Branche in der Krise: Wie die Ökostrom-Marke Lichtblick gegen den Wettbewerb bestehen will
Eduard Gerlof, Director B2C & Marketing bei der Lichtblick SE, spricht im Interview über den Wert der Brand, besonderes Marketing und die Krise
Ein kompletter Relaunch der Marke und Webseite, 2020 mit über 1,1 Milliarden Euro ein Umsatzrekord – der 1998 in Hamburg gegründete Ökostromanbieter Lichtblick hat enorm erfolgreiche Jahre hinter sich. Zuletzt war das Unternehmen mit rund 1,7 Millionen Verträgen der fünftgrößte Energieversorger in Deutschland; der Abstand beispielsweise zu Platzhirsch Eon sollte weiter schrumpfen. Dann folgte auf die bereits bestehende Stromkrise der Krieg in der Ukraine. Marketing-Chef Eduard Gerlof erklärt im Interview die verschiedenen Faktoren, die zur Krise geführt haben, was das für Endkund:innen bedeutet und welchen enormen Stellenwert in dieser Situation die Marke Lichtblick haben kann.
OMR: Eduard, ursprünglich war der Kern unserer Gespräche Eure im Vergleich zu den Großen an einigen Stellen außergewöhnliche Marketingstrategie, die Stärken (und Herausforderungen) Eurer Brand – typische Themen für eine Marketing-Plattform. Dann spitzte sich Ende des Jahres erst die Stromkrise zu und mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar gibt es ein alles bestimmendes Thema, das sich auch und erst recht nicht ausklammern lässt, wenn es um Energiepolitik geht.
Eduard Gerlof: Das ist richtig. Und die Kund:innen haben die Entwicklung natürlich auch schon vor dem Krieg in der Ukraine mitbekommen. Über viele Jahre haben sich die Beschaffungspreise von Strom quasi nicht verändert. Es gab zwar immer mal minimale Amplituden, im Großen und Ganzen konnte man sich aber auf eine recht klare Preisspanne verlassen. Und auf einmal, seit etwa zehn bis zwölf Monaten, gerät das ganze Thema aus den Fugen – und erhält auch eine riesige mediale Resonanz.
Was ist der Auslöser für die seit etwa September ansteigenden Strompreise und Erdgaspreise in Deutschland?
Eduard Gerlof: Es gibt nicht den einen Grund, den man klar benennen kann. Die Situation ist deutlich schwieriger zu greifen und deshalb auch schwieriger zu lösen. Die Entwicklung der Energiepreise der letzten zwölf Monate, speziell im Stromsegment, ist eine Kombination aus vielen ungünstigen Faktoren, die zu einer Art „perfect storm“, also einer maximalen Katastrophe, herangezogen sind.
Und die ungünstigen Faktoren wären?
Eduard Gerlof: An erster Stelle steht sicherlich fossile Energie als Preistreiber. Das geht mit dem Versäumnis einher, erneuerbare Energien vernünftig auf- und auszubauen, obwohl man weiß, dass kontinuierlich Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Insbesondere der Ausbau von Solar und Wind wurde ausgebremst und nicht so konsequent vorangetrieben, wie es nötig wäre, um die wegbrechenden Kapazitäten zu managen. Die noch bestehenden Kohle- und besonders Atomkraftwerke fallen außerdem auch mal unplanmäßig aus, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Wir haben also eine Situation, in der wir dem Ausgleich des geplanten Abbaus von Kohle- und Atomkraft durch erneuerbare Energien hinterherhinken und zusätzlich wird das Angebot weiter verknappt, weil die konventionellen Werke ausfallen.
Das ist der „perfect storm“?
Eduard Gerlof: Nein. Es kommen noch weitere Faktoren hinzu, die die Situation verschärfen. Im letzten Jahr waren die wetterbedingten Grundvoraussetzungen ungünstig für erneuerbare Energien.
Einfach gesagt: Es war nicht so sonnig und nicht so windig wie gedacht. Zusätzlich gab es eine schnellere Erholung der Wirtschaft nach Corona. Der vorausgesagte Energiebedarf hat nicht zugetroffen, wir haben deutlich mehr verbraucht. Und on top sind die Preise für Gas, das helfen sollen, die Spitzen bei der Stromerzeugung zu managen, im vergangenen Jahr explodiert. Das Ergebnis: Die über Jahre sehr stabile Situation gerät ins Schlingern.
Was bedeutet das konkret für private Haushalte?
Eduard Gerlof: Man muss es in aller Deutlichkeit sagen: Die Energiesituation und damit auch das Thema Wärme im eigenen Zuhause wird sich massiv verändern. Die in diesem Jahr anstehenden Preiserhöhungen sind so hoch, dass sich Haushalte und Familien neu organisieren müssen. Wir reden hier nicht von 20, sondern potenziell von 200 bis 300 Prozent Preiserhöhung. Und wenn du vorher 150 Euro für Gas bezahlt hast im Monat, sind es dann irgendwann 500. Das wird bei den allermeisten in unserer Gesellschaft einen unfassbaren Einschnitt bedeuten – und auch das Thema Energiearmut in Deutschland in die Öffentlichkeit rücken. Dazu kommen dann noch die Folgen aus dem Krieg in der Ukraine.
Wie werden die aussehen?
Eduard Gerlof: Wenn wir das nur voraussehen könnten… Was man aber klar sagen kann: Wir reden hier nicht darüber, dass in einem Jahr wieder alles so ist, wie vorher. Wir reden hier von einem Paradigmenwechsel. Vielleicht wird Strom kein Luxusgut. Aber die Kompromisse, die man im eigenen Haushaltsbuch eingehen muss, werden deutlich größer – auch das Thema Energiesparen erhält eine ganz neue Relevanz. Das erzähle ich auch in meinem privaten Umfeld. Die Hoffnung ist, dass wir getrieben durch die großen Turbulenzen der aktuellen Zeit, wir uns als Gesellschaft mit Fragen der Klimaneutralität aktiver beschäftigen. Vielleicht weniger aus Gründen des Mindsets, sondern weil wir regulatorisch und am Ende schlicht monetär dazu gezwungen werden. Energy-as-a-Service, Solaranlage oder Solarspeicher zu Hause, Wärmepumpen, autarke Energieversorgung – all diese Themen sind kein Hightech-Gefasel aus einer grünen Bubble. Diese Themen sichern langfristig unseren Lebensstandard.
Die Situation ist für alle gleich, gilt also für Euch wie auch für Euren Wettbewerb. Welche Auswirkungen haben die steigenden Preise auf Euch als Marke? Ändert sich die Art und Weise, wie Ihr kommuniziert?
Eduard Gerlof: Wir müssen noch transparenter werden und auch ganz klar in data-driven Formaten, anhand von Kurven und Diagrammen auf unserer Seite zeigen, wie sich Preise entwickeln und warum sie sich so entwickeln. Um Menschen das einfach klarzumachen, warum Preise steigen. Wir haben gerade auch unseren eigenen CO2-Fußabdruck veröffentlicht – und vollständig transparent gemacht, weshalb wir als Ökostromanbieter trotzdem einen CO2-Fußabdruck haben, wo der eigentlich herkommt und wie wir ihn zukünftig senken. Denn das ist unsere Verantwortung.
Wir haben dieses Jahr auch schon damit begonnen, diese Themen verstärkt im Kundenservice zu integrieren. Denn völlig klar: Sowohl von Bestandskund:innen, als auch von Interessent:innen, kommen immer mehr Fragen. Ebenfalls völlig klar ist aber auch, dass die Mitte der Gesellschaft (noch) nicht nach solchen Informationen sucht.
Auch Transparenz ändert aber an steigenden Preisen nichts. Reicht das also, um diese Krise zu meistern, wenn die Mehrheit vermutlich immer noch über Vergleichsseiten nach dem günstigsten Anbieter schauen wird?
Eduard Gerlof: Der Preis war in unserer Industrie lange der Haupttreiber. Und wir sind bei Check24 auch lieber auf Platz 5 als auf Platz 20. Der Preis wird natürlich auch weiterhin eine Rolle spielen. Aber es ist auch klar: Je höher der Preis, desto weniger entscheidend sind kleine Differenzen und andere Faktoren, bisher eher Hygienefaktoren, werden wichtiger. Das sind Themen wie Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Fairness. Eine gute Kommunikation. Ich glaube, dass wir uns als Marke da über die vergangenen 20 bis 25 Jahre eine solide, gute Basis erarbeitet haben. Die Funktion der Marke rückt in diesem Kontext noch stärker in den Vordergrund.
Jetzt kann und wird der Wettbewerb diese Verschiebung natürlich auch erkennen und sein Marketing entsprechend anpassen.
Eduard Gerlof: Natürlich sind grün und ökologisch sein die absoluten Hype-Themen. Das nutzen alle und auch die Großen erzählen, wie grün sie schon sind. Das ist in den meisten Fällen absoluter Quatsch, denn bei vielen ist Ökostrom nur ein kleiner Teil des Angebots. Da dominieren immer noch Kohle & Co. Das sind auch all diejenigen, die uns lange belächelt haben und der Meinung waren, erneuerbare Energie und Ökostrom könnten nicht funktionieren. Uns unterscheidet die Authentizität und die Glaubwürdigkeit bei diesem Thema. Und der produktseitige Proof, dass wir nicht nur Bullshit-Bingo-Marketing machen, sondern das halten, was wir seit 1998 versprechen: 100 Prozent Ökostrom. Wenn in Zukunft, und davon sind wir überzeugt, dann auch ökologische Konsequenzen beim Stromeinkauf eingepreist werden, wird sich dieses Versprechen auch positiv auf den Preis auswirken.
Was bedeutet das bis dahin für die Sprache Eurer Marke?
Eduard Gerlof: Wir wollen bei Lichtblick nicht mit erhobenem Zeigefinger auf die Menschen zugehen und fordern, etwas zu tun, was sich schlecht anfühlt. Wir versuchen Lösungen zu zeigen, positiv zu sein und eine greifbare Utopie aufzuzeigen – die gar nicht mehr so utopisch ist. So grenzen wir uns bewusst von den ganz Großen und gefühlt jedem zweiten Stadtwerk ab. In Zukunft muss aber eh jedes Unternehmen und jeder Energieanbieter vollständig grün sein. Das ist alternativlos. Unsere Aufgabe ist es, uns weiter zu differenzieren, weiterzuentwickeln, nicht beim Standard zu bleiben und in anderen Themenfeldern wie bisher Pionierarbeit zu leisten.
Wo zum Beispiel?
Eduard Gerlof: Zum Beispiel in politischer Arbeit, die schon immer Teil der Kern-DNA von Lichtblick ist. Es gibt eine Vielzahl an Gesetzesentwürfen, die am Ende aus unserer Feder kommen. Es gibt eine Vielzahl an Klagen, die wir jedes Jahr durchziehen. Wo wir Unternehmen aber auch Institutionen verklagen, weil sie unserer Auffassung nach gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen. Die Veränderung des regulatorischen Konstruktes gehört zu Lichtblick, seit es uns gibt. Bei für uns neuen Geschäftsfeldern wie der Elektromobilität sind wir inzwischen debattenprägend und treiben das Thema öffentlich immer weiter voran. Weil Elektromobilität nur Sinn macht, wenn die Energie, die dafür genutzt wird, emissionsfrei ist und jede:r zu einem fairen Preis laden kann.
Wen wollt Ihr mit Eurer Marken-DNA am ehesten erreichen? Wie sieht Eure Kernzielgruppe aus?
Eduard Gerlof: Im wesentlichen konzentrieren wir uns auf die Zielgruppe der LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability). Neben dieser spielt aber auch die Generation Z eine wichtige Rolle, die in ihren Werten das verkörpert, wofür wir ebenfalls einstehen. Die besteht zwar teilweise noch nicht aus unseren Kund:innen, ist aber wichtiger Multiplikator und beinhaltet unsere zukünftigen Käufer:innen. Wir schauen mit all unseren Anstrengungen aber ganz bewusst in die Mitte der Gesellschaft, denn genau dort gehört nachhaltige Energie hin. Raus aus der Nische.
Du hast anfangs ja erwähnt, dass es auch gerade diese Mitte der Gesellschaft ist, die sich noch nicht unbedingt dafür interessiert, welche Faktoren zu erhöhten Strompreisen führen. Lediglich Transparenz scheint hier also nicht zu helfen. Wie erreicht Ihr die Mitte sonst?
Eduard Gerlof: Naja. Anders als vielleicht der eine oder andere Wettbewerber investieren wir nicht 30 bis 50 Millionen Euro pro Jahr in Werbung, um die große Masse auf allen TV-Sendern zu erreichen. Weil wir das nicht wollen, aber auch gar nicht könnten. Stattdessen setzen wir eher auf das Innovators Diffusion of Innovation Model. Wir überzeugen Influencer:innen, Innovator:innen und Multiplikator:innen davon, dass wir das Richtige tun, dass wir eine vertrauensvolle Marke sind. Wir sind davon überzeugt, dass wir über diesen Ansatz relevante Reichweite im Massenmarkt erzielen werden. Ergänzt wird dieser Ansatz aber sicherlich auch durch inspirierende, aber dennoch klassisch aufgebaute Reichweiten-Kampagnen.
Und wie sieht das dann in der Praxis aus? Kannst Du Euren Marketing-Mix beschreiben?
Eduard Gerlof: Wir schauen nicht nur, wen wir von unseren Zielgruppen ansprechen, sondern auch sehr stark, an welchen Stellen wir Kontakte einkaufen können. Und der dominierende Weg ist da natürlich Online-Werbung. Da stellen wir sicher, dass die abschlussstärksten Kanäle genügend Budget haben. Im Prospecting, also der Neukund:innen-Gewinnung, schauen wir, dass wir insbesondere beim Thema Bewegtbild-Advertising auf den verschiedenen Plattformen vertreten sind. An der Stelle: Wir sind unfassbar stolz, dass wir Creative- und Performance-Marketing komplett inhouse machen. Je länger wir das machen und je mehr Erfahrungen wir sammeln, desto granularer können wir steuern und besser skalieren.
Gen Z und Video, dann müssen Instagram und Tiktok ja bereits bespielt werden, richtig?
Eduard Gerlof: Auf Instagram sind wir aktiv, ja. Man muss bei der Betrachtung allerdings berücksichtigen, wie jung unser Marketingteam und unsere Marketingstrategie erst sind. Im August 2020 hatten wir den Marken- und den Website-Relaunch. Im Prinzip haben wir im Kontext dieser Projekte auch erst angefangen, unser Marketing und die Teams aufzubauen. Wir versuchen, Schritt für Schritt größer zu werden und zu skalieren. Es ist völlig in Ordnung, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Das gilt auch für spannende Plattformen wie Tiktok, wo wir mit dem ersten Content erst gestartet sind.
Welche anderen Kanäle werden aktuell wichtiger für Euch?
Eduard Gerlof: Wir konnten im Influencer Marketing gute Schritte machen und das wird weitergehen. Gerade erst haben wir den German Influencer Award in der Kategorie Content gewonnen. Zudem ist „Bye Bye CO2 – der LichtBlick Klima-Podcast“ sicher auch als neuer, spannender Kanal zu nennen. Am Ende ist es weniger eine Frage des reinen Advertisings, sondern insbesondere auch eine Frage des Contents.
Vor einigen Monaten habt Ihr mit einem 170 Meter breiten und zehn Meter hohem Banner am Dock 11 im Hamburger Hafen, vielleicht Europas größter Werbefläche, geworben.
Eduard Gerlof: Wir kombinieren Maßnahmen immer mal wieder als Highlights mit Out-of-Home. Das Riesenposter gehörte zu unserer „Nichts-Kampagne“, die wir vor der Bundestagswahl gestartet hatten und zu der natürlich auch verschiedenste digitale Assets gehörten, allen voran Bewegtbild. Wir waren stolz auf die Platzierung am Hafen und auf die tolle Resonanz und Feedback von allen Seiten. Aber auch beim Blick auf die harten KPIs kann ich sagen, dass unsere Erwartungen übertroffen wurden.
Was ist, wenn man das von der aktuellen politischen Situation überhaupt trennen kann, Euer wichtigstes To Do?
Eduard Gerlof: Es ist klar, dass sich unsere Branche rasend verändert. Sie wird immer digitaler auf der einen Seite, auf der anderen Seite ist sie trotz aller Herausforderungen eine absolute Wachstumsbranche. Wir wollen von einem reinen Energy Provider und Ökostromanbieter zur Vertically Integrated Green Tech Company werden. Das bedeutet einerseits, dass wir in Zukunft auch unsere eigene grüne Energie herstellen. Das bedeutet aber auch, dass wir sowohl in unserer eigenen Systemlandschaft, aber natürlich in Sachen Customer und User Experience in einer ganz anderen Liga agieren wollen. Deshalb sind wir seit rund zwei Jahren dabei, die gesamte Infrastruktur bei Lichtblick zu challengen. Das fängt beim Backend-System an, geht über Data-Warehouses, Reporting- und Dashboard-Lösungen bis hin zu Kundenportalen. Wir müssen verstehen, dass Digitalisierung ein essentieller Hygienefaktor erfolgreicher Unternehmen ist. Wir haben da aus unserer Sicht noch ein paar Hausaufgaben zu erledigen – um, wenn man die Konkurrenz vielleicht irgendwann eingeholt hat, sie dann auch zu überholen.
Danke für das Gespräch, Eduard.