstand führt in einem Tiktok-Video die Künstler*innen Maggie Rogers und Robert Glasper sowie die US-Indie-Band Khruangbin als weitere Namen an.

Zu neuen Extremen haben US-Sängerin Gayle und ihr Label die Waterfall-Methode geführt, wie Musikmarketing-Experte Andrew Southworth in einem Youtube-Video zeigt. Die 18-Jährige war im Jahr 2021 im Sommer mit ihrem Song „abcdefu“ auf Tiktok „viral gegangen“, nachdem sie vorgespielt hatte, auf Grund eines Tiktok-Kommentars einen Trennungs-Song auf Basis des Alphabets geschrieben zu haben. Offenbar wollte das Team hinter dem Erfolg alle verfügbaren Tricks ausschöpfen, um den Song so erfolgreich wie möglich zu machen. So haben Label und Künstlerin immer wieder neue Versionen und Remixe des Songs veröffentlicht und die Originalversion dazu gepackt. So ist der Song auf Spotify nun auf insgesamt auf sechs Veröffentlichungen enthalten und weist 833 Millionen Streams auf.

Spotify pusht konstant veröffentlichende Künstler*innen

Spotify scheint solche Tricks nicht ablehnend gegenüber zu stehen – im Gegenteil: „Spotify unterstützt Waterfall Releases“, heißt es in einem Artikel im Hilfebereich des Dienstes. In diesem wird den Lesenden auch in Kurzform erklärt, wie die Methode funktioniert und was sie bei deren Umsetzung beachten müssen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Betreiber*innen der Plattform jegliche Entwicklung positiv bewerten, die dazu führen könnte, dass die Nutzer*innen häufiger auf Spotify zurückkehren – wie etwa das „tröpfchenweise Verfüttern“ neuer Alben. Heute reiche es nicht mehr aus, alle drei bis vier Jahre neue Musik aufzunehmen, so Spotify-Gründer Daniel in einem viel beachteten Interview im Jahr 2020. „Die Künstler, die heute Erfolg haben, wissen, dass es darum geht, eine kontinuierliche Interaktion mit ihren Fans zu generieren.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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