Mit Dating-Apps und Pride-Werbung: So geht Digitalmarketing für die LGBTI-Zielgruppe
Kampagnen-Planer haben die LGBTI-Community zu wenig auf dem Schirm
- Die LGB-Community als ideale Online-Marketing-Kandidaten?
- Erreicht man Gays unter 30 medial fast nur noch über Dating-Apps?
- Die angesagten Gay-Dating-Apps: Grindr, Hornet – und Instagram?
- Das LGBTI-Alltagsleben nicht so darstellen, als wäre es nicht „normal“
- Pride-Festivals strategischer für Online- und Offline-Kampagnen nutzen
Rund sechs Millionen Menschen in Deutschland sind nicht heterosexuell, sondern zählen sich zur LGBTI-Community – sind also lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder intersexuell. Obwohl die Zielgruppe unter Marketern als überdurchschnittlich konsumfreudig und kaufkräftig gilt, scheinen sie nur die wenigsten Brands gezielt anzusprechen. Pünktlich zur CSD- und Pridefestival-Hochsaison erklärt OMR, wie man die LGBTI-Zielgruppe digital am besten erreicht und so wertvolle Potenziale hebt.
„Die gesellschaftliche Akzeptanz für Schwule und Lesben wird immer selbstverständlicher und immer mehr Unternehmen erkennen den Nutzen von Gay Marketing“, sagt Marco Steinert. Er ist der Gründer des Berliner Digitalvermarkters Netzdenker, der seit 2009 Online-Kampagnen für homosexuelle Zielgruppen plant, ausliefert und Werbetreibende im Gay-Marketing berät. Gemessen an der Reichweite will das Unternehmen der größte Online-Vermarkter für LGBTI-Publisher in Deutschland, Österreich und der Schweiz sein.
Dass LGBTI-freundliche Unternehmen vor allem in der jungen Zielgruppe ein gutes Image genießen, ist dabei längst nichts Neues mehr. 45 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten unter 34 Jahren würden einer Google-Umfrage von 2014 zufolge mit einer größeren Wahrscheinlichkeit wiederholt bei einem LGBTI-freundlichen Unternehmen einkaufen. Und über die Hälfte würde ein Unternehmen vorziehen, das Gleichberechtigung unterstützt. Die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität sorge gleichzeitig aber auch dafür, dass Planer die LGBTI-Community nur sehr selten separat auf dem Schirm hätten, sagt Steinert: „Das ist verschenktes Potenzial. Die Zielgruppe ist schließlich äußerst lebendig, reist und konsumiert gerne.“Die LGB-Community als ideale Online-Marketing-Kandidaten?
Was Steinert in seinem Job beobachtet, bestätigt sich auch in aktuellen Umfragen: Fast die Hälfte der LGBs findet ihren Lifestyle einer Yougov-Studie zufolge nicht ausreichend in der Werbung widergespiegelt. Die Gruppe sei jung und zu fast 60 Prozent männlich. Werbung nehme sie im Gegensatz zur Gesamtbevölkerung überwiegend nicht im Fernsehen, sondern online wahr. Über die Hälfte der für die Studie befragten LGBs meinen sogar, dass lineares Fernsehen der Vergangenheit angehört – ideale Online-Marketing-Kandidaten also.
LGBs sind laut Yougov zwar im Durchschnitt nicht wohlhabender, wie fälschlicherweise häufig berichtet wird. Aber sie sagen von sich selber: „Mein Stil ist teuer.“ Und sie sind Multiplikatoren – LGBs werden von Freunden und Bekannten deutlich häufiger um Rat gefragt, bevor diese ein Produkt kaufen. Weitere Erkenntnisse: Sie gelten als Trendsetter und mögen es, aufzufallen. Sie gehören zu den ersten im Freundeskreis, die neue Musikkünstler entdecken. Auch auf anderen Gebieten zeige sich die Gruppe progressiv und umweltbewusst. LGBs seien zum Beispiel fast doppelt so häufig Veganer wie der Bevölkerungsdurchschnitt.
Erreicht man Gays unter 30 medial fast nur noch über Dating-Apps?
Laut Marco Steinert ergeben sich aus den langfristigen Trends im Gay-Marketing drei Wege, um die Gruppe digital am besten zu erreichen. Facebook wisse zwar schon recht viel über die sexuelle Orientierung der User und Werbung lasse sich hier mit entsprechendem Targeting gezielt ausspielen. Gays unter 30 seien laut Steinert aber am besten über Gay-Dating-Apps ohne Streuverluste zu erreichen – sei es Grindr, Planet Romeo oder Hornet. LGBTI-Nachrichtenportale und -Blogs werden inzwischen hauptsächlich über soziale Medien angeklickt und weniger direkt aufgerufen. Das Problem dabei: Viele Werbetreibende schließen Werbung in Dating-Apps von vornherein kategorisch aus. Mediaplaner in den Agenturen könnten sie daher nicht immer berücksichtigen. Ein Fehler, so Steinert: „Viele Apps wie Hornet kümmern sich inzwischen um ein hochwertig gestaltetes Marken-Werbeumfeld.“
Die angesagten Gay-Dating-Apps: Grindr, Hornet – und Instagram?
Grindr gilt weltweit inzwischen als größte Gay-Dating-App und hat nach eigenen Angaben über drei Millionen tägliche Nutzer. Der Clou an der Anwendung ist die „Radar“-Standortsuche, die anzeigt, wer gerade in der unmittelbaren Nähe auf Grindr registriert und online ist. Auf Schwulenparties hat das laut Steinert inzwischen zur Folge, dass man sich seltener direkt anspricht, sondern lieber erstmal auf Grindr chattet und checkt, ob das Gegenüber im Raum Interesse an einem Kontakt hat. So intensiv, wie Schwule Grindr nutzen, macht Werbung dort auch ohne detailliertes Targeting wie bei Facebook Sinn.
Hornet positioniert sich im Vergleich zu Grindr etwas hochwertiger. Die Social Media-App wurde 2011 vom deutschen Startup-Serien-Entrepreneur Christof Wittig in San Francisco gegründet. Wittig hat vor Kurzem von sich reden gemacht, als er zusammen mit dem Berliner Blockchain-Tech-Startup OST eine LGBT-Bitcoin-Währung, den „LGBT-Token“ ausgab. Hornet bezeichnet sich selber als „The World’s Premier Gay Social Network“, hat nach eigenen Angaben weltweit über 25 Millionen Nutzer und eine Million Daily Active Users. Die App hat drei Hauptfunktionen: Schwule können sich über ihre “Hornet Guys“-Profile verbinden sowie sich an „Hornet Places“, also lokalisierten LGBT-Orten wie etwa Bars, treffen. Und mit den „Hornet Stories“, einem Portal mit täglich über 25 neuen Artikeln in acht Sprachen von den angeblich weltweit renommiertesten Content-Creatoren der Szene geschrieben, liefert die Anwendung zusätzlich eigene Inhalte. Letzteres solle dank der vollständig redaktionell kuratierten Inhalte eine „markensichere“ Umgebung garantieren, wo „Männer sich und Ihre Marke treffen können“ – so das Versprechen gegenüber Werbekunden.
Laut Marco Steinert wird auch Instagram immer stärker als Dating-App von Schwulen genutzt, die ihre Profile offenhalten, mit Selfies füllen und sich über Hashtags suchen und finden. Facebooks Foto-Plattform färbt Hashtags wie #lgbt, #pride, #pride2018, #gay, #queer und #lovewins automatisch in Regenbogenfarben ein und hat zum Pride-Monat Juni auch Regenbogen-Sticker und -Herzenregen für Stories aufgelegt. Kein Wunder, dass, wer auf Instagram nach diesen Hashtags sucht, auch prompt aktuelle Markenwerbung mit LGBTI-Bezug zu sehen bekommt, zum Beispiel von Condor und Levi’s Germany.
Das LGBTI-Alltagsleben nicht so darstellen, als wäre es nicht „normal“
Zwar gibt es große Werbetreibende wie Calvin Klein, die mit Mainstream-Motiven von Justin Bieber und Kendal Jenner in der Frühjahrskampagne 2016 auch auf den Gay-Plattformen geworben haben. Laut Steinert schätzt es die Community aber sehr, wenn Werbemotive speziell für die Zielgruppe kreiert werden. Im Trend seien Advertorials, die die homosexuelle Lebenswirklichkeit so „normal“ wie möglich darstellen. Gute Beispiele sind laut Steinert zwei junge Frauen, die für ein Motiv des Reiseanbieters Dertour umschlungen am Strand spazieren. Oder ein Werbespot der Deutschen Bahn, in der ein Mann seinem Freund, einem Profifußballer, im ICE zu seinen Spielen hinterherreist.
Auch das Frauenpaar mit Baby, mit dem die Telekom im vergangenen Jahr für die Family Card geworben hat, stieß auf positive Resonanz. Laut Steinert werden solche Advertorials mindestens ebenso geschätzt wie allgemein gehaltene Gleichberechtigungs- und Diversity-Akzeptanz-Kampagnen in Regenbogenfarben. „Es ziehen Markenbotschaften mit Werbemotiven, die die Normalität des LGBTI-Lebens darstellen und Homosexuelle mit Spaß beim Nutzen der beworbenen Produkte zeigen“, sagt Steinert.
Eines komme in der Community allerdings überhaupt nicht gut an: wenn solche Kampagnen nur in den Mainstream-Medien laufen, ohne die LGBTI-Zielgruppen in deren Medien direkt anzusprechen. „Das könnte dann eher als ein Lippenbekenntnis wahrgenommen werden, als ein Feigenblatt, um der aufgeklärten Welt zu zeigen, wie liberal man ist“, so Marco Steinert.
Pride-Festivals strategischer für Online- und Offline-Kampagnen nutzen
Von Mai bis Oktober ist Pride-Saison. Inzwischen finden in diesen Monaten weltweit tausende CSD-Umzüge, Pride-Festivals, -Paraden und Parties statt, auf denen sich Millionen LGBTIs unter dem Motto „Show your Pride“ feiern. Am vergangenen Sonntag, den 22. Juli beispielsweise liefen CSDs parallel in Frankfurt, Mönchengladbach, Trier, Rostock, Leipzig und im Wendland. Gleichzeitig fand in Berlin-Schöneberg das „lesbisch-schwule Stadtteilfest“ mit 350.000 Teilnehmern statt. Am kommenden Wochenende steigen die großen CSDs sowohl in Hamburg als auch in Berlin. Marco Steinert beobachtet, dass Werbetreibende in Deutschland die LGBTI-Massenevents viel weniger für sich nutzen als Brands im Ausland, wo LGBTI-Online-Werbekampagnen strategisch offline verlängert werden – so wie zum Beispiel von Netflix oder Vodafone auf dem World Pride in Madrid 2018. „Da ist noch viel Potential für die Markendarstellung bei einer attraktiven Zielgruppe“, so Steinerts Fazit.