„Docutainment“: Wie die Netflix-Serie “Full Swing” Golf hip machen und Bier verkaufen soll

Florian Rinke17.2.2023

Warum die neue Dokumentation von Netflix als Trojanisches Pferd auch beim Super Bowl auftauchte

Szene aus der neuen Netflix-Doku "Full Swing" über Profigolf. Foto: Netflix
Szene aus der neuen Netflix-Doku "Full Swing" über Profigolf. Foto: Netflix
Inhalt
  1. Formel 1 profitiert von Netflix-Dokumentation
  2. „Break Point“ und „Full Swing“: Dokus über Einzelathleten
  3. Der Konflikt PGA vs. Liv Golf eskaliert während der Dreharbeiten
  4. Super-Bowl sorgt für starkes Interesse an „Full Swing“
  5. Wer Golf sehen will, braucht ein Sky-Abo

Nach Formel 1 und Tennis hat Netflix die nächste Sport-Dokumentation an den Start gebracht. „Full Swing“ gewährt einen Einblick hinter die Kulissen des Profigolfs. Und weil das nicht für jeden auf Anhieb spannend klingen dürfte, hat der Sender sich geschickt die Aufmerksamkeit rund um das größte Sport-Ereignis der Welt zunutze gemacht – und musste dafür nicht mal Werbung schalten.

Um eine der vermeintlich elitärsten Sportarten der Welt zu bewerben, hat Netflix auf ein Trojanisches Pferd gesetzt. „Full Swing“ heißt die neue Doku-Serie des Streaming-Dienstes, in der es um Golf geht. Richtig, Golf – jenes Spiel, bei dem viele zuerst an sauber gebügelte Hosen denken, an elitäre Clubs und Turniere, bei denen der Gewinner ein grünes Sakko überstreifen darf. Golf ist quasi das Gegenteil des Super Bowl, jenes Football-Großereignisses, bei dem muskelbepackte Männer wieder und wieder aufeinander prallen und bei dem es für viele dazu gehört, mit dem Pickup vorm Stadion zu parken und dort zu grillen. Die Gegensätze könnten größer kaum sein.

Und da kommt das Trojanische Pferd ins Spiel. Denn in der Halbzeit hatte sich auch die US-Biermarke Michelop Ultra einen der begehrten Werbeplätze gebucht. Bier, das passt schon eher zu Football. Sieben Millionen US-Dollar kosten 30 Sekunden in diesem Jahr. Und Michelop Ultra nutzt die Zeit für einen Spot, in dem es nicht um die Qualitäten des eigenen Produkts, sondern um Golf geht. Der Spot zeigt eine Gruppe Sportler (unter anderem Profigolfer Rickie Fowler), die „Full Swing“ auf einem Fernseher gucken, während Ex-Football-Star Tony Romo ihnen ein Bier zapft. Am Ende ist eine Bierdose zu sehen mit einem QR-Code – wer ihn scannt, kann schon vor dem offiziellen Start einen Teil der Serie gucken.

Formel 1 profitiert von Netflix-Dokumentation

Seit Mittwoch, 15. Februar, ist die Serie nun auch offiziell auf Netflix gestartet. Es geht um den Wettkampf von Sportlern, aber auch um den Wettkampf von Systemen – und um die Frage, ob man Sportarten durch eine neue Form der medialen Aufbereitung neuen Glanz verleihen kann. Es ist eine Frage, die weit über das Netflix-Universum hinausreicht. Denn natürlich hat Live-Sport immer noch eine extrem Zugkraft, was auch die Bemühungen anderer Tech-Konzerne um entsprechende Rechte zeigen. Andererseits ist der Kampf um Rechte auch teuer, speziell wenn man bedenkt, dass Live-Sport eben in der Regel live geguckt wird. Die wenigsten gucken ein Spiel Tage, Wochen oder Monate später, wenn sie sowieso schon wissen, wie es ausgeht. Netflix setzt daher auf Dokumentationen, die den Sport, aber noch viel mehr die Menschen zeigen – Docutainment sozusagen.

Wie erfolgreich dieses Konzept ist, lässt sich bei der Formel 1 beobachten. Denn dieser hat eine Netflix-Doku neuen Glanz verliehen. Die Rennserie war auf dem absteigenden Ast. Doch dann übernahm US-Investor Liberty Media die Marke und modernisierte sie – inklusive eigener Netflix-Show. Die Rennfahrer, sonst oft hinter ihren Helmen kaum zu erkennen, wurden noch berühmter. Selbst Teamchefs wie der Red-Bull-Manager Christian Horner sind plötzlich Stars mit Millionen Followern auf Instagram. „Netflix hat einen Blick hinter die Kulissen ermöglicht, so dass man die Fahrer und die Teams kennenlernt“, sagte Horner vor einiger Zeit im OMR Podcast. Der Streamingdienst habe eine Schlüsselrolle gespielt, die Formel 1 für eine jüngere Zielgruppe interessant zu machen und neue Fans zu gewinnen.

„Break Point“ und „Full Swing“: Dokus über Einzelathleten

Mit Erfolg. Vor dem Start der Serie „Drive to survive“ waren 2018 rund 264.000 Zuschauer beim Rennen in der texanischen Stadt Austin an der Strecke. 2021 waren es bereits 400.000, von denen 70 Prozent zum ersten Mal bei einem Rennen der Formel 1 waren. Jede neue Staffel sorgte zudem für einen starken Anstieg der Follower des Instagram-Kanals der Formel 1. Beim Start der vierten Staffel im vergangenen Jahr lag die Zahl der Follower des Accounts F1 bei Instagram bei 17,4 Millionen. Nicht mal ein Jahr später sind es bereits 21,8 Millionen (die Folgen des Netflix-Effekts für Marken haben wir hier schon mal beschrieben).

Nun versuchen die Macher der Drive-to-Survive-Doku, den Erfolg mit anderen Sportarten zu wiederholen: Golf und Tennis. Pünktlich zum Start der Australian Open startete „Break Point“, die sich auf die Suche nach potenziellen Nachfolgern von Stars wie Roger Federer oder Serena Willams begibt. Ähnlich wie bei Drive to Survive oder bei Full Swing setzt Netflix dabei auf eine Sportart mit Einzelsportlern. Das hat Gründe. „Sport-Dokus über Einzelathleten, die im Vordergrund stehen, sind wesentlich erfolgreicher als Mannschaftssportarten-Dokus“, sagte Felix Appelfeller von der Marketing-Agentur Jung von Matt/Sports kürzlich im Deutschlandfunk.

Der Konflikt PGA vs. Liv Golf eskaliert während der Dreharbeiten

Vorteil ist, dass sich die Identifikation mit einzelnen Sportler*innen durch die Doku erhöhen lässt – Nachteil ist, dass Verletzungen beispielsweise ein höheres Risiko bedeuten können. So war kürzlich sogar von einem „Netflix-Fluch“ die Rede, weil sämtliche Gesichter von „Break Point“ aufgrund von Verletzungen oder aus anderen Gründen keine tragende Rolle bei den Australien Open spielten. Netflix sah sich sogar gezwungen, eine Stellungnahme zu veröffentlichen, in der man betonte, die Ausfälle hätten nichts mit der Serie zu tun.

Szene aus der neuen Netflix-Doku "Full Swing" über Profigolf. Foto: Netflix

Szene aus der neuen Netflix-Doku „Full Swing“ über Profigolf. Foto: Netflix

Bei „Full Swing“ hatten die Macher*innen hingegen Glück. Denn während der Dreharbeiten erschütterten die Pläne rund um Liv Golf die Sportszene. Unter diesem Namen firmiert inzwischen eine Konkurrenz zur altehrwürdigen PGA-Tour, um die es auch bei „Full Swing“ geht. Finanziert wird die neue Turnierserie von Saudi-Arabien, das ähnlich wie andere Staaten aus dem arabischen Raum in immer mehr Sportarten mitmischt. Liv Golf versucht, Golf durch einen anderen Turnier-Modus, aber auch den Einsatz neuer Technik wie Drohnen zu modernisieren – und hat aggressiv versucht, Top-Spieler zu locken. Einige sind dem Ruf des Geldes gefolgt wie der Deutsche Martin Kaymer, andere nicht. Natürlich thematisiert auch die Serie den Kampf der Systeme, der in etwa zu vergleichen wäre mit einer mit arabischem Geld finanzierten Konkurrenzliga Champions League, die Top-Fußballer mit hohen Summen lockt.

Super-Bowl sorgt für starkes Interesse an „Full Swing“

Doch ob allein diese Geschichte gereicht hätte, um genug Interesse an der Dokumentation zu wecken, ist zweifelhaft. Wohl auch deswegen haben die Macher auf den Super Bowl gesetzt, bei dem die Biermarke Michelop Ultra und Netflix in Phoenix sogar noch eine After-Super-Bowl-Party mit diversen Stars wie Serena Williams oder Ex-NBA-Star Shaquille O’Neal ausgerichtet haben. Daten von Google Trends deuten darauf hin, dass der Plan aufgegangen ist. Das Interesse am Suchbegriff „Full Swing“ war in der Nacht des Super Bowl sogar größer als zum offiziellen Start der Dokumentation.

Suche nach dem Begriff "Full Swing". Quelle: Google Trends

Suche nach dem Begriff „Full Swing“. Quelle: Google Trends

Unklar ist, ob Michelop Ultra sogar Geld an Netflix bezahlt hat, um mit der neuen Netflix-Show zu werben. Möglich wäre es. Immerhin gelingt es dem Streaming-Dienst seit Jahren, eigene Serien so attraktiv zu machen, dass andere Unternehmen damit gerne werben. In der Vergangenheit haben auch schon Marken wie Coca Cola, Levi’s oder Nike mit der Netflix-Serie „Stranger Things“ geworben (wie Marken auf der kulturellen Relevanz von Serien mitsurfen, haben wir auch 2021 in unserer Keynote „State of the German Internet“ beschrieben).

Wer Golf sehen will, braucht ein Sky-Abo

Ob Golf als Sportart von der Serie profitieren wird, ist bislang noch unklar. Selbst Branchenkenner sind vorsichtig mit Prognosen. Zumindest in Deutschland ist die Sportart – die 2016 nach 112-jähriger Abstinenz auch endlich wieder Teil der Olympischen Spiele war – aber auch weit von einer Krise entfernt. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Mitglieder um rund 50.000 auf zuletzt rund 683.000 gewachsen. Auch im Jugendbereich verzeichnete der Verband, dem rund 730 Golfanlagen in Deutschland angehören, das dritte Jahr in folgende steigende Mitgliederzahlen. „Nachwuchssorgen haben wir ein Stück weit natürlich schon. Der Anteil der über 50-Jährigen unter unserem Mitgliedern nimmt immer weiter zu“, sagt ein Sprecher des Verbands. Dennoch hätten sich die Bemühungen der vergangenen Jahre, junge Leute an Golf heranzuführen, ausgezahlt.

Der Sprecher des Deutschen Golf-Verbands könnte sich vorstellen, dass durch „Full Swing“ auch das Interesse an Golf als Live-Sport steigt. „Selbst ich als Golfer wusste abseits der Statistiken nicht viel über die Personen aus der Serie“, sagt er. Wer aktuell in Deutschland Golf im Fernsehen schauen will, braucht dafür allerdings ein Sky-Abonnement. Einzelne (Damen-)Turniere werden zwar auch vom Portal Golf.de kostenlos gestreamt. Auf dem Platz dürfte ein vermeintlich einsetzender Hype allerdings nicht sofort sichtbar werden. Denn Netflix hat zwar bewusst mit dem Super Bowl bewusst auf ein Event mit viel Aufmerksamkeit gesetzt. Zumindest in Deutschland befinden sich aber viele Golfclubs aktuell noch in der Winterpause.

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Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

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