„Enge Freunde“ gegen Bezahlung: Wie Influencer Instagram als Paid-Content-Kanal nutzen

"Gib mir Geld, dann setz ich Dich auf die Liste"

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Inhalt
  1. Mindestens 1.400 US-Dollar monatlicher Umsatz über Patreon
  2. Reaktion auf das Phänomen der „Finsta“-Accounts?
  3. 100 US-Dollar für ein Skype-Gespräch pro Monat
  4. Die Felicia Krull der Influencer-Welt?
  5. „Es ist eine Herausforderung, Content-Ideen zu entwickeln“
  6. 300 Mitglieder zahlen 100 US-Dollar für eine Mitgliedschaft
  7. „Ich zeige Dir über Instagram Storys günstige, alte Häuser“
  8. Ein deutscher Eltern-Blog mit 493 Unterstützern

Eigentlich soll ein Platz auf der „Enge Freunde“-Liste auf Instagram eben genau jenen vorbehalten sein: den engsten Vertrauten der Nutzer. Doch einige findige Instagrammer haben das Feature als Chance zur Monetarisierung entdeckt: Wer der Liste hinzugefügt werden möchte, muss dafür bezahlen – und erhält im Idealfall im Gegenzug exklusiven Content. OMR zeigt internationale und deutsche Beispiele sowie verschiedene Content-Strategien.

„Für 3,33 US-Dollar füge ich Euch auf meinem Instagram-Account der ‚Enge Freunde‘-Liste hinzu“, schreibt Gabi Abrão, auf Instagram unter dem Namen „Sighswoon“ aktiv, auf ihrer Patreon-Seite. Als Mitglied dieser Liste erhalten die zahlenden Instagram-Follower dann Zugriff auf Instagram Stories mit persönlichen Updates, neuen und alten von Abrão verfassten Gedichten und Prosastücken sowie Ratgeber-Sitzungen. „Ich poste die ‚Frag mich irgendwas‘-Boxen nur noch in meiner ‚Enge Freunde‘-Liste. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Eure Frage beantwortet wird.“

Mindestens 1.400 US-Dollar monatlicher Umsatz über Patreon

92.400 Nutzer folgen Abrão auf Instagram; die 25-jährige US-Amerikanerin hat sich vor allem mit dem Posten von Memes über Wellness (im Sinne von „persönlichem Wohlbefinden“) und geistiger Gesundheit ein Publikum aufgebaut. Mittlerweile postet sie aber auch immer häufiger Fotos von sich, zu denen sie mit langen Captions aus ihrem Leben berichtet. Laut ihrer Patreon-Seite bezahlen bereits 432 Unterstützer dafür, um zusätzliche Inhalte von Abrão abrufen zu können. Mindestens 1.400 US-Dollar Brutto-Umsatz generiert die Instagrammerin also auf diesem Wege. Wer mehr als die Mindestsumme zahlt, erhält dem Patreon-Modell entsprechend Zugang zu weiteren Inhalten, wie etwa einem schriftlichen persönlichen Wochenrückblick.

Nachdem die US-Zeitschrift „The Atlantic“ über Abrão und andere Instagrammer, die Instagrams „Enge Freunde“-Liste als Paid-Content-Kanal nutzen, berichtete, zieht Abrão in einem Instagram-Post ein positives Resümee: Sie habe auf ihrem Sighswoon-Account von Anfang an sehr offen und verletzlich über ihr Leben berichtet. Mit dem Follower-Wachstum hätte dann auch die Zahl aufdringlicher Nachrichten und „irritierter Passanten“ zugenommen. „Mit dem ‚Enge Freunde‘-Feature werde ich nun von Menschen gelesen, die mich wirklich lesen wollen. Das ist wunderbar.“

Reaktion auf das Phänomen der „Finsta“-Accounts?

Die Monetarisierung von „privateren Inhalten“ kannte man bisher eigentlich eher aus der Online-Porno-Branche. „Erotik“-Youtuberin Katja Krasavice beispielsweise experimentierte bereits 2017 mit einem Snapchat-Account, über den sie ankündigte, nicht jugendfreie Inhalte zu teilen, und bei dem sie Nutzer nur gegen Bezahlung als Kontakt hinzufügte. Über Plattformen wie „Only Fans“ oder „Just Fans“ versuchen aktuell häufig eigenständig agierende „Porno-Influencer“, ihre treueste Fans in Abonnenten umzuwandeln.

Die „Enge Freunde“-Liste auf Instagram hat Plattform-Betreiber Facebook im November 2018 wohl ursprünglich eingeführt, damit Instagram-Nutzer nicht immer nur den „schönen Schein“ wahren müssen, sondern möglicherweise auch ohne sozialen Druck weniger positive oder schöne Erlebnisse mit Freunden teilen können. Der Schritt war möglicherweise auch eine Antwort auf das Phänomen der so genannten „Finsta-Accounts“: Viele junge Instagram-Nutzer betreiben wohl neben ihrem Haupt-Account einen weiteren privaten, bei denen sie nur ihre engsten Freunde als Abonnenten akzeptieren.

100 US-Dollar für ein Skype-Gespräch pro Monat

Findige Influencer haben das Feature jedoch als Monetarisierungs-Chance entdeckt. Gabi Abrão alias Sighswoon ist nicht die einzige Instagrammerin, die ihre „Enge Freunde“-Liste als Paid-Content-Kanal nutzt. Die Follower von Caroline Calloway beispielsweise können sich ebenfalls über die Patreon-Seite der jungen US-Amerikanerin zum Preis von zwei US-Dollar im Monat auf Calloways Liste einkaufen. „Jeden Tag bekommt ihr ein bisschen zusätzliche Geschichten, Witze, Dramen, Nacktbilder, Pflanzen, usw.“, so die Instagrammerin. Wer 100 US-Dollar im Monat zahlt, dem verspricht Calloway einmal im Monat ein einstündiges Gespräch via Skype. 345 „Patrons“ hat Calloway laut Patreon bereits angesammelt; wie viele davon den Mindestbetrag und wie viele mehr zahlen, ist von außen nicht ersichtlich.

Die heute 27-Jährige hat sich von 2015 an mit vermeintlich autobiographischen Posts (so genannten „Adventuregrams“) auf Instagram einen Namen gemacht, mit denen sie dem Anschein nach einen Einblick in ihr ereignisreiches Leben als Studentin an der Cambridge University gab. 2015 erhielt sie einen Autorenvertrag, der zwei Jahre später wieder aufgehoben wurde, nachdem sich Calloway offenbar außer Stande sah, das Buch, so wie es geplant war, fertigzustellen. Die Vorauszahlung hatte die junge US-Amerikanerin zu diesem Zeitpunkt schon ausgegeben.

Die Felicia Krull der Influencer-Welt?

Im Frühjahr 2019 veranstaltete Calloway eine umstrittene Kreativitäts-Workshop-Tour (Teilnahmegebühr: 165 US-Dollar) durch mehrere US-Städte, die nach zwei  Stationen abgesagt wurde. Im September sorgte nun eine äußerst lesenswerte vom New York Magazine veröffentliche Schilderung einer ehemaligen engen Freundin und bis dahin unbekannten Ghostwriterin Calloways über ihre gemeinsame Zeit für großes Aufsehen in der US-Influencer- und -Digitalmedien-Szene (hier eine neutrale Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse von Buzzfeed).

Aktuell folgen Calloway 799.000 Menschen auf Instagram. The Atlantic zitiert eine zahlende Abonnentin der „Enge Freunde“-Liste Calloways, die Voyeurismus zum Abschluss des Abonnements bewogen habe: Wo doch Calloway schon bisher äußerst private Dinge öffentlich geteilt habe, „wie sollte ich etwas nicht sehen wollen, das sie als intim genug einstuft, um es hinter eine Paywall zu packen?!“. Eine weitere Abonnentin berichtet gegenüber dem US-Medium jedoch, dass Calloway bislang nicht viel über die Liste geteilt habe und das Meiste davon später auch in den regulären Instagram Stories aufgetaucht sei.

„Es ist eine Herausforderung, Content-Ideen zu entwickeln“

Auch die Reise-, Mode- und Beauty-Influencerin Ashley Torres (222.000 Follower auf Instagram) verkauft über Patreon für mindestens sechs US-Dollar im Monat Plätze auf ihrer „Enge Freunde“-Liste. Bisher haben 29 Nutzer das Angebot wahrgenommen. Ihr Leben sei sowieso schon ein offenes Buch, so Torres gegenüber The Atlantic. Deswegen sei es eine Herausforderung, Ideen für bezahlten Content für die „Engen Freunde“ zu entwickeln. Mittlerweile berichte sie täglich über ihrem morgendlichen Kaffee in einem „ungeskripteten und ungeschnittenen Plausch“ davon, was in ihrem Leben gerade vor sich geht.

Andere Instagram-Account-Betreiber nutzen die „Enge Freunde“-Liste weniger, um ihr Privatleben zu vermarkten, sondern um eher Inhalte-getriebenen Content zu verkaufen, der mit ihnen persönlich wenig bis gar nichts zu tun hat. Die in London lebende Finnin Jenny Gyllander beispielsweise betreibt seit 2018 den Account „thingtesting“, auf dem sie Tests von Produkten angesagter Direct-to-Consumer-Startups veröffentlicht (wir hatten an dieser Stelle bereits über sie berichtet). 35.000 Abonnenten folgen Gyllanders Account mittlerweile.

300 Mitglieder zahlen 100 US-Dollar für eine Mitgliedschaft

Den Fans ihres Accounts bietet Gyllander (ohne Patreon dafür zu nutzen) für 100 US-Dollar den Erwerb einer lebenslangen Mitgliedschaft an, die die Aufnahme in ihre „Enge Freunde“-Liste beinhaltet. Die Abonnenten der Liste erwartet Rabatt-Codes, Unboxing-Videos und damit auch eine Vorschau dazu, welche Produkte als nächstes getestet werden, sowie anderer „Hinter den Kulissen“-Content und Zugang zu Mitglieder-Events. 300 „thingtesting“-Fans sind bereits Mitglied; aktuell gibt es eine Warteliste.

„Für Thingtesting war das eine perfekte Möglichkeit ein Mitgliedschaftsprogramm zu starten, und die Community treibt alles an, was wir tun“, schreibt Gyllander in einem Tweet als Reaktion auf den Atlantic-Artikel. Vor wenigen Tagen hat die 29-Jährige, die zuvor als VC-Managerin gearbeitet hat, mit thingtesting von mehreren Business Angels erstmals selbst Geld eingesammelt: ein Pre-Seed-Investment von 300.000 US-Dollar, wie Techcrunch schreibt.

„Ich zeige Dir über Instagram Storys günstige, alte Häuser“

Wer über Google die Patreon-Seite nach weiteren Beispielen durchsucht, stößt beispielsweise auf den Zeichner Dalton Stark, dem auf Instagram 37.200 Nutzer folgen, und dem auf Patreon 128 Nutzer insgesamt 940 US-Dollar monatlich u.a. dafür zahlen, dass sie Mitglieder seiner „Enge Freunde“-Liste werden und dort exklusive Zeichnungen sehen dürfen. Auf dem Account „Cheap Old Houses“ (aktuell 561.000 Follower) stellt die Immobilienmaklerin Elizabeth Finkelstein weltweit zum Verkauf stehende, günstige (aber meist stark renovierungsbedürftige) alte Häuser vor. Im Januar dieses Jahres richtete sie einen Patreon-Account ein. 645 Unterstützer zahlen dort zwischen zwei und 30 US-Dollar monatlich u.a. dafür, über die „Enge Freunde“-Liste mindestens ein zusätzliches Haus pro Tag gezeigt zu bekommen.

In der deutschsprachigen Region ist die Nutzung der „Enge Freunde“-Liste als Paid-Content-Kanal offenbar noch relativ wenig verbreitet. Der Eltern-Blog „Langsam Achtsam Echt“, betrieben von der in Berlin lebenden Anna Brachetti, ist mit aktuell knapp 65.000 Instagram Abonnenten offenbar der reichweitenstärkste Account, der dieses Mittel nutzt. Über die oft mit Patreon verglichene deutsche Plattform Steady (hier im OMR-Porträt), die es Publishern ermöglicht, Mitgliedschaften zu verkaufen, bietet die Mutter dreier Kinder zahlungswilligen Followern drei verschiedene Mitgliedschaften zu 2,50 Euro, fünf Euro oder zehn Euro an.

Ein deutscher Eltern-Blog mit 493 Unterstützern

Ab einer Zahlung von fünf Euro im Monat packt Brachetti die Abonnenten auch bei Instagram auf ihre „Enge Freunde“-Liste. Dort teile sie weitere Inhalte, schreibt die Bloggerin auf ihrer Steady-Seite. „Ihr könnt Bücher und Themen vorschlagen und darüber abstimmen, welches Thema am Dienstag oder Freitag vorgestellt werden soll.“ 493 Unterstützer verzeichnet Brachetti bislang; mindestens 1.232,50 Euro im Monat setzt sie damit also monatlich über Steady um. Abgezogen davon werden noch zehn Prozent Provision sowie eine eventuelle Gebühr für die Zahlungsabwicklung.

Weitere deutschsprachige Beispiele: der Podcast „Gedankensalat“ (841 Follower auf Instagram, sechs Mitglieder auf Steady) und der Wiener Koch Valentin Helml (18.100 Follower auf Instagram, drei Patrons auf Patreon). Möglicherweise können Instagrammer über die „Enge Freunde“-Funktion in Zukunft eine Community komplett managen. Wie der US-Tech-Blog The Verge im August 2018 berichtete, arbeitete Facebook an einer gesonderten Messaging-App namens „Threads“, die das Teilen von Nachrichten und Inhalten zwischen „Engen Freunden“ auf Instagram noch leichter machen soll. Die Nutzer sollen u.a. eine Status-Meldung und ihren Aufenthaltsort teilen können. Zwar plant Facebook auch diese App eigentlich für „Real Life Friends“. Doch es wäre ja nicht das erste Mal, dass findige Influencer Funktionen in ihrem Sinne zweckentfremden.

InfluencerInstagramPaid Content
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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