Media-Millionen im Anflug: Öffnet der Sport sein Inventar und macht es programmatisch buchbar?
Das klassische Sportsponsoring steht zunehmend unter Druck. Sind digital buchbare Media-Budgets die Antwort?
- "Big Spender" wackeln
- "Viele Clubs lassen Umsätze liegen"
- 75.000 bis 500.000 Euro neuer Umsatz pro Bundesligist
- SaaS-Lösungen vs. Vermarktung per Telefon
- Namhafte Bundesliga-Manager beteiligen sich an Vispex
- Das Warten auf die virtuelle Werbung
- Burger King, Media Markt und Otto buchen ein
- HUK-Autowelt wirbt erstmals programmatisch und situativ live im Sport
- Mut zur Flexibilität
Während einige Sportrechtehalter die Evolutionsstufe vom Club oder Verband zum Medienhaus in den vergangenen fünf bis zehn Jahren vollzogen haben, steht für nun der nächste Entwicklungsschritt ins Haus – nämlich zur digitalen Vermarktungsplattform. Auf dem Weg dahin könnten ergänzend zu klassischen Sponsoring-Partnerschaften sowohl digitale Lösungen zur Vermarktung der Inventare helfen als auch programmatische Plattformen für Buchungen durch Media-Agenturen. Was in der Werbebranche längst Standard ist, könnte somit nun endlich auch dem Profisport neue Erlöse bringen. OMR hat sich die aktuellen Bewegungen auf dem Markt genauer angeschaut.
"Big Spender" wackeln
Es gibt da so eine Marktwahrheit im Sportbusiness, die die Rechtehalter verständlicherweise nur ungern offen zugeben: Es wird für die meisten Clubs und Verbände jenseits der absoluten Top-Adressen zunehmend herausfordernder, und damit auch ressourcenseits aufwändiger, langfristige und hoch dotierte Sponsoring-Pakete zu verkaufen. Das liegt gar nicht mal an der Werbegattung selbst, sondern maßgeblich auch an den Marktumständen und den zum Teil veränderten Kommunikationsbedürfnissen der bisherigen "Big Spender", die Sportsponsoring zu der akzeptierten Werbegattung gemacht haben, die sie seit nunmehr rund fünf Jahrzehnten zurecht ist. Das Jägermeister-Logo auf den Trikots von Eintracht Braunschweig lässt grüßen.
Selbst Branchenführer wie der FC Bayern München müssen trotz stetig steigender Sponsoringumsätze, in der Saison 2022/23 waren es 246 Millionen Euro, namhafte Abgänge im Partnerportfolio hinnehmen. Beispielhaft dafür stehen beim Rekordmeister die zurückliegenden Ausstiege der DHL oder von Siemens. Künftig werde letztgenannter Dax-Konzern seine "Partnerschaften noch stärker auf neue Produkte, unser digitales Portfolio und nachhaltige Technologien ausrichten, um unsere Unternehmensstrategie bestmöglich zu unterstützen", lautet seinerzeit die Begründung von Siemens.
"Viele Clubs lassen Umsätze liegen"
Kommen wir zu den guten Nachrichten für Clubs und Verbände: Erstens ist auch auf Sicht kein emotionaleres Werbeumfeld als Sportsponsoring am Horizont erkennbar. Und zweitens schicken sich in Deutschland derzeit diverse digital denkende Player an, die Brücke zu den milliardenschweren Media-Budgets der werbetreibenden Industrie zu bauen – und damit signifikante Mehrerlöse für den gesamten Sport zu generieren. Das Ganze heißt dann eben Media-Buchung und nicht Sponsoring.
"Viele Clubs und Verbände lassen Umsätze liegen, die sich aus der Öffnung von Inventaren für Marken abseits der klassischen Sponsorenpyramide ergeben können", lautet die These von Benjamin Becker, Managing Partner Business Development bei der Omnicom Media Group (OMG) Germany, die er im Gespräch mit OMR aufstellt. Über die hauseigene Unit OMG Sports wollen Becker und sein Team künftig gezielt Werbegeld in den Profisport lenken.
"Die Nachfrage unserer Kunden nach Profisport als Werbeplattform wird immer größer. Viele Unternehmen mit gehörigen Media-Budgets wollen relevantes Geld im Sport ausgeben, ohne gleich eine langfristige Sponsoring-Partnerschaft eingehen zu müssen", sagt Becker und legt den Finger in die Wunde: "Clubs und Verbände bieten Marken bisher oftmals gar nicht oder nur in Einzelfällen Flächen für zwei-, drei- oder vierwöchige Kampagnen an. Ich halte das für einen Fehler und finde, dass sich Sportrechtehalter an dieser Stelle öffnen sollten. Mehr Media-Buchungen als bisher zuzulassen bedeutet ja nicht automatisch die generelle Abkehr vom Sponsoring."
75.000 bis 500.000 Euro neuer Umsatz pro Bundesligist
OMG zielt im Sportbereich insbesondere auf digitale Werbeflächen abseits des Stadions wie Apps, Websites und Podcasts der Vereine. Das theoretische Potenzial des Gesamtmarkts sollte die Sportbranche hellhörig werden lassen: Laut German "Digital Advertising Latecast" von OMG Germany betragen die digitalen Werbeausgaben in Deutschland 2023 etwa 15,6 Milliarden Euro. Statista-Prognosen zufolge werden es 2028 bereits 21,2 Milliarden Euro sein.
5,5 Milliarden Euro der aktuell 15,6 Milliarden Euro entfallen auf Display- und Videowerbung. Hier sieht Becker das primäre Potenzial. "Davon könnte ein signifikanter Betrag in den deutschen Sport geshifted werden." Für die 18 Clubs der Fußballbundesliga rechnet Becker exemplarisch vor, dass Banner-Werbung zum Beispiel auf der Homepage sowie flankierend in Formaten wie Pressekonferenzen im Club-TV pro Saison je nach Besucherzahlen auf den Plattformen pro Verein zwischen 75.000 bis 500.000 Euro inkrementellen Umsatz einbringen kann.
SaaS-Lösungen vs. Vermarktung per Telefon
Während OMG Sports einen Fokus auf die Vermarktung digitaler Assets von Proficlubs, -ligen und -Verbänden legt, haben es andere Marktteilnehmer auf einen technologiegestützten, im besten Falle vollautomatisierten Verkauf von digitalen Werbeflächen in den Stadien und Arenen abgesehen. Die Idee dahinter ist, programmatische Buchungen von Bandenwerbung im Stadion über einen Marktplatz anzubieten – idealerweise inklusive Software-Angebot, dass das Management des Werbeinventars von der Buchung bis zur Ausspielung raus aus der Excel-Tabelle holt. Und was alle Anbieter eint: Sie wollen die von OMG-Manager Becker ins Spiel gebrachten Werbebudgets der Media-Agenturen anzapfen und ihnen über ihre jeweilige digitale Plattform die Brücke in den Sport ebnen.
Da wäre zum Beispiel das Hamburger Startup Gipedo um Co-Founder Lars Gantenberg, der vor der Gründung zehn Jahre beim Sportrechtevermarkter Sportfive und anschließend von 2018 bis 2021 als Geschäftsführer von Transfermarkt tätig war. "Clubs und Verbände bedienen die Nachfrage nach großen Werbekampagnen oftmals auch deswegen nicht, weil sich die Vermarktung mit den vorhandenen Mitteln für sie nicht rechnet", sagt Gantenberg gegenüber OMR und bringt damit ein Effizienz-Argument an den Tisch. Die Marketing-Teams der Clubs seien lediglich für das Kerngeschäft Sponsoring gut aufgestellt. "Kurzfristig freie Werbeflächen und Bandenzeiten werden dagegen derzeit oftmals noch telefonisch vermarktet, die Werbemittel manuell eingesammelt und einzeln an Spieltagen in die technischen Systeme eingespielt. Kleinteilige Media-Buchungen rechnen sich ohne digitale Lösung somit nicht", skizziert er seine Geschäftsidee.
Die Basis von Gipedo sind laut Gantenberg "SaaS-Lösungen, mit denen Sportrechtehalter ihr gesamtes Media-Werbeinventar mit minimalem Aufwand verwalten und kontrollieren können". Über einen integrierten Marktplatz soll neuen Werbekunden gleichzeitig der Zugang zu Media-Inventar im Profisport geöffnet werden. "Mit unserem Campaign Manager können Brands und Agenturen ihre Kampagnen zielgenau aussteuern. Und zwar so datenbasiert und automatisiert, wie sie es von Online-Medien gewohnt sind", sagt Gantenberg. Er betont, dass alle Kampagnen, die bei Gipedo gebucht werden, "aus Media-Töpfen kommen". Gipedo sei demzufolge weder ein Konkurrent für Vermarkter noch für die Disziplin Sponsoring. "Vielmehr öffnen wir schlichtweg den Markt für Unternehmen, die durch Club-übergreifende Buchungen ihren Media-Mix um Sport erweitern wollen", sagt der Gipedo-Mitgründer.
Gipedo bietet auf seinem Marktplatz eigenen Angaben zufolge derzeit Werbe-Inventar von 50 Teams aus sieben Wettbewerben an, darunter die Bundesliga, die 2. Bundesliga sowie die Liqui Moly Handball-Bundesliga und die Easycredit Basketball Bundesliga. Über Gipedo haben als Media-Bucher bereits einige namhafte Marken ihren Weg auf die große Sportbühne gefunden – zum Beispiel Vodafone, Bet365, Subway und Mister Spex für Kampagnen in der Fußballbundesliga, Indeed mit einer Kampagne in der Frauen-Bundesliga sowie L'Oréal Men Expert mit einer virtuellen Infield-Werbung in der European League of Football.
Namhafte Bundesliga-Manager beteiligen sich an Vispex
Während Gipedo bis hierhin einen eher leisen Markteinstieg gewählt hat, ging ein anderer Anbieter schon deutlich lauter zu Werke. Die Rede ist von der Unternehmung Virtual Sponsoring Exchange, kurz: Vispex, und dessen Produkt "Sportsvertise.com". Dabei handelt es sich ebenfalls um einen Marktplatz, der nach eigenen Angaben "zum Beispiel attraktive Werbeflächen wie etwa noch nicht vermarktete Zeiten auf Digitalbanden in Stadien, die sonst klassischen Sponsoren als Teil von Paketen vorbehalten sind, für Werbeschaltungen von Media-Agenturen und Werbetreibenden öffnen" will.
Im Januar 2019 ruft Vispex-Hauptanteilseigner (51 Prozent) Sporttotal zum Start gar eine "Effizienz-Revolution in der Vermarktung von Sportrechten" aus. Ebenfalls offensiv kommuniziert werden die im deutschsprachigen Sportbusiness sehr bekannten Vispex-Gesellschafter Michael Meeske (Geschäftsführer VfL Wolfsburg), Dr. Jan Lehmann (Ex-Vorstand 1. FSV Mainz 05) sowie der ehemalige HSV-Marketingvorstand Joachim Hilke.
Das Warten auf die virtuelle Werbung
Die damaligen Businesspläne von Sportsvertise.com fußten vor allem auf der Annahme, dass sich durch eine flächendeckende Einführung von virtueller Werbung das Angebot an verfügbaren Werbeflächen im Sport vervielfacht und in der Folge eine klassische Vermarktung einfach nicht mehr kosteneffizient wäre. Diese Wette ging bisher jedoch noch nicht wirklich auf, da das Thema Virtual Advertising im deutschsprachigen Sportbusiness-Markt aus verschiedenen Gründen einen etwas längeren Anlauf gebraucht, als viele Expert*innen zuvor angenommen hatten. Seit einiger Zeit ist es dadurch ziemlich ruhig um die Sportsvertise-Verantwortlichen geworden, auch gegenüber OMR wollen sie sich auf Nachfrage nicht zu ihren künftigen Geschäftsplänen äußern.
Möglicherweise schauen die Sportsvertise-Macher derzeit aber hoffnungsvoll in Richtung des bevorstehenden Investoreneinstiegs bei der Deutschen Fußball Liga (DFL). Schließlich veranschlagt die DFL immerhin 65 Millionen Euro des dann vorhandenen Geldes für den Punkt Werbepartner im Allgemeinen und für virtuelle Werbung im Speziellen.
Die Hoffnung auf den flächendeckenden Durchbruch von Software-basierter virtueller Werbung hat Vispex natürlich nicht exklusiv. Es gibt viele Sportrechtehalter, die ein und dasselbe physische Werbemittel wie beispielsweise eine LED-Bande im Stadion mithilfe von Virtual Advertising gern dauerhaft in möglichst viele Zielmärkte, also mehrfach verkaufen wollen. Clubs und Ligen müssen sich dafür aber zum Teil richtungsweisende Fragen stellen. Beispielsweise, ob virtuelle Werbung von einer Liga zentral produziert und vermarktet werden soll oder, ob das die Clubs wie bisher in Eigenregie lösen, was vergleichsweise aufwendig und ressourcenintensiv wäre.
Burger King, Media Markt und Otto buchen ein
Auch Trade4Sports (T4S) hofft einerseits auf den Durchbruch der virtuellen Werbung und wünscht sich darüber hinaus auch deutlich mehr Flexibilität von Profisportclubs bei der Bespielung des Werbeinventars über digitale Wege. Das von den beiden ehemaligen Ströer-Managern Nicholas von Brauchitsch und Frederic Komp 2020 gegründete Adtech-Unternehmen wirbt ebenfalls mit einer Effizienzsteigerung im Handling des vermarktbaren Inventars und stellt plakativ sogar eine ganz konkrete Summe als Einsparpotenzial für Vereine in den Raum. Demnach gebe ein Sportrechtehalter 43.639 Euro pro Saison allein für veraltete Technik und manuelle Prozesse aus, die von internen Ressourcen oder externen Dienstleistern umgesetzt werden müssen.
Dagegen gerechnet kostet die T4S-Software zum Beispiel abhängig vom technischen Setup beim jeweiligen Verein ab rund 12.000 Euro aufwärts. Bei der SaaS-Lösung handelt es sich um ein Inventar- und Playoutsystem für Rechtehalter, mit dem diese ihre Werbeflächen wie LED-Banden am Spielfeldrand oder weitere virtuelle und physische Displays im Stadion automatisiert und cloudbasiert verwalten können.
Das zweite Herzstück von T4S ist eine digitale Werbebuchungsplattform, die Media-Buchungen im Sport weltweit in Echtzeit und vollautomatisch verwaltet und ausspielt. Eigenen Angaben zufolge bieten über 90 Rechtehalter ihr Inventar bei T4S an, buchende Kunden waren bis dato unter anderem Marken wie Burger King, Media Markt Saturn und Otto.
HUK-Autowelt wirbt erstmals programmatisch und situativ live im Sport
Der KfZ-Versicherer HUK-Autowelt hat am 11. November 2022 derweil gleich zwei Innovationen in Kooperation mit Trade4Sports umgesetzt. Dem Vernehmen nach ist es dem Anbieter beim Zweitligaspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und dem 1. FC Kaiserslautern seinerzeit weltweit erstmals gelungen, den Buchungsprozess und die Ausspielung der Werbung programmatisch und darüber hinaus zudem situativ in einem Live-Fußballspiel zu realisieren. So erschien auf den LED-Banden in der Merkur Spiel-Arena bei jedem Spielerwechsel der Slogan "Spielentscheidender Wechsel? – Jetzt an die Winterreifen denken". Der Zeitpunkt kam dabei übrigens nicht von ungefähr, denn der 30. November ist der jährliche Stichtag für den Wechsel von Automobilversicherungen, da diese in der Regel bis einen Monat vor Laufzeitende gekündigt werden müssen.
"Marken haben oftmals produktbezogene oder saisonal variierende Kommunikationsbedürfnisse. Unser Ziel ist es, ihnen auch im Profisport Flexibilität für ihre Botschaften einzuräumen", sagt T4S-Mitgründer Nicholas von Brauchitsch gegenüber OMR. Ein Beispiel-Kunde dafür ist der Streaming-Dienst Amazon Prime Video, der punktuell immer an jenen Wochenenden in der Bundesliga wirbt, die vor den am Dienstag oder Mittwoch stattfindenden Live-Übertragungen der UEFA Champions League liegen. Für den Kunden Xbox/Microsoft habe T4S derweil im Rahmen einer Weihnachtskampagne im Dezember 2023 "innerhalb von 24 Stunden in über 30 unterschiedlichen deutschen Stadien von Handball über Basketball bis Fußball eingebucht und angefangen auszuspielen", berichtet Von Brauchitsch von einem weiteren konkreten Anwendungsfall.
Mut zur Flexibilität
Hätten die genannten Marken wie Amazon Prime Video, HUK-Autowelt oder Xbox mit ihren temporären Kommunikationsanlässen auch Geld für länger angelegte Sponsoring-Partnerschaften in die Hand genommen? "Ganz offensichtlich nicht", sagt von Brauchitsch ohne Großes zögern und schlägt zugleich die Brücke zur eingangs erwähnten Sponsorenpyramide: "Dieses Schema ist einfach in die Jahre gekommen und muss für Eventreihen, die über einige Monate hinweg dauern, neu gedacht werden, da bei vielen Vereinen zunehmend die Vermarktung unter Druck steht."
Der T4S-Geschäftsführer wolle damit "ganz und gar nicht zum Ausdruck bringen, dass das Sponsoring tot" sei. Aber, so sagt er und stößt damit ins gleiche Horn wie Benjamin Becker von OMG: "Sportrechtehalter sollten definitiv mehr Mut zur Flexibilität mitbringen und die rein nach Reichweite und Zielgruppe vermarktbaren Flächen auch für Werbekunden von Media-Agenturen öffnen."