Erst verlacht, nun beneidet: Mit QR Codes aus Bielefeld heraus zum wohl neunstelligen Exit

Wie Egoditor mit Hilfe von Search Marketing zum millionenschweren SaaS wurde

Nils Engelking (links) und Nils Drescher, die beiden Gründer von Egoditor, vor ihrem Firmen-Standort in Bielefeld
Nils Engelking (links) und Nils Drescher, die beiden Gründer von Egoditor, vor ihrem Firmen-Standort in Bielefeld (Foto: Unternehmen)
Inhalt
  1. War Egoditor zuletzt 300 Millionen Euro wert?
  2. Mit Website-Baukasten gescheitert
  3. Google spendiert kostenlos Besucher
  4. Von Null auf fünfstelligen Monatsumsatz
  5. Attraktives Pricing soll vom „Selberbauen“ abhalten
  6. Die USA ist der wichtigste Markt
  7. Absolventa-Gründer hilft bei der Professionalisierung
  8. Corona bringt Rekordumsätze
  9. 340 Prozent EBITDA-Wachstum

Ein QR-Code-Generator-Anbieter aus Bielefeld: Vor der Corona-Krise hätten einige ein solches Startup vielleicht noch als Kuriosum abgetan. Doch nicht nur war Egoditor schon zuvor einer der weltweit größten Player in Sachen QR Codes – mit der Pandemie ist das Unternehmen nach eigenen Angaben auch im dreistelligen Prozentbereich gewachsen. Nun ist Egoditor von Bitly aufgekauft worden – zu einer Bewertung, die mutmaßlich im dreistelligen Millionenbereich liegt. OMR hat mit Mitgründer Nils Engelking gesprochen und ist dem Erfolgsrezept des Startups auf den Grund gegangen.

Nils Engelking kennt sie alle, die Witze über QR-Codes: Das Flussdiagramm, das Antwort auf die Frage gibt, ob die Einbindung eines QR Codes sinnvoll ist (die endgültige Antwort: „Oh mein Gott, nein!“). Der Blog, der Fotos von Menschen zeigt, die QR Codes scannen, der aber keinen Eintrag hat – weil das eben niemand wirklich tut. Oder der Tumblr-Account, der absurde Beispiele von QR-Codes sammelt, u.a. einen Code an U-Bahn-Haltestelle, den wohl nur lebensmüde wirklich abzuscannen versuchen.

War Egoditor zuletzt 300 Millionen Euro wert?

„Ja, es ist schon so, dass man am Anfang belächelt wurde“, sagt Engelking im Video-Call mit OMR, mit leichtem Schmunzeln um die Mundwinkel. Der 36-Jährige hat von 2011 an gemeinsam mit seinem Co-Gründer Nils Drescher unter dem Namen Egoditor ein Unternehmen rund um QR-Codes aufgebaut. Das betreibt u.a. unter den Domains QRCode-Generator.de und QR-Code-Generator.com Websites, auf denen Privatpersonen kostenlos QR Codes erstellen können; Firmen können ein Abo zur Nutzung der Software abschließen, um Codes en masse generieren und diverse Zusatzfunktionen nutzen zu können.

In der vergangenen Woche hat nun das US-Unternehmen Bitly die Übernahme von Egoditor verkündet. 30 Millionen Euro wiederkehrenden jährlichen Umsatz (ARR) soll die Bielefelder Firma zuletzt generiert haben, so die Private-Equity-Firma Flex Capital, die von März 2020 an die Mehrheit an Egoditor hielt. Wie viel nun Bitly für Egoditor zahlt, dazu macht keine der beteiligten Parteien öffentliche Angaben. Der Branchendienst Deutsche Startups spekuliert über einen Kaufpreis von 300 Millionen Euro.

Mit Website-Baukasten gescheitert

Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass der Deal auf Basis einer Bewertung in dieser Höhe stattfindet: Ein zehnfaches ARR-Multiple war in den vergangenen Jahren bei Software-as-a-Service-Firmen (SaaS) ab einer gewisser Größe und bei einem bestimmtem Umsatzwachstum quasi Branchenstandard. In den vergangenen beiden Jahren haben die Bewertungen von SaaS-Unternehmen nochmals angezogen.

Um in diesen Sphären anzukommen, benötigten die beiden Egoditor-Gründer einen langen Atem. Gegen Ende der Nuller-Jahre hatten sich die beiden zunächst als Anbieter eines Website-Baukastens versucht. Doch Konkurrent Jimdo war damals schon sehr groß; 1und1 schaltete für das eigene Produkt aufmerksamkeitsstark TV-Werbung. „Da haben wir gemerkt: Das wird nichts“, so Nils Engelking.

Google spendiert kostenlos Besucher

Die beiden Gründer verkaufen ihren Baukasten an ein Hosting-Unternehmen und investieren das so eingenommene Geld in eines von Nils Dreschers diversen, bereits bestehenden Internetprojekten: eine Seite mit einem QR-Code-Generator. Die habe er damals aus reiner Neugier heraus innerhalb von zehn Stunden gebaut, so Drescher einmal gegenüber Business Insider. Weil die Website schon damals über Google relevanten Traffic bekommen habe, entschließen sich die beiden, mehr daraus zu machen. „Wir haben gesehen, da passiert was in Sachen QR-Codes, auch wenn die Öffentlichkeit das vielleicht noch nicht so wahrhaben will“, so Engelking.

Schon damals können auf der Seite alle Besucher:innen kostenlos QR Codes generieren. Um Geld zu verdienen beginnen Drescher und Engelking damit, (vor allem an Firmen) druckfähige Dateien der Codes an Firmen zu verkaufen: 50 Euro für einen Code in Schwarzweiß, 190 Euro für einen farbigen Code mit zusätzlichem Design. Die Firmen können beispielsweise ihr Logo oder einen Rahmen mit einer Aufforderung wie „Scan me“ integrieren, um damit im Idealfall die Nutzung zu pushen. „Das ist wie bei einem Button auf einer Website, der wird mit einem Call-to-Action auch viel häufiger geklickt“, sagt Engelking.

Von Null auf fünfstelligen Monatsumsatz

Der „Proof of concept“ lässt nicht lange auf sich warten: „Wir hatten schnell zwischen 20.000 und 30.000 Euro Umsatz im Monat“, so der Egoditor-Mitgründer. Doch der Service ist beratungsintensiv; im damaligen Mini-Büro klingelt andauernd das Telefon. „Die Leute haben uns ein bisschen als QR-Code-Zentrale mißverstanden.“ Als sie vor der Wahl stehen, ob sie weiterhin eine Agentur betreiben wollen, entscheiden sich Drescher und Engelking für den Schwenk hin zu einem Software-as-a-Service-Modell.

Sie launchen eine kostenpflichtige „Pro Version“ mit Zusatzfunktionen für Unternehmen. Heute können die Firmenkunden mit Egoditor Landingpages bauen, zusätzliche Designs nutzen (besagte „Frames“ mit Call-to-Action), Nutzungsstatistiken einsehen und dynamische QR Codes erstellen. Bei diesen kann die URL, auf die der QR-Code weiterleitet, auch im Nachhinein noch geändert werden (das Unternehmen leitet dafür den Traffic über die Domain QRCo.de weiter).

Auch beim Mobile Ticketing hilft Egoditor weiter

Auch beim Mobile Ticketing hilft Egoditor weiter (Foto: Unternehmen)

Attraktives Pricing soll vom „Selberbauen“ abhalten

Das Angebot kommt offensichtlich an im Markt. Heute führt Egoditor Firmen wie Zalando, GAP und die Job-Suchmaschine Monster auf der Kundenliste. In älteren Medienberichten ist nachzulesen, dass auch schon Unternehmen wie Apple, Facebook und Netflix auf Egoditors Dienste zurückgegriffen haben.

Warum bauen solche Tech-Schwergewichte nicht selbst einen QR-Editor, sondern greifen auf das Tool eines Startups aus Bielefeld zu? Ein Grund dürfte die Preissetzung von Egoditor sein: Das Unternehmen bietet drei Abo-Pakete mit unterschiedlichen Nutzungs- und Funktionsumfang an, für jeweils 60, 150 oder 450 Euro im Jahr. Zu diesem Preis würden viele Firmen den Service lieber einkaufen, als wertvolle Entwickler-Ressourcen dafür zu verwenden, glaubt Nils Engelking. „Wenn die Hürde, um das selbst zu machen, bei ein paar Tausend Euro liegt, dann geben die lieber einmal 150 Euro aus.“

Die USA ist der wichtigste Markt

Über die Jahre hinweg ist Egoditor mit ein und demselben Prinzip erfolgreich: Mit dem kostenlosen Service zieht das Unternehmen über Googles Suchmaschine auf auf die eigenen Websites, um diese dann durch die angebotenen Zusatzfunktionen zu zahlenden Abonnenten umzuwandeln. In Deutschland rankt Egoditors Seite QRCode-Generator.de zu vielen relevanten Keywords auf den vorderen Plätzen, zu „qr code generator“ beispielsweise organisch auf Platz 1.

Ein Jahr nach dem Start kaufen die Gründer auch die Domain QR-Code-Generator.com, über die auch heute noch englischsprachige Version des Dienstes angeboten wird. Der US-Markt sei für Egoditor von Anfang an der größte gewesen, so Nils Engelking. Heute mache er mehr als 50 Prozent des Gesamtumsatzes aus.

Absolventa-Gründer hilft bei der Professionalisierung

2020 verkaufen die beiden Gründer die Mehrheit an ihrem Unternehmen an die Private-Equity-Firma Flex Capital. „Wir brauchten eigentlich keine Finanzierung“, so Nils Engelking. Aber durch den Deal hätten er und sein Kompagnon einen Teil des Geldes „hinter die Brandschutzmauer“ bringen können. „Das ist ja immer gut für Gründer.“

Zum anderen sei ihnen Egoditor damals „organisatorisch ein wenig über den Kopf gewachsen“, sagt Engelking. Hinter Flex Capital steht u.a. der erfahrene Digitalunternehmer Christoph Jost, der auch die Online-Jobbörse Absolventa gegründet und groß gemacht hat. Diese Expertise, so hoffen die Egoditor-Gründer, soll auch ihnen bei der Skalierung helfen. In Folge wird das Egoditor-Team um eine Management-Ebene erweitert, mit Steffen Hetzel (zuvor u.a. Absolventa) als CFO sowie Christof Jaritz (vorher u.a. bei Google und Branch) als Sales- und Marketing-Chef. Das Unternehmen eröffnet auch ein Büro in Berlin, auch um für Arbeitnehmer attraktiver zu sein.

Corona bringt Rekordumsätze

Doch in etwa zum gleichen Zeitpunkt beginnt die Corona-Krise. „Da haben wir erstmal einen ordentlichen Einbruch gesehen“, so Engelking. Doch dann trägt Corona dazu bei, dass der QR-Code endgültig im Mainstream ankommt – später auch durch die Notwendigkeit, mittels Corona Warn-App oder Luca App in Läden und Restaurants einzuchecken. Viele Gastronomen ersetzen außerdem ihre Menükarte durch eine digitale Variante und machen diese per QR-Code verfügbar. Mittlerweile dürfte es kaum einen erwachsenen Menschen geben, der noch nie einen Code gescannt hat. Das beflügelt das Geschäft von Egoditor: „Im Juni und Juli hatten wir dann schon mit Abstand Rekordumsätze.“

Ein mittlerweile klassischer Use Case für QR-Codes: digitale Menükarten

Ein mittlerweile klassischer Use Case für QR-Codes: digitale Menükarten (Foto: Egoditor)

Das Egoditor-Team will diese Chance nutzen und erhöht die Marketingausgaben. Das Budget fließt vor allen Dingen zu Google: Über die Suchmaschine gewinnt das Unternehmen nicht mehr nur organisch Kund:innen, sondern mittlerweile auch verstärkt durch bezahlte Anzeigen. Nils Engelking spricht von einem „relevanten Budget“, das Egoditor bei Google investiere. Ein von OMR befragter Experte schätzt, dass das monatliche Budget im sechsstelligen Bereich liegen könnte. So hoch der Wettbewerb und die Preise bei Google im B2C-Bereich sein mögen: Das Beispiel Egoditor zeigt, dass Search Engine Advertising (SEA) auch im Jahr 2021 zumindest bei B2B-Nischen immer noch ein sehr lukrativer Kundengewinnungskanal sein kann.

340 Prozent EBITDA-Wachstum

Das Ergebnis: Laut Flex Capital steigt der Umsatz von Egoditor innerhalb von nicht einmal zwei Jahren um 250 Prozent und das EBITDA um 340 Prozent, während die Kundenabwanderungsrate um 50 Prozent sinkt. Das Unternehmen aus Bielefeld bezeichnet sich heute als globalen Marktführer in Sachen QR-Code-Erstellung und beschäftigt 50 Mitarbeiter:innen. Nach eigenen Angaben verzeichnet es zehn Millionen Nutzer:innen weltweit, davon 300.000 zahlende – eine breite Kund:innenbasis, durch die das Unternehmen nicht finanziell abhängig von einzelnen Großkunden ist.

Unter dem Dach von Bitly wollen die beiden Egoditor-Gründer nun vermehrt Enterprise-Kund:innen gewinnen. Das US-Unternehmen, das seit 2017 mehrheitlich der Private-Equity-Firma Spectrum gehört, bietet einen URL-Verkürzer inklusive Analyse-Backend und ist damit Egoditor sehr ähnlich – es führ die Nutzer:innen nur auf anderem Wege an ihr Ziel. Erst im November hatte Bitly ein neues „Link Launchpad“ vorgestellt, mit dem das Unternehmen offenbar am Boom der „Link in Bio“-Tools partizipieren will. Sowohl Nils Engelking als auch Nils Drescher bleiben weiterhin bei Egoditor an Bord, auch Flex Capital ist nun bei Bitly investiert; ein Teil des Kaufpreises ist in Form von Unternehmensanteilen geflossen.

ExitSaaS (Software-as-a-Service)SEASearch
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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