8.000 Meter freier Fall – Darum war Mondelez‘ Marketing-Stunt top, online aber ein Flopp

Torben Lux9.8.2016

Mondelez wollte mit „Heaven Sent“ Kaugummi bewerben

Mondelez Marketing Fail
Inhalt
  1. Kostenpflichtiger Stream und gesperrte Youtube-Videos
  2. Dritte holen sich die Views, die Stride Gum nicht will
  3. Auch Instagram funktioniert bei der „Heaven Sent“-Kampagne nicht wie geplant
  4. Das „Fearless Media Monetization Model“ hinter der Marketing-Aktion

Ihr habt sicher davon gelesen: „Heaven Sent“ sollte eine spektakuläre und vor allem effektive Marketing-Aktion werden. Lebensmittelriese Mondelez (früher Kraft Foods) ließ kürzlich einen Stuntman nach rund 8.000 Meter freiem Fall ohne Fallschirm in einem riesigen Auffangnetz landen und wollte damit live auf Fox für die Kaugummi-Marke „Stride Gum“ werben. Ein in der Theorie extrem hoher Mediawert, der online auf Grund einer fragwürdigen Youtube-Strategie nahezu komplett verpuffte. Online Marketing Rockstars erklärt, was da schief gelaufen ist.

Die Aktion erinnert stark an Felix Baumgartners Stratosphärensprung aus einer Druckkapsel in fast 39 Kilometer Höhe 2012. Statt des Energy-Drinks Red Bull wollte jetzt aber der amerikanische Lebensmittelhersteller Mondelez (früher Kraft Foods, u.a. Milka, Oreo, Daim) für seine Kaugummi-Marke Stride Gum werben. Luke Aikins, der Extremsportler war unter anderem Trainingspartner von Baumgartner beim Sprung aus dem All, sprang auf einer Höhe von 25.000 Fuß (rund 7,6 Kilometer) aus einem Flugzeug. Kein Fallschirm, kein Wingsuit, ein nur 30 mal 30 Meter großes, an vier Fahrzeugkränen befestigtes Auffangnetz als Ziel und alles in einer einstündigen Sondersendung live beim US-Sender Fox – der realisierte Mediawert von „Heaven Sent“ dürfte schon nicht ganz so schlecht gewesen sein. Trotzdem wurde enorm viel Potenzial verschenkt, denn online war die Marketing-Aktion ein großer Flopp.

Kostenpflichtiger Stream und gesperrte Youtube-Videos

Ersten Daten von Nielsen Media Research zufolge schauten 1,37 Millionen Menschen aus der Zielgruppe der 18 bis 49-Jährigen die erste halbe Stunde von „Heaven Sent“ auf Fox, während der zweiten Hälfte waren es 1,51 Millionen. Auch wenn das Event gegen konkurrierende Formate wie den Film „Rush Hour“ oder die Show „America’s Got Talent“ auf ABC, CBS und NBC den Kürzeren zog, bleibt für eine rein für Marketingzwecke entwickelte Veranstaltung eine sehr ordentliche Reichweite. Die komplette Show inklusive Flugzeug war natürlich komplett im CI der Kaugummi-Marke gebrandet.

Und online? „Werben & Verkaufen“ schreibt, Stride Gum vermarkte den Sprung nun breit in seinen sozialen Kanälen. Das Gegenteil ist aber der Fall, selbst das im Artikel eingebundene kurze Youtube-Video stammt nicht vom offiziellen Stride Gum-Kanal. Das hat einen einfachen Grund: Zwar wurde parallel zur Fox-Übertragung ein Youtube-Livestream angeboten, dieser aber hinter einer Bezahlschranke versteckt. 1,99 US-Dollar sollte der User für die Übertragung zahlen. Außerhalb der USA war zeitweise gar kein Content auf dem Kanal verfügbar.

Stride Gum Heaven Sent Marketing Fail

Dritte holen sich die Views, die Stride Gum nicht will

Entsprechend negativ fallen die Bewertungen zu diesem Video aus. Ein 16 Sekunden kurzer Trailer zum Event war eine Zeit lang der einzige frei verfügbare Content auf dem Youtube-Kanal von Stride Gum. Zwar wurde der inzwischen über 1,1 Millionen Mal angeschaut, auch hier sind die Bewertungen aber eher durchschnittlich und in den Kommentaren beschweren sich User über die Paywall. Ob Mondelez auf Grund der negativen Kritik kurzfristig eingelenkt hat, oder ob es sowieso geplant war, die gesamte Übertragung nachträglich ohne Bezahlschranke hochzuladen, ist unklar. Klar ist allerdings, dass das einen Tag nach der Aktion freigegebene Video viel zu spät kam, um vom Buzz der TV-Sendung zu profitieren. Bis heute hat der 62-Minuten-Clip magere 3.000 Views und vier Kommentare. Auf einem weiteren, älteren Kanal von Stride Gum erreicht ein 360-Grad-Video des Events 500 Aufrufe, ein ebenfalls im 360-Grad-Format hochgeladener Trailer erreicht über 15.000 Views.

Während Stride Gum sich also mit allen Mitteln gegen positive Aufmerksamkeit und Reichweite auf dem eigenen Youtube-Kanal gewehrt hat, profitierten andere von der Nachfrage nach „Heaven Sent“. Laut dem Statistik-Tool VeeScore generierte das Thema alleine in den ersten vier Tagen 15 Millionen Views. Nur rund 500.000 kommen von Stride Gum’s Trailer selber und nur bei 1,5 Millionen Views wurde der Markenname auch in der Headline der Videos genannt. Bis heute haben sich die Views bei Dritten entsprechend erhöht, Russlands Auslandssender RT beispielsweise kommt mit einem 2-minütigem Clip schon auf über 2,6 Millionen Views.

Heaven Sent Youtube Marketing

Die zehn erfolgreichsten Youtube-Kanäle zum Thema „Heaven Sent“ vier Tage nach dem Event (Quelle: VeeScore).

Auch Instagram funktioniert bei der „Heaven Sent“-Kampagne nicht wie geplant

Parallel zur Youtube-Strategie gibt es noch weitere Anzeichen, dass Stride Gum „Heaven Sent“ online nicht komplett zu Ende gedacht hat. Auf der Landingpage (ein Tumblr-Blog) ist inzwischen die kaum geklickte, komplette Übertragung von Youtube eingebunden. Vorher konnten User, ohne zu bezahlen, nichts sehen. Der Twitter-Button auf der Seite verlinkt nicht etwa auf das Stride Gum-Profil, sondern auf die allgemeine Startseite von Twitter. Und der Instagram-Button führt zwar zum richtigen, eigens für „Heaven Sent“ erstellen Profil, dem folgen aber nur 137 Menschen.

Seit Ende Juli stehen in den App Stores auch entsprechende Apps zum Download zur Verfügung. Bei „Heaven Sent the Game“ muss der Spieler eine Figur nach dem Absprung aus einem Flugzeug sicher zum Auffangnetz manövrieren; Vögel und andere Hindernisse wollen das verhindern. Die Apps sind jeweils kostenlos, allerdings kann per In-App-Kauf ein stärkerer Spieler gekauft werden. In Apples App Store wurde das Spiel bisher nicht bewertet, in Googles Play Store erreicht das Spiel bei 49 Bewertungen einen Schnitt von 3,9. Sie wurde dort 1.000 bis 5.000 Mal heruntergeladen.

Das „Fearless Media Monetization Model“ hinter der Marketing-Aktion

Ende Mai dieses Jahres kündigte Mondelez das sogenannte „Fearless Media Monetization Model“ an, mit dem der ROI (Return on Invest) vom globalen Mediaspending erhöht werden soll. Ein Teil dieser Strategie war auch „Heaven Sent“. In der Ankündigung sagt Laura Henderson, Global Head of Marketing & Media Monetization, man wolle hochwertigen Content erstellen, der Aufmerksamkeit bekommt und gut genug ist, um Geld zu machen. Ob das für Stride Gum jetzt nach Plan funktioniert hat, darf zumindest bezweifelt werden. Bonin Bough, Chief Media and E-Commerce Officer und Ende Februar noch als Speaker auf unserer großen Festival-Bühne, ist sich sicher, dass so die Zukunft aussieht, wie Brands und Advertiser mit Kunden in Kontakt kommen. 2015 machte Mondelez einen Umsatz von fast 30 Milliarden US-Dollar, für digitales Marketing werden jährlich dreistellige Millionenbeträge ausgegeben.

Für die Veranstaltung zeichnen sich neben Precision Food Works und Amusement Park Entertainment auch die Londoner Agentur Wieden + Kennedy verantwortlich, die in der Vergangenheit schon einige Kampagnen für Stride Gum umgesetzt hat. Unter anderem übernahm Snapchat-Phänomen DJ Khaled zwischenzeitlich den Unternehmens-Account und promotete dort „Heaven Sent“. Sowieso bemüht sich die Kaugummi-Marke immer wieder, mit außergewöhnlichen Marketing-Aktionen aufzufallen. 2007 wurde ein E-Sport-Turnier organisiert, ein Jahr später bezahlte Mondelez den Youtuber Matt Harding, um mit Stride Gum tanzend um die Welt zu reisen. Ebenfalls 2008 spielte das Kaugummi sogar eine wesentliche Rolle in der erfolgreichen Fernsehserie „Smallville“. Vielleicht hätte man auch dieses Mal im Vorfeld an Serien denken sollen – die Google-Suche nach dem Kampagnennamen „Heaven Sent“ zeigt vor allem Infos zur gleichnamigen Folge der Serie „Doctor Who“ an.

Vielen Dank an Kollege Randolf Jorberg vom OMClub für den Hinweis!

Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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