Wie dieser Deutsche mit Milliarden im Rücken eine Alternative zu Google und Facebook aufbauen will
Mark Grether, CEO beim Adtech-Riesen Sizmek, erzählt OMR, was hinter seinem jüngsten Millionendeal steckt
- Digitales Marketing aus allen Blickwinkeln kennengelernt
- Vom Adserver zum Full-Stack-Technologie-Anbieter
- Suchen Agenturen nach Alternativen zu Google?
- Zusammenarbeit mit Wettbewerbern, um gegen das Duopol zu bestehen
- Daten-Allianzen als positives Zeichen
- Wachstum über Zukäufe
- Der TV-Markt als nächstes Ziel
Es gibt nicht viele Deutsche, die in den USA so schnell aufgestiegen sind wie Mark Grether. Er ist mittlerweile an der Spitze von Sizmek angelangt, einem New Yorker Adtech-Unternehmen, das sich als kommende dritte weltweit agierende Kraft neben Google und Facebook sieht und auf einen 1,4-Milliarden-Fonds zurückgreifen kann. Wir haben mit Grether über seinen Aufstieg zum einflussreichen CEO, den gerade abgeschlossenen Kauf von Rocket Fuel, die Chancen, gegen ein sich etablierendes Duopol anzukommen und deutsche Log-In-Allianzen gesprochen.
„Was man derzeit sieht, ist das Thema Size Matters. Wenn du heute erfolgreicher technischer Dienstleister sein willst, musst du global aufgestellt sein“, sagt Sizmek-CEO Mark Grether zu OMR. Das ist einer der Gründe, warum Sizmek – unter dem alten Namen MediaMind vor allem als Adserver bekannt – gerade mit millionenschweren Akquisitionen und aggressiver weltweiter Skalierung auf sich aufmerksam macht.
Vor zwei Tagen hat Sizmek den Kauf von Rocket Fuel für etwa 145 Millionen US-Dollar abgeschlossen. Kurz nach dem Börsengang 2013 hatte das Unternehmen, das vor allem für seine DSP (Demand Side Platform), DMP (Data Management Platform) und Expertise in AI (Künstliche Intelligenz) bekannt ist, noch einen Wert von knapp zwei Milliarden US-Dollar. „Mit Rocket Fuel haben wir eine eigene DSP, sind aber auch agnostisch, um mit anderen DSPs wie z.B. Appnexus oder The Tradedesk in Zukunft zusammenzuarbeiten“, sagt der 44 Jährige zu OMR.
Digitales Marketing aus allen Blickwinkeln kennengelernt
Grether erlebt das Online-Marketing-Business schon in jungen Jahren aus den Blickwinkeln der Wissenschaft, eines Advertisers und eines Vermarkters. „Ich komme ursprünglich aus dem Marketing und war dann auch Professor in dem Bereich. Mit 29 habe ich gemerkt, dass ich raus muss aus der akademischen Welt und bin zu Karstadt/Quelle gewechselt“, erzählt Grether.
„Von dort aus bin ich dann zu United Internet und habe dort den ganzen Bereich TGP (Targeting-Technologie von United Internet) aufgebaut. De facto haben wir eine DMP gebaut, die es erlaubte, die Daten, die aus den Magazin-Seiten von Web.de gewonnen wurden, monetarisierbar zu machen. Die Idee war, dass United Internet über die zehn Prozent Web.de-Content Daten über die Nutzer sammelt, um die übrigen 90 Prozent der Webseiteninhalte zu vermarkten, die vorher quasi nicht vermarktbar waren.“ Die Entwicklung der Targeting-Technologie habe dazu geführt, dass United Internet in dieser Phase zum Vermarkter Nummer 1 bei der Agof aufstieg.
Sein Weg führt dann 2008 zu GroupM, wo er ab 2011 von New York aus die Technologieplattform Xaxis mit aufbaut. Zu der Zeit habe GroupM erkannt, dass Mediaagenturen sich zu Audience-Agenturen entwickeln müssen, die nicht Media verkaufen sondern Zielgruppen – und dafür brauche es eigene Technologie-Lösungen. „Damit haben wir aus meiner Sicht drei Kulturbrüche begangen: 1. Weg von reiner Agentur, hin zum Principal. 2. Weg von Media- hin zu Audience-Agentur. 3. Investition in eigene Technologie, was eine Agentur bis heute kaum macht.“
Vom Adserver zum Full-Stack-Technologie-Anbieter
„Dann kam der Anruf von Vector Capital: ‚Hey, wir haben gerade Sizmek gekauft, hättest du nicht Lust, zu uns zu kommen und uns bei der Konsolidierung auf der Demand-Seite zu unterstützen?'“, sagt Grether. „Bei Vector Capital herrscht der Glaube, dass Agenturen auf der Demand-Seite eine unabhängige, weltweit agierende Plattform wollen – die muss nur gebaut werden. Ich dachte direkt, dass das super spannend sein könnte, und bin deshalb seit Anfang 2017 bei Sizmek.“ Die Private-Equity-Firma Vector Capital, seit 2016 der neue Besitzer von Sizmek, hat laut Grether einen Fund von 1,4 Milliarden US-Dollar für die Weiterentwicklung des Adtech-Unternehmens eingerichtet. „Das Ziel ist es, die ‚Largest Independent Platform’ zu sein. Und mit dem Kauf von Rocket Fuel sind wir auf einem guten Wege dorthin“, sagt Grether gegenüber OMR.
Der deutsche Manager wird – jetzt, wo der Deal durch ist – auch CEO von Rocket Fuel. Gleichzeitig soll die Marke langsam verschwinden und die Technologie komplett in Sizmeks Technologieplattform integriert werden. „Ich glaube, der Kauf von Rocket Fuel hilft uns in mehreren Bereichen: Die Agenturen fragen nach einer Plattform mit Adserver, die über den Mediaplan hinweg einheitlich Ads ausliefert. Diese Plattform soll aber gleichzeitig auch als Datenmanagement-Tool nutzbar sein. Als dieses Tool werden wir immer stärker gesehen“, sagt Grether. Seine Zeit bei einer weltweit agierenden Agentur (GroupM) habe ihm geholfen, zu verstehen, wie Agenturen agieren, und was deren Herausforderungen, Stärken und Schwächen sind. Darauf reagiere er jetzt mit der Erweiterung von Sizmeks Angebot.
Suchen Agenturen nach Alternativen zu Google?
Mark Grether ist sich sicher, dass er mit dem Ansatz eine nachgefragte Alternative zum Duopol aus Google und Facebook bieten kann: „Der Wunsch von Agenturen und anderen Kunden, unabhängiger zu werden, wächst von Tag zu Tag. Damit auch die Chance, dass Player wie wir erfolgreich sind.“ Google platziere sich schließlich zwar als Dienstleister, sei aber in Wirklichkeit selbst ein Media-Unternehmen. Sizmek wolle die Werbung der Advertising-Kunden und der Agenturen großflächig und intelligent aussteuern, ohne dabei zwingend andere große Adserving-Unternehmen zu verdrängen: „Wir sehen uns eher als komplementär zu einem Appnexus oder The Tradedesk und nicht unbedingt als Wettbewerber. Ich bin davon überzeugt, dass in Zukunft eine Agentur oder ein Kunde weiter mehr als nur eine DSP pro Mediaplan benutzen wird.“
Im Wettbewerb mit Google könne nur bestehen, wer global auftrete, argumentiert Grether: „Wenn du sehr stark nur lokal agierst oder nur regional, kannst du die Investitionen, die du in die Technologie machen musst, um wettbewerbsfähig zu bleiben, nicht mehr reinholen.“ Das sei auch der Grund für die Krise vieler Adtech-Unternehmen auf der ganzen Welt. „An der derzeitigen Entwicklung sieht man, dass die Konsolidierung kommen wird und ich glaube, dass wir da der Vorreiter sein werden. Wir haben verstanden, dass die Skalierung entscheidend ist“, sagt Grether. „In Summe sind wir in über 70 Ländern aktiv. Wir haben jetzt genau die kritische Masse erreicht, um auch in kleinen Ländern echte Büros zu haben. Das ist das Entscheidende.“
Zusammenarbeit mit Wettbewerbern, um gegen das Duopol zu bestehen
Grether spekuliert darauf, dass mit der immer größer werdenden Macht von Google und Facebook auch die Unzufriedenheit unter Publishern und Agenturen so weit zunimmt, dass sie dies Sizmek als Kunden in die Arme treibt. Immer wieder hört man, dass Publisher und Agenturen dem Duopol immer negativer gegenüber stehen. Außerdem suchen sie nach Dienstleistern, die auch mit externen Partnern wie weiteren DSPs oder Exchanges arbeiten. Genau das will Sizmek anbieten.
Ob diese Entwicklung wirklich in dem von Grether prognostizierten Maße stattfinden wird, erscheint derzeit noch offen – zumindest wenn man den deutschen Markt als Maßstab nehmen will. Einerseits ist Axel Springer vor Kurzem eine umfassende Kooperation mit Appnexus eingegangen (Google ist aber nach wie vor Teil des Techstack des Medienhauses). Andererseits hat sich der deutsche Agof-Marktführer Ströer in Sachen Adtech erst im Februar 2017 eng an Google gebunden.
Daten-Allianzen als positives Zeichen
Laut Grether sorgt die anstehende „General Data Protection Regulation“ der EU aktuell dafür, dass die Player im europäischen Markt „aufwachen“. Die EU zielt mit der Neuregulierung auf eine Beschränkung der Datenmacht von Google und Facebook ab. Ob dieses hehre Ziel wirklich erreicht wird, oder Google und Facebook, bei denen viele Nutzer eh permanent eingeloggt sind, aus der Neuordnung eher noch gestärkt hervorgehen, muss sich noch zeigen.
Diverse deutsche Konzerne haben sich in Vorbereitung auf die Regulierung jedenfalls zu zwei „Log-in-Allianzen“ zusammengeschlossen: Verimi mit Axel Springer, Deutsche Bank, Allianz und Daimler, sowie ein weiterer Verbund aus ProSiebenSat.1, RTL, United Internet und Zalando. „Die deutschen Unternehmen am Markt müssen gemeinsam etwas tun, um Endkonsumentenkontakte und Opt-ins zu bekommen. Das klappt nur, wenn man dem Konsumenten auch einen Mehrwert aufzeigen kann“, sagt Grether.
Wachstum über Zukäufe
Die angesprochene Skalierung findet bei Sizmek derzeit vor allem durch Akquisitionen statt. In den letzten Jahren hatte das Unternehmen bereits mehr als zehn Adtech-Firmen gekauft – darunter Peer39, Mediamind, StrikeAd und Eyeblaster. „Es geht uns und Vector nicht darum, Kosten rauszunehmen, sondern darum, wie wir im Markt wachsen können. Das heißt auch: Investitionen in Mitarbeiter und spannende Firmen“, sagt Grether.
Und diese Strategie sei mit dem Kauf von Rocket Fuel noch nicht am Ende. Sizmek scanne den Markt ständig nach Unternehmen, die mit ihrer Technologie das Angebot von Sizmek erweitern könnten. Nur wer heute den kompletten Technologie-Stack in allen Kategorien anbieten könne, habe eine Chance auf dem Adtech-Markt.
Der TV-Markt als nächstes Ziel
Aber wo sieht Mark Grether überhaupt noch Wachstumspotenzial? „Ich denke, die Konsolidierung durchläuft immer wieder Zyklen: In manchen Channels sind wir am Anfang einer Konsolidierung und werden noch viel mehr Akquisitionen sehen. Dann gibt es aber auch neue Bereiche wie Addressable TV, Internet of Things und AR, wo noch Wild West herrscht und auch kleinere Startups sich etablieren werden.“ Dabei hat es Grether besonders ein Markt besonders angetan: „Ich sehe als Zukunftsthema vor allem Addressable TV. Ich glaube, dass da viel passieren wird und ein großes Business entstehen kann. Konsumenten gucken noch zu viel TV, als dass es kein lohnenswerter Markt wäre. Wenn ich mir anschaue, wo ich unser Wachstum sehe, dann ist das durchaus in der Richtung Branding, Video, OTT (Netflix & Co.) und Programmatic TV.“
Wie erfolgreich Grether mit seinen Plänen bereits heute ist, lässt sich aktuell zumindest an Unternehmenszahlen nicht ablesen. Die letzten verfügbaren Daten aus Q2 2016 zeigen einen Umsatz von knapp 50 Millionen US-Dollar bei einem Verlust von einer Million. Nach dem Kauf hatte Vector Capital das Unternehmen von der Börse genommen und muss deshalb aktuelle Zahlen nicht öffentlich machen. Derzeit dürfte aber klar sein, dass Grether keinen Druck hat, blendende Ergebnisse zu erzielen. Wachstum steht an erster Stelle.