„Den Laden aufmischen“: Was wir bei OMR19 über Digitalpolitik und Aktivismus gelernt haben

Das haben Katarina Barley, Kevin Kühnert, Paul Ziemiak, Frank Thelen und andere auf den OMR-Stages gesagt

Kuehnert
Inhalt
  1. Polit-Aktivismus 2.0: „Wenn wir auf Twitter trenden wollen, dann tun wir das“
  2. Durch Baumkronen klettern und Websites aufsetzen
  3. Wie politisches Engagement für Glücksgefühle sorgen kann
  4. Altparteien und Startup-Klitschen, kollektivierte Unternehmen, DDR und Venezuela
  5. „Megaschwer zu ändern“
  6. Bock auf Digital machen und das Recyclingsystem exportieren
  7. Die DSGVO als Standortvorteil

Wie funktionieren Politik und politische Beteiligung im digitalen Zeitalter? Wie gut oder schlecht gehen Politik und Digitalisierung Hand in Hand? Diese Fragen standen beim OMR Festival 2019 im Mittelpunkt des Themenschwerpunktes Netzpolitik. Antworten auf sie gaben Aktivistinnen und Aktivisten der Initiativen Fridays for Future, #wirsindhier und aus dem Hambacher Forst, Ex-Justizministerin Katarina Barley, Juso-Chef Kevin Kühnert, CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und Höhle-der-Löwen Juror Frank Thelen. Lest hier die spannendsten Aussagen.

Polit-Aktivismus 2.0: „Wenn wir auf Twitter trenden wollen, dann tun wir das“

Das erste Slide, das Fridays for Future in der OMR-Aktivisten-Masterclass auflegt, zeigt: Seit dem Beginn der Schülerstreiks Anfang 2019 sind es nicht mehr nur zehn Prozent der deutschen Gesellschaft, die Klimawandel als ein Problem sehen, sondern 26 Prozent. Ragna Diederichs und Jakob Blasel von Fridays For Future erklären, wie die politische Bewegung so schnell so bekannt wurde. Sie organisiert sich in WhatsApp-Gruppen und wöchentlichen Telefonkonferenzen, die „heftig zu managen“ seien. Ein Erfolgsfaktor sei ihre Dezentralität: „Wenn wir wollen, dass ein Hashtag trendet, dann geben wir in unsere Channels ‚promoted mal diesen Hashtag‘, und wir sind in den Twitter-Trends“, so Blasel. Die Klimakrise betreffe alle auf der Welt, deswegen könnten sich auch alle dafür engagieren. Fridays For Future sei niedrigschwellig – jeder mit einem Smartphone könne mitmachen. Ihr aktuell promoteter Hashtag sei #voteclimate; am Freitag vor der Europawahl demonstrierten nach Angaben von Fridays For Future bundesweit 320.000 Schülerinnen und Schüler- ein neuer Beteiligungs-Rekord.

Durch Baumkronen klettern und Websites aufsetzen

Klima-Aktivistin Indigo hat nach eigener Darstellung viel gelernt, seit sie sich im Hambacher Forst engagiert: Baumhäuser zu bauen, auf 20 Metern Höhe durch eine Baumkrone zu klettern und Totholz herauszuholen, aber auch, Live-Interviews zu geben, Pressetexte zu schreiben, Telefonkonferenzen zu moderieren, Solar-Panels zu installieren, Websites aufzusetzen und sich selbst festzuketten, um zu verzögern, „dass das SEK mich vom Baum holt“. Der Wissenstransfer sei wichtig für den Erfolg der politischen Bewegung. Im besonders heißen Sommer 2018 sei die Bewegung gesellschaftlich relevant geworden und hätte nicht weiter in eine Ecke von „20 verrückten Anarchos, die in nem Wald leben“ gestellt werden können.

Wie politisches Engagement für Glücksgefühle sorgen kann

Hannes Ley erklärt #ichbinhier als „eine Aktionsgruppe auf Facebook mit 45.000 Mitgliedern, die sich täglich in Kommentarspalten schmeißt, um dort sachlich gegen Hasskommentare an zu argumentieren“. Auch diese digitale Bewegung biete niedrigschwellig an, „neben der Arbeit ein zweites Browserfenster aufzumachen, um mitzudiskutieren“. Seit 2016 hätten die Mitglieder von #ichbinhier ca. 500.000 Kommentare auf Facebook geschrieben und zwölf Millionen Likes unter sachlichen Kommentaren generiert. „Wir machen als Online Marketeers und Berater unheimlich viel für den finanziellen Erfolg, für die Karriere, wir versuchen, geilen Scheiß zu machen und gute Kampagnen – aber das Glück, das ich durch den sozialen Erfolg mit #ichbinhier erfahren habe, ist um ein Vielfaches größer“, sagt Ley.

Hier könnt Ihr die komplette OMR-Aktivismus-Masterclass im Video anschauen:

Altparteien und Startup-Klitschen, kollektivierte Unternehmen, DDR und Venezuela

Auf der Deep Dive Stage diskutieren Aktivisten und Parteivertreterinnen, was etablierte Parteien von den neuen politischen Bewegungen lernen können. Juso-Chef Kevin Kühnert plädiert dafür, die SPD von innen zu reformieren: „Wir mischen den Laden auf“, sagt er. Als Beispiel nennt er die bundesweiten Diskussionen, die entbrannt waren, nachdem er am 1. Mai gefordert hatte, große deutsche Unternehmen zu kollektivieren. „Wir sitzen in hippen Startup-Klitschen und diskutieren darüber, dass Kicker gekauft werden; wir müssen uns zwischen sieben ergonomischen Stühlen entscheiden und der Betrieb macht ne Laufgruppe. Aber wenn es darum geht, dass Beschäftigte gleichberechtigt darüber entscheiden können, wie Gewinne verteilt werden, und was da produziert wird, dann ist das Frevel und darf nicht diskutiert werden und hat was mit DDR und Venezuela zu tun.“ Kühnert wolle „den Leuten Mut machen, dass sie diese Diskussionen führen können und dass Parteien der Ort sind, an dem das passieren kann, denn dafür sind die mal gegründet worden“. Er wehre sich gegen den Kulturpessimismus, „dass so eine verkrustete Struktur nicht auch aufgebrochen werden kann“.

„Megaschwer zu ändern“

Bianca Praetorius von der neuen Partei „Demokratie in Europa“ glaubt trotz Kühnerts Appell, dass diese Strukturen schwer zu ändern sind. Sie sehe in ihrem Job als Unternehmensberaterin, dass Konzerne der digitalen Revolution Herr zu werden versuchten und reihenweise scheiterten. Weil sie es sich als ebenso schwer vorstellt, bestehende Parteien von innen zu transformieren, hat sie die Parteien „Demokratie in Bewegung“ und „Demokratie in Europa“ mitgegründet. Ein Tipp von Felix Müller, der bei #unteilbar mitarbeitet und im Oktober 2018 eine Großdemonstration mit 250.000 Teilnehmern in Berlin mitorganisierte: „Das Verbindende in den Vordergrund stellen und nicht das Trennende.“ #unteilbar sei „von BasisaktivistInnen getrieben und nicht über Campaigning-Maschinen“, in die „viel Geld reingeworfen“ würde.

Die ganze Diskussion mit Kevin Kühnert sowie Bianca Praetorius von „Demokratie in Europa“, Felix Müller von #unteilbar und Moderator Nico Lumma hier im Video:

Die Frage, wie man die deutschen Volksparteien reformieren könnte, stellt TV-Investor Frank Thelen auf der OMR Big Picture Stage auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Er habe sich politisch engagieren wollen, sei im Politikbetrieb aber von den Sitzungen in Riesenrunden mit 30 bis 40 Leuten abgeschreckt worden und den vielen Tagesordnungspunkten. Alle hätten Redezeit bekommen, ohne Inhalte zu liefern. „Wie machst du das?“ fragt Thelen Ziemiak. „Wie wirst Du da nicht wahnsinnig? Schickst Du da Vertreter hin? Schreibst Du nebenbei E-Mails? Das ist ja Wahnsinn, dieser Apparat, den Ihr da habt!“. Ziemiak antwortet, ja, er schreibe nebenher E-Mails. Die Sitzungen dauerten aber so lang, weil alle Interessenvertreter berücksichtigt werden müssten.

Bock auf Digital machen und das Recyclingsystem exportieren

Thelen wendet sich mit einem Appell an das OMR-Publikum, in Deutschland die Chancen der Digitalisierung anzupreisen: „Ihr wisst gar nicht, wie wichtig Eure Rolle ist, da Ihr in dieser Digitalwelt lebt. Ihr müsst wirklich jedem, den Ihr im Bus oder sonstwo trefft, Bock auf Digital machen.“ Die meisten Leute in Deutschland seien „Reichsbedenkenträger“ und hätten Angst vor digitalen Innovationen. Ziemiak schließt sich mit einem weiteren Appell an: „Was wir exportieren sollten ist unser Recyclingsystem. Wir sind beim Thema Recycling von Kunststoffen weltweit führend und eigentlich müsste es unser Ziel sein, diese Technologien nach Indien und nach China zu exportieren.“ Der ganze Austausch im Video hier:

Die DSGVO als Standortvorteil

In der Diskussion zwischen Investor Florian Heinemann und Ex-SPD-Justizministerin Katharina Barley kam schnell die DSGVO zur Sprache. „Wir opfern Wettbewerbsfähigkeit von europäischen Unternehmen für den Datenschutz“, so Heinemann. Die Dominanz der Plattformen habe sich durch die DSGVO noch einmal gesteigert. Zwar orientiere sich die neue kalifornische Datenschutzverordnung sehr stark an der DSGVO. Aber: „Was hat Europa davon, eine gute Regulierung herauszugeben, die andere kopieren? Wirtschaftliche Vorteile haben wir davon nicht“, so Heinemann. Barley entgegnete, sie sei vor dem Panel über die OMR Expo gelaufen und habe mit Ausstellern darüber diskutiert. Viele hätten gesagt, die Umsetzung sei am Anfang ein finanzieller Aufwand gewesen, der kleinere Unternehmen mehr als größere getroffen hätte. „Fakt ist aber, dass die DSGVO am Ende des Tages ein Standortvorteil werden kann. Weil wir jetzt sehen, immer mehr Länder ziehen nach und wir haben hier eben schon diese Standards und werden damit zu gefragten Experten.“ Die Diskussion hier im Video:

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Corinna Bremer
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