The Amazon of Cool – die gehypte E-Commerce-Plattform NTWRK
Ausverkauft in 2 Sekunden, 300 Prozent Wachstum dank Corona – wie Aaron Levant die Shopping-App für die Gen Z gebaut hat
- Gadgets für Dealer – oder Sammler
- Exklusivität als USP
- Drops, Drops, Drops
- Nächste Zielgruppe von NTWRK: Frauen
- Keine Angst vor Amazon Live
- Eine Umsatzrakete mit dem Namen Covid 19
- NTWRK baut hybride Markplätze
- Sechs digitale Shopping-Festivals in 2021
Teleshopping klingt nach Rentnern und nach nichts, mit dem man Digital Natives hinterm Smartphone hervorlockt. Also hebt Aaron Levant das Teleshopping eben aufs Handy-Display. Seine 2018 in Los Angeles gestartete Plattform NTWRK verkauft exklusive Streetwear-Kollektionen, Design-Collectibles und Quatschprodukte nach dem Drop-Prinzip. Der Gründer hat OMR erzählt, wie er auf seiner Plattform zweistellige Conversion-Rates erzielt, mit welcher Strategie er in den kommenden Monaten 20 Millionen Kunden gewinnen will, und warum soziale Medien für sein E-Commerce nur von nachrangiger Bedeutung sind.
Gadgets für Dealer – oder Sammler
Der globale Markt für Menschen, die eine goldene Geldzählmaschine brauchen, ist relativ klein. Trotzdem haben sich 40.000 Leute in die virtuelle Warteschlage gestellt, um an eines dieser Geräte zu gelangen. NTWRK hatte sich dafür mit Ben Baller zusammengetan, dem Juwelier, von dem sich US-Rapper ihren Iced-Out-Schmuck („Iced Out“ heißt: komplett mit Diamanten besetzt) liefern lassen. „We’ve built an entire line of products based on his lifestyle“, sagt NTWRK-Gründer Aaron Levant über die Koop mit dem Promi-Schmuckdesigner. Neben dem Money Counter konnte man bei NTWRK eine Briefwaage und zuletzt ein Vakuumschweißgerät kaufen, beides ebenfalls in goldglänzendem Plastikgehäuse.
Diese Unsinnsartikel sind auf einige Hundert Exemplare limitiert. Und am Tag nach dem jeweiligen Drop tauchen sie für ein Vielfaches des Preises bei Ebay oder hippen Resell-Plattformen wie StockX (Gründer Josh Luber hier im OMR Podcast) wieder auf. Vor allem sind sie der wesentliche Baustein der Strategie, mit der Levant seine Live-Video-Shopping-Plattform gerade zum global führenden Online-Shop für exklusive Sammlerstücke und Streetwear macht.
Exklusivität als USP
Rund ein Drittel der NTWRK angebotenen Artikel entwickeln die Plattformbetreiber selbst, oft zusammen mit Brands und bekannten Persönlichkeiten. Die Bandbreite reicht von Bekleidung über Collectibles bis zu Unterhaltungselektronik. „Den aufregendsten Part“ nennt Levant diesen Teil seines Produktportfolios. Denn Rechte und damit auch ein großer Teil der Wertschöpfung liegen bei ihm. Die anderen beiden Drittel bilden exklusive Produkte bekannter Brand wie Adidas oder Beats by Dre, die ausschließlich oder zumindest zuerst in der App angeboten werden, sowie Dinge, die Levants Leute im Web aufstöbern und von denen sie glauben, dass sie ihren Kunden gefallen.
Diese Fundstücke zeigen wiederum, weshalb Entertainment-Konzerne wie Warner Brothers und Live Nation sowie eine ganze Reihe Stars von Rapper Drake über Musikproduzent und Beats-by-Dre-Mitgründer Jimmy Iovine, Basketballer LeBron James, Musiker Bono und Arnold Schwarzenegger an das Businessmodell von NTWRK glauben und investiert haben.
Vor einigen Wochen hatte NTWRK ein Buch über Sneaker aus dem Taschen-Verlag im Angebot. Alles andere als exklusiv und zudem auf Amazon billiger zu haben. „Das Buch war schon eine ganze Weile auf dem Markt“, sagt Levant. „aber ich glaube nicht, dass unsere Kunden zu Amazon oder traditionellen Händlern gehen und dieses faszinierende Buch über Sneaker-Kultur finden würden.“ Das Ganze war als Test angelegt. NTWRK hatte vorsichtig 200 Exemplare geordert – die dann innerhalb von zwei Sekunden nach dem Drop verkauft waren.
Das Internet sei ein riesiger Ort; Kunden wären darum kaum im der Lage selbst zu finden, was sie wirklich wollen, so Levant. Darum würden er seine inzwischen 70 Mitarbeiter das Angebot im Web „herunterkürzen“ und es auf ihre Plattform heben. Neben Büchern finden so neben sehr vielen Sneakern und Bekleidung vor allem Sammelfiguren, Kunstwerke und inzwischen auch Möbel den Weg zu den Kunden.
Drops, Drops, Drops
Bis zu drei Drops finden aktuell am Tag statt. Per Push-Nachricht werden Leute, die sich für ein Produkt interessieren, darauf hingewiesen, dass das Angebot aktuell verfügbar ist. Nachdem sie die App geöffnet haben, startet dann ein Live-Video, in dem der Host – bei Kollaborationen sind es oft die Stars oder Influencer selbst – die Artikel ganz Teleshopping-like anpreist. Es gibt außerdem einen Chat, in dem die Kunden über die Produkte diskutieren und Fragen stellen können. Der gesamte Kaufprozess wird über die App abgewickelt.
Konkrete Aussagen zum Umsatz von NTWRK macht Levant nicht, gibt aber ein paar Einblicke, die verdeutlichen sollen, welches Potenzial die Plattform hat. Bislang umsatzstärkster Artikel sei eine Serie limitierter Drucke des japanischen Künstlers Takashi Murakami (der mit den lächelnden Comic-Sonnen; Kanye West ist großer Fan) gewesen. In weniger als zehn Minuten wurden Drucke im Wert von 1,5 Millionen Dollar verkauft, so Levant.
Doch die Vision hinter NTWRK ist nicht die gut gehende Galerie für betuchte Sammler, sondern das exklusive Kaufhaus, vor dem alle Schlange stehen, um irgendetwas rauszutragen, dass sie sich eben noch leisten können. Und das soll so gelingen: „Um unser Ziel zu erreichen, ein wirklich großer Marktplatz zu werden, expandieren wir in weitere Kategorien.“
Nächste Zielgruppe von NTWRK: Frauen
Deshalb will Levant als nächstes eine bislang auf der Plattform unterrepräsentierte Zielgruppe in den Blick nehmen. Es geht um Produkte für weibliche Kunden, „eine enorme Kategorie, die von Beauty über Fashion und Sneaker bis Wellness reicht“, so Levant. „Es gibt eine riesige Menge Dinge, die wir bislang nicht angefasst haben. Ich denke, allein durch die Expansion in den Bereich ‚Women’s‘ können wir um 30 bis 40 Prozent wachsen.“ Außerdem stünden Deko-Artikel und Möbel auf seiner Liste. Ein erster Test mit 5.000, beziehungsweise 12.000 Dollar teuren Stühlen liefen zumindest extrem erfolgreich.
Die eindrucksvollste Zahl aber, die Levant preisgibt, ist die Conversion-Rate: zwischen fünf und 15 Prozent der Zuschauer der einzelnen Drops würden die gezeigten Artikel auch kaufen. Damit liege NTWRK deutlich über dem Durchschnitt im E-Commerce, den er zwischen 1,5 und 2,5 Prozent verortet. Und noch deutlicher vor Shopping auf sozialen Medien, wo Levant aufgrund immenser Streuverluste eine Conversion-Rate von einem halben Prozent oder niedriger vermutet.
Der Grund für die hohen Werte sieht der NTWRK-CEO in der Kombination aus „curation“, also der aufwendigen Auswahl der auf seiner Plattform angebotenen Produkte, und der berühmten „fear of missing out“, die sich aus dem Drop-Prinzip ergibt, wo ein Artikel schnell ausverkauft und anschließend allenfalls sehr viel teuerer auf Ebay zu bekommen ist.
Keine Angst vor Amazon Live
Auch wenn das in China bereits seit Jahren extrem erfolgreiche Live-Shopping nun langsam in den Westen schwappt, sorgt sich Levant nicht vor Konkurrenz. Gerade durch den Vergleich mit Amazon werde deutlich, warum Exklusivität und Verknappung der Schlüssel zum Erfolg sind. Amazon lässt schon länger Händler auf seinem Marketplace eigene Shopping-Shows streamen. Er besuche die Amazon-Live-Seite fast täglich, so Levant. Um zu sehen, was dort passiert – und dass oft nur ein oder zwei Leute zuschauen.
„Amazon Live ist das Gegenteil davon, was wir tun“, sagt Levant. Er will NTWRK als Brand etablieren, die ihren Kunden Produkte anbietet, die nur dort oder zumindest nirgendwo anders so bequem zu bekommen sind. Levants Ziel sind bis zu zehn Drops am Tag bis Ende 2021. Da die Bandbreite der Kategorien dafür zwangsläufig größer wird, sollen selbstlernende Empfehlungsalgorithmen die Kunden bald nur auf die für sie relevanten Drops hinweisen. „Wir werden keine weiteren Plattformen bauen. Es soll eher ein Netflix-artiges Erlebnis werden“, so Levant.
Eine Umsatzrakete mit dem Namen Covid 19
Wichtigster Wachstumstreiber für NTWRK war – wie in den vergangenen Monaten im E-Commerce insgesamt – die Corona-Krise. „Covid war ein Beschleuniger für unser Geschäft. Wie Raketentreibstoff“, sagt Levant. Zwischen März und September hätten sich die Verkaufszahlen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdreifacht.
Eine wichtige Rolle dabei hat wohl auch eine ungeplante Neuerung gespielt. Zunächst hatte NTWRK seine Live-Shows in einem Studio produziert. Als das nicht mehr möglich war, wurden die Produkte zu den Host nachhause geschickt, wo sie diese seitdem vor der iPhone-Kamera und im eigenen Wohn- oder Schlafzimmer präsentieren. „Obwohl wir dazu gezwungen gewesen sind, war der Effekt auf das Geschäft extrem positiv, denn die Kunden zeigten viel mehr Engagement mit diesem Content“, sagt Levant. Wobei natürlich auch er ein Ende der Pandemie herbeisehnt – nicht zuletzt, weil Corona eine zentrale Säule des ursprünglichen Businessplans von NTWRK umgeschmissen hat: physische Events.
Bevor er seine digitale Shopping-Plattform gründete, war Aaron Levant 20 Jahre lang extrem analog unterwegs. Zunächst hatte er in der Streetwear-Branche gearbeitet, 2003 dann als 19-Jähriger eine Event-Firma gegründet, die seine Leidenschaft für Klamotten und Grafikdesign in ein Veranstaltungsformat übertrug. Zehn Jahre später war seine mit Festival- und B2C-Elementen aufgebohrte Tradeshow „Agenda“ dann das wichtigste Branchen-Event der Welt. Außerdem war er am Aufbau der ComplexCon beteiligt, dem großen Event des New Yorker Medien-Lifestyle-Startups Complex, dessen deutschen Chef wir bereits als Gast im OMR Podcast hatten. Aus dieser Zeit stammen seine Kontakte zu tausenden Kreativen und Künstlern, Herstellern und Händlern, die heute das Fundament der Produkt-Pipeline von NTWRK sind.
NTWRK baut hybride Markplätze
Mit seinen Events habe er „Marktplätze“ gebaut, so Levant. Und NTWRK sei im Grunde nichts anderes als eine digitale Verlängerung seines bisherigen Tuns. Nach dem Start der Plattform gab es 2019 zunächst auch eine Handvoll Events mit 100.000 Besuchern in Summe. Dann kam Corona. Dabei waren die Events zentraler Bestandteil des Konzepts.
„Auch wenn unser Fokus darauf liegt, eine digitale Plattform zu sein, war meine Überzeugung immer: Der beste Weg, Earned Media, User-generated Content und jede Menge organisches Marketing zu erzeugen, sind Erlebnisse im wahren Leben, über die die Leute auf sozialen Medien reden. Das erzeugt einen globalen digitalen Welleneffekt, der dann Leute auf unsere digitale Plattform führt“, sagt Levant.
Denn zentral für ihn ist der direkte Kanal zu den Kunden. Bei den Anzeigen, die NTWRK auf den sozialen Medien schaltet, oder auch der „shoppablen“ Snapchat-Show „The Drop“, oder der Zusammenarbeit für Tiktoks erstes Live-Shopping-Format gehe es in erster Linie immer um Sichtbarkeit der Marke. In diesem Sinne orchestriert Levant auch die Kollaborationen, wenn NTWRK etwa eine Actionfigur von Billie Eilish verkauft, die von der Musikerin selbst im Live-Video vorgestellt wird. „Sie hat Zehntausende neue Kunden auf unsere Plattform gebracht, um ihr spezielles Produkt zu kaufen“, so Levant. „Das ist ein bedeutendes Wachstum innerhalb weniger Stunden.“
Um den Wachstumskanal „Events“ zu retten, hat NTWRK diese digitalisiert. Im August fand mit „Transfer“ das erste Shopping-Festival der Plattform statt. Als ein zweitägiges, nur über die App zugängliches Online-Event, bei dem Drops exklusiver Produkte und Gigs von Künstlern aneinandergereiht wurden. Auch wenn Levant wieder Shows im Studio produzieren will, sobald es möglich ist, und er darauf hofft, dass spätestens 2022 Großveranstaltungen mit Publikum durchführbar sein können, hat die ungeplante Digitalisierung sich als glückliche Fügung erwiesen.
Sechs digitale Shopping-Festivals in 2021
Für das kommende Jahr sind sechs Shopping-Festivals geplant, alle zwei Monate eins. Die meisten werden wohl ablaufen wie „Transfer“. Allerdings hat Levant den Businessplan um ein neues Geschäftsfeld erweitert. Im Dezember hostet NTWRK erstmals ein fremdes Event auf seiner Plattform. Levant und sein Team digitalisieren die Kunstmesse „Beyond the Street“, die wie alle relevanten Live-Events in diesem Jahr abgesagt worden ist.
Dort werde es neben Produkten, die von Kunst inspiriert wurden – Skateboard-Decks, Bekleidung, dekorative Objekte – natürlich auch echte Arbeiten zu kaufen geben. Die Preise starten bei 5.000 bis 10.000 Dollar, so Levant. Das teuerste Objekt könnte sogar 100.000 Dollar kosten. Ein respektabler Betrag, wenn man bedenkt, dass dieses Kunstwerk exklusiv übers Smartphone verkauft wird. „Wir denken, das könnte Umsätze in Millionenhöhe bringen“, sagt Levant.
NTWRK plant zumindest schon weitere Kollaboration mit etablierten Eventformaten. In wenigen Wochen soll die erste aus dem Bereich Popkultur/Entertainment verkündet werden. Wie Corona also seinen Businessplan auf dem Weg zum global führenden Kaufhaus der coolen Dinge verändert hat? „Im Groben ist alles gleich geblieben“, sagt Levant, „nur passiert es viel schneller.“