Video- statt Newsfeed: Wie Facebook Video noch härter pusht – und Publisher das ausnutzen
Entsteht durch den Video-Boom ein neuer Typ Viralseiten?
- So wird der Nutzer von einem Video ins nächste geführt
- Zwischengeschaltete Werbung im gesonderten Video-Feed
- Gibt es Publisher, die vom Recommendation-Traffic leben?
- 2.500 Fans, 36.000 Interaktionen
- Video-Optimierung für Facebook erhöht die Traffic-Chancen
Facebook will sich mit aller Macht noch stärker als Bewegtbildplattform etablieren – und denkt sich dafür immer neue Funktionen aus. Wir sind auf Facebook tief in den Video-Bereich eingetaucht und dabei auf neue, kaum bekannte Viral-Publisher gestoßen, die offenbar von den neuen Möglichkeiten profitieren und auf diese Weise Millionen-Reichweiten erzielen. Anhand von Screenshots zeigen wir außerdem, wie Facebook die Nutzer dazu bringen will, noch mehr Bewegtbildinhalte zu konsumieren. Wer einmal eine virale Video-Seite bei Facebook geliket hat, dem werden regelmäßig Videos relativer günstiger Machart in die Timeline gespült: Kochvideos, Videos, die Funktionsweise ungewöhnlicher Maschinen erklären, Dashboard-Cam-Videos, die spektakuläre Unfälle oder Beinahe-Unfälle zeigen – jeglicher Bewegtbildinhalt, dem es möglicherweise gelingen könnte, innerhalb von Sekunden die Neugier des Betrachters zu wecken. Woher der Content stammt, ist nicht zweifelsfrei zu ermitteln. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass ein großer Teil der Videos von anderen Influencern, „Creatorn“ und Youtube-Kanälen übernommen und möglicherweise noch leicht bearbeitet wurde.
So wird der Nutzer von einem Video ins nächste geführt
Ein Beispiel: Wir haben die Seite Viral USA seit unserem Artikel über gefakte Live-Videos bei Facebook geliket. Diese repostet mittlerweile hauptsächlich Videos der Facebook-Seite „Interesting Videos“. Wer sich solch ein Video länger anschaut, dem werden plötzlich unter dem Video in einer Karussellansicht weitere Videos empfohlen – jedoch nur, wenn man die Facbook-App über Wlan nutzt. Augenscheinlich berücksichtigt Facebook hier sogar die Tageszeit: Abends wurden uns mehr Videos ausgespielt als tagsüber.
Wischt man sich durch das Video-Karussell durch, wird der jeweilige Clip auch im Kleinformat abgespielt – wenn auch der Ausschnitt nicht das gesamte Bild zeigt. Nachdem wir mehrere dieser Videos angeschaut hatten, lieferte uns Facebook mit nahezu jedem dritten Post im Newsfeed eine Video-Empfehlung aus, überschrieben mit: „Ein Video, das dir gefallen könnte“. Die Videos stammten dabei von Seiten, die wir gar nicht mit „Gefällt mir“ markiert hatten.
Sucht man bei Google und Facebook nach der Phrase „ein video, das dir gefallen könnte“, vermitteln die Ergebnisse den Eindruck, dass dieses Format in Deutschland erst seit einigen Monaten von Facebook ausgespielt wird. Eine Twitter-Suche nach der englischsprachigen Version („Videos you may like“) zeigt, dass Facebook in den USA offenbar schon seit etwa einem Jahr Videos auf diese Art empfiehlt, wenn auch die Zahl der Tweets zu diesem Thema seit Anfang des Jahres zugenommen haben scheint. Nicht immer sind die Nutzer glücklich mit den Videos, die Facebook ihnen empfiehlt.
Video-Empfehlungen in Post-Form ist offenbar eines der jüngeren Mittel, mit denen Facebook die Zahl der Video-Abrufe steigern möchte. Im Februar kündigte Facebook außerdem an, dass Videos auf dem Handy künftig direkt mit aktiviertem Sound abgespielt werden sollen. Außerdem werden die Nutzer künftig ein Video in einem kleineren Fenster weiterschauen können, während sie sich durch ihren Newsfeed scrollen. Wie Adweek gerade verkündete, soll diese Funktion nach dem Smartphone nun auch auf dem Desktop eingeführt werden, womit Facebook möglicherweise auch neues Werbeinventar erschließen kann.
Zwischengeschaltete Werbung im gesonderten Video-Feed
Schon im Jahr 2015 hat Facebook einen gesonderten Video-Feed eingeführt. Öffnet der Nutzer ein Video, wird ihm darunter gleich ein weiteres angezeigt. Hat er das erste Video zu Ende geschaut, startet automatisch das nächste.
Zwischen den Videos platziert Facebook bezahlte Werbeclips. Wie Recode im Jahr 2015 bei der Einführung der Funktion berichtete, werden die so erzielten Werbeumsätze zwischen Facebook und Publishern aufgeteilt: 45 Prozent erhält Facebook, 55 Prozent werden unter den Publishern aufgeteilt, deren Videos der Nutzer angesehen hat, abhängig von der Sehdauer des jeweiligen Videos.
In diesem Januar nun führte Facebook auch Midrolls, also Unterbrecherwerbung innerhalb der Videos ein. Wie Recode berichtet, werden diese nur bei Videos ab 90 Sekunden Länge und nur wenn der Nutzer mindestens 20 Sekunden geschaut hat ausgeliefert.
Gibt es Publisher, die vom Recommendation-Traffic leben?
Möglicherweise ist es der Ausblick auf diese Werbeeinahmen, der eine neue Klasse von Publishern anlockt. Im Rahmen unserer Recherche sind wir auf mehrere Viralseiten gestoßen, die mit relativ günstig produzierten Videos beeindruckende Reichweiten erzielen. Auch hier ist der Content augenscheinlich entweder von Youtube recyclet, oder von Firmen wie Jukin Media lizensiert, über die wir an dieser Stelle schon ausführlicher berichtet hatten. Manchen von ihnen gelingt es augenscheinlich nicht nur, Massen von Video-Abrufen zu generieren, sondern auch ein Engagement, dass das ihrer Fan-Zahl bei Weitem übersteigt.
Ein Beispiel: Eine simpel „Go“ betitelte Seite, die 1,05 Millionen Fans verzeichnet, über die in den vergangenen sieben Tagen aber 13,5 Millionen Facebook-Nutzer gesprochen haben. Mit dieser Kennzahl misst Facebook alle Nutzer, die in irgendeiner Weise mit der Seite interagiert, also Inhalte geliket, kommentiert oder gesharet haben. Die beiden Top-Videos der Seite verzeichnen 53 Millionen Views bzw. 42 Millionen Views.
Ein weiteres englischsprachiges Beispiel: LaughVids, mit 1,86 Millionen Fans. Mit dieser Seite haben in den vergangenen sieben Tagen 4,2 Millionen Facebook-Nutzer interagiert.
Die bereits erwähnte Seite „Interesting Videos“ verzeichnet 78.000; 232.000 haben über sie „gesprochen“.
2.500 Fans, 36.000 Interaktionen
Auch deutschen Seiten, die ihren Schwerpunkt auf Video-Inhalte setzen, gelingen solche Erfolge: Die Seite „Video Snacks“ verzeichnet 366.000 Fans, 422.000 haben zuletzt mit ihre interagiert. Im April gehörte „Video Snacks“ laut Tubular Labs zu den Top 10 deutschen Video-Publishern bei Facebook. Die Seite „RollMichWeg“ verzeichnet relativ bescheidene 2.500 Fans, aber 36.000 haben zuletzt auf ihre Inhalte reagiert.
Es ist durchaus denkbar, dass Facebooks Video-Empfehlungen für diese Publisher der entscheidende Traffic-Bringer sind. Von großen Youtubern ist auch immer wieder zu hören, dass die Youtube-Surfer, die sich aus Neugier von Video zu Video klicken, für sie die wichtigste Traffic-Quelle sind – entsprechend haben sich etwa die Betreiber der Kanäle Junkfoodtaster und Animated Surprise Eggs gegenüber OMR geäußert.
Video-Optimierung für Facebook erhöht die Traffic-Chancen
Ähnlich wie Youtuber dürften es auch Facebook-Seitenbetreiber nicht direkt beeinflussen können, dass ihre Videos auf ihrer Plattform empfohlen werden. Aber durch entsprechende Optimierungen, etwa von Format (auf Facebook funktionieren quadratische Videos besonders gut) und Länge, lässt sich die Wahrscheinlichkeit offensichtlich steigern.
Weil Facebook das Thema Bewegtbild derzeit am stärksten pusht und es damit am leichtesten ist, organische Reichweiten zu erzielen, dürfte Video entsprechend auch für Viral-Publisher auf Facebook das attraktivste Segment sein – wenn es ihnen gelingt, Videos kostengünstig zu produzieren. Die Qualität der Videos, die sich auf diese Weise finden lassen, lässt derzeit zumindest darauf schließen, dass einige Publisher damit derzeit erfolgreich sind.