Metaverse – Das ist gerade eines der heißesten Buzzwords in der globalen Tech-Elite

Wie ein Roman aus den 90ern Mark Zuckerberg & Co. geprägt hat

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Wenn die globale Tech-Elite ihre Visionen diskutiert, wie die nächste Generation des Internets aussehen könnte, dann dürfte aktuell ein Wort wieder besonders häufig fallen: „Metaverse“. Der Begriff stammt aus dem Science-Fiction-Roman „Snowcrash“ aus dem Jahr 1992, der die Gründer von Google, Amazon und Facebook nachhaltig beeindruckt haben soll. OMR erklärt, was sich hinter dem Begriff versteckt, warum er aktuell eine Renaissance erfährt und welchen Playern in der Branche das größte Potenzial zugeschrieben wird, ein „Metaverse“ zu bauen.

‚Snow Crash‘* war seiner Zeit zehn Jahre voraus. Das Buch hat auf eine Art antizipiert, was danach passiert ist, und das finde ich wirklich interessant“, sagt Sergey Brin in einem Interview im Jahr 2000. Der Google-Gründer führt den Science-Fiction-Roman als eines von zwei Büchern ins Feld, die ihn in seinem Leben besonders beeinflusst hätten.

War Snow Crash die zentrale Inspiration für Google Earth?

Snow Crash (hier die Zusammenfassung der Handlung bei Wikipedia) zeichnet das Bild einer dystopischen, technologisierten Zukunft, in der der Staat sich größtenteils aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, die Welt von Megakonzernen beherrscht wird und eine extreme Ungleichheit herrscht. „Hiro Protagonist“, die zentrale Figur des Romans, ist ein Pizzabote, der zusammen mit seiner Freundin in die Suche nach einer mysteriösen Droge namens Snow Crash verwickelt wird.

Er habe nicht gedacht, dass er die Zukunft vorhersage; das Buch sei „just me making shit up“, so Autor Neal Stephenson im Jahr 2017 in einem Interview mit Vanity Fair. Und trotzdem hat Stephenson Weitblick bewiesen und in seinem Buch offenbar ungewollt einige Produkte und Konzepte des Digitalzeitalters vorweggenommen – so etwa den Begriff des Avatars, der heute in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist. Ebenso gibt es in Snow Crash eine Software namens „Earth“, deren Beschreibung stark an jene Anwendung erinnert, die seit dem Jahr 2001 unter dem Namen „Google Earth“ für die Allgemeinheit verfügbar ist.

Will Facebook mit Oculus ein Metaversum bauen?

Ein weiteres zentrales Konzept von „Snow Crash“ ist das des „Metaversums“: eine Art digitale Zwischenwelt, in die sich die Menschen aus der düsteren Gegenwart flüchten. Eine Welt, die parallel zur und unabhängig von einer realen, physischen Welt dauerhaft besteht, mit eigener Währung und eigenem Wirtschaftssystem, in der viele Menschen gleichzeitig und in Echtzeit miteinander kommunizieren und interagieren können.

Google-Mitgründer Sergey Brin ist offenbar nicht der einzige hochrangige Tech-Gründer, den diese Idee nachhaltig beeindruckt hat. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat sich zwar nie öffentlich über „Snow Crash“ geäußert. Doch als er im März 2014 mit einem Post auf Facebook bekannt gibt, dass sein Unternehmen den Virtual-Reality-Brillen-Anbieter Oculus aufgekauft hat, und im Zuge dessen seine Vision für das Unternehmen beschreibt, interpretieren diese sowohl zwei Redakteure von Bloomberg als auch ein Journalist bei Forbes dahingehend, dass Zuckerberg offenbar das Metaversum bauen möchte.

Pflichtlektüre für neue Manager bei Facebook

Schon davor hatte „Snow Crash“ führenden Mitarbeitern Facebooks offenbar als Inspirationsquelle gedient. In Facebooks Produkt-Management-Team habe der Roman zu Anfang des vergangenen Jahrzehnts als „required reading“ gegolten, wie Dean Eckles, der von 2010 bis 2015 bei Facebook u.a. im zentralen Data-Science-Team gearbeitet hat, in einem Eintrag in seinem persönlichen Blog berichtet.

Amazon-Gründer und Multimilliardär Jeff Bezos ist offenbar sogar mit Neal Stephenson befreundet. Der „Snow Crash“-Autor soll den Science-Fiction-Fan Bezos im Jahr 1999, nachdem beide gemeinsam einen Film gesehen hatten, zur Gründung seiner Raumfahrtsfirma Blue Origin ermutigt haben. Stephenson wurde erster Mitarbeiter des Unternehmens und war bis 2006 für Blue Origin tätig. Nicht die einzige direkte Verflechtung Stephensons mit dem Silicon Valley: Von 2014 bis Mai 2020 war der Autor auch als „Chief Futurist“ für die Augmented-Reality-Firma Magic Leap tätig.

„Wir wollen mit Epic Games etwas Ähnliches wie das Metaverse bauen“

Skeptiker würden im Jahr 2020 nun vermutlich davon ausgehen, dass nach der äußerst kurzlebigen Euphorie rund um die virtuelle Welt Second Life im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends und angesichts des Umstands, dass Augmented- und Virtual-Reality-Brillen trotz jahrelangem Trendstatus‘ immer noch weit vom Durchbruch in den Mainstream entfernt sind, eine Idee wie des Metaversums nur noch wenige Anhänger finden sollte. Warum also wird der Begriff aktuell trotzdem so häufig diskutiert?

Beträchtlichen Anteil an dieser Entwicklung dürfte Tim Sweeney, Gründer und CEO von Epic Games haben. Sein Unternehmen hat die „Gaming Engine“ Unreal entwickelt, betreibt den „Epic Games Store“ und steht nicht zuletzt hinter dem Erfolgs-Game Fortnite (hier im OMR Porträt). Sweeney ist offensichtlich schon seit Langem von der Idee des Metaverse fasziniert. Seit Jahren spricht der Epic-Games-Gründer über das Konzept, hat darüber Vorträge auf Branchenveranstaltungen gehalten und gerade wieder ein 47-minütiges Interview zum Thema gegeben. Im Jahr 2019 sagte Sweeney gegenüber Business Insider, das letzte Ziel mit Epic Games, sei es „etwas Ähnliches wie das Metaverse zu bauen“.

Epic Games sammelt 1,78 Milliarden US-Dollar ein

Anfang August hat Epic Games nach eigenen Angaben in einer erneuten Funding-Runde 1,78 Milliarden US-Dollar Funding eingesammelt. 17,3 Milliarden US-Dollar soll das Unternehmen nun wert sein. Das frische Kapital werde Epic Games‘ Bemühungen beschleunigen „eine neue Art von digitalem Ökosystem unter Nutzung von Echtzeit-3D-Technologie zu bauen, Dienste, die Hunderte Millionen von Nutzern miteinander verknüpfen, sowie eine digitale Vertriebsplattform, die ein faires Geschäftsmodell bietet“, so Sweeney im offiziellen Statement anlässlich des Fundings. Firmen wie der chinesische Internet-Gigant Tencent, das Private-Equity-Unternehmen KKR und die Investmentfirma Blackrock haben in Epic Games investiert.

Eine Ahnung davon, welches Potenzial ein wirkliches Metaversum bergen könnte, hat in den vergangenen zwei Jahren bereits der Erfolg von Fortnite vermittelt. Erstens verzeichnet das Spiel eine enorme Reichweite: Im März 2019 bezifferte Sweeney die Zahl der Nutzer auf 250 Millionen. Zweitens ist Fortnite mittlerweile weit mehr als ein Spiel: Für viele Nutzer ist die Fortnite-Welt zum Ort des sozialen Austauschs geworden (in der Pressemitteilung zum jüngsten Funding spricht Epic Games von „2,5 Milliarden ‚Friend connections'“). Und drittens macht die enorme Reichweite und Nutzungsintensität Fortnite als Content-Plattform für externe Unternehmen und Marken attraktiv.

Disney, Marvel & Co. wollen in Fortnite stattfinden

So sind einige der größten Entertainment- und Medienmarken der Welt mittlerweile gerne dazu bereit, ihre so wertvolle und sonst streng behütete „Intellectual Property“ mit Epic Games zu teilen. Disney beispielsweise kooperierte schon mehrfach mit Epic Games, um Star-Wars-Releases und Produkte innerhalb von Fortnite zu promoten – mit exklusiven „Skins“ (Kostüme und aus den Kinofilmen bekannte Figuren, die die Spieler als Avatare nutzen können) sowie bislang nie gezeigten Ausschnitten aus dem Film „The Rise of Skywalker“, die die Spieler im Fortnite-eigenen Kino anschauen konnten.

Im Juni dieses Jahres wurden in dem virtuellen Lichtspielhaus innerhalb Fortnites drei komplette Filme des US-Regisseurs Christopher Nolan gezeigt. Die US-amerikanische Football-Liga NFL hat Skins ihrer Vereine in Fortnite zur Verfügung gestellt; in der jüngsten „Season“ (das Spiel wird ähnlich wie Fernsehserien um immer wieder neuen Content erweitert) von Fortnite können die Spieler in einige der bekanntesten Figuren aus dem Comic-Universum von Marvel schlüpfen.

Virtuelle Konzerte erreichen achtstellige Zuschauerzahlen

Im Februar 2019 spielte der DJ-Superstar Marshmello ein virtuelles Konzert in der Fortnite-Welt: 10,7 Millionen Menschen sollen an dem Event teilgenommen haben, wie Epic Games gegenüber The Verge erklärte. Im April 2020 folgten an drei Tagen fünf Shows des US-Rap-Superstars Travis Scott. Diese sollen laut Epic Games in der Spitze 12,3 Millionen gleichzeitige Zuschauer und 27,7 Millionen Zuschauer insgesamt verzeichnet haben.

Zwar können die Fortnite-Nutzer die Konzerte bislang nur in Gruppen von jeweils 100 Nutzern miteinander verfolgen. Von der ursprünglichen Idee des Metaversums, in dem enorme Massen von Menschen gleichzeitig und in Echtzeit miteinander agieren können, ist die Plattform damit noch ein gutes Stück entfernt. Trotzdem dürften die Ereignisse und ihr Erfolg die Fantasie von Investoren beflügelt und dem Glauben an die Idee des Metaverse wieder neues Leben eingehaucht haben.

Wird 5G zum „Metaverse Enabler“?

Zumal in den vergangenen Monaten noch weitere Entwicklungen, die die Errichtung eines Metaversums begünstigen könnten, hinzu gekommen sind: der technische Fortschritt etwa. Die Datenübertragungsraten des neuen, kommenden 5G-Standards ermöglichen mobiles Echtzeit-Internet, über das möglicherweise auch virtuelle Konzerte mit zehntausenden von Menschen veranstaltet werden können.

Darüber hinaus hat die Corona-Krise die Digitalisierung beschleunigt und in der breiten Bevölkerung die Hemmschwelle gegenüber digitalen Erlebnissen weiter gesenkt. Menschen, die sich in Zeiten von „Social Distancing“ in ihrem Beruf an virtuelle Arbeitsumgebungen wie Slack und Microsoft Teams sowie Video-Conferencing-Software wie Zoom oder Google Meet gewöhnen und privat in Spielen wie Animal Crossing (hier im OMR Porträt) dem Eskapismus fröhnen, mit Freunden interagieren oder sogar Hochzeitsfeiern durchführen, stehen der Idee einer „digitalen Parallelwelt“ somit möglicherweise aufgeschlossener gegenüber als sie es zuvor getan hätten.

Facebook startet mit Horizon

Nicht unbedingt erstaunlich also, dass Epic Games nicht das einzige Unternehmen ist, dass versucht, ein Metaversum zu bauen. Die Ereignisse der vergangenen Wochen deuten etwa darauf hin, dass Facebook das Thema nie aus dem Blick verloren hat. Gerade hat das Unternehmen seine virtuelle Welt „Facebook Horizon“ im Rahmen einer Beta-Phase auf Einladungsbasis für externe Nutzer der VR-Brille Oculus geöffnet. Zuvor hatte Facebook mehrere unterschiedliche „Creator“ dazu eingeladen, „Welten“ und Spiele innerhalb von Horizon zu erschaffen. Laut CNBC soll die Bandbreite dabei von Escape-Room-artigen Spielen bis hin zu Gameshows reichen.

Ein mögliches Indiz dafür, dass Facebook Oculus näher an die Haupt-Plattform heranführen und der AR/VR-Brille damit vielleicht ja auch inmitten des eigenen Produktportfolios mehr Gewicht beimessen will, ist die jüngste Meldung, dass für die Nutzung der Oculus-Brillen künftig ein Facebook-Konto zwingend notwendig ist. Das Entwickler-Event Oculus Connect hat Facebook umbenannt in Facebook Connect.

Glauben Microsoft und Tencent an das Konzept des Metaverse?

Ein weiterer Player, dem Experten ebenfalls zutrauen, beim potenziellen Aufbau eines Metaversums eine gewichtige Rolle zu spielen, ist Microsoft. Mit der Spielkonsole Xbox und der „Mixed Reality“-Brille Hololens verfügt der Konzern über die technische Infrastruktur und Hardware dafür; das immer noch überaus populäre Weltenbau-Spiel Minecraft könnte den Grundstock für Content und Community bilden. Hinzu kommen hunderte Millionen registrierte Nutzer der Office-Produkte und des Business-Netzwerks LinkedIn.

Auch Tencent halten manche für einen potenziellen „Metaverse-Bauer“. Der chinesische Internetkonzern ist die möglicherweise größte Gaming-Firma der Welt und nicht nur an Epic Games beteiligt, sondern auch an Riot Games, Macher des Riesenerfolgs League of Legends. Außerdem hält Tencent Minderheitsanteile an Spotify und Snapchat. Hinzu kommt das eigene Asset Wechat, eine Art 2D-Metaversum, wie Ex-Investment-Banker Packy MacCormick in einer ausführlichen Analyse in seinem Newsletter „Not Boring“ schreibt.

„Das Metaversum wird Billionen US-Dollar an Wert generieren“

In der US-Tech-Szene hat sich Matthew Ball von der Venture-Capital-Firma Makers Fund als einer der Sprachführer und Vordenker in Sachen Metaverse etabliert. Ball will in naher Zukunft auch eine eigene virtuelle Konferenz zum Thema durchführen. In einem viel beachteten, ausführlichen Essay erklärt der VC nicht nur, wie er den Begriff Metaverse definiert und welchen Unternehmen er welche Chancen einräumt, in einem künftigen Metaversum eine große Rolle zu spielen, sondern stellt auch die These auf, dass das Metaversum künftig „das Tor zu den meisten digitalen Erlebnissen, ein Schlüssel-Element von physischen Erlebnissen und die nächste große Arbeit-generierende Plattform“ sein werde.

Firmen, die an dieser Entwicklung entscheidend mit teilnehmen oder diese sogar antreiben werden, könnten dementsprechend enorme wirtschaftliche Vorteile daraus ziehen, glaubt Ball: „Selbst wenn das Metaversum am Ende nicht den fantastischen Beschreibungen der Science-Fiction-Autoren gerecht werden wird, wird es wahrscheinlich als neue Computing-Plattform oder als Content Medium Billionen von US-Dollar an Wert generieren.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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