„User mit Kaufabsicht“: So will Pinterest auch hierzulande zum E-Commerce-Player werden
Der neue Deutschlandchef Martin Bardeleben über mehrtägige Checkouts und das neue Trend-Tool
- Pinterest hat mehr als 440 Millionen Nutzer*innen
- Pinterest bietet erst seit 2019 Anzeigen in Deutschland an
- Viele lassen sich erstmal inspirieren vor dem Kauf
- Pinterest will die Shopping-Experience verbessern
- Videos werden für Pinterest immer wichtiger
Wenn es um die Zahl der Nutzer*innen geht, kann Pinterest nicht mit Konkurrenten wie Facebook, Instagram oder Tiktok mithalten. Doch dafür hat die Bilder-Plattform einen anderen Vorteil: Viele suchen hier gezielt nach Inspiration. Das will sich Unternehmen nun noch stärker zunutze machen – um so zum E-Commerce-Player zu werden.
Mit der Wirkung von perfekten Selfies hat sich auch schon die Wissenschaft befasst. Besonders Frauen wirken demnach attraktiver, wenn sie ihre linke Gesichtshälfte zur Kamera drehen. Das haben Forscher der Universität Bamberg herausgefunden. Für viele Creator*innen dürften solche Informationen hilfreich sein, bei Pinterest helfen sie hingegen oft wenig. „Bei uns sieht man sehr oft nur die Hände, die etwas herstellen – und nicht die klassische Selfie-Perspektive“, sagt Martin Bardeleben.
Der Manager ist vor zwei Jahren vom Suchmaschinen-Riesen Google zu Pinterest gewechselt. Inzwischen leitet er als Country Manager die Geschäfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er soll dafür sorgen, dass die Umsätze des Netzwerks weiter steigen – und es immer stärker als ein über Bilder und Videos inspirierendes Einkaufsportal wahrgenommen wird. Denn aus der virtuellen Pinnwand soll über kurz oder lang eine relevante E-Commerce-Plattform werden.
Pinterest hat mehr als 440 Millionen Nutzer*innen
Pinterest wurde im März 2010 von Ben Silbermann, Evan Sharp und Paul Sciarra gegründet – und war in den vergangenen Jahren so etwas wie das größte nicht-eingelöste Versprechen im Social-Media-Bereich. 2014 titelte das US-Magazin Forbes in Richtung Facebook-Chef Mark Zuckerberg: „Mach Platz, Zuck“. Pinterest, so die These des Autors, komme auf eine Bewertung von fünf Milliarden US-Dollar und habe ein Umsatzmodell, das Facebook und Twitter in den Schatten stelle. Das Unternehmen sei ein kommender Werbe-Koloss. Dass Pinterest damals noch gar keine Umsätze erzielte, weil man sich zunächst auf den Aufbau der Nutzerschaft fokussierte – halb so wild.
Acht Jahre später muss man konstatieren: Zuck hat nicht Platz gemacht. Im Gegenteil. 2021 lag der Umsatz von seinem inzwischen in Meta umbenannten Konzern bei knapp 118 Milliarden US-Dollar. Pinterest kommt auf 2,6 Milliarden US-Dollar. Und während Facebook weltweit auf rund drei Milliarden aktive Nutzer*innen kommt, sind es bei Pinterest monatlich „nur“ 440 Millionen Nutzer*innen. Entsprechend ist Meta an der Börse mit 244 Milliarden US-Dollar auch mehr als das 15-fache von Pinterest (14,2 Milliarden US-Dollar) wert.
Pinterest bietet erst seit 2019 Anzeigen in Deutschland an
Doch nun will das Unternehmen erneut angreifen – und endlich das einlösen, was sich viele schon lange von Pinterest erhofft haben. Dafür muss und soll sich einiges ändern. Und Europa spielt dabei eine zentrale Rolle. Denn ein Blick in die Zahlen zeigt: den Großteil seiner Umsätze erzielt Pinterest noch immer in den USA. Auf Europa entfielen in diesem Jahr im dritten Quartal nur 86 von 685 Millionen US-Dollar. Das war sogar etwas weniger als im Vorjahreszeitraum. Dass der Kontinent bei den Umsätzen so deutlich zurückliegt, hängt auch mit dem bisherigen Vorgehen des Netzwerks zusammen.
Denn Pinterest begann hierzulande erst im März 2019 mit der Monetarisierung mittels Werbung. Jahrelang hat Pinterest in der DACH-Region primär darauf gesetzt, die Nutzer*innen-Zahlen zu steigern (hier haben wir analysiert, wie die Plattform mit SEO ihr Wachstum gepusht hat). Laut der aktuellen Online-Studie von ARD und ZDF nutzen aktuell zehn Prozent der Deutschen Pinterest wöchentlich. Die Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Insgesamt wächst die Nutzer*innen-Zahl bei Pinterest aber laut der Studie deutlich langsamer als etwa bei Tiktok, Twitter, Instagram oder Facebook. Pinterest selbst spricht von 14,7 Millionen monatlich Unique Visitors. Zwei Drittel von ihnen sind demnach weiblich. Die am schnellsten wachsenden Demographien sind GenZ, Millenials und Männer. Das Unternehmen bezieht sich dabei auf Daten der Marktforscher von Comscore.
Viele lassen sich erstmal inspirieren vor dem Kauf
Inzwischen hat das Netzwerk sein Angebot um weitere Funktionen erweitert, die die Plattform noch attraktiver für Unternehmen machen sollen. So führte Pinterest im Sommer eine Schnittstelle ein, über die Händler*innen mit einem Business Account leichter ihre Produktkataloge hochladen können. Durch die Shopping-API soll sich einerseits das Angebot auf der Plattform vergrößern, andererseits aber auch dafür sorgen, dass Bestände und Verfügbarkeit quasi in Echtzeit übermittelt werden können. Außerdem können Händler*innen seitdem auch Produkte auf den Bildern taggen. Ziel des Netzwerks: Nutzer*innen sollen alles, was sie inspiriert, auf der Plattform kaufen können.
Im Oktober kam außerdem ein Trend-Tool hinzu, damit Werbetreibende noch besser verstehen können, welche Inhalte die Pinterest-Nutzer*innen interessieren. Das ermöglicht mehr Einblicke in die aktuellen Interessen der Nutzer*innen. Werbetreibende sollen ihre Kampagnen dadurch besser aussteuern und auch besser an die Interessen der Nutzer*innen anpassen können. Ergebnisse können dabei nach verschiedenen Kriterien gefiltert werden, etwa nach Demografie oder Saisonalität. Aktuell trenden beispielsweise Keywords wie „Weihnachten Dekoration“ oder „Adventskranz Ideen“. Martin Bardeleben sieht darin nicht nur Chancen für Unternehmen, sondern auch für Creator*innen. „Das Pinterest Trend-Tool kann dabei helfen, frühzeitig neue Trends zu erkennen, so dass man den eigenen Content entsprechend planen und anpassen kann“, sagt Deutschland-Chef Martin Bardeleben. Wichtig seien auf der Plattform generell beispielsweise Themen wie Nachhaltigkeit, Preloved oder Upcycling.
Pinterest will die Shopping-Experience verbessern
„Pinterest ist die einzige Plattform, die Nutzer*innen mit der Intention, etwas zu planen besuchen, und damit letztlich auch mit einer Kaufabsicht“, so Bardeleben. Also versuchen der Manager und sein Team, immer mehr Unternehmen auf die Plattform zu locken. Einrichtung, Essen, Reisen, Mode – die Kategorien, bei denen Nutzer*innen nach Inspiration suchen, sind mannigfaltig. Nur Impulskäufer findet man auf der Plattform eher weniger. Laut dem Deutschlandchef dauern 75 Prozent der Checkouts länger als eine Woche. Pinterest wolle daher das stationäre Einkaufserlebnis, bei dem es auch viel um Dinge wie Bummeln, Stöbern oder Entdecken gehe, online nachbauen.
Pinterest arbeitet dabei auch sehr eng mit Shopify zusammen. Die Shops und Kataloge können einfach bei Pinterest integriert werden. Gleichzeitig wurden Unternehmensseiten um eine „Shop“-Kategorie erweitert, um das Einkaufserlebnis noch mehr zu erleichtern. Damit ist Pinterest nicht nur für D2C-Marken, sondern auch größere Player interessant. Allerdings hat Shopify offenbar aktuell eigene Pläne, einen Marktplatz aufzubauen. Das Unternehmen testet laut einem Bericht sogar eine eigene Suchfunktion, mit der man alle Shopify-Shops durchsuchen können soll.
Videos werden für Pinterest immer wichtiger
Mit weiteren Innovationen bemüht sich Pinterest gleichzeitig um neue Zielgruppen. So wurde kürzlich eine App vorgestellt, mit der Collagen erstellt werden können. Das Programm soll speziell bei der Gen Z in der Testphase sehr beliebt gewesen sein, schreibt Techcrunch. Und durch Partnerschaften mit der Musikindustrie soll auch der Audiobereich auf der Plattform noch einmal gestärkt werden. Speziell Konkurrent Tiktok hat gezeigt, welche extrem große Bedeutung Musik für Videos hat. Denn damit will Pinterest ebenfalls stärker arbeiten. Videos spielen inzwischen sowohl bei bezahlter Werbung als auch bei Beiträgen eine immer größere Rolle.
Damit passt sich Pinterest ein Stück weit dem Trend an, den Tiktok zweifelsohne gesetzt hat. Doch auch wenn Pinterest inzwischen ebenfalls stärker auf Videoinhalte setzt, sieht Martin Bardeleben klare Unterschiede zu Tiktok und Co.: „Unser Ziel ist nicht, Menschen möglichst lange in der App zu halten, sondern sie mit neuen Ideen wieder ins echte Leben zu entlassen.“