Wie ein Deutscher in den USA über Social Media eine 300 Millionen US-Dollar schwere Medienmarke aufgebaut hat

Martin Gardt23.6.2016

Philippe von Borries erzählt im Rockstars Podcast, wie er Refinery29 jetzt auch nach Deutschland bringt

Philippe von Borries, Refinery29
Philippe von Borries
Inhalt
  1. Facebook Live als Wachstumshebel
  2. Unter der Elite von Snapchat Discover
  3. Enge Zusammenarbeit mit Brands und Influencern
  4. Große Pläne für Deutschland
  5. Alle Themen vom Rockstars Podcast mit Philippe von Borries im Überblick:

Mit nach eigenen Angaben über 25 Millionen Besuchern pro Monat ist Refinery29 einer der größten Online-Publisher der Welt. Das Portal für Millennial-Frauen findet seine Leser vor allem auf den neuen Plattformen wie Facebook, Instagram und Snapchat. Jetzt ist Refinery29 auch in Deutschland gestartet und Co-Gründer Philippe von Borries erzählt im Rockstars Podcast, wie er das Portal groß gemacht hat, welche Strategie er auf den neuen Plattformen verfolgt und wie seine Pläne für Deutschland aussehen.

Mit 15 geht Philippe von Borries für ein Austauschjahr in die USA, verliebt sich in das Land, beschließt zu studieren und sein Leben dort zu verbringen – jetzt kommt er mit seinem Millionen-Unternehmen zurück nach Deutschland. Schon 2005 gründet er mit drei Freunden das Projekt Refinery29 in New York – damals noch ein E-Commerce-Angebot für junge Frauen, die ihren Stil „verfeinern“ wollen (to refine bedeutet verfeinern). „Wir haben das damals die ‚Independent Mall Of Your Dreams‘ genannt“, erzählt von Borries im Rockstars Podcast. Damals hätten sich gerade mal 2.000 Kunden für das Projekt interessiert, trotzdem entsteht eine Community. In den folgenden fünf Jahren bauen von Borries und sein Team die Marke Refinery29 aus, abgestimmt auf die junge weibliche Zielgruppe mit einem Artikel in der Woche. Aus dem E-Commerce-Unternehmen wird immer stärker ausschließlich ein Content-Projekt. „Bis 2010/2011 wollte kein Investor in Content investieren und niemand sah eine Möglichkeit, große Geschäfte aufzubauen. Das war noch vor den Tagen von Facebook“, sagt von Borries.

Mit dem Aufstieg der Plattformen hätte sich das geändert und die langfristige Wette auf Content sei aufgegangen. Das zeigen auch die Zahlen: Philippe von Borries erzählt im Podcast, dass Refinery29 in diesem Jahr einen neustelligen Umsatz verzeichnen dürfte. In fünf Runden hat das Unternehmen über 80 Millionen US-Dollar an Investitionen eingesammelt und wird mit etwa 300 Millionen US-Dollar bewertet. Über 420 Mitarbeiter sitzen in Büros in New York, Los Angeles, London und seit Neuestem auch Berlin. Mittlerweile veröffentlicht die Webseite nach eigenen Angaben über 2.000 Artikel im Monat – die meisten drehen sich um Mode, Lifestyle, Essen, Prominente, es finden aber auch aufwendig produzierte politische Reportagen und gesellschaftspolitische Themen statt.

Refinery29 Homepage

Die Homepage der deutschen Refinery29-Edition

Facebook Live als Wachstumshebel

Die Zeiten, in denen große Publisher immer neue Traffic-Rekorde mit der Unterstützung von Facebook feiern konnten, sind offenbar vorbei. Das bestätigt auch Philippe von Borries im Podcast: „Dieses Jahr war so ein bisschen der ‚Come to Jesus‘-Moment für die Industrie“. Um den Traffic und das Engagement auf Facebook auszubauen setze Refinery29 derzeit verstärkt auf Live Videos: „Wir produzieren um die 1.500 Minuten Facebook-Live-Content im Monat. […] Wir sehen fast 40 bis 50 Prozent mehr Engagement auch bei anderem Content im Facebook-Newsfeed.“ Deshalb sei Facebook Live derzeit ein sehr wichtiger Teil der Social-Strategie.

Das Konzept geht wohl auf, weil Refinery29 häufig Live-Videos mit Hollywoodstars teilt – zuletzt etwa mit Schauspielerin Anna Kendrick. Ein Bericht von The Information (Bezahlinhalt) zeigt etwa, dass Live-Videos von Stars deutlich mehr Zuschauer bei Facebook anziehen, als Inhalte von Publishern. Ob Refinery29 zu den Publishern gehört, die von Facebook bezahlt werden, um häufiger das Live-Format einzusetzen, erzählt von Borries nicht.

Unter der Elite von Snapchat Discover

Snapchat Discover Refinery29

Snapchat Discover mit Refinery29-Inhalten an erster Stelle

Ebenso viel Wert lege das Team aber auf die Präsenz bei Snapchat. „Es gibt ein enormes Publikumspotenzial bei Snapchat, das wir vor ein paar Monaten noch gar nicht auf dem Zettel hatten“, sagt von Borries. Refinery29 ist einer von derzeit nur 17 Publishern, die bei Snapchat Discover auftauchen dürfen – unter anderem neben CNN, National Geographic und Buzzfeed. Discover bietet Publishern die Möglichkeit, Snapchat-Nutzer mit speziell gestalteten Beiträgen direkt in der App zu erreichen. Die Cosmopolitan spricht von 20 Millionen Views im Monat direkt auf der Plattform. Laut von Borries würden 60 Prozent der Snapchat-Nutzer jede Woche beim Refinery29-Kanal vorbei schauen, View-Zahlen nennt er nicht.

Artikel für diesen Kanal zu produzieren ist aber ganz und gar nicht günstig, der Content muss perfekt auf das Hochkant-Format von Snapchat angepasst werden. Refinery29 beschäftigt aber – wie von Borries im Podcast erzählt – füqr jede Plattform ein Team, dass sich nur um das jeweilige Format kümmert. Insgesamt bestehe die Redaktion aus über 130 Mitarbeitern. Ein Blick auf die Snapchat-Beiträge von Refinery29 zeigt, wie viel Aufwand dahinter steckt. Jeder Artikel wird mit einer eigenen Video-Grafik angeteasert. Auf der Plattform testet Refinery29 vor allem virale Inhalte, derzeit ausschließlich zum Thema Essen.

Enge Zusammenarbeit mit Brands und Influencern

Viele Wettbewerber seien laut von Borries darauf besessen, nur Reichweite aufzubauen und achteten dabei nicht auf ein funktionierendes Geschäftsmodell. Für ihn stehe das aber im Vordergrund. Philippe von Borries spricht im Rockstars Podcast von zwei Stützen: „Die erste ist ‚Digital Agency‘ und die zweite Content-Verkauf“. Aus seiner Sicht gebe es für Publisher fast nur den Agentur-Weg, um richtig Geld zu verdienen. Auf diesem Gebiet gebe es schon jetzt einen harten Kampf und man brauche die Kapazitäten, um wirklich langfristig wie eine Agentur zu funktionieren. Refinery29 betreue schon jetzt große Marken und entwickle für sie Inhalte. Im Endeffekt begleite der Publisher Brands auf dem kompletten Weg von der Erstellung über Distribution bis hin zu begleitenden Maßnahmen wie Events, um ihre Produkte zu vermarkten.

Influencer würden dabei eine große Rolle spielen. „Unser Influencer-Geschäft heißt ‚Here and Now‘, und das machen wir gemeinsam mit Social-Media-Influencern und Hollywood-Stars“, sagt von Borries. Zuletzt habe Refinery29 mit der in den USA sehr bekannten Schuhmarke Keds eine Kampagne zu ihrem 100 jährigen Bestehen entwickelt. Mit dabei: die Musikerinnen Ciara und Tori Kelly, Schauspielerin Allison Williams, sowie weitere Social-Media-Influencer. Das Unternehmen übernahm dabei die komplette Content-Produktion rund um die Kampagne – inklusive Social-Media-Kommunikation.

Große Pläne für Deutschland

In der vergangenen Woche ist die deutsche Version von Refinery29 an den Start gegangen. Laut von Borries solle das deutsche Team nicht nur einfach Texte der US- oder UK-Version übersetzen, sondern auf den deutschen Markt abgestimmte Themen setzen. „Für uns bedeutet das 50 Prozent übersetzter und 50 Prozent lokal produzierter Content“, sagt er. Das Berliner Team bestehe aus sechs Personen und soll trotzdem die ganz Großen angreifen. In Deutschland seien Frauen-Themen noch von sehr klassischen Marken besetzt, die nicht den gleichen Content-Mix aus Beauty, Lifestyle und Politik zu bieten hätten. Refinery29 dränge mit einem moderneren Themenansatz auf den Markt.

„In Deutschland wollen wir auf jeden Fall auf den Spitzenplatz in unserer Kategorie, das steht außer Frage“, sagt von Borries selbstbewusst. Durch guten „How-to-Content“, der in den USA besteht und übersetzt werden soll, könne es Refinery29 auch in Sachen SEO mit den deutschen Marktführern á la Gala und Brigitte aufnehmen. Die deutsche Seite ist stilistisch genauso aufgemacht wie das US-Pendant, die wenigen Banner sind mit Werbung für den eigenen Newsletter besetzt – der hat laut von Borries weltweit fast drei Millionen Abonnenten. Was den Aufbau einer starken Community angeht, hat das deutsche Team aber noch viel Arbeit vor sich: Der Facebook-Kanal hat knapp über 7.000 Fans, der Instagram-Account über 2.000. Zum Vergleich: Die US-Facebook-Seite gefällt über 3,6 Millionen Nutzern und der US-Instagram-Kanal kommt auf über 1,1 Millionen Abonnenten.

Alle Themen vom Rockstars Podcast mit Philippe von Borries im Überblick:

  • Das Projekt Refinery29: Wie hat es ein Deutscher geschafft, einen Mega-Publisher in den USA zu gründen? (ab 0:47)
  • Von E-Commerce zu Content. Wie hat sich das Unternehmen seit 2005 gewandelt? (ab 3:06)
  • Was waren die großen Wachstumsmotoren für Refinery29? Wie wichtig ist und war Offline Marketing für die Marke? (ab 4:23)
  • Der große Push durch Facebook und andere Plattformen (ab 7:07)
  • Finanzierung auf 300-Millionen-Bewertung: Was ist das langfristige Geschäftsmodell? (ab 8:05)
  • Axel Springer bezahlte 300 Millionen Euro für Business Insider. Können Publishing-Projekte das zurück verdienen? (ab 10:33)
  • Wie wichtig ist Reichweite für Refinery29 und welche KPIs zählen am meisten? (ab 12:06)
  • Die großen Reichweitenhebel: Facebook Live, Snapchat Discover, E-Mail, Google (ab 14:49)
  • Warum hat Axel Springer noch nicht investiert? (ab 18:12)
  • Mit E-Commerce ist kein Riesen-Geschäft mehr möglich, oder? (ab 18:43)
  • Diesen Trends folgt Refinery29 gerade. Was passiert mit der Homepage? (ab 19:51)
  • So ist das Unternehmen weltweit aufgestellt (ab 22:02)
  • Welche Plattformen sind nicht mehr so interessant für Publisher? (ab 25:40)
  • Zielgruppe Frauen: Spiegelt sich das auch im Unternehmen wieder? (ab 26:54)
  • Die Deutschland-Strategie von Refinery29 (ab 28:10)
  • Können er und sein Team in Sachen SEO mit den deutschen Playern mithalten? (ab 30:52)
  • Aus dem Leben von Philippe: Vom Austauschschüler zum Vorzeige-Gründer (ab 33:00)
  • Wer sind die großen Wettbewerber von Refinery29? Welchen Einfluss hat die Vogue noch? (ab 38:29)
  • Sieht man als großer Publisher mittlerweile sinkenden Traffic von Facebook? (ab 39:50)
  • Die Marketingstrategie von Refinery29 – ohne Adsense und Content Promotion (ab 42:45)
  • Wie geht der Publisher Mobile an? Wie wichtig sind Apps noch? (ab 45:14)
  • Wieso sind Influencer so wichtig und wie setzt Refinery29 sie ein? (47:39)

Der Rockstars Podcast mit Philippe von Borries ist ab sofort bei Soundcloud, iTunes (falls die aktuelle Episode noch nicht sichtbar ist, einfach abonnieren) oder per RSS-Feed verfügbar. Ganz neu: Ihr könnt uns jetzt auch auf der US-Plattform Stitcher finden. Viel Spaß beim Anhören!

MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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