700 Euro pro Stunde? Linkedin Ghostwriter werden immer gefragter – und immer teurer
Über 95 Prozent der Vorstände in Deutschland setzt für Linkedin auf externe Hilfe
- Die Preise sollen um 40 Prozent gestiegen sein
- Beschäftigen nahezu alle Vorstände Linkedin Ghostwriter?
- „Das digitale und analoge Ich müssen fast deckungsgleich sein“
- „Authentisch, sympathisch und glaubhaft“
- „Wir schulen darin, auf Kommentare richtig einzugehen“
- Lieber Linkedin Influencer als eigene Reichweite?
875 Millionen Nutzende weltweit, 19 Millionen im DACH-Raum: Mit dieser Reichweite hat sich Linkedin für Unternehmens-Chefs zu einer relevanten Plattform entwickelt, um Agendasetting zu betreiben und das eigene Image zu aufzupolieren. Viele der „Social CEOs“ lassen sich dabei von Kommunikationsprofis helfen. Weil diese Dienstleistung mit dem Wachstum der Plattform immer begehrter wird, sollen die Preise der Linkedin Ghostwriter zuletzt deutlich gestiegen sein. OMR hat hinter die Kulissen geschaut und mit mehreren Ghostwritern gesprochen.
Er surfte mit einem von Audi entwickelten Hydrofoil-Brett über den Gardasee, er testete ein Coupé von VW-Tochter Cupra mit Batman-Maske und nahm Elon Musk mit auf eine nächtliche Testfahrt im Elektromodell ID.3: Unter allen DAX-CEOs, die versuchen, über Linkedin eine „Personal Brand“ aufzubauen, die dann auch auf ihr Unternehmen abstrahlen soll, war Herbert Diess (bis September Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns) vielleicht der konsequenteste. Im Hintergrund wurde er dabei von Michael Manske unterstützt, ehemaliger Bild-Journalist und dann „Head of CEO Communication“ bei VW.
Die Preise sollen um 40 Prozent gestiegen sein
Diess ist nicht der einzige CEO, der sich für Linkedin professionelle Hilfe geholt hat. Bei der Telekom beispielsweise agiert mit Henrik Schmitz ebenfalls ein ehemaliger Journalist als „CEO Communicator“ hinter Tim Höttges. Aber nicht nur die „alte Welt“ geht so vor: Bei Snocks, einem Mannheimer Startup, das Klamotten-Basics verkauft, unterstützt Mitarbeiter Oliver Kohl den Gründer Johannes Kliesch beim „Personal Branding“ über Linkedin. Fränzi Kühne, Digitalagenturgründerin und bei Freenet einst „Deutschlands jüngste Aufsichtsrätin“ (mittlerweile ist sie Chief Digital Officer bei Edding) suchte vor Kurzem öffentlich nach einer „Content Creation Manager*in“ – über Linkedin.
Wer fürs „Personal Branding“ nicht gleich jemanden fest anstellen möchte, kann auf die Dienste von Agenturen zugreifen. Das kann jedoch kostspielig sein: Im April berichtete die US-Ausgabe von Business Insider, dass u.a. eine Ex-Linkedin-Managerin mit ihrer Agentur Samsales Linkedin Ghostwriting anbiete und bis zu 700 US-Dollar pro Stunde aufrufe. Im Oktober war beim indischen Wirtschaftsmedium „The Ken“ (€) zu lesen, dass im dortigen Markt Agenturen bis zu 8.500 US-Dollar pro Monat dafür verlangen, für Firmenchefs „Hot Takes“ auf Linkedin zu verfassen. Im November erklärten mehrere Inhaber*innen von Linkedin-Ghostwriting-Agenturen in den USA gegenüber Business Insider, dass sie ihre Preise um 40 Prozent hätten anheben können.
Beschäftigen nahezu alle Vorstände Linkedin Ghostwriter?
Die Frankfurter PR-Beratung Schaffensgeist bietet ebenfalls CEO-Branding auf Linkedin an und unterstützt ihre Auftraggeber dabei, in dem Business-Netzwerk professionelles Content Marketing zu betreiben. Kundennamen möchten deren Gründer*innen Marina Zayats und Tomas Herzberger nicht nennen. Beide gehen davon aus, dass über 95 Prozent der Vorstände in Deutschland einen Linkedin Ghostwriter verpflichtet haben. Preise von 700 Euro pro Stunde hält Zayats dabei für „machbar“. Denn die Vorstände selbst und in vielen Fällen auch deren Team hätten nicht das Know-how, das man braucht, um auf Linkedin Beiträge zu posten, die das Potenzial haben, möglichst viele User zu erreichen.
Zudem sei es mit Ghostwriting allein nicht getan. Primär liegt der Fokus der Dienstleistung von Schaffensgeist auf der Beratung ihrer Kunden*innen, um – so nennen sie es – digitale Souveränität zu erlangen. Ziel sei häufig „Thought Leadership“, also die Positionierung als Meinungsführer*in bei den wichtigsten Fragen ihrer Zielgruppe. Das soll den jeweiligen Unternehmen ganz konkrete Vorteile einbringen: Von höheren Umsätzen über ein besseres Image bis hin zu einer stärkeren Kundenbindung scheint mit dem Thought Leadership alles denkbar zu.
„Das digitale und analoge Ich müssen fast deckungsgleich sein“
Herzberger und Zayats umreißen, wie CEO-Branding auf Linkedin in ihrer Agentur funktioniert:
- Positionierung: In Einzel-Sessions oder gemeinsam mit der internen Kommunikation wird zunächst besprochen, welche Unternehmensziele mit den Linkedin Posts erreicht werden sollen. Denkbar sind die üblichen Verdächtigen wie Employer Branding, Brand Awareness oder positive Reputation.
- Strategie: Im Strategiegespräch werden die Kernthemen, Leitlinien und Botschaften festgelegt, ein Positionspapier erarbeitet und außerdem definiert, wie das Profil des Vorstandes aussehen soll.
- Regelmäßige Redaktionssitzung: In regelmäßigen Meetings mit dem internen Kommunikationsteam stimmen sich alle Beteiligten ab, welche Themen auf Linkedin besprochen werden sollen, sodass das Ghostwriting nah an dem Vorstand dran ist. Alle zwei Wochen ist auch dieser mit von der Partie, um die Inhalte freizugeben.
Linkedin Ghostwriting ist also PR-Arbeit in enger Abstimmung mit dem Kunden. Dabei liegt die Betonung auf Abstimmung. Denn was Zayats und Herzberger nicht machen ist ein sogenannter Account Takeover. Sie lassen sich also nicht einfach die Zugangsdaten für Linkedin geben und bespielen das Profil so, wie sie es für richtig halten.
Der Grund: Ein gutes Linkedin Ghostwriting muss – so sehen es Zayats und Herzberger – immer mit Anekdoten und Erfahrungen gespickt sein. Mit anderen Worten: „Das digitale und das analoge Ich müssen nahezu deckungsgleich sein“, sagt Zayats. Ein Takeover sei daher nur dann denkbar, wenn den Takeover eine Person macht, die nah am Vorstand dran ist. Externe Berater*innen haben diese Nähe zum Vorstand nicht.
„Authentisch, sympathisch und glaubhaft“
Anders als die Agentur Schaffensgeist, berät Michaela Wassenberg mit ihrer Agentur auch Einzelpersonen wie Unternehmens- oder Personalberater*innen darin, sich als Expert*innen auf Linkedin zu positionieren. Auch sie möchte keine Namen von Kund*innen nennen. Wie Schaffensgeist klärt Wassenberg mit den Auftaggeber*innen immer erst die Ziele, die mit den Postings auf Linkedin erreichen werden sollen.
Der nächste Schritt sind dann die sogenannten Personas, also die möglichst kleinteilige Definition der Stakeholder, die mit den Beiträgen erreicht werden sollen. Eine Personalabteilung in einem mittelständischen Unternehmen habe andere Fragen und reagiere auf eine andere Ansprache als Geschäftsführer*innen eines großen Konzerns, so Wassenberg. „Die Zielgruppe legt fest, wie die Beiträge auf Linkedin aussehen müssen. Also: Welche Aufgaben und Interessen hat der Stakeholder, den ich erreichen möchte und welche Antworten kann ich ihm liefern?“, fasst Wassenberg ihr Vorgehen zusammen. Bei dieser Strategie geht es ihr in erster Linie darum, ihre Klient*innen authentisch, sympathisch und glaubhaft zu präsentieren.
„Wir schulen darin, auf Kommentare richtig einzugehen“
Erfolgreiche Linkedin-Beitrage müssen, so Schaffensgeist-Mitgründer Tomas Herzberger, gleich zwei Dinge auf einmal erfüllen: „Der Beitrag muss guter Journalismus sein. Außerdem muss man die Gepflogenheiten, den Linkedin Guide, kennen und befolgen. Dazu gehört, welche Trends und Formate gerade gut bewertet werden, welcher Schreibstil angesagt ist, wie lange der Beitrag sein darf und wann der Artikel ausgespielt wird.“ Nicht zu vergessen: Die Psychologie der Nutzenden. Welche Beiträge kommen an und erzielen gutes Engagement, welche Themen versinken dagegen schnell in der Bedeutungslosigkeit?
Nach der Erstellung des Posts ist die Arbeit noch nicht getan: Wenn der Content in der Welt ist, steht das Community Management an. Herzberger und Zayats schulen ihre Auftraggeber*innen und die Kommunikationsabteilung darin, auf Kommentare von Nutzenden richtig einzugehen. Auch Wassenberg wählt eher den Ansatz „Hilfe zur Selbsthilfe“. Sie versucht ihren Kund*innen die nötigen Skills zu vermitteln, um eigenständig auf Themen und Kommentare eingehen zu können. Damit, wie sie sagt, so etwas wie bei Joe Kaeser, dem ehemaligen Siemens-Chef, nicht passiere. Der hatte sich vor einigen Monaten (auf Twitter) öffentlich über das Verhalten einiger Politiker*innen echauffiert, was ihm nicht nur positive Resonanz einbrachte.
Lieber Linkedin Influencer als eigene Reichweite?
Arian Ruß, Gründer der Agentur Swinx, der nach eigenen Angaben ersten Linkedin-Influencer-Agentur im DACH-Raum, hält dagegen nicht viel vom Linkedin Ghostwriting: „Die Beiträge sind nur dann relevant, wenn die Person aus ihrem Erfahrungsschatz berichtet. Schreibt jedoch ein anderer, fehlen genau diese Einsichten.“ Denn um relevante Postings zu verfassen, brauche es einen intensiven Gedankenaustausch mit dem Ghostwriter, so Ruß. Und genau dafür fehle in vielen Fällen die Zeit. „Das ist ja genau der Grund, warum CEOs oder Vorstände einen Ghostwriter beauftragen: Sie wollen Linkedin aus den Füßen haben.“
Ruß bietet deswegen eine andere Dienstleistung an: In seiner Agentur versammelt er Meinungsführer*innen aus verschiedenen Branchen, die man als Influencer buchen kann. Diese Personen sprechen dann in einem Video oder einem anderen Content-Format über ein Thema, das den jeweiligen Auftraggeber*innen am Herzen liegt, häufig auch mit diesen selbst. 41 Prozent mehr Inbound-Verkaufsgespräche und 314 Prozent mehr Engagement auf Linkedin würden seine Kund*innen verzeichnen, so Ruß.
Aber auch Ruß hat mittlerweile immer häufiger mit Menschen zu tun, die mehr zu sein vorgeben als sie wirklich sind: „Bei mir haben letzte Woche drei Fake Business Influencer angeklopft“, so der Agenturgründer vor Kurzem in einem Post. Diese hätten „Engagement Bait“ oder „Engagement Pods“ (hier ein OMR-Artikel zu der Methode) eingesetzt. „Algo Abzocker“, mit „schwindelerregenden Reichweiten“, die aber kaum etwas wert seien. „Diese Leute schaden dem Ruf der echten Industrie-Experten auf Linkedin, weil Außenstehende sie oft nicht voneinander unterscheiden können.“