Online Marketing mit heißer Luft: Wie smarte Selfmade-Typen mit Föngeräuschen über das Netz Geld verdienen

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Youtube, App Store, iTunes – hier wird mit minimalen Mitteln ein ansehnlicher Umsatz gemacht

(Screenshot: milleaccendini bei Youtube)

(Screenshot: milleaccendini bei Youtube)

Mit Videos, in denen stundenlang nur ein laufender Fön zu sehen ist, mehr als 7,2 Millionen Abrufe bei Youtube generieren? Diese erstaunliche und merkwürdige Leistung ist dem Italiener Massimiliano Pierini gelungen. Apps mit Haartrockner-Sounds stehen auch in den App Stores von Apple und Google hoch im Kurs. Was steckt dahinter? Und verdienen Pierini und andere mit Föngeräuschen möglicherweise mehrere Tausend Euro im Monat? Online Marketing Rockstars hat nachgeforscht.

Wer schon einmal verzweifelt versucht hat, seinen Nachwuchs im Säuglingsalter zu beruhigen, aber mit Füttern, guten Zureden und allen anderen Mitteln keinen Erfolg hatte, kennt das Rezept möglicherweise: Das Geräusch eines eingeschalteten Föns ist häufig das letzte Mittel, mit dem man ein schreiendes Baby doch noch besänftigen kann. Über die Gründe kann nur spekuliert werden – möglicherweise erinnert der Klang die Kinder an die Töne im Bauch der Mutter. Auch unter Menschen, die unter Tinnitus leiden, sind Föngeräusche und so genanntes „Weißes Rauschen“ offenbar ein beliebtes Behelf. Das Rauschen legt sich über den störenden Dauerton im eigenen Ohr und hilft so den Tinnitus-Opfern, Ruhe zu finden.

Youtube-Zauberer entdeckt das Potenzial von Fön-Content

Massimiliano Pierini ist möglicherweise nur durch einen Zufall auf dieses Phänomen aufmerksam geworden. Eigentlich filmt er für seinen Youtube-Kanal Zaubertricks ab, vor allem solche mit einfachen Plastikfeuerzeugen. Deswegen lautet der Name seines Kanals auch „mille accendini“: „tausend Feuerzeuge“. Irgendwann „diversifizierte“ der Zauberkünstler aus der mittelitalienischen Stadt Viterbo jedoch seinen Content. Heute ist sein erfolgreichstes Video 2012 mit rund 9,7 Millionen Abrufen ein kurioser angeblicher „Weltrekord“ rund um ein Experiment mit Mentos, Cola und Nutella. Dass zahlreiche Viralportale und Boulevardmedien das Video aufgegriffen haben, dürfte seine Verbreitung erheblich unterstützt haben.

2012 lud Pierini erstmals ein Video eines abgefilmten Föns hoch. Die Abrufzahlen müssen innerhalb kürzester Zeit durch die Decke gegangen sein, denn mittlerweile finden sich mehr als 70 vergleichbare Clips in Pierinis Hauptkanal. Über 7,2 Millionen Abrufe erzielte er alleine mit Fön-Videos, hat Online Marketing Rockstars errechnet. Noch nicht mitgezählt sind dabei Clips von Heizlüftern, Staubsaugern, Waschmaschinen und allerlei anderen, Geräusche erzeugenden Apparaturen. Sein beliebtestes Fön-Video verzeichnete alleine 3,5 Millionen Abrufe.

Übersetzte Keywords sollen die Klickzahlen hochtreiben

In den Videobeschreibungen hat Pierini die Begriffe „Fön“ und „weißer Lärm“ in allen möglichen Übersetzungen eingefügt. Über diverse von ihm erstellte Playlists können sich Ruhesuchende bei Bedarf die ganze Nacht lang von den rauschenden Geräten beschallen lassen. Zudem promoted Milleaccendini seinen Content über die gesamte Social-Media-Klaviatur – Facebook, Twitter, Google Plus, Instagram und Pinterest. All dies hilft zur Verbreitung der Videos und der Steigerung ihrer Klickzahlen beizutragen.

Augenscheinlich sind sämtliche Inhalte in milleaccendinis Account für Youtubes Werbevermarktung freigegeben. Ob das Videoportal seine Haupteinnahmequelle ist (er betreibt außerdem einen Online-Shop für Zauberzubehör) und wie viel er in etwa mit seinem Youtube-Kanal verdient, dazu wollte Pierini auf Anfrage von Online Marketing Rockstars keine Auskunft erteilen – dies sei ihm vertraglich verboten. Der Statistik-Dienst Socialblade schätzt die monatlichen Einnahmen aus seinem Kanal auf 882 bis 7.100 Euro.

Knapp zwei Millionen Euro Umsatz mit Rausch-App?

Auch findige App-Entwickler haben das Geschäft mit dem nützlichen Lärm entdeckt. In den Stores von Apple und Google finden sich diverse Apps, mit denen die Nutzer sich oder ihren Nachwuchs mit weißem Rauschen oder Föngeräuschen beschallen können. Die iOS-App „White Noise“ beispielsweise wartet mit diversen Geräuschvarianten auf und ist laut dem Statistik-Tool App Annie in den USA auf Platz 88 der beliebtesten iPhone-Apps. Der Dienst Xyo schätzt, dass „White Noise“ bisher rund 1,2 Millionen Mal heruntergeladen wurde. Bei einem App-Preis von 1,79 Euro würde dies bedeuten, dass der Entwickler TMSoft alleine mit dem Verkauf bereits mehr als zwei Millionen Euro umgesetzt hat. Kein schlechter Schnitt, selbst wenn man 30 Prozent Provision für Apple abziehen muss.

Die deutsche App „iFön“ ist deutlich rudimentärer in ihrem Leistungsumfang: Ein abgebildeter Fön, dessen Farbe veränderbar ist, lässt sich in zwei Stufen einschalten – mehr Funktionen gibt es nicht. Im Entertainment-Bereich von Apple rangiert der iFön meist auf einem der niedrigeren zweistelligen Plätze, laut App Annie liegt die App auf Platz 430 unter den deutschen Bezahlanwendugen. Knapp 7.000 Mal soll die App bereits heruntergeladen worden sein. Bei einem Endkundenpreis von 79 Cent könnte Entwickler Christopher Sachse also an die 4.000 Euro mit der Anwendung umgesetzt haben.

Selbst iTunes hat ein findiger Online-Marketer bereits als Quelle für Einnahmen aus simplen Föngeräuschen aufgetan: Unter dem Namen „10 Föngeräusche für den Baby Schlaf“ findet sich auf der Musikplattform ein Zehn-Track-Album zum Download – inklusive Mega-Hits wie „Fön Modell 1, Gebläsestufe 2“. Kostenpunkt: Knapp fünf Euro.

Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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